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Wiedersehen im Frühling

FW 2018 für _Natsumi_Ann_
von

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Wiedersehen im Frühling

Kapitel o6
 

Kate schlang die Arme um sich, zerrte den Mantel enger um ihren fröstelnden Leib. Ihr Atem stieg in kleinen Wolken in den noch immer winterlichen Himmel auf. Sie sah ihm nach und mochte sich zugleich ohrfeigen für die einnehmenden Gedanken. Sie ließ Nick gehen, musste ihn ziehen lassen. Es war zu absurd!

»Und Kate ...« Sie sah auf, als er nach ihr rief. »Hat mich gefreut. Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder?«

Das Lächeln auf seinen Lippen, warm und herzlich, schwoll zu einem breiten Grinsen an. Ihre Mundwinkel zuckten. Die letzten Tage waren alles andere als langweilig.

»Spätestens, wenn du wieder gerettet werden musst«, verkündete Nick, hob die Hand und winkte ihr noch ein letztes Mal, ehe er hinter der nächsten Ecke verschwand.

Kate seufzte, tief und gedehnt. Er hatte zwar ihre Adresse, doch ob Nick diese nicht einfach in den nächsten Mülleimer wandern ließ, vermochte sie nicht zu sagen. Sie wusste ja nicht einmal, wo er wohnte, und seine Telefonnummer hatte sie versäumt zu notieren. Eine lausige Büroangestellte war sie! Hatte weder dem Namen, noch der Nummer habhaft werden können.

Das Hochgefühl schwand mit jedem Schritt, den sie ihrer Wohnung näher kam. Morgen würde der Alltagstrott wieder seine Arme um sie schlingen. Kate schüttelte den Kopf. Solch leichtfertigen Gedanken, wie Nick sie hegte, würde sie nie nachgeben. Auch wenn ein Ausbruch aus der Tristesse vielleicht ungeahnte Möglichkeiten bot, so waren Angst und Scheu ihr zu groß. Also mahlten die Mühlen weiter. Tag für Tag.

Sowie der Schlüssel seinen Weg ins Schloss fand, bemerkte sie das Läuten ihres Telefons. Dieses Mal war es ihr Festnetzanschluss, obschon sich Kate dabei ertappte, wie ihrem Wunsch Flügel wuchsen, Nick habe sein Handy erneut bei ihr zurückgelassen.

Die Melodie verebbte und schlug dann abermals an. Kurz, bevor der Anrufer aufgab, flogen ihre Finger hinüber zur Annahmetaste.

»Wallace?«, sagte sie knapp, keuchte und mahnte ihre brennende Lunge zur Ruhe.

»Kitty?«, hallte es am anderen Ende. Erleichterung erfasste Kate.

»Dad? Hi, entschuldige ich … ich war kurz unten, und ...«, erklärte sie noch völlig außer Atem.

Kate mochte die Gespräche mit ihrem Vater. Albert war stets korrekt, und kurz angebunden. Eine Eigenschaft, die sie an ihm schätzte. Sein Pendant jedoch schien nie ein Ende zu finden. Kate graute es bereits davor, dass ihre Mutter das Telefonat an sich riss. Irmaline Wallace war herzensgut und eine liebe, fürsorgliche Frau, doch all dem Positiven stand auch eine Menge Negativem gegenüber.

Mit den Jahren erst hatte Kate sich zu wehren gelernt. Dieser Frau gehörte Einhalt geboten, und sei es auch nur am Telefon. Allmählich verstand Kate, weshalb es Bertram vorgezogen hatte, von Amerika nach England überzusiedeln, um sich dort nicht nur seinem Studium, sondern auch der Kultur zu widmen.

Kate hatte es leider nur bis kurz vor die Haustür geschafft. Auch wenn knapp 700 Meilen nicht gerade zum Vorgarten zählten. Manchmal beneidete sie ihren Bruder, der sich in Europa ein Leben aufgebaut hatte. Gern wäre sie ihm gefolgt, doch ihre Familie, ihre Heimat und nicht zuletzt ihre Freunde hatten sie zurückgehalten.

Leise lachte sie, als ihre Gedanken bei Nick hängen blieben. Hatte er nicht selbst gesagt, dass es seiner Mutter ebenso wenig gefiel, dass er nach New York zog? Wer hätte gedacht, dass beide jenes Schicksal teilten?

»Kate! Hörst du mir zu?!«

Sie verdrehte die Augen. Wie Kate bereits befürchtete, hatte das Gespräch mit ihrem Vater sehr schnell ein Ende, also übernahm Irmaline das Telefonat und riss den Hörer an sich. Klagte über den geringen Kontakt, beschwerte sich über den Hund der Robinsons, der ihre Rose verunstaltete.

»Mom, Mom, hör' mal, ich muss morgen wieder früh raus, und ...«, versuchte Kate die Schimpftirade zu unterbrechen.

»Du kommst doch am Wochenende, ja?! Keine Widerrede!« Dem Befehl ihrer Mutter stand Kate perplex und völlig machtlos gegenüber.

»MOM! Das schaffe ich nicht!«, rief Kate aufgebracht.

»Stell' dich nicht so an! Dein Bruder kommt schließlich nicht ständig nach Hause! Und von Sheffield nach Dayton ist es ein noch weiterer Weg, als von New York!« Irmaline Wallace war es stets gewohnt, dass man ihren Worten Taten folgen ließ.

»Mom, bitte!«, knurrte sie.

»Irmaline!«, warf sich Albert dazwischen, doch sowohl er, als auch seine Tochter wussten, dass sie gegen das Matriarchat nicht ankamen.

»Nimm einen zeitigen Flug, wenn du nicht selbst fahren willst!«, mit jenen Worten und einer kleinen Verabschiedung war das Gespräch beendet.
 

Dass sie das Wochenende in Ohio verbringen würde, drückte ihr die Stimmung. Auch das Lob über den Geschäftsabschluss vergangenen Freitag, konnte nicht über den schweren Stein in ihrem Magen hinweghelfen. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen schienen ihren Ausflug zu begrüßen, schwärmten und klagten gleichermaßen über den Verlust ihrer Liebsten daheim, auch wenn nicht wenige Kates Verhalten als nachvollziehbar empfanden.

