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Winter Glück

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Korrektur erfolgt morgen. Komplett anzeigen

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Ich wusste gar nicht, dass man scheiße so hoch stapeln kann

»Okay Leon: Mit Englisch sind wir fertig, fehlt nur noch Mathe!«

Ich packte sowohl Buch, als Hefter zurück in meinen Rucksack, während Milena - meine Bekanntschaft aus dem schulischen Schachclub - grinsend einen Schluck von ihrer Cola nahm und gleichzeitig in ihrem Mathebuch nach der entsprechenden Seite suchte.
 

Es war Sonntag und wir beide hatten uns am Freitag nach dem Schachclub dazu verabredet gemeinsam die Hausaufgaben zu erledigen.

Das machten wir in letzter Zeit öfters, vor allem, weil meine Freunde die Schule im Moment nur zum Zeitvertreib besuchten - das Gefühl vermittelten sie mir zu mindestens, wenn sie mich jeden Morgen im Kollektiv nach den Lösungen fragten und sich auch sonst Lieber mit anderen Dingen beschäftigten.

Deswegen kam es mir gerade recht, dass Milena - ein blondes Mädchen mit Zahnspange die ihre Hasenzähne korrigieren sollte - ähnliche Ambitionen hatte, einen möglichst guten Schulabschluss zu erzielen.
 

Deswegen trafen wir uns zu jeder passenden Gelegenheit, um entweder eine Partie Schach zu spielen oder gemeinsam für unsere Abschlussprüfung in zwei Jahren zu lernen.

Denn wenn es nach uns geht, konnte man damit nicht früh genug anfangen.
 

Doch heute würden wir die Mathehausaufgaben wohl nicht mehr gemeinsam machen, denn als ich mein Buch aus meinem Rucksack holte, klingelte plötzlich mein Handy.

Ich blickte Milena einen Augenblick entschuldigenden an und nahm das Gespräch dann entgegen.
 

»Alter Lelo, wo bist du?«

Es war mein Bruder, der mich da durch die Leitung quasi schon anbrüllte.
 

»Ich bin bei Milena und mache mit ihr Hausaufgaben - wie jeden Sonntag!«, antwortete ich leicht pikiert.

Maximilian wusste das doch, immerhin hatte ich in den letzten acht Wochen jeden Sonntag bei den Kunses verbracht.
 

»Du weißt schon, dass wir heute mit Tanja in Düsseldorf verabredet sind!«

Meine Augen weiteten sich. Oh Mist, dass hatte ich ja völlig vergessen!

Heute war doch der Geburtstag von ihrem Bruder, zu dem wir als moralische Unterstützung erscheinen sollten.
 

»Ich hab das nicht vergessen! Ich wollte gerade losgehen!«

Da ich noch nie gut lügen konnte, wunderte es mich nicht, dass mein Zwilling lauthals begann zu lachen.
 

»Ich kenn dich seit 16 Jahren, mir kannst du nichts vormachen!«, sagte er noch immer kichernd. »Die Regio kommt in 25 Minuten. Wenn du bis dahin nicht hier bist, musst du nachkommen!«
 

»Ich beeil mich, bis gleich!«, antwortete ich und beendete das Gespräch ohne seine Antwort abzuwarten.

Dann steckte ich mein Handy wieder weg, und begann meine Sachen zusammen zu klauben.
 

»Es tut mir voll Leid, aber ich muss jetzt los. Wir wollten heute noch nach Düsseldorf und ich hab das total vergessen!«, murmelte ich, verschloss währenddessen meinen Rucksack und schulterte diesen.
 

»Na hoffentlich findest du dann noch die Zeit die Aufgaben zu machen! Sind ziemlich umfangreich.«, sagte Milena und tippte auf irgendwelche gleichschenk.
 

»Mach' ich schnell im Zug! Bis morgen!«, entgegnete ich und stürmte dann aus ihrem Zimmer.
 

Wie ein Berserker raste ich an Küche und Wohnzimmer vorbei, verabschiedete mich im Laufen von ihren Eltern und schlüpfte dann gleich in meine Schuhe.
 

Kaum stand ich vor dem Gartentor, musste ich erst einmal tief ein- und ausatmen.

Mein Körper ließ mich bereits bei der kleinsten körperlichen Betätigung spüren lassen, dass ich für Schnellsprints und Langstreckenläufe überhaupt nicht geeignet war.

Die athletischen Gene unseres Vaters, hatte Maximilian zu 99,9 % geerbt, der mickrige andere Teil gehörte mir und diente lediglich dazu, dass ich wenigstens den Sprint zum Bus schaffte.
 

Zum Glück wohnte Milena nur so weit weg vom Bahnhof, dass man diesen trotzdem noch bequem erreichen konnte - wenn man das Lauftempo etwas anzog sogar in unter 15 Minuten.
 

Die zarte Wintersonne hatte uns bereits verlassen und ließ dem dunklen Sternenhimmel den Vortritt. Die Straßen von Klein Schnürstadt wurden von Straßenlaternen erleuchtet und es war wirklich kalt. So kalt, dass ich bei jedem Mal ausatmen fast gänzlich von meinem eigenen Dunst eingehüllt wurde.
 

Auf dem Bahnhofsvorplatz tummelten sich etliche Menschen. Die meisten von ihnen waren Berufspendler, die unter der Woche in Amsterdam oder Brüssel arbeiteten und die Wochenenden bei ihren Familien verbrachten. Und dann gab es noch das andere Extrem: Leute die von Klein Schnürstadt gelangweilt waren und ihre Wochenende so weit wie möglich entfernt von hier verbrachten.

Irgendwo in dieser Menschenmenge konnte ich meine Freunde ausmachen und kam schließlich schnaufend und mit glühendheißen Wangen vor ihnen zum Stehen.
 

»Du bist so ein vergesslicher Idiot!«, wurde ich von meinem besten Freund Tom begrüßt, der mit anschließend auch gleich noch durch die Haare wuschelte.

Die sahen danach noch unordentlicher aus, als sie es vorher eh schon waren. Ich sagte dazu nichts, denn das was sich da auf meinem Kopf tummelte, konnte man nicht Frisur nennen. Vogelnest traf es bei weitem besser.
 

»Trottel!«, sagte auch mein Bruder, während er auf dem Display seines Handys eine Nachricht eintippte.

Vermutlich ein Mädchen, mit dem er sich verabredete. Dann würde er sie kurze Zeit für seine Zwecke benutzen und anschließend wegwerfen wie ein benutztes Taschentuch.
 

»Hört ihr jetzt mal auf, auf Leon herumzuhacken! Ihr habt auch schon oft genug Verabredungen vergessen!«, keifte Sandy und versetzte ihrem Freund Till einen Stoß in die Rippen, damit der dazu auch mal einen Ton sagte.
 

Bevor er dieser Aufforderung allerdings nachkommen konnte, wurde er von dem Bahnhofspersonal unterbrochen, dass unsere Regionalbahn ankündigte.
 

Also machten wir uns auf den Weg zu Gleis 2.

Während mein Bruder und Till sich dabei über die Bundesligaergebnisse vom gestrigen Tag stritten, erzählte uns Tom von seinen Erfolgen im Schwimmverein.

Sandy und ich interessierten uns für Sport in keinster Weise und konnten deshalb oft nicht mitreden. Aber das störte uns wenig, denn so hatten wir auch meistens unsere Ruhe vor nervigen Diskussionen.

Wir machten uns dann lieber darüber lustig, wie man wegen eines Sieges oder einer Niederlage so die Beherrschung verlieren konnte, wie mein Bruder und Till.

Die Hälfte der Menschen vom Bahnhofsvorplatz quetschten sich mit uns in den Zug und wir hatten zu tun ein freies Abteil zu erwischen.

Schließlich suchten wir den Schaffner und zahlten ihm den Aufpreis für die erste Klasse, weil keiner von uns eine ganze Stunde zwischen schwitzenden Anzugträgern, die in einer Tour französisch oder englisch sprachen, stehen wollte.
 

Und im – vermutlich letzten freien Abteils des Zuges – machten sich Tom und mein Bruder dann auf der einen Bank so breit, dass ich mich mit Sandy und Till auf die andere zwängen musste.

Zum Glück überließ man mir den Platz am Fenster. So konnte ich mich wenigstens beschäftigen, während Sandy und Till sich gegenseitig die Mandeln herausnahmen und Tom und Maxi sich darüber lustig machten.

Durch die Spieglung im Fenster, blieb aber selbst mir das verliebte Pärchen nicht verborgen und ich konnte nur mit viel Beherrschung ein sehnsuchtsvolles Seufzen unterdrücken, während von der anderen Bank Würge-Geräusche zu hören waren.

Manchmal fragte ich mich wirklich, ob mein Bruder und Tom irgendwie doch von einem anderen Stern kamen.

Denn während alle in unserem Alter langsam anfingen sich zu verlieben und erste Erfahrungen sammelten, benahmen sich die beiden meist wie Grundschüler.

Mein Bruder – der seine erste Erfahrungen mit Beziehungen bereits letztes Jahr gesammelt hatte – hatte im Moment genug davon und machte es wie städtischen Studenten: Er wechselte seine Partnerinnen wie seine Unterhosen.

Und Tom behauptete, seine Freundin würde vermutlich nach zwei Minuten schreiend das Weite suchen. Insgeheim stimmte ihm jeder zu, denn er war wirklich ein komischer Kauz. Aber als Freunde sagten wir ihm das natürlich nicht ins Gesicht.

Zum Schluss gäbe es da noch mich, der jedes Pärchen in seiner Umgebung beneidete. Weil ich auch jemanden an meiner Seite haben wollte, den ich küssen konnte und an dem ich mich wärmen konnte. Das einzige was mir dabei im Weg stand: Meine irgendwie fehlende Sexualität!

Denn bisher habe ich weder ein Mädchen irgendwie attraktiv noch als anziehend empfunden. Sobald ich mich an ihrer Seite vorstellte, fühlte es sich an, als würden die Synapsen aus meinem Emotionszentrum gerade allesamt Urlaub machen.

Also musste ich wohl oder übel noch etwas länger auf die große Liebe warten. Aber ich war sehr optimistisch sie irgendwann zu finden und dann würde uns so schnell auch nichts wieder auseinanderbringen – da war ich mir ganz sicher!
 

»Wo ist eigentlich unser Kaktus, samt Anhängsel?«, fragte Tom zusammenhangslos in die Runde und holte mich damit aus meinen Gedanken.
 

Mit Kaktus meinte er Tanja und ihren Freund Jan.

Sie war eine vollmotivierte Sportlerin, war im Schwimmteam von Klein Schnürstadt, leitete einen YOGA-Kurs für Senioren im Fitnessclub und war zusätzlich auch noch Sprinterin im Leichtathletik-Verein.

Für ein Mädchen hatte sie einen ziemlich großen Mund und sie dachte meistens nicht über ihre Worte nach, posaunte einfach heraus was sie gerade dachte.

Aber sie war toll, lieb und verständnisvoll.

Jan – ihr Freund - ging in die 10. Klasse, war also eine Jahrgangsstufe über uns. Er hatte sich vor zwei Wochen dazu entschlossen Abitur an unserer Gesamtschule zu machen – so wie eigentlich jeder andere aus Klein Schnürstadt.

Dass Tanja und er jetzt bereits seit fast einem Jahr zusammen waren, konnten wir immer noch nicht fassen. Er war nämlich das totale Gegenteil von ihr. Das einzig Sportliche an ihm waren seine grauen Jogginghosen und die Kapuzenpullover, die er standardmäßig trug. Ansonsten war Rennen und Herumspringen eher nicht so sein Ding. Außerdem kifft er gerne, was Tom und ich so gar nicht an ihm leiden konnten. Und noch dazu benutzte er gerne den aktuellen Jugendslang, was Tanja in jeder erdenklichen Situation zum Keifen brachte. Sie konnte Worte wie >Diggah<, >Altah< und so weiter nämlich gar nicht leiden. Ich im Übrigen auch nicht!
 

»Die beiden sind schon in Düsseldorf um alles vorzubereiten!«, antwortete ihm Sandy, die sich dafür extra von ihrem Freund gelöst hatte.
 

Maximilian der immer noch Nachrichten mit seinem Handy verschickte, brummte, ohne den Blick zu heben.

»Ich hab immer noch nicht verstanden warum wir da jetzt auch hinmüssen?! Wir haben doch überhaupt nichts mit ihm zu tun!«
 

Oliver – Tanjas großer Bruder – studierte und wohnte in Düsseldorf. Wir kannten ihn nur vom Sehen her, weil er seine Schwester mal von der Schule abgeholt hatte und hatten noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Er ließ sich ja auch nicht sonderlich oft in Klein Schnürstadt blicken, wie wir von Tanja wussten, weil er mit seiner Mutter Streit hatte und das schon seit Jahren. Aber darüber redete man ihrer Familie nicht – nicht einmal Tanja wusste worum es ging!

Sie vermutete aber nicht, dass es daran lag, dass er schwul ist. Denn das hatte er seiner Mutter erst erzählt, als er schon lange ausgezogen war!
 

»Um den beiden eine kleine Freude zu machen!«, fauchte Sandy. »Du weißt, dass er kaum Freunde hat weil er nie so richtig den Anschluss hier gefunden hat!«
 

Na das konnte ja ein lustiger Abend werden, wenn das ganze schon so losging. Denn wie es aussah hatten weder mein Bruder, noch Tom oder Till Lust jetzt nach Düsseldorf zu fahren.
 

»Woran das wohl liegen mag!«, grummelte Tom und erntete dafür einen Tritt gegens Schienbein, den Sandy nur zu gerne austeilte.

»Du klingst gerade genauso, wie jeder andere Mensch aus Klein Schnürstadt! Hast du nicht mal gesagt, du willst auf keinen Fall so werden wie die?«, begründete sie ihren Gewaltakt und verschränkte die Arme vor der Brust.

Tom hatte daraufhin nichts mehr zu sagen, holte sein Telefon aus seiner Jackentasche und begann Flappy-Bird zu spielen.
 

»Na dann wird das ja hoffentlich ein ruhiger und grabsch freier Abend!«, brummte mein Bruder hinter seinem Telefon.

Er schien es sich zu Aufgabe gemacht zu haben, noch blöder als Tom sein zu wollen.
 

Sandy begann zu brodeln wie ein Vulkan und auch ich hatte Probleme damit mich zusammenzureißen. Seit wann war mein Bruder denn so ein Homophob?
 

Nach diesem kurzen Gespräch herrschte wieder Ruhe und jeder ging einer eigenen Beschäftigung nach.

Das war bei uns meistens so, wenn ein Konflikt am Entstehen war: Wir hörten einfach auf miteinander zu reden, bevor es am Ende richtig eskalierte.

Die einzige, die einen Streit wirklich zu einem Streit werden ließ, war Tanja. Nur übertrieb sie dabei meistens so gnadenlos, dass wir alle das Weite suchten, bevor sie uns in eine Diskussion verwickeln konnte.
 

Als die Regionalbahn in Düsseldorf anhielt, stiegen wir gemeinsam mit den Berufspendlern aus. Und während die sich auf den Weg zum nächsten Gleis machten, suchten wir nach der Bushaltestelle.

Wer in Klein Schnürstadt wohnte, zählte auch Düsseldorf und Köln zu seinem Zuhause. Denn in unserer Kleinstadt kam es nur ein H&M und irgendwo ein KIK. Für alle anderen Geschäfte musste man zwingend in die Großstädte fahren.

Ich für meine Fälle fuhr dann aber doch lieber nach Köln. In Düsseldorf trafen wir uns selten. Meistens nur um ins „Wolkenreich“ zu gehen.

Tanja hatte die Bar rausgesucht. Sie sagte die Musik wäre gut und die Preise Human.

Es war der einzige Ort in dieser Großstadt, den ich ohne Wegweiser finden würde.
 

Meinen Freunden schien es ähnlich zu gehen wie mir, denn als wir den Bahnhof verlassen hatten und vor den unzähligen Haltestellenschildern standen, schauten wir uns alle gegenseitig ratlos an.

Und auch die Navigations-App die Till dann öffnete, half uns nicht weiter. Also fragten wir schließlich den nächstbesten Passanten.
 

Schließlich saßen wir in einer Straßenbahn die uns angeblich direkt vor Olivers Haustür bringen sollte.
 

Als wir schließlich an der Station ausstiegen, die man uns genannt hatte, fanden wir uns auf der Mittelinsel einer sechsspurigen Straße wieder.

Hier bekam man das Großstadtfeeling mit voller Wucht zu spüren.

Die Straßenlaternen funktionierten nur noch sporadisch, überall lag Müller herum. Die meisten Hauswände waren mit Plakaten zugekleistert oder mit Graffiti besprüht. Autos fuhren so schnell und so zahlreich an uns vorbei, dass wir uns trotz Zebrastreifen zuerst nicht trauten die Straße zu überqueren.

Und als wir dann auf dem Fußweg standen, ging die Sucherei wieder los, denn niemand von uns hatte die entsprechende Hausnummer gesehen, geschweige denn eine Ahnung wie hier nummeriert wurde.

Nach kurzer Diskussion entschieden wir uns dazu die Straße südwärts hinunter zulaufen.
 

»Wie war die Nummer nochmal?«, fragte Tom nach wenigen Metern.

»69«, antwortete Till.

Tom blieb stehen, zeigte mit dem Daumen auf den Hauseingang hinter sich.

»Was für eine Ironie«, sagte er. »In beiderlei Hinsicht!«

Maximilian lachte über diese geschmacklose Bemerkung und Sandy verdrehte die Augen.

Hoffentlich unterließ er solche Kommentare in der Gegenwart von Tanja und Oliver. Denn das würde dann wirklich unangenehm werden!
 

Tanja öffnete uns per Gegensprechanlage die Haustür. Als man mir anschließend sagte, dass ihr Bruder im Dachgeschoss wohnte und dieses blöde Mehrfamilienhaus keinen Fahrstuhl hatte, war ich geliefert. Vermaledeite Unsportlichkeit!
 

Als ich irgendwann schwer schnaufend oben ankam, waren alle anderen bereits in der Wohnung verschwunden, verteilten Küsschen und Umarmungen.

Ich reihte mich unbemerkt hinter Till ein und schloss leise die Wohnungstür hinter mir.

»Danke dass ihr alle gekommen seid!«, sagte Tanja zu uns allen, gab dann erst Till und anschließend mir einen Kuss auf die Wange.
 

»Bedanke dich nicht zu früh, noch ist der Abend nicht gelaufen!«, brummte Tom, als sie auch ihn umarmen wollte.

Einen Moment stockte Tanja, ließ sich dann aber nicht weiter von seiner miesen Laune beirren und umarmte ihn schlussendlich.

»Du bist gemein!«, rief sie ihm fröhlich hinterher, als er in Richtung Wohnzimmer verschwand.

Ich bekam das Gefühl, als hätte sie zusammen mit Jan noch einen Joint geraucht, bevor wir hier aufgetaucht waren. Denn normalerweise hätte sie so ein Kommentar von Tom nicht einfach unbeantwortet gelassen. Und vor allem hätte sie nicht so freundlich reagiert.
 

»Wo ist Oliver?«, fragte Sandy, als sie mit lauten Schritten den Flur entlang stiefelte.

Frauen und ihre Klackerschuhe! Zu jeder erdenklichen Gelegenheit mussten die Dinger getragen werden. Egal ob man darin aussah wie ein Model oder ein Storch. In Sandys Fall eher wie ein Storch, der gerade das Laufen lernte.
 

»Oh zwei Kommilitonen haben ihn noch auf ein Bier zu seinem Ehrentag eingeladen. Er meinte aber gerade, er macht sich gleich auf den Weg!«, antwortete unsere Sportbarbie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
 

»Weiß er überhaupt, dass du all deine Freunde ungefragt in seine Wohnung gelassen hast, damit er seinen Geburtstag mit völlig Fremden verbringen kann?«, brummte Maximilian und drängelte sich an den beiden Mädchen vorbei um Jan mit einem High-Five zu begrüßen.
 

»Um ehrlich zu sein: Nein! Er denkt, nur ich wäre hier«, antwortete sie leicht pikiert.

Dafür erntete sie sofort einen bösen Blick von Maximilian und Tom.
 

»Was ist wenn er sich überhaupt keine Feier wünscht?«, hakte mein Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen nach.
 

»Glaub mir«, antwortete Tanja schnell. »Er wünscht sich das mehr, als du Sex!«

Damit war Maximilian bedient. Schlagartig wortlos und mit roten Wangen suchte auch er das Wohnzimmer auf.
 

Wir folgten dem Rest ins Wohnzimmer, wo ich kurz ins Staunen geriet.

Olivers Schwester hatte den kleinen Raum dezent aber hübsch dekoriert.

Bevor ich mir jedoch alle etwas genauer ansehen konnte, kam auch schon Jan aus der Küche zurück und stellte eine Schale mit Knabbereien auf den Couchtisch.

Dann quetschte er sich neben Tom auf das Sofa, nachdem er auch den Rest von uns begrüßt hatte.
 

»Und was wollen wir jetzt die nächsten Stunden machen?«, fragte Tom missmutig in die Runde, wofür er sich von Sandy einen bösen Blick einfing.
 

Auch meine Miene verzog sich. Warum sind Maximilian und er eigentlich gekommen, wenn sie eh nur schlechte Laune verbreiten wollten?
 

Tanja schien sich davon allerdings nicht beirren.

»Erst mal stoßen wir auf ihn an, dann darf er Geschenke auspacken und anschließend kommen die guten alten Gesellschaftsspiele an die Reihe«, erklärte sie begeistert und ließ sich auf Jans Schoß nieder.
 

»Und dann rauchen wir alle einen zusammen!«, fügte ihr Freund enthusiastisch hinzu.

Daraufhin legten wir anderen synchron den Kopf schief und sahen den Dauer-Kiffer fragend an.
 

»Das sollten wir wirklich lieber lassen«, stimmte auch mein Bruder zu.

Er begann schief zu grinsen und fügte hinzu: »Bevor das noch in einer komischen Situation endet!«
 

Till, Sandy und ich verzogen gleichzeitig das Gesicht. Mir war sofort klar worauf er hinaus wollte und ich fand es überhaupt nicht nett, dass er weiter darauf herumhackte, dass Oliver schwul war.

Tanja sagte wieder nichts dazu. Ich bewunderte sie dafür, dass sie Tom und Maximilian einfach gewissenhaft ignorierte.

Normalerweise war sie nämlich ein ganz schöner Hitzkopf und sprang sofort auf jeden blöden Kommentar von den beiden Kindsköpfen an.
 

Bevor sie mit Jan auf der Bildfläche aufgetaucht war, liefen sogar Wetten innerhalb unserer Clique, dass sie mit Maximilian oder Tom in die Kiste sprang.

Und das nur, weil sich die drei bereits seit der 1. Klasse so bescheuert benahmen.
 

»Wann kommt Oliver denn?«, klinkte ich mich in das Gespräch mit ein, um die leicht angespannte Stimmung aufzulockern.

Leider bemerkte ich meine Steilvorlage erst, als es schon zu spät war.
 

»Mhm, keine Ahnung, Lelo. Aber du kannst ihn ja fragen, wenn er hier ist?«, entgegnete mein Bruder und klimperte süßlich mit den Wimpern.
 

»In etwa einer Stunde«, antwortete Tanja.

Mittlerweile klang sie doch ein wenig gereizt, was man ihr allerdings nicht verübeln konnte. Mir würde es da nicht anders gehen, wenn zwei Miesepeter versuchten alles schlecht zu machen.
 

Da ich mir aber auch nicht länger blöde Kommentare anhören wollte, verdrückte ich mich in die Küche um mir was zu trinken zu holen.
 

Tom kam nach relativ kurzer Zeit ebenfalls dazu, schaute dabei immer noch grimmig wie ein Grizzlybär drein.

Ihn musste jetzt mal jemand zur Vernunft bringen, bevor er mit seiner Laune noch den ganzen Abend zerstörte!
 

»Warum hast du dich eigentlich nicht einfach krank gestellt, wenn du nicht hierher wolltest?«, fragte ich ihn direkt, damit er keine Chance hatte sich rauszureden.
 

»Ich wollte unseren Kaktus nicht enttäuschen«, antwortete er abwesend, starrte dabei die ganze Zeit auf das Display seines Handys.
 

Am liebsten hätte ich es ihm aus der Hand gerissen. Ich konnte es gar nicht leiden, wenn man mir nicht richtig zuhörte und die ganze Zeit sein Handy anstarrte wie ein Besessener.
 

»Also erstens verletzen sie deine Kommentare und zweitens tust du das nicht für Tanja, du tust das für Oliver!«, entgegnete ich etwas angesäuert.
 

»Ich kenne ihn doch gar nicht. Keiner von uns kennt ihn wirklich«, brauste der Tollpatsch dann auf.

»Ich weiß, dass wir das für Tanja tun, um ihr eine kleine Freude zu machen, weil sie es nicht abkann, wenn es ihrem großen Bruder schlecht geht! Aber trotzdem verstehe ich nicht, warum sie für ihn so eine große Show abziehen muss!«
 

Etwas eingeschüchtert nickte ich. Ich wollte mich jetzt bestimmt nicht mit ihm streiten, nur weil er allem Anschein nach auf Krawall gebürstet war. Ich war es nicht und hatte auch keine Lust darauf, mich von ihm auf die Palme bringen zu lassen. Zusätzlich waren wir beide dickköpfig. Wir würden unsere Meinung bis aufs Blut verteidigen. Und heute Abend wollte ich das ungern herausfordern!
 

»Ich hoffe Oliver kommt bald, ich möchte nach Hause!«, sagte Tom dann und verließ mit diesen Worten die Küche.
 

Er schien bemerkt zu haben, dass ich mich von ihm zu keinem Streit anstiften lassen würde.
 

Ich blieb alleine im Raum zurück. Zum Zeit vertreib begutachtete ich die Möbel von Tanjas Bruder und dachte ein wenig über selbigen nach.
 

Zwei Mal war ich dabei gewesen, wo er Tanja von der Schule abgeholt hatte. Allerdings waren wir da alle noch wesentlich jünger gewesen.

Damals hatte er kinnlange blonde Haare und schimmernde bernsteinbraune Iriden, die doppelt so hell auf einen wirkten, wenn er begann sein kindliches Lächeln zu zeigen, was wiederum überhaupt nicht zu seinen strengen Gesichtszügen passte.

Er versprühte eine ähnliche Aura wie Maximilian, sobald er auf der Bildfläche auftauchte. Wie ich mir von Tanja allerdings sagen lassen hatte, war er immer nett und freundlich.
 

Meine Gedanken blieben in der Luft hängen, als Tanja laut fluchend in die Küche stürmte.

Oh-Oh, jetzt hatte sie wohl endgültig die Beherrschung verloren. Hoffentlich hatten Tom und oder Maximilian dieses Mal kein Kommentar abgelassen, was zu weit unter die Gürtellinie ging.
 

»Manchmal sind die beiden echt die größten Arschlöcher!«, keifte sie und fegte dabei die Rolle Küchentücher von der Theke.

Na das konnte ja ein toller Geburtstag werden, wenn das so weiter ging.