»Kate?« Mellory Cummings, ihre direkte Schreibtischnachbarin, kam auf sie zu und schien etwas hinter dem Rücken verbergen zu wollen. Das Grinsen der anderen Frauen ließ Kate beängstigend dreinblicken.

»Die hier musste ich eben vom Empfang abholen«, brachte Mellory neidvoll hervor und überreichte ihr einen kleinen Strauß Wildblumen.

Corinne, ebenso in Kates Abteilung beschäftigt, nieste und schenkte den Blumen nur einen missbilligenden Blick. »Grauenhaftes Kraut!«

Der Protest ihrer Kolleginnen wallte auf, während Kate den Strauß entgegennahm.

»Bestimmt von einem aus der Warenabteilung«, hörte man aus einer Ecke, während Lachen durch die Reihen wehte.

»Einem von denen hast du bestimmt den Kopf verdreht«, lachte Mellory und ließ sich an ihrem Platz nieder.

»Meine Damen, bitte!« Alfred Buckens, Kates unmittelbarer Vorgesetzter, beehrte seine Lieblingsabteilung mit dem allmorgendlichen Erscheinen. »Miss Wallace, über ihre Freistellung müssen wir zwar noch verhandeln, doch denke ich, dass ihrem kleinen Urlaub nichts im Wege steht.«

»D-Danke, Mister Buckens«, gab Kate kleinlaut zurück und fluchte innerlich. Am Montag hatte sie widerwillig den Antrag ausgefüllt und nun, zwei Tage später, war ihre Hoffnung dahin, dass man ihr den kleinen Ausflug verweigerte.

»Ruhen Sie sich aus, und genießen sie die Zeit, Kate. Auch Sie haben mal eine Auszeit verdient. Und die Flugtickets können wir über die Firma laufen lassen, machen Sie sich diesbezüglich keine Gedanken.« Mit einem feierlichen Wink und breitem Lächeln verließ Mister Buckens die Damen. Kate wurde immer kleiner, schrumpfte in ihrem Stuhl zusammen.

»Erst Blumen und jetzt eine Geschäftsreise, die gar keine ist«, merkte Mellory an. »Hast du ein Glück.«

»Willst du tauschen?«, wimmerte Kate und besah sich den Strauß von Nahem. »Keine Karte?« Als sie den Blick hob, schüttelte Mellory den Kopf. »Und woher wisst ihr, dass er für mich ist?!«

Mellory zuckte die zierlichen Schultern. Das helle Blüschen wirkte für ihre Statur ein wenig zu groß. »Alice meinte, dass sie über einen Kurier geschickt wurden.«

Kate presste die Lippen aufeinander, erhob sich und suchte in der Teeküche nach einer Vase. Und obschon sie sich zu konzentrieren versuchte, es gelang ihr nicht.
 

Die Durchsage des Kapitäns vernahm sie nur am Rande. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Kate hatte keinerlei Probleme, was das Fliegen anbelangte, dennoch schwante ihr Übles, wenn sie an den Besuch bei ihren Eltern dachte.

Albert würde sie abholen, auch wenn ihr Vater nur noch selten das Auto aus der Garage holte. Doch er hatte stets betont, dass das Fahren für ihn etwas Befreiendes hätte. Die Maschine landete pünktlich um kurz nach zwölf Uhr Mittags. Die Beine waren ihr schwer und die Finger klamm, als Kate durch die Absperrung ging und ihren kleinen Rollkoffer hinter sich her zog.

»Kitty!« Die vertraute Stimme ihres Vaters kroch ihr wohlig über die angespannten Nerven. Selig ließ sich Kate in Alberts Arme sinken. Tief atmete sie den Duft seiner alten Lederjacke ein.

»Wie ich sehe, hast du uns den Sonnenschein mitgebracht«, lachte er auf. »Wir haben zwar bereits offiziell Frühling, doch bis gestern war es hier noch eisig. Frag deine Mutter!«

Kate schnaubte lachend und ließ sich von ihm zum Parkplatz bringen. Sie kam mit ihrem Vater überein, was das Wetter betraf. Winter und Frühling waren in den letzten Jahren so ineinander verwoben, dass man nie genau sagen konnte, wann die strenge Kälte endlich dem Leuchten der blühenden Jahreszeit wich.

Um sich nicht durch die gesamte Stadt zu quälen, wählte Albert Wallace die ihm bekannten Pfade. »Bert ist bereits gestern angekommen. Er freut sich so, dich zu sehen. Und die Jungs erst!«, hob er an und stellte das Radio ein wenig leiser, damit Kate auch nichts von seiner Begeisterung verpasste. »Er hat dich so vermisst.«

Kate schnaubte abfällig. »Wenn er mich so vermisst hat, warum hat er mich dann nie nach England eingeladen?«

»Kitty, bitte!«, gebot Albert ihr. »Du weißt doch, dass er und Sarah viel zu tun haben.«

»Ja, von einer Uni zur anderen tingeln«, murrte Kate leise und versuchte dem mahnenden Blick ihres Vaters auszuweichen. »Entschuldige, tut mir leid.«

»Die Jungs sind zwar schon erwachsen, trotzdem kriegen sie sie schlecht aus dem Haus.« Kates Augenbraue schnellte empor.

»Na ja, bei dem Job und dem Gehalt der Eltern, würde ich auch nicht ausziehen wollen«, kicherte sie leise.

Im Gegensatz zu ihren Eltern, die bodenständige Berufe erlernt hatten, war Bertram arg aus der Art geschlagen. Sein Studium hatte ihn nach Europa geführt, wo er an verschiedenen Universitäten und Hochschulen als Professor arbeitete. Obschon jener Kontinent viel Kultur und vor allem Literatur bot, und es ihm ermöglicht wurde, in verschiedenen Städten zu unterrichten, hatte Bert sein Herz an England, in Sheffield verloren, wo er nicht nur seine Frau heiratete, sondern auch die Kinder mit ihr großzog. Aus Mangel an Geld war es den Wallaces nicht gelungen, an der Heirat teilzunehmen, und auch wenn diese bereits über zwanzig Jahre her schien, waren Bert und Sarah noch immer so verliebt, wie am ersten Tag.