Tanja geladen wie eine Waffe und Maxi und Tom auf gnadenlosen Streit aus. Super, dass konnte doch heute nur explodieren. Hoffentlich erst, wenn alle anderen in Sicherheit waren.
 

Sie öffnete sich eines von den Bieren, die sie ordentlich auf der Küchentheke drapiert hatte und nahm einen großen Schluck.

Danach begann sie mit der Schimpftriade, auf die ich schon seit einer Viertelstunde gewartet hatte.

Und während sie die ganze Küche zusammenkeifte, überlegte ich mir eine gute Strategie um sie wieder zu beruhigen. Hoffentlich würde diese auch Früchte tragen …
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 

Als wir gut eine Stunde einen sich drehenden Schlüssel in der Tür hörten, stürmten wir gemeinsam den Flur und riefen laut ein „Happy Birthday“ in Richtung Wohnungstür.
 

Wie wir bereits wussten, war Oliver völlig ahnungslos von unserer Anwesenheit, allerdings schien er auch nicht mit seiner Schwester gerechnet zu haben.
 

Andernfalls würde er wohl kaum wild knutschend mit einem Mann in seinen Flur stolpern. Die beiden trugen bereits keine Winterjacken mehr und ich fragte mich, wie sie das beim Treppensteigen geschafft hatten.
 

Nun standen die beiden in der Tür, sahen uns an als wären wir Außerirdische.

Nur langsam schien ihnen die Situation bewusst zu werden und schließlich löste sich andere von Oliver und räusperte sich ein wenig ärgerlich.
 

»Du hättest mir ruhig sagen können, dass bei dir ein Kindergeburtstag stattfindet!«, waren seine Worte und dann verschwand er im Treppenhaus.
 

Oliver schien noch immer nicht ganz verstanden zu haben was die Uhr geschlagen hatte, denn sein Blick war noch immer auf den Fleck gerichtet, wo der andere vor ein paar Sekunden gestanden hatte.
 

Er rührte sich erst, als unten die Haustür lautknallend ins Schloss fiel. Und dann fixierte er seine Schwester mit einem so bitterbösen Blick, dass es mir eiskalt den Rücken hinab lief.
 

Oliver räusperte sich und zog ein wenig am Kragen seines Pullovers.

»Kommst du mal bitte kurz mit!«
 

Während Tanja ihm in die Küche folgte, traten wir den Rückzug ins Wohnzimmer an.
 

Es dauerte nicht lange, da ertönten die ersten lauteren Worte aus der Küche.

Was in einer leisen Diskussion anfing, entfachte sich schnell zu einem handfesten Streit.

Wir verstanden jedes noch so unschöne Wort und Sandy und ich zuckten in regelmäßigen Abständen zusammen, sobald Oliver noch etwas lauter wurde.
 

»So ein blöder Idiot!«, murmelte Maximilian kopfschüttelnd. »Sie hat es nur gut mit ihm gemeint und wird dafür jetzt angeschrien! Wundert mich nicht, dass seine Mutter ihn rausgeschmissen hat!«
 

Ich verdrehte die Augen.

Mein Zwillingsbruder tat zwar so, als würde er Mitleid mit unserer besten Freundin haben. Aber eigentlich kotzte ihn es nur an, dass wir augenscheinlich ganz umsonst nach Düsseldorf gefahren waren.
 

Bevor ich allerdings etwas dazu sagen konnte, stand Tanja plötzlich wieder im Wohnzimmer und zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.
 

»Es tut mir Leid, dass ich euch den Abend versaut habe, aber Oliver hat schon etwas anderes vor und kann uns leider nicht mitnehmen!«

Dass sie log, sah man ihr am zuckenden Augenlied an. Und das das nicht der eigentliche Grund war, warum wir jetzt gehen sollten, hatten wir bereits aus dem Streitgespräch herausgehört.
 

Sandy war die erste, die sich vom Sofa erhob.

»Na denn würde ich sagen, dass wir wenigstens noch etwas trinken gehen, wenn wir schon mal in der Stadt sind!«
 

Sie wollte die Situation retten, aber genaugenommen war sie schon seit der Zugfahrt nach Düsseldorf verfahren. Denn Maximilian und Tom wollten gar nicht hier sein, machten daraus keinen Hehl und vermiesten einem die Stimmung alleine durch ihre hinuntergezogenen Mundwinkel schon immens.

Jan gehörte in seinem Zustand eigentlich ins Bett und nicht in eine Bar.

Die einzigen, die dem Abend offen gegenüberstanden, waren Sandy und Till.

Sandy nur aus dem Grund, weil sie das einzige andere Mädchen in der Clique war und Till, weil er alles tat um seine Freundin zufriedenzustellen.

Wir sind schon ein wirklich schlimmer Haufen.
 

Sandy nahm ihre Tasche, legte das Geschenk, welches sie für Oliver gekauft hatte auf den Wohnzimmertisch und verließ dann gemeinsam mit Till das Wohnzimmer.
 

Ich hörte wie sie sich von Oliver verabschiedeten, der ihnen - dem Hall der Stimmen nach zu urteilen - bereits die Wohnungstür aufhielt.
 

Tom und Maximilian schauten sich daraufhin einen kurzen Moment an, zuckten dann mit den Schultern und folgten unseren Freunden nach draußen. Ihre Verabschiedung fiel wesentlich karger aus und bestand aus einem einzelnen "Tschüss".
 

»Sie hätten ihm ja wenigstens mal gratulieren können!«, zeterte Tanja, griff nach ihrer Tasche und sah ihren Freund auffordernd an.
 

»Was ist denn? Wo gehen den alle hin?«, fragte Jan und sah uns beide ratlos an.
 

»Oh mein Gott Schatz! Rauch in Zukunft bitte einen Joint weniger«, murmelte Tanja kopfschüttelnd.

Sie streckte die Hand aus und zog ihren Freund vom Sofa hoch.
 

Wir verließen gemeinsam das Wohnzimmer und begegneten im Flur Oliver.
 

»Wenn du jetzt auch abhaust, wer hilft mir dann beim aufräumen? Denk' ja nicht ich beseitige dein Chaos alleine!«
 

»Ich lass mich doch nicht von dir anschreien und dann zum helfen verdonnern! Du wirst es ja wohl schaffen die paar Girlanden alleine in den Müll zu schmeißen!«
 

Oliver erwiderte ein paar Worte und während die beiden wieder begannen sich zu streiten, schlich sich Jan nach draußen zu den anderen.

Nur ich kam nicht an dem streitenden Geschwisterpaar vorbei und plötzlich waren alle Augen auf mich gerichtet.
 

»Dann hilft er mir eben!«, hörte ich Oliver sagen.

Ich brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, dass ich gemeint war.
 

Mein Bruder und Tom waren drauf und dran sich einzumischen. Da mir aber klar war, dass wir dann eine Diskussion unter der Gürtellinie führen würden, nickte ich einfach und drängte Tanja in Richtung Wohnungstür.
 

»Ihr könnt ja schon mal vorgehen ins "Wolkenreich"! Ich helfe Oliver schnell und komme dann nach!«
 

Tanja konnte man ansehen, dass sie damit überhaupt nicht einverstanden war. Am liebsten würde sich mit sich ziehen und ihrem Bruder sagen, dass er für seine Unhöflichkeit alleine Klarschiff machen sollte.
 

Zum Glück verstand Sandy, dass ich nur einen weiteren Streit verhindern wollte. Deswegen klatschte sie einmal in die Hände, um die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Na dann, lasst uns abhauen! Leon wird sicherlich nicht lange brauchen!«

Sie griff nach der Hand von meinem Bruder und der ihrer besten Freundin und suchte dann das Weite.

Kaum waren sie alle auf dem nächsten Treppenabsatz verschwunden, knallte Oliver auch schon die Tür ins Schloss.
 

Ich sah ihn an, wollte ihn fragen was ich mit den Girlanden machen sollte, als er sich räusperte.

»Ich werde dann mal eine Mülltüte holen! Du kannst ja schon mal anfangen und den ... Ähm ... Dreck beseitigen gehen!«

Seine Stimme klang jetzt wieder wesentlich ruhiger und er schien mit sich selbst ein wenig im Argen zu liegen.

Ich konnte mir vorstellen, dass er seine Schwester eigentlich nicht so anschreien wollte. Aber ich wollte mich nicht einmischen, also sagte ich gar nichts und ging zurück ins Wohnzimmer, um die ersten Girlanden von den Wänden zu reißen.
 

Wenige Sekunden später stieß Oliver dazu, hängte die Mülltüte an die Türklinke und begann dann mit seiner Arbeit in der gegenüberliegende Ecke des Wohnzimmers.

So arbeiten wir uns schließlich schweigend durch das ganze Zimmer.
 

Und als wir jegliche Dekorationen in der Tüte versenkt hatten, machte Oliver einen Knoten in die Enden und ich brachte die Schüsseln mit den Chips und Salzbretzeln in die Küche.

Kurze Zeit später tauchte Oliver ebenfalls in der Küche auf, stellte die Mülltüte neben die Tür und musterte mich dann irgendwie komisch. Ich konnte nicht einordnen, ob es sich dabei um einen fragenden oder herausfordernden Blick handelte.
 

»Musst du nicht langsam nach Hause?«, fragte er mich.

Die eine Augenbraue, die er dabei hochzog, vermittelte seiner Frage einen bevormundenden Unterton.
 

Ich erstarrte augenblicklich, wusste nicht was ich sagen sollte.

Tanjas Bruder warf einen Blick auf die Uhr, seufzte laut.

»Der letzte Zug fährt in zehn Minuten, dass schaffst du nicht mehr!«, stellte er fest. »Soll ich dich fahren oder willst du lieber hierbleiben?«
 

Mein Herz begann wild zu klopfen und mein Gehirn fing an zu rattern. Ich suchte nach passenden Worten, fragte mich jedoch gleichzeitig, warum er mir das anbot.

Auch nach drei weiteren Minuten wusste ich nicht was ich antworten sollte, konnte nicht einschätzen was besser für mich war.

Mein klingelndes Handy nahm mir schließlich die Entscheidung ab.

Ohne Oliver eine brauchbare Antwort zu liefern, drückte ich den grünen Hörer.
 

»Alter Lelo, wo bleibst du? Wir wollen nachhause!«, brüllte Maxi ins Telefon.
 

»Ähm ...«, machte ich unschlüssig, »ich bin noch bei Oliver?«

Am Ende klang es mehr nach einer Frage, als nach einer Antwort.
 

»Häh? Was machst du denn noch dort?«, fragte mein Bruder verwirrt.
 

»Wir sind gerade erst mit dem aufräumen fertiggeworden«, antwortete ich.

Um meine plötzlich aufkommende Nervosität zu übertünchen, spielte mit einer der Kordeln meines Pullis.
 

Irgendwie vermittelte mir die Art und Weise meines Bruders, dass es falsch war was ich hier getan hatte. Allerdings wäre er wohl kaum hiergeblieben um Oliver zu helfen. Und auch wenn dieser seine Schwester nicht gerade wie ein Gentleman behandelt hatte, war es trotzdem nicht fair ihn mit dem Chaos alleine zu lassen.
 

Ich redete mir also einfach ein, dass ich absolut nichts Falsches getan hatte und hoffte, mein Bruder würde das auch so sehen, wenn er noch einmal scharf darüber nachdachte.
 

»Dein Ernst? Dir ist schon klar das wir die Regionalbahn nicht für dich aufhalten können!«, entgegnete Maximilian dann fast schon spöttisch.
 

»Braucht ihr auch nicht, ich bleibe heute hier!«, antwortete ich.

Der plötzlich aufkeimende Enthusiasmus überraschte mich selbst am meisten.
 

Mein Bruder setzte am anderen Ende der Leitung bereits zum Protest an, doch ich drückte ihn einfach weg.

Spätestens morgen würde ich mir dafür eine mütterliche Standpauke anhören dürfen. Aber im Moment war mir das ziemlich egal.
 

Ich würde Oliver jetzt bestimmt nicht mehr dazu zwingen, mich jetzt nach Klein Schnürstadt zu fahren. Und ein Taxi wäre unbezahlbar.

Wenn der Student mich also nicht hinausschmiss, würde ich es mir auf seinem Sofa bequem machen.
 

Ermutigt drehte ich mich wieder zu Oliver und sagte etwas, von dem ich jetzt noch nicht wusste, wie sehr ich es in den nächsten Wochen bereuen würde: »Ich bleibe hier!«

Das einzige, was mich hier noch hält, ist die Schwerkraft!

Die Stille in der Küche wirkte ziemlich bedrückend.

Oliver hatte sich ein Bier aufgemacht und in drei großen Schlucken geleert.

Schluck eins, um die Wut auf sich selbst und seine Schwester zu kompensieren. Schluck zwei, um zu verdauen das seine Liebschaft einfach wieder verschwunden war. Und Schluck drei, um damit klar zu kommen, dass ich der einzige war, der ihm an seinem Geburtstag Gesellschaft leisten würde.

Beeindruckend, wie schnell er einen halben Liter von dieser bitteren Brühe verdrücken konnte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Beschämt zog ich den Kopf ein und schaute noch angestrengter auf mein Handy.

Ich biss mir auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie ich den Abend eventuell noch retten könnte.

Doch als ich gerade die rettende Idee kundtun wollte, knurrte mein Magen so lautstark, dass selbst Oliver vom Etikett seiner Bierflasche aufsah und mich fragend ansah.

»Klingt so, als hättest du heute noch nichts gegessen?!«, stellte er geistreich fest.

Ich schluckte meine aufkommenden Widerworte entschieden hinunter.

Ich hatte etwas gegessen … Eine Schüssel Müsli – heute Morgen um kurz vor 7 Uhr. Keine sehr ausgewogene Mahlzeit. Und hätte ich nicht vergessen, dass diese „Feier“ heute stattfinden soll, hätte ich mit Sicherheit auch etwas ausgewogener gegessen.

Skeptisch warf ich einen Blick auf die Uhr über der Tür. Mittlerweile war es kurz vor halb neun.

Schließlich machte ich nur »Ähm«, weil mir nichts Besseres einfiel.

Doch das schien die Laune von Oliver schon anzuheben. Denn er begann zu grinsen, stellte sein – mittlerweile -drittes Bier bei Seite und steckte sein Handy weg.

»Also eine 5-Sterne-Mahlzeit werde ich dir jetzt nicht zaubern können, aber für Nudeln mit Tomatensoße sollten meine Kochkünste eigentlich ausreichen!«, sagte er lachend, während er bereits in seinen Hängeschränken herumkramte.

»Du … Also … Ähm … Du brauchst mir nichts zu kochen! Immerhin hast du Geburtstag und da solltest du feiern«, versuchte ich ihn halbherzig davon abzuhalten.

Zum einen, weil mir die Situation unendlich peinlich war. Und zum anderen, weil ein Geburtstagskind keine ungebetenen Gäste zu bekochen hatte.

»Also erstens: Was wäre ich denn für ein Gastgeber, wenn ich dich verhungern lassen würde? Und zweitens wollte ich dich auch ungerne tot von meinem Sofa kratzen müssen!«, entgegnete er und bemühte sich um ein strahlendes Lächeln.

Doch selbst jeder Blinde würde sehen, dass es seine Augen nicht erreichte.

»Also wenn du kein Meisterkoch bist, dann ich hoffe ich doch, dass du dafür Qualitäten auf anderen Gebieten hast!«, sagte ich beiläufig, ohne mir wirklich Gedanken über meine Worte zu machen.

Dass ich dies allerdings hätte mal besser tun sollen, verriet mit Olivers geschockter Blick, mit dem er mich sofort betrachtete.

Hätte mir eigentlich von vorneherein klar sein sollen, dass meinen Mund nur Schwachsinn verließ, wenn ich einmal nicht über meine Worte nachdachte. Und da ich solche Sachen auch nicht so betont cool überspielen konnte wie mein Zwillingsbruder, blieben meine Worte einfach offen im Raum stehen.

Oliver schien zwar auf weitere Worte von mir zu warten. Doch als ich nach drei weiteren Minuten der peinlichen Stille immer noch nichts gesagt hatte, schwang er seine Packung Spaghetti in die Luft.

»Ich fang dann mal an!«

»Soll ich dir zur Hand gehen?«

Sein geschockter Gesichtsausdruck sollte dann wohl „Nein“ bedeuten. Also machte ich mich ganz klein auf meinem Stuhl und spielte eine Runde Online Schach. So ließ ich mich vielleicht davon abhalten noch irgendetwas Dummes zu sagen. Ich wollte ja nicht, dass er mich am Ende doch noch rauswirft!

Während ich spielte, erreichte mich eine Nachricht meines Bruders. Er schrieb, dass ich unseren Eltern unbedingt noch Bescheid geben sollte, dass ich heute nicht nach Hause kommen würde.

Ich schluckte und schloss das Spiel, um die SMS Konversation von meiner Mutter und mir zu öffnen. Doch dann starrte ich das Display nur reglos an, weil ich nicht wusste was ich schreiben sollte. Welch triftigen Grund hatte ich auch schon, bei Tanjas 27-jährigem Bruder zu übernachten?

Richtig: Gar keinen!

Ich tippte schließlich irgendetwas von aufräumen und Bahn verpasst. Meine Mutter würde das schon verstehen.

Als ich den Kopf wieder hob, hatte Oliver die Nudeln schon in den Topf geschmissen und war fleißig am umrühren. Sowohl im Nudeltopf, als auch in dem mit der Tomatensoße. Er sah ein wenig überfordert aus.

Ich überlegte einen kurzen Moment, ob ich ihm zur Hilfe gehen sollte und stand schließlich auf. Wenn er kein schlechter Gastgeber sein wollte, dann wollte ich auch kein schlechter Gast sein.

Ich stellte mich neben ihn und beäugte die beiden Töpfe kritisch.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ich skeptisch.

»Nein, noch habe ich alles im Griff!«, kam prompt die Antwort.

Nur leider sah, dass nicht so aus, wie er es meinte. Vor allem als er so hektisch im Nudeltopf herumrührte, dass die ersten Spaghetti beinahe herausfielen.

»Bist du nervös?«, fragte ich intuitiv.

Nicht, um ihn zu provozieren, sondern weil mir die Frage gerade auf der Zunge lag und ich mein Gehirn nicht mehr daran hindern konnte, sie zu stellen.

»N-Nein … W-wie kommst du denn darauf?«, stammelte er und rührte in dem Topf noch immer umher wie ein Verrückter.

»Ich wollte die Nudeln eigentlich essen, wenn du schon kochst«, sagte ich und befreite den Kochlöffel aus seinem festen Griff. »Das ich sie vorher noch vom Boden auflesen muss, gehörte irgendwie nicht zum Plan!«

Unsere Hände berührten sich unbeabsichtigter weise und unsere Blicke trafen sich.

Plötzlich fühlte es sich an, als würde jemand die Zeit anhalten. Als hätte die Erde aufgehört sich zu drehen.

Eine Gänsehaut wanderte von meinen Fingern hoch zu meiner Schulter, schickte elektrisierende Impulse durch meinen Arm.

Ich schaffte es das allererste Mal seine Augenfarbe wirklich zu erkennen. Es war ein helles bernsteinbraun mit dunklen Sprenkeln. Ich versank in ihnen und fragte mich, ob es irgendetwas Schöneres auf dieser Erde geben konnte, als diese Augen.

Doch dieser magische Moment dauerte nicht ewig.

Oliver zuckte zurück. Wir bekamen gleichzeitig rote Wangen.

Aber ich hatte mein Ziel erreicht; er überließ mir widerstandslos die beiden Kochlöffel.

»Ich geh … Ähm … Schon mal den Tisch decken«, murmelte er vor sich hin.

Dann schnappte er sich zwei Teller aus einem seiner Hängeschränke und verschwand so schnell er konnte.

Ich atmete schwer aus.

Was war das gerade eben gewesen?

Glücklicherweise brauchten die Nudeln nicht mehr lange und als sie fertig waren, goss ich das Salzwasser in die Spüle und machte den Herd aus.

Passenderweise kam Oliver im selben Moment in die Küche zurück.

»Die Nudeln sind schon fertig, die kannst du mitnehmen!«, informierte ich ihn lächelnd und kostete anschließend einen kleinen Tropfen der Soße. »Die kann noch ein wenig Salz vertragen, ich bringe sie gleich.«

Aus dem Augenwinkel sah ich nur, wie Oliver nickte und wortlos das tat, was ich ihm aufgetragen hatte.

Ich verfeinerte die Soße mit einer kleinen Prise Salz und schaltete auch die zweite Herdplatte aus, ehe ich ins Wohnzimmer ging.

Oliver hatte bereits am Esstisch Platz genommen und mir den Platz quer gegenüber gedeckt. Ich stutzte. Der Tisch – er war mir vorhin gar nicht aufgefallen – schien für eine Person mit seinen sechs Plätzen ziemlich groß. Aber Oliver schien ihn, den Unterlagen auf dem Tisch und auf den leeren Stühlen nach zu urteilen zwischenzeitlich als Schreibtisch Zweck zu entfremden.

Ich setzte mich und hatte kurze Zeit später bereits einen Teller voller Nudeln vor meiner Nase.

Wir wünschten uns einen guten Appetit und aßen schließlich schweigend vor uns hin.

Während ich Nudel für Nudel auf meine Gabel drehte, überlegte ich fieberhaft was ich Oliver Fragen könnte, um ein Gespräch aufzubauen. Denn diese Stille machte mich völlig verrückt.

Als mein Blick auf das Gesetzbuch, welches auf dem Stuhl zu meiner linken lag, fiel, kam mir auch eine Idee welche Frage ich ihm stellen konnte.

»Was studierst du eigentlich?«

Oliver, der sich gerade seine volle Gabel in den Mund schieben wollte, ließ sie wieder sinken und sah mich über den Tisch hinweg ein.

»Jura.«

»Und mit welchem Ziel? Möchtest du mal Richter oder so werden?«

Ich kam mir vor wie ein kleiner, unwissender Junge aus dem Kindergarten, der ein wenig mehr über die Erwachsenenwelt wissen wollte, um vor seinen Freunden damit angeben zu können.

»Nein – Anwalt für Jugendstrafrecht.«

Hatte er ausversehen seine Stimme verschluckt? So wortkarg war er ja in den letzten zwei Stunden nicht gewesen!

Weil ich nicht wusste, was ich ihn zu diesem Thema noch fragen sollte, senkte ich den Blick wieder und begann erneut Nudeln auf meiner Gabel aufzudrehen. Ich könnte ihn natürlich noch fragen, was er für Hobbies hatte oder gerne in seiner Freizeit machte, aber schien sich nicht mit mir unterhalten zu wollen, also hielt ich lieber auch meine Klappe.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis mein Teller endlich leer war. Ich konnte mir ein schweres Seufzen gerade so verkneifen.

Gesättigt schob ich den Teller von mir weg und schielte kurz zu Oliver hinüber.

Er schien schon etwas länger fertig zu sein wie ich, denn er blickte mich aus seinen wunderschönen Augen aufmerksam an.

»Vielen Dank fürs kochen, war lecker!«, bedankte ich mich höflich.

»Du hast da noch was«, antwortete er zusammenhangslos und tippte sich an den linken Mundwinkel.

Ich riss die Augen ein Stück auf. Man war das peinlich. Was würde er denn jetzt von mir halten? Ich konnte ja nicht mal wie ein erwachsener Mensch essen.

Nervös und mit roten Wangen wischte ich mir einmal über den Mund. »Ist es weg?«

Oliver schüttelte lächelnd den Kopf und beugte sich im nächsten Moment über den Tisch.

Unsere Blicke trafen sich wieder, nur war seiner dieses Mal wesentlich intensiver.

Vorsichtig wischte er mit seinem Daumen über meinen Mundwinkel, streifte dabei meine Unterlippe.

Dieses Mal zuckte er allerdings nicht zurück und wir hielten den Blickkontakt noch ein paar Sekunden, ehe er sich doch wieder in seinen Stuhl fallen ließ und den Nudeltopf mit dem Deckel zudeckte.

Ein wenig enttäuscht, ohne zu wissen warum, verzog ich das Gesicht ein wenig und senkte schnell den Blick, damit Oliver das gar nicht auffallen würde.

Ich stapelte die Teller und er nahm die beiden Töpfe. Dann brachten wir alles in die Küche und stellten es in die Spüle. Oliver stellte klar, dass er den Abwasch morgen erledigen würde. Ich hielt es für schlau ihm nicht zu wiedersprechen.

Und dann standen wir wieder sinnlos in der Küche herum, bis ich irgendwann vorschlug noch eine DVD zu schauen. Begeistert sah Oliver nicht aus, doch er willigte schließlich ein.

Bevor ich ihn fragen konnte, ob er ein paar Filme besaß, klingelte jedoch sein Handy.

Er zog es aus der Hosentasche und warf einen Blick aufs Display.

»Ist meine Mutter, da muss ich rangehen!«, sagte er grimmig. »Aber such dir doch schon mal was heraus. Die Filme stehen direkt neben dem Fernseher im Schrank!«

Ich ging zurück ins Wohnzimmer und begann sein Filmschränkchen zu durchstöbern. Dabei kam ich mir vor wie in einer Videothek. Alles war chronologisch, nach Genre und alphabetisch sortiert und die Menge an Filmen war unglaublich. Er könnte seine ganz eigene Videothek aufmachen!

Akribisch ging ich Reihe für Reihe durch und entdeckte tatsächlich ein paar Filme die mich ansprachen. Doch schlussendlich blieben meine Augen an einem alten Klassiker hängen und ich zog die Hülle aus dem Regal.

In diesem Moment kam auch Oliver wieder ins Wohnzimmer. Er sah jetzt noch unglücklicher aus, als zuvor.

Ich biss mir auf die Lippe. Sollte ich ihn auf sein Telefonat ansprechen und fragen, ob alles in Ordnung war? Ich wusste es nicht, denn ich kannte Oliver nicht. Bei Freunden machte man so etwas, aber Oliver war nicht mein Freund.

Am Ende fragte ich ihn doch, weil es sich anfühlte, als müsste ich das tun.

Doch Oliver wollte mir keine ehrliche Antwort geben, denn er bemühte sich um ein Lächeln und winkte ab.

»Ist nicht so wichtig«, sagte er und griff gleichzeitig nach der DVD in meiner Hand, um vom Thema abzulenken. »Welchen Film hast du dir da überhaupt rausgesucht? Oh … Ähm … Also wollen wir Final Destination schauen?«

Er sah mich an, als wollte er mich dazu bringen, dass ich mir meine Wahl noch mal überlegte. Doch mein Entschluss stand fest, also zuckte ich nur mit den Schultern. »Ich mag den Film! Mit meinem Bruder kann ich so ‘was nicht schauen, weil er ein ziemlicher Angsthase ist.«

Ich angelte mir schnell die Disc zurück, bevor er sie zurück in den Schrank stellen konnte.

»N-na gut, ich w-werd‘ dann noch ‘was zu trinken holen«, stammelte der Student.

»Mach das!«, antwortete ich und ließ mich vor dem DVD-Player nieder um die Scheibe einzulegen.

Ich hoffte er würde nur in die Küche gehen und nicht gleich aus Wohnung stürmen – den Eindruck machte er nämlich.