Ihre Neffen kannte Kate nur vom Hörensagen. Oder von Fotos aus deren Kindheit. Leibhaftig hatte sie die Kleinen jedoch noch nie in Augenschein nehmen können. Dafür waren zu viele Jahre ins Land gegangen und das Geld stets zu knapp.

»Kitty?« Kate warf ihrem Vater einen Blick zu, als dieser auf die Auffahrt hinauffuhr. Albert stellte den Motor ab und langte nach ihrer Hand. »Ich freue mich wirklich sehr, dass du hier bist.«

Kate erwiderte das warme Lächeln ihres Vaters. »Ich mich auch, Dad.«

»Und vor allem deshalb, weil wir mal erleben können, wie sich deine Mutter wie ein Brummkreisel windet«, lachte Albert und Kate stimmte mit ein.
 

Die Rosenbüsche im Vorgarten ließen nichts von ihrer Pracht und der Sorgfalt Irmalines missen. Nicht einmal die Spuren des Nachbarhundes konnte man erkennen. Alles war akkurat und penibel genau abgestimmt. Kein Grashalm wuchs in die verkehrte Richtung, das Unkraut duckte sich und traute sich nicht, emporzukommen. Die weiße Fassade des Hauses schien noch immer mit der Sonne um die Wette zu strahlen.

Kates Vater wühlte in der Jackentasche nach seinem Schlüssel. »Deine Mutter ist mit Bert und den Kindern bestimmt im Garten«, erklärte er, ehe Albert nach seiner Frau rief. »Irmaline!«

Doch statt ihrer, öffnete ein hochgewachsener, junger Mann die Haustür und Kate erstarrte für einen Augenblick.

»Ah, David, wie gut, dass du uns aufmachst«, sagte Albert und trat an dem Jungen vorbei. »David, das ist Kitty … Äh, Kate. Deine Tante.«

Mit einem Wink deutete Albert auf seine jüngste Tochter, die noch immer wie angewurzelt vor der Haustür stand und sich keinen Millimeter rührte. Kate schluckte bei dem sich ihr bietenden Anblick. Das Herz pochte ihr in der Kehle. Das konnte nicht ….

»Du bist Kate?«, fragte David mit der typisch, britischen Färbung in der Stimme.

Eine Wohltat für ihre Ohren, doch Kate durfte sich weder von dem schmeichelnden Akzent, noch dem Äußeren des Jungen irritieren lassen. Schwach nickte sie.

»Komm rein, ist doch dein Haus, oder?« David zuckte die Schultern. »Hast du was?«

Kate rang nach Luft, dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf. »Entschuldige, ich … habe dich kurz mit jemandem verwechselt.«

Misstrauen zierte ihr Gesicht, als Kate dem Jungen ins Haus folgte. Auch das Grinsen, mit den Grübchen in den Wangen, ließen sie nicht von dem Gedanken Abstand nehmen, dass ihr David unheimlich war, und unheimlich vertraut noch dazu.

»Mom?«, rief Kate nach ihrer Mutter, nachdem sie ihren Koffer ans Ende der Treppe stellte. Den Flur zierten Bilder der Familie. Ihre Eltern bei der Hochzeit, Kate und Bertram in ihrer Kindheit und Jugend. Eines der letzten Bilder zeigte die Geschwister, kurz vor Berts Abreise nach England. Bert glänzte im Talar mit seinem Uniabschluss, während man Kate, mit ihren elf Jahren, den Hut auf den Kopf setzte, um ihr den möglichen Lebensweg aufzuzeigen. Trotzig war ihr Blick, ein wenig von ihrem Bruder abgewandt. Kate konnte sich noch gut an diesen Tag erinnern. Sie war wütend auf Bert, weil er einfach wegging und sie allein zurückließ. England war so weit entfernt, unerreichbar. Heute jedoch war sie froh, dass sich beide in verschiedene Richtungen entwickelt hatten.

»Da ist sie ja«, vernahm Kate den dunklen Klang, gemischt mit einem Hauch britischer Insel. »Komm' her, Schwesterherz!«

Ihr Magen drehte sich und Kate erlag dem Versuch, sofort auf den Hacken kehrt zu machen. Bert hatte schon immer diese abstoßende Angewohnheit, sie mit den grausigsten Beschreibungen zu betiteln, wenn Nervosität ihn überkam.

»Schwesterherz? So hast du mich ja noch nie genannt!«, schnappte Kate und erwiderte die ihr dargebotene Umarmung dennoch herzlich. »Was ist los? Aufgeregt, großer Bruder? Oder macht Mom euch jetzt schon fertig?«

Bert verdrehte die Augen. »Siehst du, deshalb bin ich gegangen!«

Kates Augen wurden schmal. Bertram ahnte nicht einmal, auf welch dünnes Eis er sich begab.

Sie grollte ihm noch immer.

»Kate, nicht heute«, warnte er leise, dennoch zierte seine Lippen ein entschuldigendes Lächeln. »Komm', ich will dir Sarah und die Jungs vorstellen!«
 

Bert führte sie den gewohnten Weg entlang, durch die große Küche in den hiesigen Garten. Noch waren die Obstbäume kahl, doch in wenigen Tagen würden Kirsch- und Apfelbäume in vollster Blüte stehen und Irmaline in den Wahnsinn treiben.

Bert war nur einen halben Kopf größer als sie, jedoch ebenso dunkelblond. Nur bei der Farbe der Augen hatten Vater und Mutter ihr Bestes gegeben, und Bert mit strahlendem Blau beseelt. Kate hingegen hatte das leuchtende Grün von Grandma Hannah geerbt, wie auch Irmalines Bruder Konrad, und dessen Sohn Finlay. Umso erschrockener war sie, als David ihr zuvor die Tür geöffnet hatte. Schwarzes Haar, dunkle Augen. Definitiv nicht die Linie der Wallaces.

Schweigend folgte sie Bertram und lauschte den Stimmen. Das Lachen ihres Vaters wehte zu ihnen herüber. Kate reckte den Hals und entdeckte nicht nur ihn, sondern auch eine Frau, die sie bisher nur von ein paar Fotografien her kannte. Persönlicher Kontakt zu Sarah Stratford hatte bisher noch nicht bestanden.

»Kate.« Ein warmes Lächeln umspielte ihre Lippen, als Sarah sich aus dem Stuhl erhob, erst ihrem Mann so liebevoll begegnete, und dann Kate in die Arme schloss. Kate keuchte auf, trotz der geringen Größe ihrer Schwägerin, vermochte es Sarah, sie in eine kräftige, allumfassende Umarmung zu ziehen. Das Haar pechschwarz und ein wenig lockig. Sarah sah mit einem Glitzern in den warmen, dunklen Augen zu ihr auf. »Ich freue mich so, dich kennenzulernen.«

»Ich mich auch«, gab Kate knapp, aber wahrheitsgemäß zurück.

»Es tut mir so leid, dass wir uns erst richtig beschnuppern können, aber Bert hat mir bereits so viel von dir erzählt ...«, plapperte Sarah und schien nicht weniger aufgeregt, als Bertram. Kate verstand nicht viel von dem, was diese kleine Frau zu ihr sagte, weil der Klang ihrer Stimme sie bereits eingehüllt hatte.

»Ihr solltet in einem Callcenter arbeiten. Ihr würdet steinreich werden«, entkam es Kate, noch ehe sich ihrer Worte gewahr wurde. Entrüstet schnappte sie nach Luft. »Bitte, entschuldige ...«

Doch Sarah sah mit einem Lächeln zu ihr auf. »Ich glaube, der Akzent war der Hauptgrund, weshalb Bertram mich überhaupt geheiratet hat.«

Bert verdrehte die Augen, verneinte die Aussagte seiner Frau jedoch nicht.

»Hast du schon die Jungs kennengelernt?« Das Leuchten in Sarahs Augen nahm zu. Dem offensichtlichen Stolz hatte wohl niemand etwas entgegenzubringen.

»Ich glaube, dass David vorhin ...«, haspelte Kate, wenngleich ein wenig verlegen.

»Das Küken.« Sarah lachte auf und rief nach ihren anderen Söhnen.

»Du blöder Arsch!« Laut fluchend stapfte ein fremder Mann aus dem Wohnzimmer in den Garten hinaus.

»Dorian Grayham! Zügle deine Ausdrucksweise!«, herrschte Sarah überraschend autoritär.

Kate verschluckte sich beinahe beim Klang des Namens. Dorian Grayham? Sofort huschte ihr Blick zu Bertram, der zerknirscht und nicht weniger peinlich berührt das grüne Gras betrachtete.

»Nick hat beschissen!«, rechtfertigte Dorian seine unfeinen Kraftworte.

»Ich hab nicht beschissen, du bist nur ein beschissener Verlierer, und ein noch beschissenerer Autofahrer!«, lachte der zweite Abkömmling mit breitem Grinsen auf dem Gesicht.

Kate zuckte alarmiert zusammen, bemerkte, wie ihr Körper augenblicklich stocksteif wurde. Sarah ließ von ihr ab, um ihren ältesten Söhnen eine Standpauke zu halten.

Kate spürte den Blick des Älteren auf sich, zwang sich zu einem Lächeln und einem wortlosen »Hi«, ehe ihr die Galle die Kehle hinaufschoss. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, brachte ihr Herz zum Rasen. Ihr gelang es kaum, nach Atem zu ringen.

»Kate!«, sagte Bertram neben ihr und diese zuckte abermals zusammen. »Das sind Dorian«, er wies auf den Älteren. »David kennst du ja bereits«, fuhr Bert fort, während David knapp den Kopf wandte und sich dann wieder seinem Handy widmete. »Und der Mittlere, Nickleby«, stolz zog Bertram den letzten Sprössling zu sich und klopfte diesem auf die Schulter.

»Ja, der Taugenichts«, bemerkte David, sah kurz von dem Mobiltelefon auf und schenkte seinem Bruder ein gehässiges Grinsen.

»Nickleby?« Unter geschmälerten Augen musterte sie ihren Neffen, während sich Nick verlegen mit der Hand über den Nacken fuhr.

Natürlich! Bert hatte schon immer einen Faible für Figuren aus der Literatur und offenbar teilte Sarah diese Begeisterung.

»Warum hast du ihn nicht Nicholas genannt?!« Kate tat sich schwer, den zischenden Unterton zu vermeiden.

»Kate, bitte … das wäre ja wohl zu einfach«, lachte Bertram und wiegelte ihre Frage einem überflüssigen Kopfschütteln ab.

»Klar, wäre es das ...«, lachte Kate irritiert auf, ließ Nick jedoch nicht aus den Augen.

»Dorian und Nick sind zwar nicht mein eigen Fleisch und Blut, trotzdem liebe ich sie, wie meine eigenen Söhne«, schwärmte Bert und rubbelte Nick den Kopf, der protestierend ächzte und versuchte, dem Angriff seines Vaters zu entkommen. Sarah trat an ihre Seite und lächelte nicht weniger angetan von der Geschichte ihres Kennenlernens.

»Ich war bereits mit ihm schwanger«, sagte sie mit Blick auf Nick, dem jene Erinnerung an seine Kindheit mehr als unangenehm schien.

»Dass Dorian keinerlei Probleme hatte, mich als seinen alten Herren zu akzeptieren, hat mich sehr erleichtert. Und Nick kennt ja leider keinen anderen, als mich«, verkündete Bert nach Fassung ringend.

»Ja, und der andere Klugscheißer hat keine Wahl«, knurrte Nick und vermied es, Kate anzusehen. David hob die Hand und zeigte seinem Bruder nur provozierend den Mittelfinger.
 