Ich begann zu grinsen. Wenn er solche Filme nicht mochte, warum hatte er sie dann in seinem Schrank zu stehen!
 

Oliver kam nicht nur mit etwas zu trinken zurück, sondern auch mit einer Schüssel Salzbretzeln.

Als er sich zu mir aufs Sofa setzte, lief bereits das Menü der DVD und ich wartete nur darauf, endlich Play drücken zu können.

»Was hat denn solange gedauert?«, neckte ich ihn.

Oliver zog eine Augenbraue hoch.

Ich riss die Augen auf und stopfte mir schnell mit ein paar Bretzeln selbst den Mund, bevor ich noch etwas Doofes sagen konnte. Das schien ich heute Abend besonders gut drauf zu haben. Wo kam bloß dieses Selbstvertrauen auf einmal her?

Der Student lächelte, griff ebenfalls nach den Salzbrezeln. Dann nahm er mir die Fernbedienung aus der Hand, streifte dabei - vermutlich - unbeabsichtigt meine Finger.

»Sonst kommen wir ja nie voran«, hauchte er anschließend, sah mir tief in die Augen.

Schockiert davon atmete ich aus und wusste auf die Schnelle gar nicht genau, was ich dazu sagen sollte.

Mein Puls beschleunigte sich, mein Herz pochte laut gegen meine Rippen. Olivers bernsteinbraune Augen gaben mir das Gefühl, die Zeit würde wieder stehen bleiben.

Und dann wandte er den Blick einfach ab, drückte den >Start< Button und tat so als würde ich nicht neben ihm auf dem Sofa sitzen.

Erschrocken starrte ich ihn noch eine ganze Weile an, während mein Herz überhaupt nicht daran dachte sich zu beruhigen und mein Puls nur noch mehr in Luft ging.

Erst als die erste fiktive Person im Fernseher schrie, drehte ich meinen Kopf von ihm weg, heftete meine Augen auf den Bildschirm und zwang mich förmlich dazu, sie auch dort zu lassen.

Der Gedanke, der sich nämlich grade in meinem Kopf breit machte, gehörte zu den verwerflichsten, die ich jemals gedacht hatte! Und das gefiel mir überhaupt nicht!
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 


 

Der Abspann des Films hatte noch nicht einmal richtig eingesetzt, da schaltete Oliver den Fernseher auch schon aus und hatte auf den Lichtschalter zu seiner linken.

Ich lächelte zurückhaltend. Er mochte also wirklich keine Horrorfilme – interessant. Ich sollte ihn bei Gelegenheit fragen, ob der die in seinem Schrank selbst gekauft oder geschenkt bekommen hatte.

Einen kurzen Moment herrschte Schweigen im Raum, dann sprang Oliver wie von der Tarantel gestochen.

»Dann werde ich dir mal Bettzeug holen … Und Klamotten, du hast ja sicherlich keine dabei!«, sagte er hastig und rauschte dann schneller ab, als das ich >A-B-C< hätte sagen können.

Mein Lächeln wurde bereiter. Ich fühlte mich in seiner Gesellschaft zunehmend wohler, obwohl er nicht gerade viel redet. Aber ich bereute es nicht heute hier geblieben zu sein.

Denn Tanja würde ihren Frust an den anderen auslassen und da musste ich nicht unbedingt dabei sein!
 

Plötzlich stand Oliver wieder im Wohnzimmer, allerdings ohne Bettzeug und ohne Klamotten.

Fragend legte ich den Kopf schief.

»Ähm … Ich hatte völlig vergessen das meine Wechselgarnitur Bettzeug gerade in der Reinigung ist«, erklärter er nervös und kratzte sich dabei mit verlegenem Gesichtsausdruck am Nacken. »Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Erstens, ich fahre dich doch noch nach Hause - was mir lieber wäre weil du ja morgen zur Schule musst - oder du schläfst mit in meinem Bett - was ich dir eigentlich ersparen will, weil ich fürchterlich schnarche und um mich trete und schlage. Also was willst du machen?«

Mir klappte die Kinnlade hinunter.

Ich hatte mir in meinem ganzen Leben nur mit einer einzigen Person das Bett geteilt. Und Maximilian hatte nach der einen Nacht gesagt, dass das nie wieder vorkommen würde, solange er lebte. Ich hätte ihm die Bettdecke gestohlen, ich würde im Schlaf reden und ich benehme mich angeblich wie ein Hooligan - das und noch viel mehr hatte er mir am Tag danach vorgeworfen.

Es wäre also schlau, mich von Oliver doch noch nach Hause fahren zu lassen. Allerdings wollte ich nicht riskieren das er einen Unfall baute, denn er sah nicht gerade topfit aus ... Und außerdem musste er morgen mit Sicherheit in die Uni und dann wollte ich bestimmt nicht schuld daran sein, dass er verschlief oder sich nicht richtig konzentrieren konnte. Also entschied ich mich für Option zwei: Hier bleiben!

»Ich würde sagen, dann entsteht heute Nacht ein Kampf um die Bettdecke«, grinste ich und biss mir im nächsten Moment dieses Mal wirklich auf die Zunge. Was redete ich hier schon wieder für einen Unsinn?

Gott wie bescheuert bin ich denn, DER wird sowieso nie etwas von mir wollen! Und ob ich was von ihm wollte, stand auch in den Sternen!
 

Wir schalteten das Licht überall aus und gingen dann ins Schlafzimmer. Oliver drückte mir ein paar Klamotten in die Hand. Er selbst zog sich anschließend, direkt vor mir bis auf die Unterhose aus.

»Ich hoffe es stört dich nicht wenn ich so schlafe?! Mir wird nachts immer so schrecklich warm!«

»N-Nein … Ähm .. D-das ist k-kein Problem!«, stammelte ich und wandte beschämt den Blick von seinem nackten Oberkörper ab.

Warum starrte ich da überhaupt so auffällig hin? Um Himmels Willen, ich drehte gerade durch!

Oliver kuschelte sich unter seine Bettdecke, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte mich abwartend an.

»Ich werd‘ dann nochmal … Öhm … Kurz ins Bad verschwinden!«, antwortete ich nervös und verzog mich aus dem Zimmer, bevor er mir auf meine völlig bescheuerte Aussage eine Antwort geben konnte.

Nachdem ich mich umgezogen hatte und mir etwas von seinem Mundwasser geklaut hatte, schnappte ich mir meine Klamotten und ging zurück ins Schlafzimmer.

Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich war schrecklich nervös und wusste nicht warum. Verdammt, was ist nur mit mir los?
 

Als ich die Tür öffnete, lag Oliver begraben unter seinem Laptop und einem Gesetzbuch auf der linken Seite des Bettes und tippte wie ein Irrer auf seiner Tastatur herum.

Wortlos packte ich meine Kleidung neben das Bett, hob dann die Decke an und legte mich ebenfalls hin. Es war kalt im Zimmer und die Decke war weder besonders dick, noch besonders breit. Kuscheln war also über kurz oder lang unvermeidbar.

Auf der Suche nach Wärme rutschte ich so nahe an ihn heran wie möglich, ohne dass ich ihn berührte, und dann versuchte ich einzuschlafen. Das Licht seiner Nachttischlampe machte das allerdings unmöglich, also angelte ich mir mein Handy vom Boden und spielte eine Runde Online-Schach.

Mein Gegner war wirklich gut, plante seine Züge und ließ keine Möglichkeit unbeachtet. Ich musste mich wirklich konzentrieren, um mich gegen ihn durchzusetzen.

Einen Zug noch. Ich musste nur noch meinen Springer bewegen und er stand Schach-Matt. Doch gerade als ich meinen Finger auf das Display aufsetzen wollte, lachte Oliver neben mir auf. Erschrocken bewegte ich den Finger in die entgegengesetzte Richtung. Der Springer sprang statt nach links, nach rechts und ich hatte mich damit selbst Schach-Matt gesetzt.

Böse sah ich die Person neben mir daraufhin an. Tanjas großer Bruder grinste nur weiter.

»Du spielst Schach?«, erfragte er das offensichtliche.

»Ja und die Partie habe ich wegen dir verloren!«

»Geht es um einen Pokal oder wie?«, grinste der Student.

»Nein«, brummte ich, sperrte mein Handy und legte es wieder zurück auf den Boden. »Aber hättest du mich nicht erschrocken, hätte ich gewonnen!«

»Tut mir Leid«, entschuldigte er sich halbherzig. »Spiel ruhig noch eine Runde, ich brauche hier noch ein bisschen!«

»Jetzt ist mir die Lust vergangen«, knurrte ich und drehte mich auf die andere Seite um.
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 


 

Ich wusste gar nicht, wie schwer es sein kann in einem Bett, mit einer Person zu liegen, die den eigenen Herzschlag beschleunigte, und dann einschlafen zu können.

Oliver hatte mir nach einem kurzen >Gute Nacht< den Rücken zugekehrt und schien auch kurz danach ins Reich der Träume geschlittert zu sein. Ich lag zeitgleich daneben und betrachtete in völliger Dunkelheit einen nackten Oberkörper, den ich nicht mal richtig erkennen konnte. Und das schlimmste an der Sache: Mich juckte es in den Fingern, weil sich in meinem Gehirn die Idee breit gemacht hatte, wie sich Olivers Haut wohl unter meinen Fingern anfühlen würde. Zum Mäuse melken der Mist!

Seufzend drehte ich mich also auf die andere Seite und versuchte endlich ein Auge zu zubekommen. Wenn ich nicht bald Schlaf bekam, kam mein Hirn vielleicht noch auf ganz andere Ideen!

Hormone – ab in die Ecke und nachdenken, was ihr da gerade gemacht habt!

Das Wecker klingeln am nächsten Morgen riss mich aus meinem ziemlich unruhigen Schlaf, den ich nicht im Entferntesten erholsam fand.

Ich konnte nicht mal richtig benennen, warum ich so schlecht geschlafen hatte. An Oliver hatte es zu mindestens nicht gelegen. Denn er hatte weder geschnarcht, noch im Schlaf um sich geschlagen. Er hatte mich zwar mit seiner bloßen Anwesenheit verrückt gemacht, aber dafür konnte er ja auch nichts.

Ich hatte keine Lust mehr nach einer Antwort zu suchen, also stand ich auf. Da Oliver schon vor mir aufgestanden war, hatte ich keine Hemmungen mich hier umzuziehen.

Bevor ich das Zimmer dann endgültig verließ legte ich die Klamotten die er mir geliehen hatte ordentlich zusammen und drapierte sie am Fußende.

Ich ging einfach davon aus das Oliver sich in der Küche befand. Vorsichtig linste ich um die Ecke. Der Student saß am Tisch, hatte die Ellbogen auf der Platte abgestützt und das Gesicht tief in den Händen vergraben. Es schien, als gäbe es etwas mit dem er gerade zu kämpfen hatte.

Ich sollte ihn fragen was los ist. Gefasst nickte ich und trat dann in die Küche ein.

Der Student hob den Kopf ein wenig und als er mich entdeckte sprang er hastig von seinem Stuhl auf.

»Guten Morgen! Du hast doch bestimmt Hunger oder? Magst du Rührei … oder Spiegelei … oder irgendetwas anderes?«

Ich wurde eine Nuance röter. »Ähh«, machte ich verlegen, »Eine Schüssel Cornflakes würde völlig ausreichen – und eine Tasse Kaffee wäre nett!«

Vorsichtig zog ich den anderen Stuhl am Küchentisch zurück und nahm darauf Platz.

»Cornflakes und Kaffee – geht klar!«, wiederholte er meinen Wunsch und machte einen Satz nach hinten.

Irgendwie wirkte er ein wenig, als wäre er mit der ganzen Situation völlig überfordert.

Er kramte in seinen Schränken herum, als hätte jemand über Nacht die Küche umgeräumt. Belustigt begann ich zu grinsen. Wenigstens schien er dann aber noch zu wissen wo seine Tassen standen.

Er stellte eine volle Tasse Kaffee vor meiner Nase ab.

»Danke«, sagte ich, musste mich dabei stark zusammenreißen nicht vor Belustigung laut los zu lachen.

Es war offensichtlich das er keine Cornflakes im Haus hatte, sich aber nicht traute einen Ton zu sagen – warum auch immer.

Während er seine Schränke also noch ein zweites Mal durchsuchte, prüfte ich auf meinem Handy wie ich nachhause kommen würde. Doch die Bahn schien es heute nicht gut mit mir zu meinen. Denn eine aktuelle Weichenstörung hier in Düsseldorf sorgte dafür, dass die nächsten beiden Regionalbahnen nach Klein Schnürstadt ausfallen würden. Einem blieb im Moment also nur übrig aufs Auto auszuweichen oder die Wander- und Fahrradroute zu benutzen. Und 28 Kilometer würde ich nur über meine Leiche zu Fuß gehen.

Ich würde also die ersten beiden Schulstunden – vielleicht sogar die dritte – verpassen und Oliver müsste meine Anwesenheit noch etwas länger ertragen. Und ich wusste zwar nicht warum, aber die schien im Moment sein größtes Problem zu sein!

Verstohlen betrachtete ich ihn bei seinem Tun. Er sieht wirklich nicht schlecht aus mit den blonden Kinnlangen Haaren und den hohen Wangenknochen. Und von den bernsteinbraunen Augen und den betörenden schmalen Lippen fange ich lieber erst gar nicht an.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. So darf ich nicht denken, bloß nicht! Solche Gefühle könnten mich Kopf und Kragen kosten. Denn Oliver ist immerhin schon 27 Jahre alt und noch dazu Tanjas großer Bruder! Sie, meine Freunde und meine Eltern würden ihn einen Kopf kürzer machen und mich in eine Psychiatrische Einrichtung einweisen! Denn so etwas ist eklig, so denken die Bewohner unserer Kleinstadt über Leute wie ihn.

Oliver schien seinen Mut wiedergefunden zu haben. Sich am Nacken kratzend drehte er sich zu mir um. »Ich könnte zwar schwören, dass ich irgendwo noch Cornflakes hatte – scheint wohl nicht so! Soll ich stattdessen Rührei oder Spiegeleier machen?«

»Ich denke Rührei ist in Ordnung«, antwortete ich lächelnd. »Soll ich dir helfen?«

Oliver schüttelte entschieden mit dem Kopf und drehte sich dann zum Kühlschrank um.

Ich stützte den Ellbogen auf dem Tisch ab, legte den Kopf auf meine gefalteten Hände und sah ihm verträumt beim kochen zu.

Obwohl ich nicht so fühlen sollte, fühlte es sich im Moment aber verdammt gut an!

Ein paar Sekunden genoss ich diesen Anblick noch, dann nahm ich mein Handy wieder zu Hand und schaute nach, ob es schon neues von der Weichenstörung gab. Doch eine neue Meldung war noch nicht erschienen.

Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken meinem Bruder zu schreiben, dass ich heute später kommen würde. Doch ich ließ das dann doch lieber bleiben. Maximilian hatte nämlich die besondere Gabe, aus manchen Situationen die falschen Schlüsse zu ziehen. Und ich wollte nicht dass er am Ende noch mit der 7. Kavallerie hier angeritten kam, weil er sich in seinem Kopf schon wieder irgendeinen Mist zusammengereimt hatte.

Bevor ich mir allerdings weitere Gedanken darüber machen konnte, stellte Oliver einen Teller vor meiner Nase ab.

Er setzte sich auf seinen Platz und blickte mich dabei direkt an.

»Guten Appetit!«, sagte er, hörte sich aber nicht sehr erfreut an.

Davon ein wenig verunsichert, bedankte ich mich leise und begann dann zu essen.

Ich hatte einen Moment mit dem Gedanken gespielt ihn zu fragen ob er mich fahren würde. Doch er schien gerade nicht die beste Laune zu haben, deswegen verwarf ich die Idee ganz schnell wieder.

Wir hatten ihm den gestrigen Abend schon versaut, da musste ich mit dem Morgen danach nicht gleich weitermachen. Obwohl es mich schon in den Fingern juckte, ihn zu fragen was sein Problem war.

Vorsichtig schielte ich von meinem Teller hoch und sah den Studenten an. Er nahm keine Notiz von mir, wischte stattdessen in regelmäßigen Abständen über das Display seines Handys. Ich würde sagen, er checkte sein Facebook oder irgendein anderes soziales Netzwerk. Vielleicht ja auch die aktuellen Nachrichten.

Auf den ersten Blick sah er ziemlich gelassen aus, als hätte er mit meiner Anwesenheit kein Problem. Doch wenn man genauer hinsah, konnte man sehen wie sehr ihn die Situation störte. Sein ganzes Gesicht war verkrampft und die Haut, die seine Knöchel an den Händen umspannte, war kalkweiß. Er starrte pausenlos auf sein Handy oder seinen Teller, hob nur ab und zu seinen Blick und das gerade mal soweit über den Tellerrand hinaus, dass er seine Tasse nicht verfehlte.

Es wäre schlau von mir gewesen, schnell zu essen und dann zu verschwinden, auch wenn ich eh nicht von hier wegkam und in der Kälte ausharren musste.

Doch die Neugierde war zu groß und mein Gehirn ließ sich mal wieder nicht zurückhalten.

»Ist alles in Ordnung? Du siehst so aus, als würdest gleich vom Stuhl fallen! Hast du schlecht geschlafen?«, fragte ich unschuldig.

Oliver schien nicht damit gerechnet zu haben, von mir heute noch etwas zu hören. Er erschreckte sich nämlich so sehr, dass er sich verschluckte.

Dann sah er mich kurz an, wandte den Blick aber gleich wieder ab, um einen Schluck Kaffee zu trinken.

»Mit mir ist alles in Ordnung«, antwortete er ausweichend und ließ die zweite Frage offen im Raum stehen. »Wann hattest du eigentlich vor zu gehen?«

Okay, er wollte mich los werden – jetzt ist es offiziell.

»Ich hatte eigentlich nur noch vor aufzuessen und dann verschwinde ich. Die Bahn fährt zwar nicht, aber wenn sie es dann doch irgendwann mal wieder tun sollte, bin ich wenigstens der Erste am Bahnhof.«, antwortete ich und schob mir eine volle Gabel in den Mund.

Vor ein paar Minuten fand ich es noch ganz angenehm hier zu sitzen, aber jetzt wollte ich hier nur noch ganz schnell weg. Denn ich mochte es noch nie, mich an einem Ort aufzuhalten, an dem ich nicht erwünscht bin!

»Wie meinst du das, die Bahn fährt nicht?«

»Es gibt eine Weichenstörung, deswegen fallen die nächsten beiden Regionalbahnen nach Klein Schnürstadt aus!«

Wir schwiegen wieder, denn dazu hatte selbst Oliver nichts mehr zu sagen.

Das ganze hier wurde immer unangenehmer.

Ich warf einen vorsichtigen Blick in meine Tasse und anschließend noch einen auf meinen Teller. Es würde noch ungefähr sechs Minuten dauern, dann wäre ich hier weg. So lange würde er es ja wohl noch mit mir aushalten.

Doch dann kam alles wieder anders, als er tief seufzte. »Wenn ich für meine kleine Schwester schon Taxidienst spielen kann, dann auch für ihre Freunde«, sagte er.

Ich lächelte automatisch. »Echt das würdest du tun? Ich geb‘ dir auch Trinkgeld!«

Jetzt lächelte er auch ein wenig. »Das werden wir ja sehen!«

Wir grinsten uns beide noch einen kurzen Moment an und aßen dann schnell unser Frühstück auf.

Anschließend stellte er das Geschirr ins Spülbecken und ich ging ins Schlafzimmer um meinen Rucksack zu holen.

Wir trafen uns im Flur wieder, zogen uns die Schuhe an und verließen dann die Wohnung.

Oliver führte mich zu seinem Auto – einem alten, schwarzen VW Golf. Ähnlich wie seine Wohnung machte auch das Auto einen ordentlichen und gepflegten Eindruck.

Oliver kannte Düsseldorf wie seine Westentasche. Wenn die Hauptstraßen irgendwo zu voll wurden, hatte er immer gleich einen Schleichweg parat.

Und ehe ich mich versah waren wir schon auf der Autobahn.

Aus dem Radio trudelte leise Musik, aber ansonsten war es still im Auto.

Oliver konzentrierte sich vollkommen auf die Straße und ich konnte meinen Blick nicht von seiner schwarzen Hornbrille losreißen.

»Du könntest Brillen-Model werden!«

Ein wohltuendes Lachen war vom Fahrersitz zu hören.

Ich riss die Augen auf. Hatte ich das gerade wirklich laut gesagt? Boden tue dich bitte auf und verschlinge mich!

»Versuchst du etwa mit mir zu flirten?«

Mir klappte die Kinnlade hinunter. Wenn ich jetzt Fahrer dieses Wagens gewesen wäre, dann hätte ich vermutlich mit der Leitplanke Bekanntschaft gemacht.

»Ich … ich weiß nicht – keine Ahnung! Ich weiß nicht wie das geht und eigentlich sollte das wirklich nur ein nett gemeintes Kompliment sein!«

Oliver lachte wieder. »Das wäre auch eine Art und Weise mit jemandem zu flirten!«

Ich wurde rot. »Oh, bitte entschuldige. So war das nun wirklich nicht gemeint«, antwortete ich pikiert. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten!«

»Ich weiß schon wie es gemeint war«, entgegnete er, klang aber jetzt schon wieder so schroff wie vorhin.

Ich begann aus Sicherheitsgründen an meinen Fingernägeln zu knabbern. Dann konnte ich wenigstens nichts Blödes mehr von mir geben.
 

Ich brauchte Oliver den Weg zur Schule nicht beschreiben, er fand ihn alleine und parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Stück abseits.

Wir schwiegen und ich wusste nicht genau was ich tun sollte. Einerseits könnte ich einfach >Danke< sagen und verschwinden, aber andererseits wollte ich mich auch entschuldigen. Wofür wusste ich zwar selbst nicht genau, aber das Verlangen es zu tun, nahm mein ganzes Gehirn ein.

Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sah ihn direkt an.

»Danke fürs fahren und das ich bei dir übernachten durfte und fürs kochen … und«, ich stockte. »Nein, das war alles. Und Entschuldigung wegen gerade eben, ich hab das wirklich nicht so gemeint! Also, ähm du siehst wirklich gut aus mit Brille und auch ohne – aber ich denke mal das weißt du und ich-«

Ich wurde am weiterreden gehindert, weil er mir grinsend den Mund zu hielt. Dann lachte er auf.

»Du bist ‘nee ganz schöne Quasselstrippe weißt du das? Es hat nicht mal wirklich Sinn ergeben, was du da von dir gegeben hast!«

Oliver nahm die Hand von meinem Mund und legte sie an meine Wange, dann strich er mir eine Locke hinters Ohr.

Sollte ich es nicht unangenehm finden, wenn mich ein fremder Mann so berührt? Wenn ja, dann war ich nicht mehr richtig gepolt. Denn in meinen Körper breitet sich gerade eine wohlige Wärme aus. Es fühlte sich schon wieder an, als würde die Zeit stehen bleiben, nur weil ich in Olivers Augen sah und er meinen Blick erwiderte.

»Du hattest vorhin gesagt, du würdest mir Trinkgeld geben?«, flüsterte er und strich mit seiner Hand wieder über meine Wange, zurück zu meinen Lippen.

»Was hättest du denn gerne?«, fragte ich völlig hypnotisiert von diesen betörenden Augen.

Irgendwo in meinem Gehirn hatte eine Synapse die Vernunft noch behalten und schrie herum, was ich eigentlich gedenke hier zu tun. Doch ich ignorierte dass, weil ich ahnte worauf das hier hinauslaufen würde und weil ich mir wünschte, dass es passieren würde. Dann hatte ich wenigstens eine Hürde der Pubertät erfolgreich – wenn auch reichlich spät - gemeistert.

Mein Herz begann wie wild zu klopfen, als Oliver sich noch ein Stück weiter zu mir vorbeugte. Und es blieb stehen, als er anfing zu grinsen, seine Hand von meiner Wange nahm und den Kopf schüttelte.

»Mir fällt schon noch was harmloses für dich ein!«, sagte er und startete seinen Motor wieder.

Eine wortlose Aufforderung für mich, dass ich jetzt aussteigen und gehen sollte.

»Ähm ja klar«, stammelte ich und griff nach meinem Rucksack. »Dann, danke nochmal und … Ähm … Bis zum nächsten Mal!«

Ich erwartete seine Erwiderung gar nicht ab, sondern hastete aus dem VW, als wäre der Wahrhaftige hinter mir her.

Ich knallte die Tür so fest zu, dass ich einen Moment befürchtete sie würde gleich aus dem Rahmen fallen, doch das wäre mir egal gewesen.

Zwei Sekunden später hatte Oliver schon ausgeparkt und rauschte davon. Ich sah ihm nach und fragte mich, was hier gerade passiert war, denn erklären konnte ich es mir nicht!

Mein Herz pochte noch laut, als sich mich in Richtung Schule aufmachte. Ich befürchtete schon, jeder um mich herum konnte es hören.

Die erste große Pause hatte gerade angefangen, als ich auf das Schulgelände stolperte und unter allen Schülern versuchte, meine Freunde auszumachen. Plötzlich versperrte mir jedoch Milena den Weg und strahlte mich an, wie der hellste Stern am Himmel. Ich glaubte, sie konnte gar nicht anders als zu lächeln. Permanent lief sie mit dem Grinsen im Gesicht herum. Manchmal war es schon fast gruselig.

»Leon, da bist du ja!«, quietschte sie und fiel mir so stürmisch um den Hals, als hätten wir uns Jahre nicht mehr gesehen.

Dabei war das letzte Mal erst gestern gewesen. Und seit dem hatte ich weder eine Weltreise, noch einen Kurzurlaub unternommen. Ich hatte nur eine Nacht in Düsseldorf verbracht, was für einen Jugendlichen aus Klein Schnürstadt kein Wunder war.

Die meisten Teenager von hier besitzen Jahreskarten für den Jugendherbergen-Verband, weil es öfters vorkam, dass man die letzte Bahn verpasste oder die Bahn im Allgemeinen mal wieder keinen guten Tag hatte.

»Hey, hey; beruhig dich!«, sagte ich und schob sie sachte von mir weg.

»Wo warst du denn? Dein Bruder hätte beinahe die ganze Schule auseinander genommen, weil du nicht zur ersten Stunde hier warst und dich auch nicht gemeldet hast!«, erzählte sie aufgeregt, warf die Haare zurück und sah mich anschließend prüfend an. »Du hast doch was zu erzählen, so wie du grinst! Na los; raus mit der Sprache!«

Ich schüttelte hastig den Kopf. »Aber nicht jetzt und vor allem nicht hier.«

Sie stemmte unzufrieden die Hände in die Hüften. »Dann gehen wir beide heute nach dem Schachverein einen Kakao trinken – Ausreden werden nicht geduldet!«

Ich nickte, verabschiedete mich und suchte dann weiter nach meinen Freunden. Zum Glück war Sandys Fuchsroter Haarschopf wie ein Leuchtturm; man konnte ihn einfach nicht übersehen.

Sandy, Tanja und Tom saßen auf einer Bank direkt neben der zweiten Sporthalle, der Rest hatte sich drum herum verteilt. Sie schienen zu diskutieren, weswegen ich mich langsamer näherte, um mehr davon mitzubekommen.