Als sich die kleine Traube, zu Kates Erleichterung, endlich auflöste, ließ sie sich auf das Polster der Hollywoodschaukel sinken. Als kleines Mädchen hatte sie oft hier ihre Freizeit verbracht und im Frühling, und an warmen Tagen, war es ihr der liebste Platz. Ihr Blick schweifte über die Leute hinweg, deren Gesichter sie kannte und jener, mit denen man sie erst am heutigen Tage bekannt gemacht hatte.

Es musste ihr gelingen, den Sturm in Zaum zu halten, der unweigerlich in ihr tobte. Der Besuch ihres Bruders, nach all der Zeit, die Begegnung mit Sarah, den Jungs und nicht zuletzt Nick

Kate legte den Kopf schief und betrachtete den jungen Mann, der ihr vor nicht weniger als einer Woche womöglich das Leben gerettet hatte und sich nun als Familienmitglied entpuppte.

Zufall? - Niemals!

»Haben dir die Blumen gefallen?« Kate sah auf, neigte den Kopf abermals, als Nick vor ihr aufragte. Es wäre leichter, dies zu verneinen, doch zu ihrer Schande musste sie sich eingestehen, dass es nicht der Wahrheit entsprach.

»Ach, die waren von dir?« Ihre Augenbraue schnellte empor, doch ihre Lippen zierte ein gezwungenes Lächeln. Kate klopfte auf den freien Platz neben sich.

Unschlüssig sah Nick erst zur einen, dann zur anderen Seite, ehe er sich setzte. »Du scheinst ganz gut damit klarzukommen?«

»Hmpf«, schnaubte sie bei seiner Annahme.

»Woher sollte ich denn wissen, dass du meine Tante bist?!«, knurrte Nick plötzlich leise, kaum hörbar.

»Nein, das … konntest du nicht«, räumte sie ein. »Du hast recht. Das … ist wirklich mehr als merkwürdig.«

»Schicksal«, gab Nick mit einem schiefen Lächeln zurück.

»Hör auf!«, fauchte Kate und mühte sich darum, nicht gehört zu werden.

»Was hab ich dir gesagt?«, er ließ sich nicht beirren. »Schicksal!«

»Du bist doch verrückt!«, spottete Kate und schüttelte schnaubend den Kopf.

»Hey, du wohnst in New York, ich wohne in New York. Du wärst fast von einem Laster umgenietet worden …« Kate räusperte sich und Nick verstummte sofort. Doch niemand der anderen schien von ihnen Notiz zu nehmen.

»Ach, bevor ich's vergesse: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag!«, verkündete Kate knapp, den Blick in eine andere Richtung lenkend.

Doch in Nicks Augen trat ein Strahlen. »Dass du dich daran erinnerst ...«

»Natürlich, der Hudson wurde, wie jedes Jahr, grün eingefärbt … Und ob du nun einen Tag davor, oder danach Geburtstag hast, ist eigentlich egal ...« Ihr Zucken der Schultern sollte die Belanglosigkeit unterstreichen, mit der sie versuchte, ihn von sich zu stoßen.

»Na ihr zwei, über was unterhaltet ihr euch?« Bert trat auf sie zu, wippte von den Fußballen auf den Hacken vor und zurück und schien ein wenig unsicher und besorgt, was den Kontakt seiner Schwester zu einem seiner Söhne betraf.

»Über Geburtstage«, sagte Nick wahrheitsgetreu.

»Ah ja, hast du gewusst, dass deine Tante Kate Spezialistin in dieser Angelegenheit ist?« Kate quittierte das neckende Bestreben ihres Bruders mit grimmigem Blick.

»Gar nicht wahr«, widersprach sie sofort, doch Bert überging ihre Worte mit einem zwinkern.

Doch das Gespräch weiter zu vertiefen, gelang ihnen nicht, da Irmaline alle ins Haus zum Essen rief.
 

»Hey, Nickleby, hast du gewusst, dass Kitty auch in New York wohnt? So ein Zufall, nicht wahr?«, lachte Albert und schlug seinem Enkelsohn breit grinsend auf die Schulter.

Kates Miene jedoch war alles andere als fröhlich.

»Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, Kindchen …«, mahnte Irmaline und reichte die Schüssel mit Gemüse an Dorian weiter, der diese mit verdrießlicher Miene, irgendwo in die Mitte des Tisches, platzierte. »Das mit deiner Scheidung nagt ja noch an uns allen, dennoch ist genug Zeit ins Land gegangen ...«

Nick warf ihr einen fragenden, vor Neugierde triefenden Blick zu. Kate verdrehte die Augen.

»Du warst verheiratet, Tante Kate?«, fragte David und schob sich einen Löffel Kartoffelpüree zwischen die Zähne.

Kate wollte soeben etwas erwidern, als ihre Mutter abermals die Stimme erhob.

»Ach, nur drei Monate«, warf Irmaline ein. »So eine Heirat in Las Vegas ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes«

»Danke, Mutter«, knurrte Kate und spürte ihre vor Wut glühenden Wangen. »Wie läuft's an der Uni, Bert?« Kate wandte sich ihrem Bruder zu, versucht, das Thema auf dessen Arbeit und ebenso lange Abwesenheit zu lenken. Indes starrte Kate benommen auf den gefüllten Teller. Ihr war jeglicher Appetit vergangen. Schweigend ertrug sie die Blicke, doch als sie den Kopf hob, waren alle mit ihrem Essen beschäftigt, oder lauschten den Anekdoten Bertrams. Dann und wann übernahm auch Sarah das Ruder, während sich Albert im Stuhl zurücksinken ließ, und das Gewusel bei Tisch sichtlich genoss.

»Kate?« Diese warf einen Blick über die Schulter und war gerade dabei, die benutzten Teller in die Spülmaschine zu räumen, als Sarah ihr das verbliebene Geschirr auf die marmorne Arbeitsplatte stellte.

»Ist alles in Ordnung? Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lang, aber ich habe das ungute Gefühl, dass dein Schweigen beim Essen ...«, begann sie und musterte Kate mit besorgtem Gesicht.