Tanjas Gesicht war mal wieder feuerrot vor Wut und sie bebte wie ein Vulkan kurz vor der Detonation.

»Ihr beide«, zischte sie, fixierte Maximilian und Tom, in dem sich mit dem Finger auf sie zeigte, »Ihr beide seid wirklich das Letzte! Euer homophobes Verhalten gegenüber meinem Bruder ist ja schon kaum zum aushalten, aber das ihr ihm jetzt auch noch unterstellt, er würde sich an Lelo ran machen und sich einfach an ihm vergreifen, ist ja wirklich die Krönung!»

»Jetzt pass mal auf«, widersprach Tom postwendend und bäumte sich auf wie ein Gorilla, kurz bevor er sich schreiend auf die Brust klopfte.

Okay, ich hatte genug gehört. Wurde Zeit diesen Konflikt zu beenden.

Tom schien seinen Satz noch ergänzen zu wollen, verstummte allerdings schlagartig, als ich mich in den Kreis hinein drängelte und Tanja von hinten einen Kuss auf die Wange drückte.

»Zu viel schreien mach furchtbare Falten!«, begrüßte ich sie.

Till bekam den obligatorischen High-Five und Sandy wie üblich eine Umarmung. Maximilian und Tom ließ ich dabei gekonnt außen vor, als hätte ich sie gar nicht gesehen.

»Und wo kommst du jetzt her?«, zeterte Tanja gleich weiter.

Könnten Blicke töten, würde ich mir die Radieschen jetzt mit Sicherheit von unten ansehen!

»Oliver hat mich gerade abgesetzt, weil die Bahn der Meinung war, es wäre mal wieder Zeit für eine Weichenstörung«, antwortete ich erschrocken. Damit, dass sie mich jetzt anzickte, hatte ich nicht gerechnet. Und fair war es auch nicht, denn ich hatte ihr nichts getan.

»Na gut, wird geduldet!«, antwortete sie und seufzte danach schwer. »Wärst du dann bitte so freundlich und würdest deinem Bruder und dem Hohlkopf daneben erklären, dass mein Bruder kein schwanzgesteuerter Triebtäter ist und sich rücksichtlos an dir vergriffen hat!«

Ich zögerte einen Moment und überlegte, was ich sagen sollte. Tom und Maximilian waren in ihrer Meinung schon so festgefahren, dass es schwer sein würde, sie davon abzubringen. Aber versuchen sollte ich es zu mindestens, bevor Tanja unsere Schule von der Landkarte ausradierte.

»Dein Bruder ist sehr zuvorkommend und höflich. Wir haben gestern Abend einen Film zusammen geschaut und sind danach ins Bett gegangen – also er ist in sein Bett und ich hab auf dem Sofa geschlafen!«

Kaum hatte ich die letzten Worte ausgesprochen, geriet ich schon ins Schwitzen. Ich war ein miserabler Lügner und das wussten meine Freunde auch. Aber ich konnte ihnen nicht sagen, dass Oliver und ich zusammen in seinem Bett geschlafen hatten und uns auch noch die Bettdecke geteilt hatten.

Hätte ich das gesagt, würde dieser Streit vermutlich niemals aufhören.

»Hab ich es euch doch gesagt!«, sagte Tanja schadenfroh, verschränkte aber dennoch die Arme vor der Brust. Ein Zeichen dafür, dass für sie trotzdem noch nicht alles gesagt war.

Ich hatte jetzt allerdings keine Lust weiter zu diskutieren, also wandte ich mich Sandy und Till zu und versuchte etwas über die beiden Deutschstunden, die ich verpasst hatte, in Erfahrung zu bringen. Schließlich wollte ich Frau Zander keinen Anlass dazu geben meine Eltern anzurufen. Das könnte nämlich wohl oder übel noch weitaus schlimmere Konsequenzen mit sich ziehen, als nur drei unentschuldigte Fehlstunden.

Während mir Sandy lang und breit erklärte, welches Buch wir ab Mittwoch lesen würden und wann die nächste Klassenarbeit anstand, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie sich Maximilian und Tom bei Tanja entschuldigten. Ich hörte zwar nicht was sie sagten, aber das Tanja ihre verkrampfte Haltung aufgab, war schon mal ein gutes Zeichen.

Kurz nachdem Sandy ihren Monolog beendet und Till noch einmal alles Wichtige zusammengefasst hatte, klingelte es auch schon zum Pausenende und wir machten uns auf den Weg zu Haus F in dem wir jetzt Musik hatten.

Auch Mathe und Englisch zogen sich lang wie ein Kaufgummi. Heute konnte es für mich gar nicht früh genug zum Schulschluss klingeln.

Als auch endlich die sechste Stunde vorbei war, trennten sich die Wege unserer Clique dann recht schnell, wie beinahe jeden Montag. Tanja und Tom mussten zum Schwimmtraining, Sandy und Till machten Pärchen-Nachmittag und mein Bruder hatte ein Date mit einem Mädchen aus der Parallelklasse. Ihr Name lautete - glaube ich - Jennifer, sicher war ich mich aber nicht. Merken musste ich ihn mir allerdings auch nicht, denn mein Bruder wechselte seine Dates und Freundinnen wie seine Unterhosen. Spätestens in zwei Tagen würde er sich eh wieder die nächste angeln. Nicht mehr lange und er hatte unsere Jahrgangsstufe einmal durchgevögelt. Mit Ausnahme natürlich von allen vergebenen Mädchen. Die zu knacken, waren ihm, nach eigener Aussage, zu viel Arbeit für einmal Spaß.

Ich verabschiedete sie alle und ging dann schon mal zum Klassenraum, in dem sich der Schachverein immer traf. Es ging zwar erst in einer Dreiviertelstunde los, aber nochmal nachhause zu gehen, lohnte sich nicht. Ich war auch nicht der Erste der schon anwesend war. Paul – ein Junge aus der 11. Klasse – und Gina – ein Mädchen aus der 7. Klasse – waren auch schon da, als ich den Raum hineinstolperte.

Ich grüßte sie freundlich, legte meine Sachen an dem Tisch ab, den Milena und ich immer besetzten und bereitete dann das Spielbrett vor.

Um danach die restliche Zeit zu überbrücken, wollte ich eigentlich eine Runde Online-Schach spielen – sozusagen um mich warm zu machen. Doch als ich in meinen Rucksack griff und mein Handy nicht auf Anhieb zu fassen bekam, weil es nicht in dem Fach steckte, wo es sonst immer steckte, rückte Schach ganz schnell in den Hinterkopf.

Ich schluckte. Wenn ich es verloren haben sollte, würde meine Mutter mich köpfen. Sie hatte eine ganze Menge Geld dafür ausgegeben – auch wenn ich so ein teures Smartphone niemals haben wollte – und wäre dementsprechend sauer, wenn ich heute beichten würde, dass ich es irgendwo liegen gelassen hatte.

Allerdings fragte ich mich wo. Ich hatte es das letzte Mal in der Hand, als ich bei Oliver am Küchentisch gesessen und den Status der Weichenstörung gecheckt hatte. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das Handy musste noch bei ihm auf dem Küchentisch liegen.

Ich schlug mir die Hand vors Gesicht. Konnte nicht mal einem anderen so etwas passieren? Warum immer mir?

In Windeseile legte ich die Figuren zurück und packte das Spielbrett wieder in den Schrank. Dann sagte ich Paul und Gina, dass sie Milena bitte ausrichten sollten, dass ich heute nicht kommen würde und verschwand.

Da ich Oliver nicht anrufen konnte, musste ich eben persönlich hinfahren.

Ich stöhnte leise und vergrub das Gesicht angesichts der starken Windböen tiefer im Kragen meiner Jacke.

Wenn er nicht zuhause war, betrieb ich den ganzen Aufwand umsonst.

Kopfschüttelnd legte ich einen Zahn zu. Ich wollte schnell zu ihm und schnell wieder weg, damit er oder mein Gehirn nicht wieder auf dumme Ideen kommen!

Nichts ist auf Erden so schwer zu halten wie der Mund.

Als ich etwa anderthalb Stunden später vor der Haustür stand und klingelte, wunderte es mich nicht wirklich, dass keiner aufmachte.

Immerhin hatte Oliver ein eigenes Leben, mit eigenen Verpflichtungen.

Ich überlegte wieder nachhause zu fahren und Tanja zu bitten mir mein Handy mitzubringen, wenn sie Oliver das nächste Mal besuchen würde. Allerdings könnte das auch ein paar Wochen dauern und ich wusste nicht, wie ich das meiner Mutter erklären sollte, ohne, dass sie einen Tobsuchtsanfall bekam.

Ich seufzte schwer und ging einen Schritt von der Tür weg. Es würde mir also wirklich nichts anderes übrig bleiben, als hier auf ihn zu warten, wenn ich nicht den Zorn meiner Mutter auf mich ziehen wollte.

Zehn Minuten hielt ich es aus sinnlos herum zu stehen, danach lief ich die Straße ab und suchte nach einem Café, um mir von meinem letzten Kleingeld einen Kaffee zu holen.

Es konnte immerhin noch Stunden dauern, bis Oliver zurückkam – wenn ich Pech hatte.

Das nächste Café befand sich direkt zwischen einem Kiosk und einer Dönerbude in einem schmalen Geschäftsraum. Türen und Fenster waren mit smaragdgrünen Vorhängen aus Samt zugezogen. Auf den Scheiben stand in goldglänzender Schrift „zur goldgrünen Bohne“, dabei sahen die Pünktchen des „ü“ aus wie Kaffebohnen.

Ich blieb stehen und zog das Portemonnaie aus meinem Rucksack. Ein Kaffee hier war bestimmt nicht günstig, schmeckte aber mit Sicherheit besser als einer aus dem Kiosk. Außerdem hatte ich hier die Möglichkeit diesen im Warmen zu trinken.

Neben der Tür hing eine Karte und nach einem kurzen Blick musste ich feststellen, dass ich mir sogar noch zwei Cappuccino mit Haselnusssirup leisten konnte. Das sollte reichen um meine Wartezeit zu überbrücken!

Ein kleines Glöckchen über der Tür klingelte, als ich das Lokal betrat. Bis auf zwei junge Studentinnen, die direkt neben der Tür saßen, war das Café leer. Hinter der rustikalen Theke werkelte eine ältere Dame umher, füllte Kaffeebohnen in ihre Maschine und rückte anschließend Tassen und Untertassen hin und her, bis sie die perfekte Position dafür gefunden hatte.

Die grünen und senfgelben Sessel, die überall herumstanden sahen zwar sehr bequem aus, doch ich bevorzugte dann doch den gepolsterten Barhocker an der Theke. Das waren die richtigen Plätze für Leute die alleine unterwegs waren. Wenn man sich nämlich an einen Tisch setzte, der eigentlich für zwei oder mehr gedacht war, kam man sich immer so schrecklich einsam vor.

Ich machte beim Hinsetzen mit Absicht das ein oder andere überflüssige Geräusch, damit ich mich nicht erst räuspern musste, um wahrgenommen zu werden.

Die ältere Dame trug die Haare zu einem streng nachhinten gebundenen Knoten, der von einem tannengrünen Haarband mit weißen Punkten, zusammengehalten wurde.

Sie strahlte mich an, als wäre ich ihr der liebste Mensch auf Erden.

»Hallo mein Hübscher, was darf‘s sein?«, fragte sie mit recht starkem französischem Akzent.

Schüchtern gab ich meine Bestellung auf.

Sie nickte, drehte sich um und ging dann ihrem Handwerk nach.

Ich beschloss die Zeit zu nutzen und holte mein Mathematikbuch aus meinem Rucksack.

Nur leider konnte ich mich im Moment auf meine Hausaufgaben überhaupt nicht konzentrieren, weil mir die ganze Zeit das bevorstehende Treffen von mir und Oliver durch den Kopf spukte.

Die Angestellte schob mir von der anderen Seite der Theke meinen Kaffee zu. Ich bedankte mich leise bei ihr.

»Was machst du da? Sieht ganz schön schwer aus!«

»Ich zerbreche mir den Kopf an gleichschenkligen Dreiecken. Ist eigentlich ganz einfach«, antwortete ich, ohne sie anzusehen.

Die Kellnerin lachte und ich hörte an den knarrenden Parkettdielen, dass sie davon ging.

Weil ich mich eh nicht konzentrieren konnte, starrte ich die Kaffebohne aus Milchschaum in meinem Cappuccino an und lauschte mit dem einen Ohr der ruhigen Rockabilly Musik. Mit dem anderen versuche ich zu verstehen, was die Kellnerin zu den beiden Studentinnen sagte. Doch sie sprach französisch mit Ihnen und das verstehe ich nicht, also konzentrierte ich mich nun ganz auf die Musik. Während ich dann den ersten Schluck von meinem Cappuccino trank, klopfte ich leise den Takt auf meinem Oberschenkel mit. Ich setzte die Tasse wieder ab, starrte mein Mathematikbuch einen kurzen Moment an und klappte es schlussendlich wieder zu. Ich versuchte mich vor mir zu selbst zu rechtfertigen, dass ich im Moment nicht dazu in der Lage bin die Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen. Also werde ich mich heute Abend noch hinsetzen müssen. Ich hoffte meine Mutter hatte neuen Kaffee gekauft.

Neben mir wurde der Hocker über die Dielen geschoben und eine zierliche Gestalt schwang sich auf die Sitzfläche. Aus dem Augenwinkel erkannte ich den weiten Rock der Kellnerin.

»Ich heiße Helene und du?«, stellte sie sich vor. Ihr französischer Akzent ist wirklich unverkennbar.

»Leon«, brummte ich und griff gleich wieder nach meiner Tasse.

Normalerweise war ich nicht so unhöflich – vor allem nicht zu Erwachsenen – aber im Moment war mir nicht nach reden zu Mute. Ich wollte einfach alleine vor mich hin vegetieren und meinen Gedanken nachhängen.

»Du kommst nicht aus Düsseldorf oder?«

Ich schüttelte den Kopf. Helene lachte leise.

»Das merkt man sofort! Düsseldorfer haben die Freundlichkeit nämlich mit einem Löffel gegessen und nicht mit einer Gabel!«

»Entschuldigung – heute ist einfach nicht mein Tag!«, murmelte ich.

»Wie kann denn ein so junger Mensch schon so etwas sagen? Jeder Tag sollte dein Tag sein!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Pubertätsdepressionen. Die Pubertät ist doch die Ausrede für alles oder nicht?«

Helene lachte wieder. Ich könnte schwören, dass ihr französischer Akzent sogar darin mitschwang. »Ich wünschte diese Ausrede könnte ich auch benutzen!«

Ich hob den Kopf und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Die Pubertät gehört zu den ekeligsten Phasen des Lebens! Wer will die denn freiwillig zweimal durchmachen?«

Helene rümpfte die Nase. »Ohlala, daher weht also der Wind; der junge Herr hat Liebeskummer!«

Diese Situation könnte auch einem Hollywood-Film entsprungen sein. Denn in diesen haben gefühlt alle Kellner Psychologie studiert, bevor sie sich dazu entschieden haben lieber leere Teller und Gläser durch ein Lokal zu tragen.

»Ich habe keinen Liebeskummer, ich bin bloß verwirrt!«, gestand ich ehrlich.

Und das war ich wirklich. Denn normalerweise gab es für mich nichts Leichteres als Mathematikhausaufgaben. Aber sobald ich versuchte mich auf Katheten und Hypotenusen zu konzentrieren, tauchte sofort Oliver vor meinem inneren Auge auf und versuchte mir den Stoff zu erklären. Nur gilt meine Aufmerksamkeit dabei nicht dem was er sagte. Und sobald ich daran dachte, dass wir uns in ein paar Stunden wieder über den Weg laufen würden, begann ich zu schwitzen und bekam furchtbare Angst davor, etwas Falsches zu ihm zu sagen.

»Aber deine Verwirrung hat auf jeden Fall etwas mit einem Mädchen zu tun!«

»Woher willst du das wissen?«, stellte ich die Gegenfrage.

Im Moment ist es mir egal, wie frech das klingen mag. Denn ich fand es ziemlich unfreundlich von ihr über mich zu urteilen, obwohl sie mich gar nicht kannte.

»Ich habe sechs Kinder – zwei Jungen und vier Mädchen! Ich weiß wovon ich rede!«, erklärte sie lächelnd und tätschelte danach meinen Unterarm. »Möchtest du darüber reden? Ich bin eine gute Zuhörerin!«

Ich dachte einen kurzen Moment über ihr Angebot nach und schüttelte schlussendlich mit dem Kopf.

»Danke, das ist nett gemeint, aber ich muss mir selbst erst einmal ein genaues Bild über die Situation machen, bevor ich mit jemand anderem darüber sprechen kann. Im Moment weiß ich nicht mal, ob das alles richtig ist und ob ich das alles will!«, antwortete ich ehrlich.

Helene stemmte die Hände in die Hüften. »Aber wenn du hier sitzt und Cappuccino mit Haselnusssirup säufst, dann wirst du es auch nicht herausfinden. Und wenn du sie absichtlich meidest, machst du es ihr auch nicht leicht herauszufinden ob sie etwas von dir will – vor allem wird dadurch aber nichts besser!«, echauffierte sie sich und seufzte danach schwer. »Neben mir wohnt ein hübscher junger Mann. Jeden Morgen holt er sich hier einen Kaffee und jeden Freitagabend kommt er hier mit einem anderen Mann rein. Sie turteln immer herum wie zwei Frischverliebte und irgendwann gehen sie hoch in seine Wohnung und ich hoffe für ihn das es dieses Mal der Richtige ist. Doch jeden Freitag bringt er ein anderes Gesicht mit. Er ist aber kein Schürzenjäger, denn er sieht dabei nicht glücklich aus. Eher traurig und müde. Und ich wünsche mir sehr für ihn, dass er bald den Richtigen findet – jemand der ihn so zum strahlen bringt, wie er es verdient!«

Ich dachte kurz über das nach was sie gesagt hatte.

»Ich an seiner Stelle, hätte die Hoffnung schon längst aufgegeben«, sagte ich schließlich.

»Ich hoffe er wird es niemals tun. Alleinsein ist die Größte Strafe dieser Welt!«, antwortete Helene mit einem traurigen Ausdruck in den Augen.

Dieses Gespräch ging in die völlig falsche Richtung. Zum Glück war mein Cappuccino leer und ich konnte Helene damit beauftragen einen neuen zu machen.

Sie schnaubte verärgert. »Ich hatte ganz vergessen, dass ihr Teenager unangenehmen Themen ja lieber aus dem Weg geht, als sich damit auseinander zu setzen!«, sagte sie und schwang sich vom Barhocker.

Ich wollte gerne noch etwas zu meiner Verteidigung vorbringen, doch als mir die passenden Worte eingefallen waren, war Helene bereits verschwunden und tat von da an so, als würde sie mich nicht sehen.

Sie stellte mir mein Getränk vor die Nase und verlangte anschließend, dass ich meine Rechnung bezahlte. Sie meinte es nicht so böse wie es im Moment rüberkam. Eigentlich wollte sie mich durch ihre unterschwellige Aufforderung zu gehen, nur dazu animieren, dass ich dem Ursprung meiner Verwirrung gegenübertrete – zu mindestens hoffte ich, dass sie das so plante. Aber da der Grund für meine Verwirrung bestimmt noch nicht zu Hause war, ließ ich mir mit meinem Kaffee extra viel Zeit und grübelte alleine weiter.

Und das so intensiv, dass ich erst wieder von meinem Schoß hochsah, als mein Cappuccino schon längst kalt war und Helene Feierabend machen wollte.

Sie streichelte mir sanft über den Unterarm um meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

»Ich kann mir vorstellen, dass diese Situation nicht leicht für dich ist, aber noch länger solltest du dich wirklich nicht davor drücken. Außerdem ist es schon spät und ich möchte gerne noch zu meinem Sohn!«, sagte sie.

Ich nickte, schob ihr die Tasse zu und stand dann auf. Während ich meine Jacke anzog sagte ich: »Es war nett hier! Du wirst mein deprimiertes Gesicht wohl öfters ertragen müssen!«

Sie lachte und wünschte mir einen schönen Abend, als ich zur Tür rausging.

Ich ging den Weg zu Olivers Haustür langsam zurück. Du willst nur dein Handy, sagte ich dabei immer wieder zu mir selbst, mehr nicht!

Doch als wir vor der Tür aufeinandertrafen, sprang mir das Herz vor Aufregung und Nervosität beinahe aus der Brust.

Er war sichtlich verwundert über meine Anwesenheit.

»Hi Leon, hätte nicht gedacht dich so schnell wiederzusehen. Kann ich was für dich tun?«

Ich riss mich gewaltsam von seinen Augen los und starrte lieber den parkenden Audi zu meiner linken an.

»Ich hab‘ mein Handy heute Morgen bei dir liegen gelassen und brauche das dringend! Kannst du es mir schnell geben? Danach verschwinde ich auch gleich wieder!«

Zu meiner Überraschung lachte Oliver nur leise in den Kragen seiner Jacke. »Wenn du magst, kannst du auch noch schnell mit hochkommen, dann musst du nicht hier in der Kälte warten!«

Die Glückshormon-Abteilung meines Gehirns begann schon wieder damit, pinke Herzchen durch meinen gesamten Körper zu pumpen. Doch bevor diese die komplette Kontrolle über mich übernahmen, schüttelte ich schnell mit dem Kopf. »Dafür habe ich leider überhaupt keine Zeit. Ich ähm … Bin … Bin nämlich noch verabredet«, stotterte ich vor mich hin.

Im Moment wollte ich lieber vor Scham im Erdboden versinken.

Oliver zog einen Moment die Augenbrauen hoch, dann grinste er. »Du bist ein ziemlich schlechter Lügner!«

»Musst du das Ganze noch schlimmer machen als es eh schon ist? Gib‘ mir einfach mein Handy, damit ich mich aus dem Staub machen kann«, quengelte ich, traute mich dabei nicht einmal ihm in die Augen zu sehen.

Ich erwartete Widerworte, hörte jedoch nur ein leises seufzen.

»Ist okay, ich hol‘ dein Handy«, sagte er.

Als ich hochsah fiel gerade die Haustür ins Schloss. Erleichtert atmete ich auf. Mein Mantra hatte bis hier super funktioniert.

Weil ich nicht wusste was ich mit der Wartezeit sonst anfangen sollte, fing ich an die vorbeifahrenden Autos zu zählen. Aber nur die roten und blauen. Im Dunkeln eine ziemlich dumme Idee.

15 hatte ich gezählt, als Oliver wenige Sekunden später wieder aus der Haustür heraustrat.

Wortlos hielt er mir mein Handy entgegen. Ich nahm es ihm ab und bedankte mich leise, während ich es in den tiefen meiner Jackentasche verschwinden ließ.

Es herrschte Stille zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich zur Verabschiedung sagen sollte. Und einfach gehen wollte ich auch nicht.

Die Autos rasten an uns vorbei, über uns flackerte eine Straßenlaterne. Die Wahl- und Zirkusplakate am Mast flatterten umher. Von weitem hörte ich eine Gruppe Menschen auf uns zu kommen. Es wurde Zeit zu gehen!

Ich wollte gerade dazu ansetzen etwas zu sagen, als Oliver sich plötzlich räusperte. »Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte er mit zitternder Stimme.

Ich schloss den Mund wieder und dachte einen Moment ernsthaft über sein Angebot nach. Normalerweise zog ich ein Auto der Bahn immer vor. Doch ich wusste, dass es für mein verwirrtes Gehirn nicht gut wäre noch mehr Zeit in seiner Nähe zu verbringen.

»Nein. Die Bahn fährt und es nicht weit«, lehnte ich ab. »Aber vielen Dank.«

Wir schwiegen wieder, bis Oliver sich erneut räusperte. »Na dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend.«

Ohne meine Antwort abzuwarten drehte er sich um und verschwand im Haus. Die Haustür knallte er regelrecht hinter sich zu.

Ich seufzte. »Ja dir auch«, sagte ich leise.

Dann vergrub ich das Kinn im Kragen meiner Jacke, die Hände in den Taschen und stapfte los in Richtung Straßenbahnhaltestelle.
 

Als ich ungefähr zwei Stunden später zu Hause ankam, war es bereits 22.00 Uhr.

Meine Mutter war nicht zuhause. Sie hat Nachtschicht im Krankenhaus. Mein Vater lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und schaute die letzten Minuten von „Wer wird Millionär“.

Bevor er mich begrüßte, schaute er sich erst mein Oberteil an. Im Dunkeln ist das das einzige Unterscheidungskriterium zwischen mir und Maximilian. Meine Karohemden verrieten mich halt immer.

»Der Ausreißer ist ja wieder da«, begrüßte er mich und setzte sich auf. »Wie war’s denn in Düsseldorf?«

»Ganz nett«, antwortete ich kurz angebunden. »Hat Mama neuen Kaffee gekauft?«

Mein Vater war einen kurzen Moment verwirrt. Normalerweise erzählte ich immer lange und ausführlich von allem, weil das in meiner Gewohnheit lag. Doch über diese Geschichte wollte ich nicht weiter reden, weil es an sich überhaupt nichts zu bereden gab.

Als er sich wieder gefangen hatte, räusperte er sich verhalten. »Ja, Kaffee ist in der Küche und Nudelauflauf auch.«

Ich bedankte mich leise und huschte an ihm vorbei. Den Nudelauflauf ließ ich unberührt im Ofen. Ich befüllte die Kaffeemaschine und starrte dem Gebräu beim durchlaufen zu.

Circa fünf Minuten später gab sie ein leises piepsen von sich. Ich begnügte mich in diesem Fall jedoch nicht mit einer kleinen Tasse aus Mamas Kaffeeservice, sondern nahm mir gleich Papas Thermokanne. Die würde ich dann heute Abend zwar noch abwaschen müssen, aber diesen Aufwand nahm ich in Kauf. Dann blieb der Kaffee wenigstens warm und ich musste nicht alle 15 Minuten aufstehen und durch die ganze Wohnung rennen.

Als ich mit der Kanne wieder durchs Wohnzimmer ging, hielt mein Vater mich an. »Die brauche ich morgen früh – wasch die bloß auf nachher!«

»Ja, ja – gute Nacht!«, antwortete ich abwinkend und ging direkt in mein Zimmer.

Mein Bruder hörte Tecno-Musik im Nebenzimmer. Sein Date mit Jennifer schien als nicht wirklich erfolgreich gewesen zu sein, wenn er schon wieder zu Hause war.

Ich schloss leise die Tür hinter mir und schaltete gleich darauf meine Schreibtischlampe an. Ich setzte mich an den Tisch und holte mein Buch aus der Tasche.

Eine viertel Stunde versuchte ich mit Maximilians Musik zu koexistieren, doch die brummenden Bässe waren noch schlimmer, als an Oliver zu denken. Deswegen kramte ich meine Ohrstöpsel aus der obersten Schublade meines Schrankes und versenkte sie tief in meinen Ohren.

Ich konnte mich bei keiner Art von Musik konzentrieren. Ich brauchte absolute Ruhe um meine Hausaufgaben zu erledigen. Nur im Moment wurde mein Hirn von absoluter Stille nicht zum rechnen angeregt, sondern dazu, über Oliver nachzudenken.

Die Konzentration war weg, aber ich hatte keine Lust die ganze Nacht hier zu sitzen. Deswegen zwang ich mich dazu und schrieb die Ergebnisse hin, von denen ich dachte, dass sie richtig sind. Beim aufschreiben fiel mir auf, dass ich das erste Mal in meinem Leben wirklich absolut keine Lust darauf habe, meine Hausaufgaben zu machen.

Am Ende hatte ich nur die Hälfte meiner Kanne geleert und war trotzdem so müde, dass ich beinahe vom Stuhl fiel. Die Musik von meinem Bruder war schon lange aus und einen Blick auf die Uhr später, war ich von mir selbst erschrocken. Es war beinahe 2.00 Uhr. Und wenn ich daran dachte, dass ich morgen um halb sechs aufstehen musste, standen mir die Locken zu Berge.

Ich streckte mich und gähnte laut. Dann stand ich auf und schaltete das Licht aus. Mithilfe der integrierten Taschenlampe meines Smartphone suchte ich mir den Weg zum Bett und kroch dann unter meine Bettdecke.

Es dauerte keine zwei Minuten und Morpheus Arme nahmen mich gefangen. Und ich träumte von Oliver, der mich im Arm hielt, mich küsste und mir sagte wie sehr er mich liebte. Wie so ein kitschiger Film lief das ganze ab.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, bereute ich es, dass ich gestern nicht mit ihm in seine Wohnung gegangen war. Stattdessen hatte ich die einzige wirkliche Chance vertan, meinen ersten Kuss hinter mich zu bringen, mit jemandem, den ich mochte.

Ich vergrub den Kopf im Kopfkissen und schüttelte den Kopf über meine eigene Dummheit.

Und während mein Bruder mir auf dem Weg zur Schule alles über sein Date mit Jennifer erzählte, überlegte ich, wie ich wieder an Oliver rankommen konnte, ohne wie ein Stalker zu wirken.

Nur leider fiel mir nichts ein. Ich könnte meinen Bruder fragen, der hätte bestimmt eine Idee. Aber ich wusste nicht, wie ich Oliver tarnen konnte. Denn nur über meine Leiche würde ich meinem Bruder erzählen, dass ich davon träumte einen Mann zu küssen.

Und dann kam mir die rettende Idee: Milena!

Grundsätze, sind Sätze an denen man zugrunde geht.

Ich nahm mir fünf Schulstunden über vor, in der zweiten Pause mit Milena zu reden. Zum einen musste ich mich für gestern entschuldigen und zum anderen brauchte ich einen Tipp von ihr. Ich wusste zwar absolut gar nichts über ihr Liebesleben, aber sie kannte sich mit solchen Dingen bestimmt besser aus als ich. Immerhin ist sie ein Mädchen!

Milena sah mich böse an, als ich kurz nach Beginn der Mittagspause aus ihrem Freundeskreis entfernte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wegen dir musste ich gestern zwei Stunden anderen beim Schach spielen zusehen! Zwei ganze Stunden! Ich hoffe du hast eine gute Erklärung dafür, dass du mich einfach sitzen gelassen hast!“, meckerte sie und verzog wütend das Gesicht.

Ich vergaß immer wieder, dass sie meistens genau-so schnell an die Decke ging wie Tanja es tut. Aber mittlerweile glaube ich, dass diesbezüglich alle Mädchen gleich sind.

»Ich musste mein Handy aus Düsseldorf abholen – tut mir Leid, kommt nie wieder vor«, entschuldigte ich mich ernstgemeint und breitete versöhnlich die Arme aus.

»Hast du es etwas bei deiner geheimnisvollen Be-kanntschaft vergessen?«, fragte sie mit klimpernden Wimpern.

Sie ist wie jedes Mädchen aus Klein Schnürstadt, wenn es Klatsch und Tratsch ging. Und außerdem ist sie von Natur aus neugierig.

Ich überlegte einen kurzen Moment ob ich mich ihr wirklich anvertrauen sollte. In Klein Schnürstadt ist alles, was nicht der Norm entspricht, unnormal und eklig. Und so wurde man auch behandelt. Da ich Milenas Einstellung zu der Thematik nicht kannte, beschloss ich ihr nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Oliver wird in meinen Erzählungen dann eben zu Olivia.

»Wie wär’s, wenn wir heute einen Kaffee trinken gehen und ich dir dann alles erzähle? Ich brauche so wieso deine Hilfe«, entgegnete ich ihrer Frage reichlich verspätet.

»Du brauchst einen Tipp in Liebesangelegenheiten? Von mir?« - sie sah mich einen kurzen Moment an und lachte dann los - »Solltest du da nicht eher deinen Bruder fragen? Der ist zwar kein Spezialist in Beziehungsdingen, aber er kann dir bestimmt sagen wie du an sie herankommst!«

Beschämt senkte ich den Kopf. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht, aber ich will mich nicht vor ihm blamieren und ich will auch nicht von ihm ausgelacht werden!«

Milena lächelte sanft und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Das Mädchen kann sich glücklich schätzen, dass du dich für sie interessierst. Und ich denke du bekommst das auch ganz gut ohne fremde Hilfe hin. Sie wird schon noch früh genug bemerken was sie an dir hat.«

Ich wollte ihr widersprechen. Wollte ihr sagen, dass ich nicht derjenige bin, um den es sich zu kämpfen lohnte. Doch am Ende sagte ich nichts.

Milena sagte mir, dass sie nach der letzten Stunde vor der Schule auf mich warten würde. Dann um-armte sie mich und ging zu ihren Freunden zurück.

Ich blieb noch kurz stehen und sammelte meine verwirrten Gedanken. Dann ging ich auch zu meinen Freunden zurück.

Die Stimmung zwischen uns war immer noch an-gespannt. Tom und Maximilian hatten sich bei Tanja immer noch nicht für ihr Verhalten an Olivers Geburtstag entschuldigt. Und Tanja hatte beschlossen kein Wort mehr mit den beiden zu sprechen, bis sie das nicht getan hatten. Das war ein Umstand mit dem Till, Sandy und ich leben konnten. Doch Mount Tanja wäre nicht Mount Tanja, wenn sie nicht trotzdem Asche spucken würde. In ihrem Fall bedeutete das, dass sie in jeder freien Minute Sprüche zum Thema Homophobie aus dem Internet zitierte.

Damit hatte sie Maximilian beinahe dazu gebracht, dass erste Mal in seinem Leben eine Frau zu schlagen. Till konnte ihn im letzten Moment glücklicherweise noch davon abhalten.

Jetzt verlangte Tanja auch dafür eine Entschuldi-gung. Maximilian hatte ihr lediglich den Mittelfinger gezeigt und war pünktlich mit dem Pausengong aus dem Raum verschwunden. Dafür hatte er auch gleich noch einen Eintrag ins Klassenbuch kassiert. Denn Herr Fechner war mit seinem Unterricht noch lange nicht fertig gewesen.

Seit dem behandelte uns mein Zwillingsbruder als wären wir Luft. Stinkende, abartige Luft.

Tom hatte – glaube ich zumindest – eingesehen, dass er am Sonntag etwas zu weit gegangen war, aber er blieb bei seiner Meinung. Seit der ersten Hofpause las er deswegen Paragraphen zum Thema Meinungsfreiheit aus dem Internet vor, immer wenn Tanja anfing zu nerven. Und anschließend drohte er damit sie wegen Belästigung zu verklagen.

Till steckte sich deswegen zu Beginn jeder Pause – und seien es nur die fünf Minuten zwischen den einzelnen Schulstunden – Kopfhörer in die Ohren. Und Sandy verdrückte sich ins Büro der Jahrgangssprecher, wo sie irgendwelche erfundenen Probleme beklagte.

Tom und Tanja nahmen eine Bank gegenüber der Turnhalle, die eigentlich für vier gedacht ist, kom-plett für sich alleine ein. Der eine schmollte am lin-ken Ende, der andere am rechten. Till hatte sich von hinten gegen die Lehne gestellt. Das Gesicht zur Wand der Turnhalle, den Rücken zum Schulhof.

Ich seufzte. Warum konnten die ihre Probleme nicht klären wie Erwachsene. Sie taten doch sonst auch immer so, als wären sie welche.

Normalerweise müsste ich mir jetzt die Konfliktlotsenweste anziehen und mit der Schlichtung beginnen. Denn das war die Rolle, die ich in unserer Clique innehatte. Doch dieses Mal war ich mir sicher, dass die beiden ihre Probleme alleine klären konnten. Und ich würde mich nicht einmischen!

Also setzte ich mich zwischen sie und spielte eine Runde Online-Schach. Nur leider schien die beiden meine Anwesenheit dazu anzustacheln ihren Streit neu entfachen zu lassen. Denn Tom drehte sich plötzlich zu mir um und Tanja machte es ihm, nach einem kurzen Seitenblick, nach.

»Sag mal Leon: Wie würdest du es finden, wenn deine Freundin sich von dir trennt, weil ihr plötzlich auffällt, dass sie lieber Mädchen küsst?«

Ich musste diese gedankenlose Frage nicht hinter-fragen, um herauszufinden, was Tom mit dieser Aktion bezweckte.

Er brauchte jemanden auf seiner Seite. Seit mein Bruder beschlossen hatte, dass die Raudies aus der 10. Klasse eine bessere Gesellschaft abgeben als wir, hatte Tom niemand mehr, mit dem er gegen Tanja wettern konnte. Und das stinkt ihm gewaltig! Nur war er mit seinen Beschimpfungstriaden bei mir an der falschen Adresse gelandet und das würde ich ihm jetzt auch zu verstehen geben!

»Ich würde sie umarmen und ihr sagen, dass sie mit dem gehen soll, dass sie glücklich macht – ob nun Junge oder Mädchen ist doch egal!«, entgegnete ich meinem besten Freund.

Er schien von meinen Worten so überrascht, dass seine Kinnlade beinahe Bekanntschaft mit dem Bo-den machte.

Ich hörte Tanja leise kichern: »Kann eben nicht je-der so ein homophobes Arschloch sein wie du!«

Tom stand auf, schüttelte den Kopf und ver-schwand in der Schülermenge um uns herum.

Okay – das war jetzt irgendwie nicht so optimal gelaufen.

»Wenigstens ist jetzt endlich Ruhe im Karton!« - Till sagte haargenau das, was ich mir gerade gedacht hatte.

Er nahm seine Kopfhörer aus den Ohren und schwang sich über die Lehne der Bank, genau zwi-schen Tanja und mich.

In diesem Moment fragte ich mich zum ersten Mal, warum er nicht für Tanja Partei ergriff, wenn er doch auf ihrer Seite ist. Und das schien unsere Sport-Barbie genauso zu sehen.

»Du könntest ihm auch mal die Leviten lesen, im-merhin kanntest du ihn zuerst!«, fauchte Tanja ihn an.

»Und du könntest einfach mal deine Fresse halten! Lass das Thema doch einfach auf sich beruhen. Die beiden Kleinkinder werden mit ihrem losen Mund-werk schon noch früh genug auf die Fresse fliegen!«

Tanja stieß ein empörtes Schnauben aus, stand auf und verschwand ebenfalls zwischen unseren Mit-schülern.

Till seufzte genervt und massierte sich das Nasen-bein. »Warum bin ich mit solchen Affen befreun-det?«

Ich wusste, dass er die Frage nicht ernst gemeint hatte und keine Antwort erwartete. Deswegen nutzte ich die Gunst der Stunde und fragte ihn, warum er nicht genauso eklig ist wie Tom und mein Bruder. Immerhin wurde er in seiner Kindheit – und auch jetzt noch - mit demselben Kleinstadtgequatsche zugedröhnt wie wir.

»Als ich mit Sandys Familie letztes Jahr auf Sylt war, hat im Hotelzimmer neben uns ein schwules Pärchen gewohnt. Sandys Mutter und ihr Stiefvater hatten uns ständig gesagt, dass wir uns von ihnen und ihren widerlichen Praktiken fernhalten sollen. Sandy hatte keine Lust auf Streit und hat es deswe-gen wortlos hingenommen. Mir war es auch egal, bis zu dem Zeitpunkt, als am Strand einer von beiden leblos in sich zusammensackt ist. Sandys Eltern wollten so tun als hätten sie nichts gesehen und einfach weitergehen. Doch das wollte ich so nicht hinnehmen und Sandy zum Glück auch nicht. Wir sind hingerannt. Keiner von beiden hatte ein Handy dabei und der Mann am Boden hat schon nicht mehr geatmet. Ich habe den Krankenwagen gerufen und die beiden ins Krankenhaus begleitet«, erzählte Till mit abwesendem Blick.

Ich schauderte. »Was ist passiert? Was hatte er?«

»Einen Schlaganfall. Wir haben von seinem Partner erfahren, dass es ihm schon morgens nicht gut ging, deswegen sind sie am Strand spazieren gegangen. Wenn wir nicht geholfen hätten, hätte der Mann ernste, bleibende Schäden davongetragen.« - Till machte eine kurze Pause - »In diesem Moment habe ich gemerkt, dass alles was uns hier erzählt wird völliger Mist ist! Die beiden sind ganz normale Menschen, die an denselben Krankheiten erkranken wie wir und dieselben Probleme haben. Ein Mann liebt einen anderen Mann genauso, wie ein Mann eine Frau liebt.« - er zuckte mit den Schultern - »Warum sollte ich damit ein Problem haben?«

Ich sah ihn erstaunt an und begriff in diesem Mo-ment, dass er jemand ist, dem ich mich anvertrauen kann. Till würde mich nicht verurteilen und mich auch nicht bei den anderen verpetzen. Er würde mich nach einem Geständnis so ansehen, wie er es jetzt tut.

Am besten sollte ich es ihm jetzt sagen. Doch gera-de als ich den Mund öffnete, klingelte es zum Pau-senende.

Till stand auf und ging in Richtung des Schulge-bäudes davon, ohne sich nach mir umzudrehen.

Enttäuscht senkte ich den Kopf. Wird überhaupt irgendwann der richtige Zeitpunkt kommen, um etwas zu sagen? Langsam glaubte ich nicht mehr daran!
 

Im Klassenraum hatten unsere Freunde sich so weit auseinander gesetzt wie nur möglich. Das brachte die übliche Sitzordnung völlig durcheinander. Und darüber waren nicht nur Till und ich verärgert, sondern auch sämtliche Klassenkameraden.

Stella kam mit wehenden Haaren auf uns zu, kaum, dass wir den Raum betreten hatten.

»Sorgt dafür, dass sie die beiden wieder vertragen! Wenn ich in Spanisch nicht neben Lisa sitzen kann, werde ich zu Medusa!«, sagte sie zu Till und rauschte auch gleich wieder ab.

»Die bist du schon längst«, brummte Till.

Anschließend ging er auf den Tisch zu, an dem Sandy saß.

Die sieht im Moment so aus als würde sie Till am liebsten den Kopf von den Schultern reißen. Jeder aus unserer Clique konnte sich denken warum. Denn für Stier Sandy war Stella das rote Tuch.

Die gebürtige Essenerin mit spanischen Wurzeln war vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Klein Schnürstadt gezogen und hatte unsere Klasse kom-plett auf den Kopf gestellt. Zuerst hatte sie Tanja von ihrer Position als „hübschestes Mädchen“ gestoßen und anschließend Sandy das Klassensprecheramt geklaut. Und nachdem sie damit fertig war, hat sie sich ganz ungeniert an Till herangemacht. Der hatte das natürlich nicht für voll genommen und sich ganz normal mit ihr angefreundet. Das aber mit keiner bösen Absicht. Er hatte eben nur Augen für Sandy und sah jedes andere Mädchen als platonische Freundin.

Sandy hatte sich trotzdem mit ihm wegen Stella gestritten. Der sonst so relaxte Till war darüber mehr als nur sauer. Und weil Sandy mit dem Thema einfach nicht aufhören wollte, trennte er sich kurzerhand von ihr. Das war ein noch größeres Drama gewesen, als das was sich jetzt gerade zwischen uns abspielte. Aber zum Glück hatte es keine zwei Wochen gedauert, da waren die beiden wieder glücklich miteinander vereint. Länger hätte das Theater wohl auch keiner von uns ausgehalten.

Till nahm seinen Stammplatz neben seiner Freun-din ein und breitete seine Materialen vor sich auf dem Tisch aus. Nachdem er damit fertig war, wandte er sich seiner Freundin zu.

»Setzt du dich dann bitte zu deiner behinderten Freundin und klärst das mit ihr – ich hab die Schnauze voll von dieser Kindergartenscheiße!«

Obwohl das entsprechende Zauberwort in seiner Satzkonstruktion vorkam, war seine Aufforderung keine Bitte – es war ein Befehl!

Sandy entgleisten beinahe alle Gesichtszüge. Mit verzerrter Miene sah sie ihren Freund an. »Sag mal spinnst du? Wie redest du mit mir?«

»So wie ich will, denn du verdrückst dich seit ges-tern, sobald es ungemütlich wird. Tom und Maximi-lian nehme ich mir nachher vor, aber um Tanja kümmerst du dich! Ich will, dass hier endlich wieder Ruhe einkehrt Herrgott – ist das zu viel verlangt?«

»Das kann man trotzdem netter sagen!«, antwortete Sandy beleidigt. Dann klaubte sie ihre Sachen zusammen und räumte das Feld.

Till sah mich aufmunternd an und klopfte auf den – nun frei gewordenen – Platz neben sich.

Die ungewohnte Situation machte mich nervös. In den ganzen Jahren, in denen wir nun schon befreundet waren, hatte ich in der Schule immer nur neben Tom oder Maximilian gesessen. Till und ich waren zwar beste Freundin, hatten aber nicht wirklich etwas miteinander zu tun. Eigentlich verdankten wir es nur Tom, dass wir überhaupt befreundet waren.

Ein wenig zögerlich nahm ich auf dem Stuhl neben ihm Platz. Meine Sachen legte ich ganz außen auf die Tischkante, weil ich mich nicht zu breit machen wollte.

Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah zu Sandy, weil ich wissen wollte, wie sie mit der Gemeinheit von ihrem Freund umging.

Tanja sagte irgendetwas zu ihr, doch Sandy schien ihr gar nicht zu zuhören. Sie kritzelte eilig irgendetwas auf ihrem Block nieder. Vermutlich schrieb sie gerade sämtliche Beleidigungen auf, die ihr im Moment einfielen. Das machte sie öfters, wenn sie nicht die Möglichkeit bekam diese laut auszusprechen.

Ich drehte mich wieder zu Till um. Der hatte seine stinkwütende Freundin anscheinend noch nicht zur Kenntnis genommen.

»Sandy wird wohl den Rest des Tages nicht mehr mit dir reden«, informierte ich meinen Sitznachbar.

Till zuckte mit den Schultern. »Damit kann ich le-ben.«

Ich bewunderte seine Gleichgültigkeit. Wenn ich Sandys Freund wäre, würde ich mich so etwas nicht trauen. Aber er kennt den Rotschopf ja schon seit dem Kindergarten. Er wird schon wissen was er tut.

Ich beschloss nicht weiter nachzufragen, sondern dem Unterricht zu folgen, der gerade begann.
 

Die Stunde verging schleichend langsam und der Stoff war zäh und langweilig. Tom und Maximilian wurden ständig ermahnt, verstanden aber wegen ihrer schlechten Sprachkenntnisse in Spanisch kein Wort. Sandy führte währenddessen eine 1A Diskus-sion mit Stella. Das sprachliche Niveau davon war allerdings auch mir zu hoch. Ich bekam nur mit, dass Sandy dafür eine 1 bekam und Stella einen Eintrag ins Klassenbuch. Till erklärte mir während einer Partnerarbeit dann, dass Stella die Beherrschung verloren hatte und Sandy Schlampe genannt hatte.

Unsere Spanischlehrerin war wohl heilfroh, als zum Stundenende klingelte und sie uns endlich los wurde.

Sandy war tatsächlich immer noch wütend auf Till. Sie verließ den Klassenraum ohne ihn anzusehen und Tanja streckte ihm bloß den Mittelfinger entgegen. Sandy hatte in ihr in ihrer Wut also gesteckt, dass Till sie als behindert betitelt hatte.

Das Verhalten der beiden rief dafür aber gleich Maximilian und Tom auf den Plan.

Sie hatten sich von Till jetzt sicherlich Zuspruch erhofft, doch da waren sie nach wie vor an der falschen Adresse.

Dieser bäumte sich vor den beiden auf.

»Hört jetzt endlich auf mit der Scheiße und ent-schuldigt euch bei Tanja! Das ihr Bruder schwul ist, betrifft euch doch gar nicht oder wollte er euch etwa an die Wäsche? Wenn ja, leidet er an schlimmer Geschmacksverirrung! Aber das ist immer noch kein Grund Tanja zu ärgern, denn sie kann für die Neigungen ihres Bruders nichts und hätte euch mit Sicherheit auch nicht zu ihm mitgenommen, wenn sie gewusst hätte wie geistig beschränkt ihr eigentlich seid! Und ich habe mittlerweile die Schnauze voll von eurem Kindergartengehabe. Wenn man euch von Oliver reden hört, klingt ihr wie eure Eltern – stecken geblieben in 1890!«

Till ging aus dem Raum, ohne den beiden die Möglichkeit zu bieten, zu widersprechen.

Während sich Tom und Maximilian tierisch darü-ber aufregten, sah ich Till lächelnd nach. Denn jetzt war ich mir ganz sicher: Egal was zwischen Oliver und mir passierte - oder auch nicht – Till würde ich davon erzählen können, ohne das er mich danach schief ansah.

Zufrieden mit dieser Erkenntnis klaubte ich meine Sachen zusammen, steckte sie in meine Tasche und verabschiedete mich danach knapp von Tom und meinem Bruder. Dann verließ ich den Raum, immerhin wartete Milena auf mich.

Wir zogen uns in ein Café am Stadtrand zurück, wo ich ganz sicher sein konnte nicht auf bekannte Gesichter zu treffen.

Wir bestellten beide einen Cappuccino und hatten uns nicht einmal richtig hingesetzt, da wollte Milena schon sämtliche – nicht vorhandene - Einzelheiten von mir wissen.

»Es ist nichts dramatisches passiert«, sagte ich und seufzte dann schwer, »aber ich glaube ich bin verliebt!«

Ich merkte, dass meine Wangen sofort rot wurden. Aber nicht rosarot, sondern knallrot.

Milena kicherte mädchenhaft. »Das Mädchen muss ja echt besonders sein, wenn es sich zwischen Mathe, Schach und Informatik einen Platz in deinem Herzen gesichert hat!«

»Ähm … Ja …«, murmelte ich abwesend und malte mit dem Zeigefinger kleine Kreise auf die Tischplatte.

Meine Euphorie von heute Morgen war ver-schwunden. Am liebsten würde ich den Kaffee in einem Zug hinunterstürzen und verschwinden.

Ich konnte ihr unmöglich sagen, dass ich nicht in ein Mädchen verknallt bin, sondern in einen 27-jährigen Studenten, der gleichzeitig der große Bruder meiner besten Freundin ist und mich dafür bestimmt auslachen wird.

Die Bedienung brachte uns unsere Getränke. Ich nahm einen kräftigen Schluck und verbrannte mir daran den gesamten Mund. Aber so hatte ich wenigstens einen Grund Milena nicht gleich antworten zu müssen.

Doch meine Bekanntschaft aus dem Schachclub gab nicht so einfach auf. »Was war denn nun in Düsseldorf? Lass‘ dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Leon!« - sie machte eine kurze Pause - »Du wolltest einen Tipp von mir. Den kann ich dir aber nur geben, wenn du mir endlich erzählst was passiert ist!«

Sie hatte ja recht, aber ich hatte Angst. Also machte ich das, woran ich vorhin schon gedacht hatte. Ich stürzte den Kaffee meinen Rachen hinunter und stand wieder auf.

»Tut mir Leid Milena, ich kann mit dir nicht darü-ber sprechen! Ich dachte ich könnte es, aber ich bin dafür noch nicht bereit«, sagte ich mit zitternder Stimme.

Als ich das Geld für unsere Getränke auf den Tisch legte, griff sie nach meinem Handgelenk und umfasste es sanft.

»Vielleicht solltest du mit ihr über deine Gefühle sprechen, dann kannst du dir ein Bild über ihre ma-chen und mit ihr gemeinsam überlegen was ihr macht – das ist mein Tipp an dich!«, sagte sie zag-haft, mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen.

Ich nickte. »Danke – vielleicht sollte ich das tun!«

Mit diesen Worten verließ ich das Café und schlug zuerst den Weg Richtung nach Hause ein. Doch schon nach wenigen Metern blieb ich stehen und dachte an Milenas Worte. Schließlich drehte ich um und ging zum Bahnhof.

Oliver würde mich vermutlich auslachen, aber ich musste ihm sprechen. Denn solange das zwischen uns nicht geklärt war, konnte ich mein Gehirn nicht herunterfahren. Und ich brachte dringend wieder einen klaren Kopf, sonst laufe ich hier demnächst Amok!
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 

Ich mochte die sechsspurige Hauptstraße immer noch nicht. Der ekelige Abgasgeruch vernebelte einem beinahe alle Sinne.

Mit klopfendem Herzen trat ich an Olivers Haustür heran und fixierte das Klingelschild mit starrem Blick. Mich verließ schon wieder der Mut. Ich konnte regelrecht spüren, wie das Adrenalin aus meinen Adern verschwand und der puren Angst Platz machte.

Ich legte den Finger dennoch auf die Klingel und verharrte einige Momente so.

Ich versuchte meinen Kopf dazu zu überreden, dass hier durchzuziehen. Doch er weigerte sich, also steckte ich meine zitternde Hand zurück in die Jackentasche. Ich bin wirklich ein jämmerlicher Feigling.

Ich drehte mich um und wollte flüchten, doch eine große Gestalt mit blonden Haaren stand mir im Weg. Als diese von ihrem Smartphone aufblickte und mich direkt anstarrte, rutschte mir das Herz in die Hose. Vor mir stand Oliver!

»Leon? Was machst du denn hier?«

»Ähm«, achte ich und schloss meinen Mund dann wieder, weil ich in meinem verwirrten Hirn keinen grammatikalisch korrekten Satz zusammen bekam.

»Hast du noch irgendetwas bei mir vergessen? Ich hab zwar nichts gefunden, aber i-«

»Kann ich mit hochkommen?«, unterbrach ich ihn harsch.

Oliver sah einen kurzen Moment so aus, als hätte er mich nicht verstanden und wollte eine Gegenfrage stellen, doch dann schloss er den Mund wieder und nickte.

Mit klopfendem Herzen trat ich beiseite und ließ ihn die Tür aufschließen. Wir stiegen schweigend die Treppen empor. Unsere Schritte hallten laut von den Wänden wieder und überdeckten meine Schnappatmung. Ich hoffte Oliver hörte das nicht. Das wäre mir super peinlich!

Schnaufend wie eine alte Dampflokomotive kam ich kurz nach Oliver vor seiner Wohnungstür an. Mir wurde schwarz vor Augen, weswegen ich mich wie ein Irrer am Treppengeländer festkrallte und in den Abgrund starrte. Ob ich mich hier einfach hinunterstürzen sollte?