Kate schloss die Augen und versuchte sich auf ihre Atmung zu fokussieren. Sie war um ein Lächeln bemüht. »Sarah, wirklich, es ist alles in okay. Es ist … wie immer.«

Fragen und Sorge spiegelten sich in den dunklen Augen Sarahs wider. Jemanden, mit so viel Feingefühl zu finden, war sicherlich nicht einfach. Bert hatte Glück.

»Ja, das hat er«, lächelte Sarah plötzlich.

Kate erschrak. »Oh, es tut mir leid, ich wollte nicht ...«, winkte diese hastig, doch das Lächeln auf Sarahs Lippen blieb.

»Als Mutter sollte man stets darum bemüht sein, seine Kinder zu schützen, und sich nicht in den Vordergrund drängen, geschweige denn, die Kinder, ganz gleich, ob erwachsen, oder nicht, in Verlegenheit bringen«, erklärte Sarah und schlang ihre kleinen Finger um Kates Handgelenk.

»Leider … halten sich nicht alle Eltern an diesen Kodex«, murmelte Kate schwach lächelnd.

Sarah schlug die Augen nieder, ließ ein knappes Zucken der Schultern erkennen. »Das mit der Scheidung tut mir leid, wir wussten nicht ...«

»Nein, das konntet ihr auch nicht«, erklärte Kate, entwand sich dem leichten Griff ihrer Schwägerin und belud die Spülmaschine.
 

Die Zimmerverteilung war im Hause Wallaces noch immer strengen Regeln unterworfen. Während die Großeltern in ihrem Zimmer blieben, entbrannte eine rege Diskussion zwischen Mutter und Sohn, als Bertram Irmaline klar zu machen versuchte, dass er mit Sarah das selbe Bett zu teilen habe.

»So verstaubt kommen die mir gar nicht vor«, nuschelte David und bekam sofort ein Kissen ins Gesicht geschleudert. Die Enkelsöhne wurden im Wohnzimmer einquartiert. Die lederne Couch ausgezogen, der freie Platz mit Luftmatratze und Isomatten ausgelegt.

»Ich bin ganz neidisch auf eure Tummelwiese«, schwärmte Sarah, doch ihr Versuch, den Jungen jene Landschaft schmackhaft zu machen, misslang.

»Und wo schläft Tante Kate?«, hakte Dorian, schief grinsend, nach.

»In ihrem Zimmer«, sagte Albert und ignorierte die verdutzten Blicke. »Gute Nacht, Jungs.«

Jeder der drei nuschelte eine Erwiderung, ehe sich auch Irmaline damit zufrieden gab und das Wohnzimmer verließ. Bertram und Kate folgte dem Beispiel ihrer Mutter, während Sarah ihre Söhne nochmals beschwor und zur Ruhe mahnte.

Sowie Kate die Treppe ins obere Stockwerk erklomm, die lieblich knarzende Stufe jedoch ausließ, fühlte sie sich an wiederum an ihre Kindheit erinnert. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, dennoch hoffte sie, dass dieses Wochenende schnell vorüber ging.

Oben, am Absatz, gelangte man auf einen kurzen Flur, der geradewegs in das elterliche Schlafzimmer führte, links und rechts davon zweigten sich die Zimmer der Kinder ab. Kate bog zur Herzseite, wünschte ihrem Bruder und dessen Frau eine ruhige Nacht, während sie durch die Tür schlüpfte und ihre Garderobe zusammensuchte.

Dass sich das geräumige Bad direkt neben ihrem Zimmer befand, hatte Kate früher schon als große Erleichterung empfunden, auch wenn Bert bereits nach England übergesiedelt war, als sie in das Alter kam, in dem ein Mädchen viel, sehr viel Zeit im Bad benötigte.

Zu Streitereien kam es unter den Geschwistern nicht und als weitere Ausweichmöglichkeit befand sich neben der Küche, im Erdgeschoss, ein weiteres Badezimmer, das zwar nicht luxuriös, aber dennoch ausreichend war.

Kates Vorhaben wäre rasch ausgeführt:

Ein wenig Wasser ins Gesicht und die Zähne geputzt, dann würde sie sich mit der Unbequemlichkeit des alten Bettes abfinden müssen. Leise seufzte Kate und erschrak, als jemand ungestüm die Tür aufriss.

»Oh, bitte entschuldige«, haspelte Sarah. »Ich wusste nicht ...«

»Kein Problem«, gab Kate nuschelnd wieder und spukte den Rest des Zahnpastaschaums ins Waschbecken, ehe sie sich das Gesicht trocknete. »Ich bin so sowieso fertig, außerdem hätte ich abschließen müssen. Tut mir leid, aber ich bin so viele Leute in diesem Haus nicht gewohnt.«

Sarah schenkte ihr ein knappes Lächeln und ließ Kate passieren. Auf dem schmalen Gang stieß sie fast mit Bert zusammen.

»Ziemlich eng hier, hm?«, scherzte er, doch Kate verdrehte nur die Augen.

»Ich hol' mir noch etwas zum Trinken«, verkündete sie, drängte sich an Bert vorbei und stieg die Treppe herunter. Die knarzende Stufe ließ sie leise fluchen. In all den Jahren hatte es ihr Vater immer noch nicht geschafft, diese lärmende Fehlfunktion abzustellen. Auf nackten Sohlen schlich sie in Richtung Küche und kam nicht umhin, dem Gemurmel ihrer Neffen Zeuge zu werden.

»Tante Kate ist ziemlich heiß«, vernahm sie Davids Stimme.

»Woher willst du das wissen?!« Nicks Protest ließ Kate schmunzeln, während es Dorian alle Beherrschung abverlangte, nicht laut lachen zu müssen.

»Guck sie dir doch an! Und wesentlich jünger als Dad ist sie auch – he, aua!« Offenbar sah sich der zweite Spross der Sippe gezwungen, dem Jüngsten Einhalt zu gebieten und warf ihm abermals ein Kissen ins Gesicht.