Ich verharrte zwei volle Minuten in dieser Position und wartete darauf, dass sich meine normale Atmung wieder einstellte. Doch das wollte einfach nicht passieren.

Ich sah aus dem Augenwinkel, dass Oliver an mich herantrat und spürte seine Hand auf meinem Rücken.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte er sanft und begann behutsam meinen Rücken zu streicheln.

Ich erschauerte wegen der Berührung und nickte schnell. Dann ließ ich das Geländer los und richtete mich wieder auf. »Das waren einfach nur zu viele Treppen und ich bin super unsportlich«, sagte ich mit zittriger Stimme.

Olivers Nähe machte mich komplett verrückt, also ging ich einen Schritt zurück um Abstand zwischen uns zu bringen.

Olivers Hand schwebte ein paar Sekunden untätig in der Luft, ehe er sie zu einer Faust zusammenballte und sinken ließ.

»Dann ist ja gut – kommst du dann?«

Ich nickte wieder und folgte ihm in seine Woh-nung. Ich schloss die Tür hinter mir und starrte dann unschlüssig meine Schuhe an.

»Soll ich die ausziehen?«, fragte ich verlegen.

Oliver schoss aus seiner bückenden Position in die Höhe und scannte mich beinahe panisch von oben bis unten ab.

Als er bemerkte, dass es mir nur um die Schuhe ging, konnte ich schwören, dass er kurz erleichtert ausatmete.

Ein paar Sekunden kam von ihm gar nichts, dann lächelte er schmal. »Wenn du nicht vor hast gleich wieder zu gehen, dann nicht!«

Ich überlegte kurz, öffnete dann aber die Schleifen meiner Schuhe.

Oliver ließ seine Tasche im Flur stehen und ging in die Küche. Ich folgte ihm, blieb aber im Türrahmen stehen. Oliver ging schnurstracks zur Kaffeemaschi-ne.

»Willst du auch einen Kaffee?«, fragte er mich über seine Schulter hinweg.

Ich nickte, bis mir einfiel, dass er das nicht sehen konnte. Weil ich meiner Stimme aber nicht vertraute, räusperte ich mich und in dem Moment wo er sich umdrehte, nickte ich erneut.

Er drehte sich zurück zur Kaffemaschine, schaltete sie an und schenkte anschließend wieder mir seine ganze Aufmerksamkeit.

Nun standen wir schweigend in der Küche und hörten der Kaffeemaschine beim durchlaufen zu. Es war keine angenehme Stille und sie machte mich nervös.

Als die Maschine fertig war, machte sie sich mit einem kurzen Piepsen bemerkbar. Gesagte hatte immer noch niemand etwas, doch das schien Oliver zu stören.

»Warum bist du hier?«, fragte er. Er schien zu wissen, dass ich ihn nicht einfach nur besuchte, weil mir langweilig war.

»Ich … Ähm«, stammelte ich nervös und spielte unsicher mit meinem Daumen.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie sollte ich als kleiner 16-jähriger einem 27-jährigen erklären, dass ich denke, in ihn verknallt zu sein, ohne überhaupt zu wissen, was das eigentlich bedeutete?!

Oliver würde mich auslachen und mir danach sa-gen, dass ich zurück in meinen Sandkasten gehen soll. Was wollte ich hier überhaupt? Das war doch einfach wieder eine saudumme Idee gewesen!

Oliver ging um seinen Küchentisch herum und blieb genau vor mir stehen.

»Was ist los? Hast du irgendwelche Schwierigkei-ten? In der Schule oder zuhause?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Warum bist du dann hier?«, hakte er nach. »Es muss ja einen Grund geben, warum du eine Stunde mit dem Zug nach Düsseldorf fährst!«

Ich schluckte und hatte das Gefühl, gleich heulen zu müssen. All diese unbekannten Gefühle und Empfindungen und diese komischen Gedanken überrollten mich im Moment. Die erste Träne lief mir über die Wange, ich merkte wie sie sich ihren Weg bahnte.

Ich wollte sie wegwischen, weil sie mir peinlich war. Doch Oliver kam mir zuvor. Er umfasste mein Gesicht mit seinen Händen und wischte die Träne mit seinem Daumen weg.

»Entschuldige, ich wollte nicht heulen! Ich weiß nicht mal, warum ich weine!«, sagte ich mit erstickter Stimme.

Oliver zog die Stirn kraus. »Warum machst du es dann?«

»Weil ich verwirrt bin und mein Gehirn in den letzten Tagen ein Eigenleben entwickelt hat!«

»Warum bist du verwirrt?«, fragte Oliver und kam mir noch einen Schritt näher.

Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er mich mit seiner Nähe ganz kirre machte und, dass es mir so noch schwerer fiel einen klaren Gedanken zu fassen. Aber ich hatte Angst mich mit diesen Worten zu verraten.

»Ich bin verwirrt, weil ich das, was ich fühle, nicht fühlen sollte und weil ich denke verknallt zu sein, ohne zu wissen was das ist oder wie das geht!«, sagte ich stattdessen und ein kleiner Stein fiel mir vom Herzen.

Doch kaum hatten diese Worte meinen Mund ver-lassen, zog Oliver seine Hand weg und ging einen Schritt zurück. »Willst du darüber reden?«, fragte er.

»Ich kann das nicht in Wort fassen. Ich – ich habe es gestern und heute schon versucht und es hat nicht funktioniert – ich habe einfach Angst etwas falsch zu machen oder etwas falsches zu sagen«, antwortete ich mit zittriger, ängstlicher Stimme.

»Du musst über deinen Schatten springen und darfst keine Angst haben. Angst beschützt dich nicht, sie schwächt dich«, entgegnete Oliver flüsternd. »Und wenn du zu lange schweigst, machst du dich selbst kaputt – glaub mir, ich weiß wovon ich spreche!«

Ich schluckte. Ich wollte nicht, dass er mich aus-lachte und fortschickte. Ich wollte so einen musikunterlegten Filmmoment haben, in dem Person A, Person B ihre ewige Liebe gesteht und sie sich dann in die Arme fallen und gegenseitig abknutschen. Aber vermutlich würde ich die Szene aus Titanic bekommen, in der Jacks Freund von dem Schornstein erschlagen wird. Und danach ich die Geschichte von Oliver und mir vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich gehe jetzt wohl besser, du musst bestimmt noch etwas für die Uni tun«, sagte ich leise und drehte mich um.

Als ich die Küche gerade verlassen wollte, packte Oliver mein Handgelenk und drehte mich in einer fließenden Bewegung wieder zu sich um.

»Bitte lauf nicht schon wieder weg!«

Ich erstarrte. Seine Stimme klang bittend, beinahe schon flehend. Mir rutschte das Herz in die Hose.

»Bevor du gehst, trinke wenigstens noch einen Kaffee mit mir«, flüsterte er.

Ich nickte, weil ich nicht unhöflich sein wollte. Oliver ließ mein Handgelenk los. Dann versicherte er sich mit einem letzten Blick in meine Richtung, dass ich doch nicht die Flucht ergreifen würde und ging zu seiner Kaffeemaschine. Ich nahm derweil am Küchentisch Platz und sah ihm dabei zu, wie er mit zitternden Händen zwei Kaffeetassen befüllte.

Er beeilte sich und stellte wenige Sekunden später eine braune Tasse vor meiner Nase ab.

»Die ist genauso schön wie deine Augen«, sagte er und lächelte schmal.

Ich ließ dieses Kompliment unkommentiert.

Oliver setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl und senkte den Blick. Er umklammerte die Tasse ganz fest mit beiden Händen. Und dann schwiegen wir uns an. Die Uhr über der Tür gab ein immer gleichbleibendes Tik-Tok von sich. Die vorbeifahrenden Autos hörte man trotz des geschlossenen Fensters laut und deutlich. Dur das Küchenfenster über der Spüle konnte man den wolkenlosen, dunklen Himmel betrachten, an dem sogar schon ein paar Sterne glitzerten. Olivers Kühlgefrierkombination brummte leise vor sich hin. Die Neonröhre an der Decke surrte und flackerte ein wenig

Oliver trank einen Schluck Kaffee. Als er die Tasse danach auf dem Tisch abstellte, gab das ein dumpfes Geräusch. Sein Holzstuhl knarrte, als er die Beine übereinander schlug.

Ich trank nun ebenfalls einen Schluck Kaffee, be-hielt die Tasse aber gleich in den Händen. So würde ich sie schneller leeren und könnte dann verschwin-den.

Ich hoffte, wir würden einfach schweigend unseren Kaffee trinken, doch dann räusperte sich Oliver plötzlich.

»Schmeckt dir der Kaffee?«, fragte er neugierig.

Ich nickte, weil sich in meinem Hals noch immer ein Kloss befand, der mir das Sprechen verbot.

»Hast du es dir jetzt anders überlegt?«

Fragend und verwirrt zugleich, sah ich ihn an.

Zum Glück deutete er meinen Blick richtig und hakte genauer nach: »Hast du dir überlegt, ob du darüber sprechen möchtest?«

Hatte ich nicht. Würde ich in den nächsten Minuten auch nicht tun, denn mein Gehirn war gar nicht mehr in der Lage dazu, noch einen klaren Gedanken zu fassen.

Oliver seufzte leise. »Als ich in deinem Alter war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mit jeman-dem über meine Probleme sprechen zu können. Je-mand, mit dem ich nicht tagtäglich zu tun hatte und der mich nicht verurteilen würde und der meine Gedanken nicht gegen mich verwenden konnte. Aber ich hatte niemanden, denn ich hatte zu früh entschieden, mich nicht mehr verstecken zu wollen, also erzählte ich jedem, der es meiner Meinung nach wissen musste, dass ich schwul bin. Ich fühlte mich danach viel besser, weil ich dieses Geheimnis nicht mehr mit mir herum schleppen musste. Doch als ich am nächsten Tag in die Schule kam, wollte plötzlich keiner mehr wissen, dass ich überhaupt existiere. Meine Klasse wollte einen neuen Klassensprecher und die Jungs wollten sich in der Sportstunde nicht mehr in derselben Umkleide umziehen, wie ich.« - er machte eine kurze Pause und atmete tief durch - »Ich habe angefangen, zu bereuen was ich gemacht habe und ich nie etwas mehr rückgängig machen, als das. Auch von meinen Eltern habe ich keine Unterstüt-zung bekommen. Mir ging es wirklich beschissen und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Am liebsten hätte ich alles hingeschmissen und mich verpisst, aber dann kam Paolo in unsere Klasse. Er war sitzengeblieben und musste die 10. Klasse wiederholen. Nur deswegen wurde er genauso schief angesehen wie ich.«

Ich schluckte. Ich konnte mir denken, was er gleich erzählen würde und ich wollte von seinen verflossenen Liebschaften kein Wort hören. Alleine der Gedanke daran, bescherte mir ein ganz flaues Gefühl im Magen.

»Man sieht dir ganz genau an, was du gerade denkst!«, sagte Oliver verschmitzt.

Ich bekam sofort rote Wangen und senkte deswe-gen verlegen den Kopf, damit er das nicht mehr sehen konnte.

Oliver lachte leise und fuhr dann mit seiner Erzählung fort: »Paolo ist nicht mein Ex-Freund, er ist mein bester Freund und der Einzige, von dem ich in all der Zeit Zuspruch erhalten habe. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wäre ich nicht mehr am Leben; so weit war ich in meinem Kopf schon!« - abwesend starrte er in seine Kaffeetasse und schüttelte dann den Kopf - »Was ich dir damit sagen wollte: Reden ist nicht immer Gold – vor allem in Klein Schnürstadt nicht. Aber wenn das Schweigen anfängt, dich aufzufressen, dann rede, bevor das Schweigen dich in den Abgrund stürzt!«

Seine Anekdote regte meine Gehirn zum nachden-ken an. Ich umklammerte meine Tasse mittlerweile so fest, dass meine Knöchel unter der Haut weiß hervortraten.

»Warst du schon einmal verliebt in einen Mann?«, fragte ich ganz leise. Es war die einzige Frage, die gerade in meinem Kopf herumschwirrte.

»Ja war ich. Zwar nie besonders erfolgreich, aber das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch kenne ich auch. Warst du denn schon einmal verliebt?«

Sein Tonfall ähnelte dem unserer Schulpsycholo-gin, die zu Beginn der 9. Klasse einen Vortrag über Drogen, Alkohol und Depressionen gehalten hatte.

»Ich glaube schon, weiß es aber nicht genau«, antwortete ich, ohne ihn anzusehen.

Das Ganze hier, war mir verdammt peinlich.

Oliver lachte leise. »Wie kann man den nicht wis-sen, ob man verliebt ist? So etwas signalisiert einem der Körper doch?«

»Ich weiß aber nicht, wie sich so etwas anfühlen soll und auf welche Sachen ich achten muss!«, ant-wortete ich leicht genervt. Ich kam mir vor, wie ein kleines Kind, dessen Mutter einem gerade erklärte, dass man nicht mit Fremden mitgehen sollte.

Oliver stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich nun auf den Stuhl zu meiner Linken.

»Wenn du zum Beispiel in mich verliebt wärst und ich deine Hand nehmen würde« - er stoppte und griff tatsächlich nach meiner Hand - »dann müsste, ausgehend von den Fingerspitzen, dein ganzer Arm anfangen zu kribbeln.«

Kribbeln war etwas untertrieben. Mein Arm fühlte sich an, als würde jemand eine Feder darüber pusten und das jagte mir einen angenehmen Schauer durch den ganzen Körper.

»Und wenn derjenige dich anlächelt, wirst du rot und nervös und weist auf die Schnelle gar nicht, was du sagen sollst«, flüsterte Oliver nun.

Ich nickte nur verstehend, weil schon wieder ein Kloss meine Stimmbänder blockierte.

»Du musst ständig an ihn denken und träumst von ihm. Du hast das Gefühl, als würde ein Teil von dir fehlen, wenn du nicht in seiner Nähe bist«, hauchte er und strich dabei ganz sachte mit seinen Fingerspitzen meinen Arm hinauf.

Oliver legte seine Hand in meinen Nacken und kraulte sanft meinen Haaransatz.

»Wenn er dich so anfasst und dich dann küssen würde, würde dir das Herz vor Freude explodieren oder aus der Brust springen!«, raunte er.

Er war mir so nahe, dass er mein lautklopfendes Herz hören musste und meinen Atem auf der Haut spüren konnte.

Ich schluckte. Sein Blick heftete sich für diesen kurzen Moment an meinen Kehlkopf, dann fixierte er wieder meine Augen.

Und dann ging alles ganz schnell. Weil ich Angst hatte, er würde wieder zurückweichen und weil ich nicht wusste, wo ich mich sonst hätte abstützen sollen, krallte ich meine Finger in seine Oberschenkel. Dann beugte ich mich in einer raubtierhaften Bewegung nach vorne und drückte meine Lippen für den Bruchteil einer Sekunde auf seine. Diese zehn Nanosekunden, brachten meinen Körper tatsächlich fast zum zerbersten – zu mindestens fühlte es sich so an. Der sich aufbauende Druck in meinem Körper war kaum auszuhalten und ich musste den Kuss jetzt wieder unterbrechen, wenn ich nicht platzen wollte vor Glück.

Als ich mich wieder zurücklehnte, schloss ich genießerisch die Augen und legte mir über die Lip-pen, um seinen Geschmack einzufangen. Er schmeckte nach Kaffee und nach Schokolade.

Dann traf mich die Erkenntnis mit einem harten Schlag. Ich hatte gerade Oliver geküsst! Nicht er mich, nicht wir uns. Ich hatte ihn geradezu überfal-len und dann einfach von ihm abgelassen, als ich bekommen hatte, was ich wollte.

Schockiert von mir selbst, riss ich die Augen auf und starrte Oliver an; zu etwas anderem war ich gerade nicht in der Lage.

Dessen ebenfalls entgeisterter Blick lag auf mir. Mit starrem Gesicht, tastet er seine Lippen ab. »Warum hast du das getan?«, flüsterte er atemlos.

»Es tut mir Leid, das war nicht mit Absicht … Also doch schon irgendwie … Also ich … Ähm«, stammelte ich und merkte, wie mein Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate annahm.

Oliver sprang beinahe schon panisch von seinem Stuhl auf. »Leon, erklär‘ mir das!«

Ich schluckte schwer. »Ich weiß auch nicht, was mich da gerade geritten hat!«

»Bitte sag mir, dass du nicht in mich verliebt bist.«

Oliver Stimme war so leise, klang so abgehackt, dass ich ihn beinahe nicht verstand.

Ich wollte ihm antworten, konnte aber nicht. Denn diese Reaktion von ihm, fand ich noch schlimmer, als das er mich auslachte. Denn wenn er gelacht hätte, hätte ich mit ihm lachen können und die Situation damit entschärfen können. Aber im Moment war mir eher nach heulen zu Mute. Und die Schmetterlinge in meinem Bauch verkrochen sich alles wieder in ihrem Kokon und entwickelten sich zurück in kleine hässliche Raupen, die durch meinen Magen krochen und Übelkeit verursachten.

Oliver wandte sich wortlos ab und starrte dann aus dem Fenster. Eine eindeutige Aufforderung dazu, dass ich jetzt gehen sollte.

Also stand ich auch auf.

»Ich werde dann jetzt besser gehen. Es tut mir wirklich leid!«, entschuldigte ich mich noch einmal.

Oliver brummte etwas, dass ich nicht verstand, drehte sie aber nicht noch einmal zu mir um.

Ich ging eilig in den Flur, zog mir so schnell ich konnte die Schuhe und meine Jacke an. Doch dann verweilte ich noch einen kurzen Moment. Weil ich hoffte, mir wünschte, Oliver würde kommen und mir sagen, dass er genauso fühlte wie ich. Und mit mir das Happy-End wollte, von dem ich träumte.

Doch er kam nicht, also gab es keinen Grund für mich, länger hier zu sein.

Ich verließ die Wohnung.

Und so endete die Geschichte zwischen Oliver und mir, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte.

In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders.

Seit dem Kuss hatte ich nichts mehr von Oliver gehört oder gesehen. Das Ganze war jetzt gute vier Wochen her und auch Tanja hatte nichts erzählt. Dafür hatte die Sportbarbie sich wieder mit Tom und Maximilian vertragen. Die beiden hatten sich nach einer noch viel größeren Standpauke von Sandy bei Tanja entschuldigt. Ob sie es ernst mein-ten, war dahingestellt, aber sie verloren über Oliver und seine ... kein böses Wort mehr. Und um es mit Tills Worten auszudrücken: Wenigstens ist endlich Ruhe im Karton!

Ich hatte mich wenig später auch bei Milena ent-schuldigt und ihr gesagt, dass wir von Thema nie wieder zu sprechen brauchten. Sie hatte mich weh-leidig angesehen und mich versucht aufzumuntern, doch das half mir auch nicht weiter, denn Oliver ging mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Ich träumte jede Nacht von seinen Augen und den schmalen Lippen, die so herrlich nach Pfefferminz und Kaffee schmeckten. Und von seiner sanften Stimme, die mir sagte, dass ich ... schönste ... auf diesem Plane-ten bin.

Ich schüttelte den Kopf und konzentriert mich wieder auf Milena, die mir zwei Kleider vor die Na-se hielt und mich fragte, welches besser aussah. Eins war blau und das andere dunkelrot.

»Ich habe keine Ahnung von Mode - warum hast du nicht deine Freundinnen mitgenommen? Die könnten dich sicher besser beraten!

»Aber die hatten keine Zeit und allein wollte ich auch nicht gehen - außerdem kaufe ich das Kleid für Tanjas Geburtstag, also hab dich nicht so!«, maulte sie und hielt die Kleider wieder hoch. »Also; welches sieht besser aus?«

»Das Blaue«, antwortete ich genervt und warf ei-nen Blick auf mein Handy.

Nach der Shopping-Tour wollte ich mich mit Tom treffen. In zwei Monaten machte die Informatik AG eine Kursfahrt nach Zürich. Von 25 Schülern durf-ten nur 12 daran teilnehmen. Und wer mitfahren wollte, musste ein Projekt ausarbeiten, eine Präsen-tation halten und einen aussagekräftigen Ab-schlussbericht vorlegen. Die Lehrer würden die Pro-jekte auswerten und danach verkünden, wer die Fahrt nach Zürich antreten durfte. Tom hatte keine Lust und wollte nicht mitfahren. Da wir aber für dieses Projekt mindestens zu zweit sein mussten, hatte er sich dazu bereit erklärt mir zu helfen. Und diese Kursfahrt war mir wichtiger als Tanjas Ge-burtstag oder Milenas Kleid.

Milena trat eine Sekunde später in einem königs-blauen Kleid aus der Umkleide heraus und posierte direkt vor mir.

»Und? Was denkst du?«

Ich fand es hässlich und es stand ihr nicht, aber das wollte ich ihr so nicht sagen. Zum einen, weil ich ihre Gefühle nicht verletzen wollte und zum anderen, weil ich keine Sekunde länger hier sein wollte. Außerdem würde sie an Tag X sowieso et-was ganz anderes anziehen. Denn dieses Kleid war sehr kurz an den Beinen und der Ausschnitt war auch sehr gewagt. Für so etwas war Milena nicht mutig genug. Selbst im Sommer trug sie nie etwas kürzeres als Radler und hochgeschlossene Tops mit breiten Trägern. Sie schminkte sich wenig bis gar nicht und trug die Haare meist zu einem Pferde-schwanz zusammengebunden. Aber vermutlich bin ich genau deswegen mit ihr befreundet, weil sie nicht hochnäsig und aufgetakelt ist. Das mag ein wenig oberflächlich klingen, aber wenn Milena so wäre wie Stella, hätte ich vermutlich nie ein Wort mit ihr gewechselt.

Milena hat sich mittlerweile dem Spiegel zuge-wandt und beobachtete sich ausgiebig. Als sie sich wieder zu mir umdrehte, sah sie gar nicht begeistert aus und rümpfte die Nase. »Das sieht ja schrecklich aus!«

»Das sagst du; ich finde es eigentlich ganz erträg-lich!«, antwortete ich und bemühte mich um ein ehrliches Lächeln. Da es nicht ganz gelogen war, wurde ich weder rot, noch fing ich an zu stottern. Denn das Kleid an sich, fand ich nicht schrecklich, nur an Milena sah es eben schrecklich aus.

»Wir müssen noch woanders hin, hier finde ich nichts!«, sagte sie eindringlich und zog direkt da-nach schwungvoll den Vorhang der Umkleidekabi-ne zu.

Innerlich stöhnte ich genervt und ließ mich tiefer in den alten Stoffsessel sinken. Für einen Samstag kannte ich angenehmere Beschäftigungen, als quer durch die Weltgeschichte zu fahren.

Als Milena kurze Zeit später aus der Umkleide trat, verließen wir den Laden schnell und mit gerö-teten Wangen. Es war die einzige Boutique in Klein Schnürstadt, die halbwegs ansehnliche Sachen an-bot. Wer keine Lust hatte nach Düsseldorf oder Köln zu fahren oder 65+ war, bestellte seine Kla-motten entweder im Internet oder kaufte in dieser Boutique ein. Sie wurde schon seit Ewigkeiten von derselben Familie betrieben und versorgte einen mit allen Kleidungsstücken des täglichen Gebrauchs - allerdings nicht immer ganz zeitgemäß. Doch seit dem Zeitalter des Internets, kaufte hier kaum noch jemand etwas und deswegen schauten die Besitzer immer ein wenig grimmig, wenn man ging, ohne etwas zu kaufen.

Ich hoffte Milena würde mich jetzt in meinen wohlverdienten Samstag entlassen. Doch leider gönnte man mir den nicht. Milena zog mich in Richtung Bahnhof und setzte mich in einen Zug nach Düsseldorf. Während wir durch die Land-schaft fuhren, erklärte sie mir lang und breit wie ihr Traumkleid aussehen sollte. Man könnte meinen sie wollte am Mittwoch heiraten, so sehr steigerte sich in die ganze Sache hinein.

Glücklicherweise gab es ganz in der Nähe des Bahnhofs ein Shopping-Center, sodass wir nicht durch die ganze Stadt fahren mussten.

Milena steuerte zielstrebig H&M an und war nach kurzer Zeit, spurlos zwischen den Kleiderständern verschwunden. Weil ich keine Lust hatte sie zu su-chen und auch gar nicht wusste, wo ich suchen sollte, verschwand ich in der Männerabteilung und suchte nach Hosen. Wenn ich schon einmal hier warm konnte ich mich auch gleich neu eindecken.

Prüfend inspizierte ich das Angebot und verglich zwei Modelle miteinander. Eine davon gefiel mir nach genauerer Betrachtung so gut, dass ich sie mit in die Umkleide nahm. Doch das bereute ich in dem Moment, in dem ich bemerkte, dass es weder Spie-gel in den Umkleiden noch in den Vorräumen die-ser, gab. Mit hochrotem Kopf machte ich mich also auf die Suche nach einem Spiegel im Verkaufsraum.

Und bis ich mich im Spiegel sah, fühlte ich mich wohl in der Hose. Doch dann begann sie überall zu kneifen und zu zwicken. Ich weiß, solche Probleme haben eigentlich nur Mädchen, aber mir ging es seit ein paar Jahren auch so. Immer dann, wenn ich Kleidung trug, die dem Stil von Maximilian zu sehr ähnelten. Eigentlich war dies totaler Schwachsinn. Mein Zwillingsbruder und ich hatten exakt densel-ben Körperbau und waren auf den Millimeter ge-nau gleich groß. Es gab also überhaupt keinen Grund, sich in irgendwelchen Klamotten unwohl zu fühlen.

Ich hakte meine Daumen in die Gürtelschlaufen. Dann zog ich am Hosenbund und rümpfte die Na-se.

»Die Hose steht dir!«

Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte Oliver direkt hinter mir. Er sah mich an, als wären wir alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hat-ten.

Ich wurde wegen seines Komplimentes rot wie ei-ne Tomate und versteckte mich hinter einem Tisch mit gestapelten T-Shirts.

»Was machst du?«, fragte ich wenig geistreich.

Oliver begann zu grinsen. »Freies Land, oder?«, antwortete er schulterzuckend.

»Ähm ... ja, du hast recht - entschuldige.« Das Ganze war mir so peinlich, dass mein Gesicht mitt-lerweile jedem Feuermelder Konkurrenz machen konnte.

»Gibt es in Klein Schnürstad immer noch nur Rentner-Boutiquen?«

Ich nickte zögerlich und machte gleichzeitig einen weiteren Schritt hinter den Tisch. Im Moment wünschte ich mir nichts sehnlicheres, als dass Mile-na um die Ecke sprang und mich aus dieser end-peinlichen Situation befreite. Nur leider war die nirgendswo zu sehen. Also musste ich mich allein hier heraus manövrieren. Nur leider wusste ich nicht, wie, ohne das ganze hier noch schlimmer zu machen. Und improvisieren war in Bezug auf Oli-ver eine ganz schlechte Idee, wie wir aus der Ver-gangenheit wussten.

Er schwieg und ich sollte die Chance nutzen, be-vor er mich doch in ein Gespräch verwickelte. Deswegen räusperte ich mich verhalten.

»Ich muss - ähm - mich wieder umziehen und nach Hause.« - ich stockte - »Es war schön dich wiederzusehen, denke ich. Schönen Tag noch.«

Ich wollte bereits im Vorraum der Umkleiden ver-schwinden, als Oliver mein Handgelenk packte und mich schwungvoll zu sich umdrehte. »Können wir reden? Wir sollten das klären!«

»Was willst du denn klären? Ich bin der kleine Junge, der sich in den großen Bruder der besten Freundin verliebt hat - das ist peinlich und unange-nehm, aber ich werde darüber hinwegkommen und du wirst mich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Kann ich dann bitte gehen? Ich fühle mich un-wohl!«

»Denkst du ich nicht? Du hast mich geküsst und bist dann einfach verschwunden. Ich will schon seit diesem Abend mit dir reden und wusste nicht, wie ich an dich herankommen soll. Ich kann seit vier Wochen an nichts anderes denken und ich will das eigentlich auf nicht bei H&M besprechen!«

Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedan-ken, Milena einfach hier zurückzulassen und mit ihm mitzugehen, aber die - vermutlich - letzte rich-tig funktionierende Synapse riet mir davon ab. Denn Oliver wollte sich nicht mit mir treffen, um mir zu sagen, dass er mit mir zusammen sein will. Er wollte bestimmt nur, dass ich ihm versprach, Tanja nichts zu erzählen. Denn für ihn stand bei dieser ganzen Sache mehr auf dem Spiel, als für mich. Er würde ein Stück Familie verlieren, ich vermutlich nichts. Denn Tanja würde niemals mir die Schuld geben, nur ihrem Bruder. Dabei konnte er dafür nichts. Ich hatte ihn geküsst, ich hatte mich in ihn verliebt - nicht andersherum.

Und weil ich wusste, was passieren würde, war ich es ihm schuldig ... dieses Gespräch.

»Wo denkst du, wäre ein geeigneter Ort, um die-ses Gespräch zu führen?«, fragte ich leise.

»Ein Café? Bei mir in der Nähe bekommt man ge-nialen Kaffee!«, schlug er vor und kratzte sich an-schließend nervös am Hinterkopf. »Ich könnte dich danach nach Hause fahren - die Bahn zickt in der letzten Zeit ein wenig rum!« Das er log, sah man selbst aus zweihundert Metern Entfernung. Aber ausschlagen wollte ich das Angebot auch nicht. Denn ein Auto würde ich dem Regional-Express immer vorziehen.

»Ich - ähm - ziehe mich nur schnell um, dann können wir los!«, antwortete ich nervös.

So richtig überzeugt war ich von der Sache nicht. Ich hatte Zweifel daran, dass dieses Gespräch posi-tiv verlaufen würde.

»Wirst du sie kaufen?«

Ich wurde rot und blickte an mir hinab. Der Ge-danke, sie doch zu kaufen, kam mir in den Sinn. Doch ich verwarf ihn wieder. Sie würde im Schrank verrotten, bis sie mir nicht mehr passte. Das wäre Geldverschwendung.

»Nein - mir gefällt die Farbe nicht, denke ich«, erwiderte ich.

»Sehr Schade, sie steht dir nämlich ausgesprochen gut!«, betonte er nochmals.

»Du solltest dich hier als Verkäufer bewerben, der Job würde gut zu dir passen!«, entgegnete ich und verschwand in der Umkleide.

Als ich wieder herauskam, hielt Oliver plötzlich eine Tüte in der Hand und grinste mich an. »Kön-nen wir los?«

Ich hängte die Hose zurück und nickte. Dann machten wir uns wortlos in Richtung Ausgang auf. Ich versuchte Milena über die Regale und Kleider-ständer hinweg zu erspähen, konnte sie aber nir-gends entdecken. Ich würde ihr eine SMS schreiben und mich entschuldigen müssen. Ich würde mir eine Ausrede ausdenke, damit sie mir nicht böse war.

Oliver führte mich in die Tiefgarage und blieb vor seinem alten Golf stehen. Ich wunderte mich immer noch darüber, dass er sich als einfacher Student ein Auto leisten konnte. Ich meine, er wohnte mitten in Düsseldorf in einer ziemlich großen Wohnung und er trug teure Kleidung. Tanja hatte mal beiläufig erwähnt, dass ihr Bruder keine Zeit für einen Ne-benjob hatte. Aber irgendwo musste das ganze Geld ja herkommen. Es ging mich zwar nichts an, aber interessieren tat es mich trotzdem. Denn ich wollte auch irgendwann studieren und das nach Möglich-keit nicht in Klein Schnürstadt. Ich wollte wissen, wie es mir dann ergehen würde. Obwohl, bis ich studieren würde, war vermutlich sowieso alles wie-der ganz anders.

Die Fahrt verlief still. Wir schwiegen, selbst nach-dem wir aus dem Wagen ausstiegen und die Straße entlangliefen. Und mir rutschte das Herz ganz tief in die Hose, als wir vor der gold-grünen Bohne ste-hen blieben. Ich war mir nicht sicher, ob ich Helene in Begleitung von Oliver unter die Augen treten konnte. Sie erinnerte sich zweifelsfrei an mich und sie würde mich bestimmt wieder mit Fragen lö-chern, so wie beim letzten Mal. Und ich wollte heu-te nicht ausgefragt werden.

Doch bevor ich mich meinen Unmut darüber kundtun konnte, hatte Oliver die Tür schon geöff-net und sah mich abwartend an. Ich schluckte und atmete tief durch. Ich würde das Gespräch mit Oli-ver überleben und die Begegnung mit Helene auch. Und wenn es eine Blamage werden sollte, würde ich mich eben nie wieder hier blicken lassen. Darauf käme es dann auch nicht mehr an.

Als wir das Café betraten und ich nach Helene Ausschau hielt, war ich verwundert darüber, hinter dem Tresen ein rothaariges, junges Mädchen zu sehen. Innerlich seufzte ich erleichtert.

Oliver und ich setzten uns an einen der niedrigen Tische, um den diese gemütlichen Sessel herum-standen. Oliver setzte sich mit dem Rücken zur Straße, was mir ganz gut passte, denn ich mochte es nicht, Türen nicht im Blick zu haben.

Das Mädchen kam zu uns und begrüßte Oliver wie einen alten Freund und begann Smalltalk. Wenn ich nicht wüsste, dass er schwul ist, wäre ich glatt eifersüchtig. Obwohl ich dazu kein Recht hat-te. Denn wir beide waren nicht zusammen und würden es vermutlich auch niemals sein.

Nachdem die beiden sich darüber ausgetauscht hatten, wie es ihnen ging und was sie in den letzten Wochen so getrieben hatten, sagte Oliver ihr, dass er sich später mit ihr unterhalten würde. Einen kleinen Moment konnte man ihr ansehen, dass sie die schroffe Art verletzte, aber schon einen Wim-pernschlag später hatte sie Ihre Mimik wieder im Griff und verschwand mit einem aufgesetzten Lä-cheln hinter ihrem Tresen. Sie drehte das Radio lei-ser, in der Hoffnung so etwas von unserem Ge-spräch aufzuschnappen.

Oliver wartete die Radiowerbung ab und räusper-te sich, als das nächste Lied einsetzte.

»Ich bin kein Freund, von lange um den heißen Brei herumreden, deswegen sage ich dir jetzt gleich, was ich zu sagen habe: Ich mag dich Leon! Du bist süß und unschuldig und bestimmt unheimlich klug, aber wir können nicht mehr, als Freunde sein!«

Was er sagte, war genau das, was ich erwartet hatte. Aber irgendwie fiel es mir schwer, es zu ak-zeptieren.

»Aber wenn du mich magst, warum wolle wir es dann nicht versuchen?«, fragte ich ganz leise, ohne ihm in die Augen zu sehen.

»Weil ich fast dreißig bin, verdammt und gerade Mal 16 und weil du Tanjas bester Freund bist und ich ihr Bruder. Sie würde mir das nie verzeihen und ich will sie nicht verlieren, weil sie das letzte Stück Familie ist, dass ich noch habe. Und ich will sie da auch nicht mitreinziehen, weil ich nicht will, dass sie sich zwischen uns entscheiden muss!«, sagte Oliver. Allerdings klang er nicht so, als müsste er mich überzeugen, sondern sich selbst.

»Wir müssten es ihr ja nicht erzählen, zu mindes-tens nicht gleich. Wir könnten erst mal probieren ob es funktioniert und wenn nicht, dann nicht. Dann braucht sie davon auch nicht zu wissen!«, erwider-te ich, in der Hoffnung ihn umstimmen zu können.

Aber Oliver ließ sich nicht umstimmen, denn er sagte: »Leon, wir reden gerade nicht darüber, wie das mit uns funktionieren könnte. Ich versuche dir verständlich zu machen, warum wir beide nicht zusammen sein können! Ich will darüber nicht dis-kutieren, ich will das du mich verstehst!«

Ich schluckte. Diesen mütterlichen Ton, den er an-schlug, mochte ich überhaupt nicht. Bevor ich et-was dazu sagen konnte, brachte uns das rothaarige Mädchen unsere Getränke. Doch ich hatte gerade überhaupt keine Lust auf Cappuccino mit Hasel-nusssirup.

Ich wollte nachhause und mich unter meiner Bettdecke verkriechen. Ich hatte geahnt, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde.

Das Mädchen entfernte sich von unserem Tisch, ich sprang auf, griff nach meiner Jacke und wollte verschwinden. Doch Oliver griff blitzschnell über den Tisch hinweg nach meiner Hand und hielt mich fest.

»Du rennst jetzt nicht schon wieder weg! Wir sind hier noch nicht fertig und klären das jetzt!«

»Was wollen wir denn noch klären? Du willst nicht mit mir zusammen sein, du willst es ja nicht mal versuchen! Aber du willst, dass Tanja nichts davon erfährt. Und ein was kann ich dir verspre-chen: Ich werde es ihr nicht erzählen, ich will mich mit dem Thema gar nicht mehr befassen!« - ich at-mete tief durch - »Ich habe dich verstanden und du musst verstehen, dass ich jetzt gehen will!«

»Du hast gar nichts verstanden! Ich will mit dir zusammen sein, dich kennenlernen, dich küssen. Aber ich will dich nicht verletzten und ich will auch nicht, dass deine erste Beziehung in einer Ka-tastrophe endet! Sei doch nicht so stur und sieh ein, dass das mit uns nicht funktionieren kann und jetzt setz' dich wieder hin und trink' deinen Kaffee - Kind!«

Ich haderte mit mir und wollte trotz seiner wah-ren Worte gehen. Doch dann riss ich mich zusam-men, denn ich wollte nicht, dass er mich als Kind betitelte.

Ich hängte meine Jacke wieder über den Sessel und ließ mich auf meinen Platz gleiten. »Woher willst du wissen, dass du meine erste Beziehung wärst?«, fragte ich neugierig.

Jetzt lächelte auch Oliver. »Du bist die Unschuld in Person! Ich wette, du wirst rot, wenn ich jetzt mit dir über Sex reden würde!«

Ich wurde tatsächlich rot, nur weil er das Wort erwähnte und es war mir so peinlich, dass ich den Blick senkte.

Ich hoffte er würde keine weiteren Scherze auf meine Kosten machen, denn damit konnte ich überhaupt nicht umgehen. Glücklicherweise schien er das auch zu merken, denn er räusperte sich und fragte mich, wie ich zum Schach spiele gekommen war.

»In der 3. Klasse wollten plötzlich alle irgendwel-chen Vereinen beitreten. Tom und Tanja gingen zum Schwimmen, Till und mein Bruder fingen mit Fußball an und Sandy probierte sich in allem mögli-chen aus. Aber ich bin ja total unsportlich und so kam ich zum Schach, weil es in der ganzen Stadt der einzige Verein ist, bei dem man nicht den gan-zen Tag hin- und herrennen muss.«

»Ach komm«, lachte Oliver. »Das ist doch bloß eine Ausrede - eigentlich steckt in dir ein kleiner Nerd, gib's zu!«, sagte Oliver grinsend und stupste mich über den Tisch hinweg an.

»Vielleicht hast du sogar ein ganz kleines bisschen recht!«, entgegnete ich und nippte an meinem Cap-puccino.

»Wir sollten bei Gelegenheit auch Mal eine Runde spielen.«

Ich verschluckte mich beinahe an meinem Kaffee und sah ihn ungläubig an. »Du spielst Schach?«

»Ab und zu - aber nie auf Profi Niveau oder so ...«

Ich sah ihn prüfend an. Das Lächeln, welches sei-ne Lippen umspielte, verriet mir das er log. Aber ich beschloss, das Spiel weiterzuspielen.

»Wenn du Schach so magst, können wir ja im Ap-ril gemeinsam zur Schach-EM gehen. Die findet dieses Jahr in Köln statt und diese Chance sollten wir nutzen, als Schachliebhaber - findest du nicht?«

Oliver blinzelte überrascht, dann wurde sein Ge-sicht von Ablehnung überschattet und ich musste lachen.

»Du brauchst nicht so zu tun, als würdest du Schach mögen, nur um mir zu gefallen«, sagte ich und bekam rote Wangen. »Du gefällst mir auch so.«

Auch Olivers Wangen wurde eine Nuance röter. »Du sollst doch nicht mit mir flirten und mich erst recht nicht zu einem Date einladen!«

Dieses Mal verschluckte ich mich wirklich an meinem Kaffee und sah Oliver während meines Hustenanfalls schockiert an. »Ich habe - ähm - nicht mit dir geflirtet und - ähm - dich auch nicht zu ei-nem Date eingeladen!«, röchelte ich und wandte anschließend den Blick ab.

Oliver seufzte und lenkte das Thema wieder zu-rück in Richtung Schach, in dem er mich fragte, ob ich auch ohne ihn zur EM gehen würde und, ob ich eine andere Begleitung hätte.

Ich sagte ihm, dass ich noch keine Karten gekauft hatte und wenn dann, mit meiner Kontrahentin aus dem Schachclub hingehen würde. Oliver stellte mir ein paar harmlos Fragen über Milena. Nachdem er alles von mir erfahren hatte, was er wissen wollte, waren unsere Cappuccinos leer.

Wir tauschten einen schüchternen Blick aus und Oliver bestellte zwei neue. Wir redeten bis die gold-grüne Bohne schloss.

Ich erfuhr, dass Oliver ich gerne einen Hund zu-legen würde, aber im Moment keine Zeit und kein Geld dafür hatte. Aber er sparte bereits und wollte sich in ein paar Monaten einen Jack Russel Terrier kaufen. Ich erfuhr, dass er in seiner Freizeit gerne Krimis las und jedes Jahr im Sommer zwei Wochen an die Nordsee fuhr, zum campen. Er nutzte diese Zeit zum abschalten und Kraft tanken. Aber Oliver redete nicht gerne über persönliche Dinge, dass merkte man an der Art und Weise, wie er sich aus-drückte. Zurückhaltend, oberflächlich und allge-mein. Er wollte nie zu tief ins Detail gehen und ig-norierte einige meiner Fragen einfach.

Die Bedienung schickte uns hinaus, nachdem sie alle Stühle hochgestellt und alle schmutzigen Tassen zurück ins Regal gestellt hatte. Sie verabschiedete sich von Oliver mit einer freundschaftlichen Um-armung und winkte mir zu. Danach verschwand sie wieder im inneren der goldgrünen Bohne und zog die schweren, grünen Vorhänge zu.

Oliver und ich liefen die Straße hoch und blieben vor seinem Auto stehen.

»Tja«, sagte er, »wir sollten einsteigen - bis nach Klein Schnürstadt brauchen wir 'nee Weile und ich muss ja auch wieder hierherfahren.« Man hörte ihm an, dass er überhaupt keine Lust hatte.

Ich bekam ein schlechtes Gewissen, obwohl ich den Vorschlag - mich nachhause zu fahren - nicht gemacht hatte. Er hatte das angeboten, von sich aus. Ich hätte ihn niemals gefragt. Aber ich würde deswegen keine Diskussion anfangen.

»Du musst mich nicht fahren, wenn du nicht willst - ich brauche mit der Bahn ja nicht solange. Du hast ja bestimmt noch was Wichtiges für die Uni zu machen ... Oder so«, entgegnete ich und vergrub die Hände in den Jackentaschen.

»Es geht nicht um nicht wollen. Ich will dich fah-ren, aber gleichzeitig will ich das du bei mir bleibst, weiß aber was passieren würde, wenn du bleibst und das darf nicht passieren!«

Wenn ich etwas mutiger wäre, würden ich ihn küssen, weil es augenscheinlich das war, was er wollte. Aber ich traute mich nicht und es war ver-mutlich auch gar nicht angebracht.

»Das mit dir zu diskutieren bringt nichts - oder?«

Oliver sah mich einen langen Moment fragend an, ehe er verstand worauf ich hinauswollte und heftig mit dem Kopf schüttelte.

»Wir hatten das doch vorhin schon besprochen! Wir beide können nicht zusammen sein. Das würde mehr Unglück und Leid bringen, als alles andere!« Er seufzte und raufte sich die Haare. »Wenn du etwas älter wärst und nicht Tanjas bester Freund, dann hätte ich dich schon längst in Grund und Bo-den geküsst - aber unter diesen Umständen, können wir das nicht tun!«

Ich wollte es immer noch nicht wirklich akzeptie-ren, auch wenn ich mittlerweile seine Gründe nachvollziehen konnte - zu mindestens ein wenig.

Aber weil ich auch nur ein pubertierender Jugend-licher bin, der gerade enttäuscht wurde und sich zurückgewiesen fühlte. Und deswegen wich ich einen Schritt zurück und funkelte ihn böse an.

»Und wenn du etwas jünger wärst und nicht Tanjas Bruder, wärst du vielleicht nicht so ein Arschloch!«, fauchte ich, wandte mich um und ließ ihn einfach stehen.

Während ich den Weg zum Hauptbahnhof such-te, kämpfte ich gegen die aufkommenden Tränen an. Ich war wütend, ohne zu wissen worauf und mir war speiübel vom ganzen Haselnusssirup.

Ich irrte eine ganze Weile durch Düsseldorf, ohne zu wissen wo ich eigentlich hinlief. Ich musste mir wenig später eingestehen, dass ich mich verlaufen hatte. Als ich dann auf mein Handy sah, um den Weg zu Googlen, musste ich feststellen, dass der Akku leer war. Super - konnte es noch schlimmer werden?

Abrupt blieb ich stehen. Das wars. Das kurze, un-spektakuläre Leben des Leon Schneider, erfroren mitten in Düsseldorf auf der Suche nach dem Weg nachhause. Wenigstens ist das nicht ganz so drama-tisch wie bei Titanic!

Ich stand mitten auf dem Gehweg, um mich her-um waren überall Menschen und Autos und Lärm. Ich sollte jemanden nach dem Weg fragen. Irgend-wer hier kannte ihn bestimmt. Allerdings sahen alle so gestresst und unfreundlich aus, dass ich mich nicht traute an sie heranzutreten.

Schlussendlich drehte ich mich also um und lief den ganzen Weg zurück, zu Olivers Wohnung. Hier fuhr eine Straßenbahn, die mich direkt zum Hauptbahnhof bringen würde. Ich hätte gleich die-sen Weg wählen sollen. Aber in meiner Wut hatte ich daran gar nicht mehr gedacht. Es war verwun-derlich, dass ich in meiner Unachtsamkeit nicht überfahren worden bin.

Ich überquerte die Straße und studierte den Fahr-plan. Fast 30 Minuten dauerte die Fahrt bis zum Hauptbahnhof und dort konnte es passieren, dass ich bis zu zwei Stunden auf den Regional-Express warten musste.

Ich schielte hoch zu Olivers Wohnung. Es brannte Licht in der Küche. Er war also nachhause gegan-gen. Vermutlich aß er gerade und würde danach ins Bett gehen, als wäre nichts von all dem heute geschehen. Es war vermutlich besser so. Ich sollte das auch einfach vergessen und so tun, als wäre nie etwas passiert - als hätte ich ihn nie kennengelernt. Aber vorher sollte ich mich zu mindestens noch für vorhin entschuldigen.

Im selben Moment, in dem ich diesen Gedanken fasste, fuhr die Straßenbahn langsam in die Station ein. Mir blieb nicht mehr viel Zeit für eine Entschei-dung. Und ich wollte wegen meiner Unentschlos-senheit keine weiteren 15 Minuten in der Kälte ste-henbleiben müssen.

Ich blickte noch einmal zu Olivers Küchenfenster. Das Licht brannte noch immer und die Straßenbahn kam direkt vor mir quietschend zum Stehen.

Ich musste mich entschuldigen, aber so wie ich mich kannte, würde ich eh kein vernünftiges Wort herausbringen. Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.

Die Türsignale der Bahn leuchteten hellrot auf und ein Alarm ging los. Ich sprang in den Wagon und suchte mir einen freien Platz. Während der Zug losrollte, starrte ich weiterhin Olivers Küchen-fenster an. Und ich wandte den Blick erst ab, als es schon längst aus meinem Blickfeld verschwunden war.
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 

Als ich gute zwei Stunden später zur Wohnungs-tür hereinstolperte, war niemand zuhause. In der Küche standen Nudeln und Tomatensoße bereit. Meine altmodische Mutter hatte einen Zettel dane-bengelegt, auf dem stand, dass mein Vater und sie erst morgen Abend zurückkommen würden. Wo sie waren, hatte sie nicht vermerkt.

Meine Eltern waren ständig unterwegs, schon seit alt genug dafür waren, länger als ein paar Stunden allein zu bleiben. Letztes Jahr waren sie mitten in den Sommerferien für eine Woche an die Ostsee gefahren, ohne ein Wort zu sagen.

Bevor ich mich, um etwas zu essen kümmerte, brachte ich meine Tasche in mein Zimmer und steckte mein Handy an den Strom. Nachdem es wieder genug Akku hatte, dass ich es anschalten konnte, trudelten sofort viele böse Nachrichten von Milena ein. Sie war wirklich sauer und verlangte von mir eine gute Entschuldigung. Ich würde mir etwas einfallen lassen, was nicht ganz gelogen war.

Während ich mir all ihre Nachrichten durchlas, erreichte mich eine neue Mitteilung. Tom hatte mich unter einem Bild in Facebook, in einem Kommentar erwähnt. Und als ich das sah, war Milena verges-sen. Denn mir war gerade die rettende, wie ich mich bei Oliver entschuldigen konnte: Facebook!

Ich ließ mich aufs Bett plumpsen und durchsuchte Tanjas ellenlange Freundschaftsliste. Zum Glück fand ich ihren Bruder recht schnell und zum Glück hatte er kein privates Profil. So konnte ich ihm schreiben, ohne ihm vorher eine Freundschaftsan-frage schicken zu müssen-

Nachdem ich ein paar Mal tief durchgeatmet hat-te, begann ich zu tippen:
 

»Hi Oliver,

ich wollte mich nur vorhin entschuldigen. Ich hätte dich nicht beleidigen dürfen.

Ich mag dich trotzdem, auch wenn ich heute solche ge-meinen Dinge gesagt habe. Ich hoffe, wir können uns irgendwann Mal als Freunde gegenüberstehen. Bis da-hin, alles Gute.«
 

Zufrieden mit meinem Text, schickte ich ihn ab und legte dann mein Telefon aus der Hand. Mein Magen knurrte und ich hatte plötzlich riesigen Hunger.

Ich wollte dabei in meinem neuen HTML5-Buch lesen, doch als ich es aus meiner Schultertasche ho-len wollte, lag obendrauf eine H%M-Tüte. So eine, wie Oliver sie vorhin bei sich hatte.

Ich seufzte schwer und ließ den Kopf hängen. Er hatte sie bestimmt in der goldgrünen Bohne in mei-ne Tasche gepackt, weil er sich nicht mehr mit sich herumschleppen wollte.

Ich sollte ihm schreiben, damit er sie sich abholen konnte.

Ich wollte die Tüte gerade aufs Bett schmeißen, als mich die Neugierde packte. Was er sich wohl ge-kauft hatte?

Als ich jedoch sah, was sich darin befand, traf mich beinahe der Schlag. Oliver hatte sich die Hose gekauft, die ich vorhin anprobiert hatte und auch noch in derselben Größe. Schockiert nahm ich die Hose aus der Tüte und hielt sie in die Höhe. Nach-denklich sah ich sie an und riss dann die Augen auf. Oliver hatte die Hose nicht für sich gekauft, sondern für mich! Denn seine Beine waren kräftiger als meine und sein Becken war auch breiter, deswe-gen könnte ihm diese Größe nicht mal passen, wenn er abnehmen würde.

Ich grinste die Hose dümmlich an. Denn sie war das Zeichen dafür, dass ich mein Happy End mit ihm vielleicht doch noch bekommen würde.

Bevor ich in die Küche ging, bedankte ich mich bei Oliver und hoffte, er würde mir antworten.

Zuerst schließen wir die Augen, dann sehen wir weiter.

Meinen Sonntag verbrachte ich zum größten Teil bei Tom.

Zuerst meckerte er mich fast eine halbe Stunde an, weil ich gestern einfach nicht aufgetaucht war und nicht abgesagt hatte. Und danach beschwerte er sich fast eine ganze Stunde über unsere Hausaufgaben. Ich hatte ihm nur mit einem Ohr zugehört und stattdessen auf mein Handy gestarrt. Immerhin wartete ich noch auf eine Antwort von Oliver. Er hatte meine Nachrichten bekommen und gelesen, aber anscheinend nicht für nötig zu halten, mir zu antworten. Doch so schnell würde ich die Hoffnung nicht aufgeben. Ich hatte schon mal länger auf Antworten gewartet.

Nachdem Tom sich fast zwei Stunden über alles beklagt hatte, was ihm auf dem Herzen lag, konnten wir endlich mit unserem Projekt für die Informatik AG beginnen.

Da wir uns das Thema für unseren Vortrag aussuchen konnten, schlug ich vor über die Unterschiede und Vor- und Nachteile von HTML und Java zu sprechen. Doch das war Tom zu anspruchsvoll. Er wollte ein Thema, bei dem er nicht viel vorarbeiten und auch nicht viel erzählen musste. Also schlug ich vor eine Alexa umzuprogrammieren. Für die Idee warf er mir ein Kuscheltier an den Kopf!

Wir überlegten noch beinahe eine ganze Stunde hin und her, bis wir uns dazu entschieden, über die Geschichte von HTML zu sprechen. Tom würde die Präsentation am Computer erstellen und ich die Informationen zusammentragen.

Als wir uns gegen 18 Uhr voneinander verabschiedeten, hatten wir zu mindestens eine grobe Gliederung erstellt und ich wusste, welche Bücher ich mir in den nächsten Tagen aus der Bibliothek ausleihen musste.
 

Wenig später schloss ich zuhause die Tür auf und wurde von meiner kochenden Mutter begrüßt, die sich dabei lautstark über ihren Job und ihre Patienten aufregte, die in jedem Kratzer ihr eigenes Todesurteil sahen. Mein Vater stand derweil mit einer Zigarette und einer Flasche Bier auf dem Balkon. Das er damit die nächste Zielscheibe seiner schnellschießenden Frau abbildete, war ihm herzlichst egal. Denn er ignorierte sie gekonnt, als sie ihn dafür anzählte, dass er nicht auf seine Gesundheit achtete.