»JUNGS!« Kate zuckte, als sie Sarahs barschen Ton von oben her vernahm und drängte sich in die Küche. »Wenn ihr hier etwas kaputt macht, gibt es eine Woche Fernsehverbot!«

»Mum!«, klagten Dorian und David.

»Dann zwei, und die Handys sind auch verboten!«, setzte Sarah nach.

Nun war es Kate, die Mühe hatte, nicht in Gelächter auszubrechen und als von ihrer Schwägerin nichts mehr zuhören war, musste sie sich ein wenig anstrengen, um dem Geflüster der Jungs folgen zu können.

»Ist doch wahr«, knurrte David. »Ich meine, wie alt ist sie? Fünfunddreißig?«

»Einunddreißig«, widersprach Nick sofort. Kates Finger krallten sich an der Schranktür fest, während sie zwischen Entrüstung und Belustigung schwankte.

Dorian schnaubte. »Und woher willst du das wissen?«

»Wir haben uns unterhalten, das macht man so«, erklärte Nick schlicht. »Und jetzt haltet die Klappe!«

Etwas unwirsch entglitt ihr die Tür, Kate ließ sich jedoch nichts anmerken, als sie von der Küche aus am Wohnzimmer vorbei schwebte und es mucksmäuschenstill wurde. »Gute Nacht, Jungs!«

»Wo kam die denn jetzt her?«, murmelte David überrascht und verlegen zugleich, während Nick schnaubend den Kopf schüttelte.
 

Nick fuhr zusammen, als er das laute Knacken und Knarzen vernahm. Wieso hatte ihn niemand über diese vermaledeite Stufe informiert? Nicht wissend, ob noch andere Holzbolen am Reigen beteiligt waren, hielt er inne und lauschte, ob er auf sich aufmerksam gemacht hatte. Als sich weder seine Brüder regten, noch etwas vom oberen Stockwerk her zu vernehmen war, setzte er seinen Weg leise, aber mit höchster Achtsamkeit, fort.

Dass es ihm ohne weitere Vorkommnisse gelang, den Treppenabsatz zu erreichen, glich einer wahren Meisterleistung. Nun stand er jedoch vor einem größeren Problem. Eiligst huschte sein Blick an den Türen vorbei. Stimmen waren zu hören, sie kam aus dem Zimmer, das sich zu seiner Rechten befand. Seine Eltern ...

Nick schluckte die Anspannung herunter, setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die Nacht war finster, nicht einmal der Mond zeigte sich und er schlich durchs Haus. In ihm keimte der Gedanke, dass dieser Augenblick sicherlich seinen Reiz hatte, dennoch war es recht mager um seine Ausreden bestellt, sollte man ihn erwischen.

Widerwillig erinnerte er sich an die kurze Führung, zu der sich Albert und Irmaline hatten hinreißen lassen, doch sein Interesse am Aufbau des Hauses hielt sich in Grenzen. Nun jedoch bereute er es, nur mit einem halben Ohr zugehört zu haben. Es konnte doch wirklich nicht so schwer – Nick stutzte, spitzte die Ohren und schmälerte den Blick.

Kate zuckte, als die Tür zu ihrem einstigen Heiligtum einen kleinen Spalt geöffnet wurde. Sie warf das Buch zur Seite, in dem sie gelesen hatte, schlug die Bettdecke zurück und wappnete sich bereits für das Donnerwetter. Der Auslöser ihres Vorhabens entpuppte sich jedoch als weit weniger gefährlich. Fragend schoben sich ihre Augenbrauen zusammen, als Nick vorsichtig ins Zimmer lugte. Die Anspannung wich aus seinem Gesicht, als er sie sah.

»Was willst du denn hier?«, zischte Kate und konnte das Wechselspiel ihrer Mimik geradezu fühlen.

»Reden?« War die knappe Antwort, ehe Nick den Raum betrat und die Tür leise hinter sich schloss.

»Jetzt? Bist du wahnsinnig?!«, schnappte sie und setzte sich auf.

»Warum nicht?«, fragte der ungebetene Besucher grinsend und zuckte, mit argloser Miene, die Schultern.

Kate schnalzte mit der Zunge. »Ich hoffe, die Stufe hat dich voll erwischt!«, fauchte sie.

»Hat sie«, murrte Nick und ließ sich unaufgefordert neben ihr nieder. »Schick hast du's hier.«

»Hatte ...«, korrigierte Kate, während sie seinem Blick folgte. »Was willst du?«

»Hab ich doch schon gesagt: Reden.« Das Zucken seiner schmächtigen Schultern trug nichts zur Klärung seines Anliegens bei.

»Nick, als wenn ich dir etwas zu sagen hätte!«, schnaubend schüttelte Kate den Kopf.

»Ich denke schon, dass es da eine Menge zu bereden gibt«, fügte Nick an. »Wie wäre es mit der Tatsache, dass du verheiratet bist ...«

»Ich war verheiratet«, gab sie knurrend zurück. »Das ist eine Ewigkeit her und ich werde nicht mit dir darüber reden!«

»Und warum nicht?« Nick legte den Kopf schief und versuchte im schummerigen Licht der kleinen Nachttischlampe in ihrem Gesicht zu lesen.

»Weil es nichts zu reden gibt!« Sie war zu müde, um sich jetzt noch zu echauffieren, dennoch gelang es diesem kleinen Wichtigtuer, ihren Blutdruck in die Höhe zu treiben.

»Okay, ich hab's verstanden«, abwehrend hob er die Hände. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufregen.«

Kates Blick sprühte Funken, sie presste die Lippen fest aufeinander, wandte sich von ihm ab und starrte stur auf den kleinen Flecken Nagellack im Teppich, den sie mit vierzehn Jahren verursacht hatte. Himmel, Irmaline war außer sich.

Dass Nick sie von der Seite her betrachtete, sollte sie in Rage bringen, doch statt sich seiner verbal zu entledigen, seufzte sie nur und ließ die Schultern hängen. »Sag mal«, begann sie leise, zog die Knie und schlang die Arme darum. »Warum … sprichst du ohne Akzent?«

Nick schnaubte belustigt. »Toller Einstieg ...«

Kate ließ die Zunge schnalzen und sog angespannt die Luft in ihre Lungen.

»Ich … wollte mich anpassen«, gab Nick zu. »Es ist immerhin hinreichend bekannt, dass ihr auf diesen ganzen britischen Kram total abfahrt ...«

»Stört dich das?« Kate konnte ein plötzliches heben der Mundwinkel nicht verhindern.

»'n Bisschen.« Wieder zuckte er mit den Schultern, ließ sich nach hinten fallen und keuchte schmerzvoll auf, als sein Kopf die angrenzende Wand zum Bad begrüßte.

»Pass auf!«, kicherte Kate ein wenig schadenfroh, während Nick den Schmerz zu vertreiben versuchte.

»Kann ich bei dir pennen?«, fragte er gerade heraus.

Kate stockte der Atem. »Spinnst du?!«

»Hey, was ist schon dabei? Wäre doch nicht das erste Mal.« Gern hätte sie ihm das fette Grinsen aus dem Gesicht gewischt.

»Deine Eltern befinden sich im Zimmer gegenüber und deine Großeltern schlafen am Ende des Flurs«, warnte sie.

»Wenn sie uns erwischen, lüge ich einfach und sage, ich hätte mich auf dem Weg zum Klo verlaufen.« Recht überzeugend klang Nicks Ausrede nicht.

»Du willst mich doch nur befummeln!«, knurrte Kate, rückte dennoch an die Wand und schlüpfte unter die Decke.

»Ich bin wirklich leicht zu durchschauen, hm?« Unweigerlich bohrten sich Grübchen in seine Wangen, und Nick nutzte das Schlupfloch, das Kate ihm bot, schamlos aus.

»Nick, du bist nervtötend!«, klagte sie.

»Pssst!«, rügte er. »Willst du, dass man uns erwischt?!«

Murrend warf Kate den Kopf hin und her. »Na also!« Sein leises Kichern brachte das schmale Bett zum Vibrieren.

»Das ist zu eng«, kurrte sie leise.

»Wir können die Sache auch nach unten verlegen?«, bot Nick an und Kate quittierte sein Vorhaben mit emporgezogener Augenbraue.

»Ins Wohnzimmer, zu deinen Brüdern?« Ein unfeines Grunzen entfloh ihr.

Nick schnalzte mit der Zunge. »Ich meine auf den Boden ...«

»Und welche Sache meintest du?«, hakte Kate lockend nach. Wortlos langte er nach ihrer Brust. »Hey!!«, keuchte sie warnend auf.

»Ok, dann eben etwas tiefer«, gurrte er. Das Lächeln auf seinem Gesicht war unerträglich und anzüglich, während Nick seine Finger auf Reisen schickte.

Kates zischende, drohende Laute verebbten, während ihr Widerstand mit jedem Millimeter, den seine Hand zurücklegte, in sich zusammenfiel. Ihre Muskeln zogen sich zusammen, ihre Haut genoss das Prickeln, und blieb in erwartender Haltung auf das, was folgen würde.

Ein zufriedenes Knurren wallte in ihm auf, als Nick bemerkte, dass seine Taten nicht unbeantwortet blieben. Kate presste die Lippen aufeinander, war versucht, nicht einen Ton von sich zu geben. Die Nähe zu ihm, ließ alles in ihr weich und wohlig werden.

»Schon besser«, brummte Nick unverschämt grinsend und ließ seine Finger unter den Bund ihres Höschens schlüpfen. Zitternd rang sie nach Luft.

»Nick!«, warnte Kate abermals. »Nick, wir können das hier nicht machen!«

»Dann eben doch den Boden.« Er tat seine gefallenen Worte mit einem verbalen Schulternzucken ab. »Wir müssen nur leise sein.«

Wieder zeigte sich ein Grinsen auf seinen Lippen, dann entstieg er etwas unsanft der Wärme der Decke. Ein Poltern ließ Kate seufzen.

»Ich hoffe, du hast dir wehgetan!«, schnaubte sie.

»Alles okay«, gab er ächzend wieder. »Was ist? Kommst du jetzt zu mir runter?!«

Murrend drehte sich Kate auf die Seite, stützte den Kopf auf der Hand auf und blickte zu ihm herab. Dann langte sie hinter sich und warf ihm eines der Kissen zu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  JO89
2018-07-04T12:58:53+00:00 04.07.2018 14:58
Das Kapitel hat mich mehrmals zum Schmunzeln und zum Lachen gebracht.
Ich bin froh, dass sie nicht tatsächlich miteinander verwandt sind.
Die Brüder sind zum schießen komisch.
Ach, es war so schön ♥
Antwort von: irish_shamrock
04.07.2018 16:31
>///< Hab vielen, vielen lieben Dank für deinen Kommentar :3
Von:  _Natsumi_Ann_
2018-07-01T22:21:32+00:00 02.07.2018 00:21
„Ja, und der andere Klugscheißer hat keine Wahl“, knurrte Nick und vermied es, Kate anzusehen. David hob die Hand und zeigte seinem Bruder nur provozierend den Mittelfinger.

XD ich kann nicht mehr XD XD XD

„Tante Kate ist ziemlich heiß“, vernahm sie Davids Stimme.

„Woher willst du das wissen?!“ Nicks Protest ließ Kate schmunzeln, während es Dorian alle Beherrschung abverlangte, nicht laut lachen zu müssen.


haha ist das ein wenig eifersucht was ich da raus höre ? :3

Schade, dass sie nicht seine richtige Tante ist, aber Stieftante ist auch ok :3
Der ist echt recht frech der Lausbub, und das in solcher Situation XD
Hier merkt man auch deutlich wie jung er eigentlich noch ist, manchmal dachte ich sogar es ähnelt einem 16-17 Jährigen sigar, dachte vielleicht schockst du mich noch mehr und er hat beim alter gelogen XD wobei das hätte sie ja merken müssen eigentlich... XD

Die beiden sind wirklich einfach witzig XD <3




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