Ich begrüßte beide, ehe ich in mein Zimmer ging und meine Tasche in die Ecke feuerte. Mein Blick fiel auf die Hose, die Oliver mir gekauft hatte. Da kam mir wieder in den Sinn, was mich heute den ganzen Tag schon beschäftigt hatte: Oliver hatte mir immer noch nicht geantwortet! Und da der Sonntag nun fast vorbei war, glaubte ich auch nicht, dass er mir überhaupt noch antworten würde.

Geknickt ließ ich den Kopf hängen und räumte die Hose in den Schrank. Ich machte mich auf den Weg in die Küche und redete mir währenddessen ein, dass es besser für uns beide war, getrennte Wege zu gehen. Das würde uns wirklich viele Scherereien ersparen! Anscheinend war ein Altersunterschied von 10 Jahren doch zu gravierend. Irgendwie wollte ich es nicht akzeptieren. Immerhin klappte das bei anderen Paaren doch auch irgendwie. Aber anscheinend gab es bei Oliver und mir kein „irgendwie“. Und ich musste mich damit abfinden, wenn ich mich wieder fangen wollte.

Die eine Träne, die sich hartnäckig aus meinem Augenwinkel kämpfte, wischte ich entschieden weg, bevor ich meiner Mutter unter die Augen trat.

Maximilian saß auf der Küchentheke und verhandelte mit unserer Mutter über eine Taschengelderhöhung, während er hektisch seine Brokkoli Suppe löffelte. Unsere Mutter erklärte ihm, dass er mit 30 Euro in der Woche, besser dran war, als manch anderer in seinem Alter. Danach schlüpfte sie in ihre Schuhe, wuschelte mir zum Abschied durch die Haare und verschwand im Flur. Sie hatte heute Nachtschicht und mein Vater würde sie nach Düsseldorf fahren. Meine Mutter fuhr nicht gerne über die Autobahn und schon gar nichts nachts. Sie sagte, da brettern um diese Uhrzeit einfach zu viele Idioten lang. Und sie möchte nicht als Patientin in ihrer Notaufnahme landen.

Die Wohnungstür fiel laut ins Schloss, als ich gerade meine Schüssel mit Suppe füllte.

»Ich glaube, ich habe mich verliebt!«, sagte Maximilian in diesem Moment theatralisch.

Verwirrt drehte ich mich zu ihm um und rechnete tatsächlich damit, dass er mir das Bild von irgendeinem Mädchen zeigen würde. Doch er hielt mir nur seine Schüssel unter die Nase und lachte laut los, als er mein enttäuschtes Gesicht sah.

»Du bist blöd; über die Liebe scherzt man nicht!«, meckerte ich und würdigte ihn keines Blickes mehr.

»Warum? Bist du etwa verliebt?«, fragte Maximilian und zog das Wort unnötig in die Länge.

»Kann ja nicht jeder ohne Liebe auskommen, so wie du!«, antwortete ich pikiert und ging mit meiner Schüssel zum Esstisch im Wohnzimmer.

Zu meinem Leidwesen folgte Maximilian mir.

Er grinste mich spöttisch an, als er sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen ließ. »Wie heißt sie? Kenne ich sie?«

»Geht dich nichts an und nein!«, entgegnete ich und bemühte mich um einen wirklich ernsten Tonfall.

Doch wie ich bereits erwähnte, bin ich ein schlechter Lügner und mein Bruder wäre nicht mein Bruder, wenn er das nicht sofort durchschaut hätte.

Er beugte ich über den Tisch und boxte mir gegen die Schulter. »Lüg mich nicht an! Du kannst mir nichts verheimlichen, also sag schon: Wer ist sie?«

Ich spielte einen Moment tatsächlich mit dem Gedanken, ihm reinen Wein einzuschenken, verwarf ihn dann aber wieder. Warum sollte ich schlafende Hunde wecken? Ich war mir selbst nicht sicher, was ich wollte oder was ich bin!

»Ich erzähle es dir, wenn es etwas wird«, antwortete ich ausweichend und widmete mich wieder meiner Suppe.

»Wenn du Tipps brauchst oder Hilfe, musst du nur fragen!«, sagte Maximilian altklug und selbstüberheblich. Wenigstens besaß er den Anstand rot zu werden, während mir beinahe der Löffel in die Schüssel gefallen wäre vor lauter Schreck.

»Ich bin aufgeklärt und brauche keine Sex Tipps und erst recht nicht von dir!«, entgegnete ich entrüstet.

Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung, was ich machen musste, wenn es je dazu kommen sollte. Das hatte in meinem Leben bisher auch keine Rolle gespielt. Und einen Gedanken an Sex mit Oliver hatte ich noch gar nicht verschwendet.

Jetzt wurde ich rot. Danke Maximilian! Die Kussfantasien war ich gerade losgeworden, da pflanzte mein Bruder einen neuen, verheerenden, Gedanken in meinem Gehirn.

Ich sollte doch darüber nachdenken, mir ein Loch im Garten graben zu gehen. Damit wäre vermutlich jedem geholfen, einschließlich mir selbst.

Mir war unser Gespräch schon jetzt endlos peinlich, aber mein Bruder trieb es mit folgendem auf die Spitze: »Sag Lelo; hattest du überhaupt schon Mal Sex?«

Mittlerweile konnte meine Gesichtsfarbe mit jedem Ziegelstein in Konkurrenz treten.

»Müssen wir das Gespräch führen? Das geht dich gar nichts an«, murmelte ich und senkte betreten den Blick. Am liebsten würde ich mich für immer in meinem Zimmer einschließen und nicht mehr existieren.

»Ich will dir ja nur das Gespräch mit Mama und Papa ersparen! Glaub mir, es gibt nichts Schlimmeres. Da rede ich ja lieber mit dir über Sex!«

»Ich will aber nicht mit dir darüber reden!«, antwortete ich und klang dabei wie unsere Mutter, wenn sie mal wieder einen ganz schlechten Tag erwischt hatte.

»Dann eben nicht!«, fauchte Maximilian und stand auf. Er ließ seine Suppe stehen und verzog sich in sein Zimmer.

Nachdem er die Tür lautstark zugeknallt hatte, seufzte ich. Er wollte mir kein Gespräch mit unseren Eltern ersparen; er hatte gehofft intime Informationen aus erster Hand zu bekommen. Aber ich würde schweigen wie ein Grab, selbst wenn irgendwann mal etwas passieren sollte.

Aber wenn Maximilians Neugier nicht gestillt werden konnte, war er unausstehlich – so wie die meisten Menschen.

Trotzdem machte sich das schlechte Gewissen in mir breit und ich wäre ihm beinahe nachgerannt, um doch noch alles zu erzählen. Zum Glück konnte ich mich aber doch davon abhalten. Es wäre eine Katastrophe geworden und mein Zwilling hätte mich danach behandelt, als käme ich vom Mars. Denn so bekam man es in dieser Stadt beigebracht. Schwul sein, lesbisch sein, einfach anders zu sein war hier in Klein Schnürstadt in etwa so verpönt, wie rechtspopulistische Parteien im Bundestag! Wenigstens das konnte man den Bewohnern dieser Kleinstadt zu Gute halten: Sie waren nicht ausländerfeindlich!

Ich brachte das Geschirr von mir und meinem Bruder in die Küche und schaltete anschließend überall das Licht aus.

In meinem Zimmer angekommen, warf ich zuallererst ein Blick auf mein Handy. Mein Herz begann schon vor lauter Aufregung zu hämmern, bevor ich überhaupt das Display angeschaltet hatte. Doch als ich sah, dass Oliver noch immer nicht geantwortet hatte, setzte es beinahe aus.

Ich seufzte gekränkt und stellte meinen Wecker. Danach legte ich mich ins Bett. Und während ich der Uhr über meiner Tür beim Ticken zuhörte, dachte ich über Oliver nach und fragte mich, warum er mir nicht antwortete. Dieser Gedanke verfolgte mich schließlich bis in meine Träume, die mich kurz darauf ereilten.
 

.◦’°’◦ ♥.◦’°’◦.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sprang ich zuallererst unter die Dusche. Anschließend suchte ich die Küche auf, weil mein Durst nach Koffein gestillt werden musste.

Meine Mutter war bereits von ihrer Nachtschicht zurückgekehrt und stand an der Theke. Sie trank ihren Gute-Nacht-Kaffee und las in der Zeitung irgendwelche sinnlosen Anzeigen. Da jeder Haushalt in Klein Schnürstadt die Lokalzeitung kostenlos geliefert bekam, hielt es meine Mutter es nicht für nötig noch eine andere Zeitung zu kaufen. Dass man aus diesem Schmierblatt nicht viel Wissenswertes erfuhr, interessierte sie dabei herzlichst wenig. Meine Mutter interessierte sich eigentlich sowieso nur für die Kontaktanzeigen der Nachbarn. Die Verzweiflung mancher Menschen fand sie sogar so amüsant, dass sie sich sonntags stundenlang mit ihren Freundinnen darüber lustig machte.

Heute sah sie jedoch so aus, als würde im „Schnürstadt Anzeiger“ der sichere Weltuntergang prophezeit werden.

Ich wünschte ihr einen „Guten Morgen“ und goss mir anschließend unbeirrt Kaffee in meine Lieblingstasse. Wenn es wichtig war, würde sie mir schon erzählen, was sie so Schockierendes gelesen hatte.

Meine Mutter wachte ein paar Sekunden später aus ihrer Schockstarre auf. Sie sah mich einen Moment nachdenklich an, ehe sie den Kopf schüttelte.

»Zum Glück brauche ich mir darüber bei euch beiden Gedanken zu machen«, sagte sie leise, als wäre ich gar nicht da.

Sie legte die Zeitung bei Seite und leerte ihre Tasse in einem kräftigen Schluck.

»Hab‘ einen schönen Tag Liebling«, sagte sie zu mir und küsste mich auf die Stirn, ehe sie in Richtung Schlafzimmer abzog.

Kaum war die Schlafzimmertür ins Schloss gefallen, zog ich die Zeitung quer über die Theke zu mir herüber. Ich überflog den Artikel, den meine Mutter gerade gelesen hatte, bloß, doch schon die Überschrift jagte mir eine ganze Reihe unangenehmer Schauer über den ganzen Körper.

Ein Schlürfen holte mich schließlich aus meiner Trance zurück.

Maximilian kam gerade in die Küche und zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Normalerweise war er ein echter Frühaufsteher und ich der Morgenmuffel, aber heute schienen wir die Rollen irgendwie vertauscht zu haben. Obwohl ich allen Grund hatte, so dreinzuschauen wie er!

Er ging direkte zur Kaffeemaschine, ohne mir weitere Beachtung zu schenken.

»Gestern Nacht wurden in Köln zwei Männer beinahe totgeprügelt, weil sie sich auf einer Parkbank geküsst haben!«, stieß ich entsetzt aus. Ich konnte es einfach nicht für mich behalten.

»So etwas passiert. Wer weiß, was die Angreifer alles im Blut hatten«, antwortete Maximilian ungerührt und häufte weiter Zucker in seinen Kaffee. »Mich würde es nicht wundern, wenn so etwas auch hier passieren würde – sollte sich jemand öffentlich outen!«

Ich bin so schockiert über das was mein Bruder sagt, dass ich gar nicht weiß, was ich dazu sagen soll.

»Würdest du so etwas auch tun? Einen Mann verprügeln, weil er einen anderen Mann küsst?«, fragte ich vorsichtig und schob die Zeitung von mir.

Mein Bruder war niemand, der den ganzen Tag gegen Homosexuelle hetzte. Aber jedes Mal, wenn man ihn auf das Thema ansprach, reagierte er, als wäre das Ganze eine ansteckende Krankheit! Würde er so auch auf mich reagieren, wenn er herausfand, dass ich mir eher einen Mann an meiner Seite wünschte, als eine Frau?

»Sollen sich doch andere die Hände so etwas schmutzig machen«, antwortete Maximilian reichlich verspätet auf meine Frage.

Mir würde plötzlich ganz flau im Magen. Ich goss meinen Kaffee beinahe unangerührt ins Spülbecken und verschwand dann wortlos in mein Zimmer.

Am liebsten wollte ich mich jetzt in Olivers Arme flüchten und von ihm hören, dass er niemals zulassen würde, dass mir so etwas passierte.

Doch als ich mein Handy in die Hand nahm und Facebook öffnete, musste ich feststellen, dass Oliver mich blockiert hatte, ohne mir zu antworten. Ich schleuderte das Handy zurück auf die Matratze und hatte Mühe und Not, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. So elend, wie gerade, hatte ich mich noch nie gefühlt. Aufgelöst, wütend und schwerfällig zu gleich. Abgeschlagen und müde, als hätte ich tagelang nicht geschlafen. Dann war ich plötzlich wieder gereizt und spürte die unbändige Wut in mir. Und alles nur wegen diesem blöden Studenten! Hätte ich ihn niemals kennengelernt, würde ich noch immer in meiner friedvollen Leon Welt leben, die nur aus Schach und Informatik bestand. Ich wollte mit diesem ganzen Liebeskram nichts zu tun haben; aus gutem Grund, wie man sah!

Ich riss die Türen zu meinem Kleiderschrank auf und mir fiel direkt Olivers Hose entgegen. Als wollte sie mir noch einmal vor Augen halten, dass ich etwas wollte, was ich niemals haben konnte.

Ich hielt die Hose fest. War es das wert? Die Tränen, den Stress, den Ärger, das Risiko?

Ich presste die Hose in meinen Händen zusammen und verbannte sie in die hinterste Ecke meines Schranks.

Ich schnappte mir eine meiner Lieblingshosen und mein Lieblings Karohemd.

Ich würde so bleiben, wie ich war und mich nicht von diesem kurzen Intermezzo verändern lassen. Oliver hatte recht: Wir beide passten nicht zusammen! Und wir sollten uns lieber voneinander fernhalten, bevor wir einander noch mehr verletzten, als wir es eh schon getan hatten.
 

Zwanzig Minuten nach diesem Entschluss, befand ich mit Maximilian auf dem Weg zur Schule. Er gähnte die ganze Zeit und beschwerte sich in regelmäßigen Abständen über das Wetter, die kalten Temperaturen und den grauen Himmel, der einfach nicht aufklaren wollte.

Schien so, als würde sich seine übliche Frühaufsteher-Laune nicht einspielen.

Daran änderte sich auch nichts, als wir unterwegs auf Tanja trafen. Die machte einen ähnlichen Eindruck wie Maximilian.

Wir redeten kein einziges Wort miteinander.

Vor der Schule trafen wir auf Tom, der am Wochenende niemanden außer mir gesehen hatte. Dementsprechend viel hatte er natürlich zu erzählen.

Da ich mir die Schimpftriaden gestern schon angehört hatte, ignorierte ich Toms Geschwafel großspurig und hielt nach Sandy Ausschau. Die hatte morgens in der Regel Dieselbe schlechte Laune wie ich und war mir in der Früh deswegen lieber, als jeder andere.

Tom steckte mit seiner guten Laune auch langsam Maximilian an. Unsere Mutter sagte immer, dass ihm selbst um 4.00 Uhr schon die Sonne aus dem Arsch schien und ignorierte ihn bis um 10 Uhr genauso wie ich. Der Einzige, der es in der Zwischenzeit in seiner Nähe aushielt, war unser Vater. Aber von dem hatte Maximilian das ja auch geerbt!

Nachdem Tom mit seinem Geschrei fertig war, legte Tanja los. Die regte sich aber nur kurz über ihren Freund auf. Dann entdeckte sie Jan auf der anderen Seite des Schulhofs und verschwand mit dampfenden Ohren.

Ich warf Tom einen kurzen fragenden Blick zu, der mir daraufhin erzählte, dass Tanja gestern den ganzen lieben langen Tag versucht hatte, Jan zu erreichen. Der hatte das in seinem Rausch aber entweder nicht mitbekommen (seine Vermutung) oder unseren Kaktus gewissenhaft ignoriert, so wie es jeder normale Typ tun würde, wenn die Freundin einem auf die Nerven gehen will (Maximilians Vermutung).

»Also ich möchte jetzt nicht in Jans Haut stecken«, sagte Maximilian und grinste breit, ehe das Gesagte noch einmal revidierte. »Obwohl Sex mit wütenden Frauen geil ist! Und mit Tanja stelle ich mir das Ganze besonders heiß vor!«

Tom und ich hatten ihn ähnlich verstört angesehen.

»Oh nein, nein, nein Maximilian! Bei dieser Frau sollte sich dein Schwanz ganz weit nach hinten verziehen! Sex mit der besten Freundin ist tabu; zum ersten, weil sie vergeben ist und zum zweiten, weil das in deinem Fall nur Probleme mit sich bringt!«, sagte Tom entsetzt. Ich nickte zustimmend.

Mein Bruder hob abwehrend die Hände. »Ich fange schon nichts mit Tanja an, keine Sorge! Die Frau braucht Liebe und die kann ich ihr nicht geben!«, sagte er und seufzte. »Aber wenn sie mich jemals fragen sollte, ob ich mit ihr schlafe, werde ich nicht nein sagen – nur damit das klar ist!«

Tom verzog angewidert das Gesicht und mir platzte zum ersten Mal, in Bezug auf das Sexualleben meines Bruders, der Kragen.

Ich hatte mir vor einem Jahr, als die Sache mit Sarah passiert war, geschworen, mich nicht einzumischen. Aber auch nur, weil Maximilians Macho-Auftreten unsere Clique nicht gefährdet hatte.

Doch jetzt, wo er ernsthaft mit dem Gedanken spielte, unsere beste Freundin seiner endloslangen Liste an Verflossenen hinzuzufügen, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten!

»Du bist krank Maximilian! Ich kann wirklich nicht glauben, dass du für deine eigene Befriedigung sogar unsere Freundschaft aufs Spiel setzt! Wie kann man nur so widerlich sein?«

Ich wollte von ihm keine Antwort auf diese offensichtlich rhetorisch gemeinte Frage; ich wollte hier einfach nur weg.

Während ich blindlinks über den Schulhof stürmte, ging ich im Kopf unseren Stundenplan durch. Ich wollte ja nicht aus Versehen im falschen Haus landen.
 

Im richtigen Klassenraum saß noch fast niemand. Außer Stella und Lisa, waren nur ein paar andere anwesend, die noch schnell die Hausaufgaben voneinander abschrieben.

Ich setzte mich ganz nach Hinten, an einen eingestaubten Einzelplatz, der schon seit vielen Monaten nicht mehr genutzt worden war.

Während ich meine Materialen aus der Tasche holte, fühlte ich mich irgendwie benommen, als würde ich träumen und die Dinge gar nicht richtig miterleben. So etwas war mir noch nie passiert. Aber es hatte sich ja in den letzten Wochen schon so viel geändert, dass ich mich darüber nicht mehr wundern sollte.

Meine Freunde kamen kleckerweise hereingeschneit. Tom setzte sich in die erste Reihe. Till und Sandy, die direkt nach ihm kamen, schienen sich – ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen – am Wochenende gestritten zu haben und deswegen nicht nebeneinander sitzen zu wollen. Deswegen nahm Sandy neben Tom Platz und Till setzte sich zwei Reihen dahinter. Als nächstes kam Maximilian, der sich neben Till niederließ, ohne lange darüber nachzudenken. Tanja war die letzte, die den Raum betrat und bei ihrer Platzsuche etwas verloren wirkte. Ihre übliche Sitznachbarin stand ihr nicht zur Verfügung und Maximilian, der sonst ihre bevorzugte Wahl war, schien sich meine Worte zu Herzen zu nehmen und hielt sich von ihr fern.

Tanja setzte sich notgedrungen neben Rick und sah mich dabei forschend an. Vermutlich versuchte sie zu verstehen, warum ich lieber an einem Einzelplatz saß, statt ihr einen Platz freizuhalten.

Ich hielt ihrem Blick nicht lange stand. Ich fühlte mich schrecklich, als würde ich sie betrügen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sie den Kopf hängen ließ und sich der Tafel zu wandte.

Ich legte den Kopf auf die Tischplatte und sah aus dem Fenster.

Freundschaften veränderten sich mit zunehmendem Alter und manche zerbrachen auch am Erwachsenwerden. Ich wollte nicht, dass das mit unserer Clique auch passierte. Aber anscheinend war es nicht mehr abzuwenden.
 

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Nach dem Unterricht suchte ich direkt den Raum auf, in dem sich der Schach-Verein traf. Milena saß bereits an unserem üblichen Tisch und hatte das Spielbrett aufgebaut.

Allerdings schien sie nicht gerade erfreut darüber, mich zu sehen. Sie nahm mir die Aktion vom Samstag zweifelsfrei immer noch übel. Aber wenigstens ließ sie mich hier nicht im Stich.

Zögerlich setzte ich mich und starrte auf das Spielbrett hinab. Sie erwartete eine persönliche Entschuldigung, was ich ihr auch nicht verübeln konnte, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte ihr ja schlecht die Wahrheit sagen! Aber außer dieser gab es absolut keinen plausiblen Grund für mein Verschwinden.

Ich seufzte schwer. »Milena, ich will-«

»Nein Leon, keine halbherzigen Entschuldigungen oder Ausreden! Lass uns einfach spielen!«, unterbrach sie mich ruppig und hob gleichzeitig die Hand.

Ich brauchte einen kurzen Moment, um mich wieder zu sammeln. Dann nickte ich und griff nach der ersten Figur und machte meinen Zug.

Milena spielte heute rücksichtslos und ohne nachzudenken. Es war schlimm und machte keinen Spaß. Am liebsten würde ich den Partner wechseln. Aber zu meinem Leidwesen hatten die anderen Vereinsmitglieder auch schon bemerkt, dass mit Milena etwas nicht stimmt und deswegen bereits großen Abstand von uns genommen. Auch die betreuende Lehrkraft, die Zeit bei jedem Pärchen verbrachte und ab und an Tipps gab, machte einen großen Bogen um uns. So wurden die zwei Stunden beinahe zu einer unerträglichen Höllenfahrt. Und ich war vermutlich noch nie zuvor so froh darüber, dass unser Lehrer die Sitzung früher beendete, als üblich.

Milena stand auf, nahm ihre Tasche und sah mich auffordernd an.

»Da ich alles aufgebaut habe, wirst du aufräumen!«, sagte sie energisch und verschwand, bevor ich darauf etwas erwidern konnte.

Paul – ein 11. Klässler, der eigentlich überhaupt nichts für Schach übrighatte und seine Freizeit trotzdem hier verbrachte – lachte gehässig und rief quer durch den Raum: »Oho – Ehekrise beim Königspaar!«

Die anderen Vereinsmitglieder stiegen in sein Gelächter mit ein.

Ich spielte einen kurzen Moment mit dem Gedanken, etwas darauf zu erwidern. Doch am Ende hielt ich lieber den Mund und sammelte meine Figuren zusammen.
 

Der Weg nachhause dauerte heute irgendwie länger als sonst.

Es war schon längst dunkel, nur die Straßenlaternen spendeten einem noch etwas Licht. Es war wenig los auf den Straßen. Kaum ein anderer Fußgänger war zu sehen und nur vereinzelt ein paar Autos.

Ich vergrub das Kinn im Kragen meiner Jacke und senkte den Blick auf den Boden.

Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde gleich platzen. Der Ärger mit Milena, die Unklarheiten zwischen Oliver und mir, die Veränderungen in unserer Clique. Und dann war doch meine ganz eigene Krise. Wer bin ich, wer will ich sein, wer will ich werden. Ich fühlte mich im Moment überfordert, unverstanden und hilflos. Aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte oder wie ich das ändern konnte.
 

Den Weg nachhause kannten meine Füße in und auswendig. Deswegen wunderte es mich nicht, dass ich vor unserem Haus stand, als ich das nächste Mal hochsah.

In unserer Wohnung brannte Licht. Bestimmt saß mein Vater mal wieder vor dem Fernseher, während sich meine Mutter um angefallene Hausarbeit kümmerte.

Maximilian war sicherlich unterwegs, um ein Mädchen zu finden, dass ihn zu Tanjas Geburtstag in zwei Tagen begleiten sollte. Er hielt zwar nichts vom Valentinstag, war aber niemand der zu einer Party ohne Begleitung auftauchte.

Als unsere Tante letztes Jahr geheiratet hatte, hatte er auf den letzten Drücker ein Mädchen aus ihrer Heimatstadt aufgegabelt und mitgeschleift. Die beiden waren schlussendlich auch die ersten, die von der Party verschwunden waren. Und als Maximilian am nächsten Morgen diese verdächtig gute Laune hatte, wusste ich wo der Hase langläuft. Sie war das erste Mädchen, mit dem er nach Sarah ausgegangen war und der Start einer Liste voller Kummer.
 

Ich zog mir die Schuhe schon vor der Wohnungstür aus. Durch die Tür hörte ich den Staubsauger und die leise Stimme meiner Mutter, die sich darüber beschwerte, dass mein Vater ihr nie unter die Arme griff.

Wenn ich Pech hatte, hatte sie ganz, ganz schlechte Laune und würde mich zum Helfen verdonnern. Darunter litt nicht nur meine Freizeit, sondern auch meine Zeit fürs Lernen und Hausaufgaben machen. Aber wenn meine Mutter schlechte Laune hatte, nahm sie darauf nie Rücksicht.

Doch als ich mich dazu aufraffen konnte die Tür zu öffnen, war meine Mutter, samt ihrem Staubsauger bereits aus dem Flur verschwunden. Jetzt geisterte sie im Wohnzimmer herum und legte sich mit meinem Vater an.

Ich flitzte schnell in mein Zimmer und verhielt mich von da an wie ein Toter, damit der Teufel mich nicht doch noch holen kam.
 

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Am Dienstagmorgen war die Wohnung bereits verlassen, als ich aufstand. Maximilian hatte die Nacht also nicht zuhause verbracht und meine Eltern waren bereits auf der Arbeit.

In der Küche stand eine volle Brotbox für mich und für meinen Bruder, auf der ein Zettel klebte. Meine Mutter hatte also auch bemerkt, dass ihr zweiter Sohn andere Betten seinem eigenen vorzog. Und so wie ich das las, hatte er sich nicht einmal gemeldet, worüber meine Mutter gar nicht froh war. Der konnte sich was anhören heute Abend!

Auf dem Weg zur Schule traf ich auch nicht auf Tanja, was mich aber nicht weiter wunderte. Entweder musste sie sich seelisch und moralisch auf ihren Geburtstag vorbereiten oder ihr ist im letzten Moment noch aufgefallen, dass sie für morgen gar nichts anzuziehen hat.

In der Schule traf ich nur auf Tom, der Rest fehlte auch hier. Und als ich Tom fragte, wo Sandy und Till waren, zuckte der nur mit den Schultern und starrte danach wieder wie ein Geisteskranker auf sein Smartphone. Wir redeten bis zum Stundenklingeln kein Wort mehr miteinander, was ziemlich untypisch für uns war. Aber ich traute mich nicht, etwas dagegen zu unternehmen.

Mein Bruder tauchte schließlich im Laufe des Vormittags irgendwann auf und Sandy und Till erschienen bloß zu den letzten beiden Stunden. Von Tanja fehlte nach wie vor jede Spur.

Milena mied mich auch heute und verschwand immer sofort, wenn ich in ihrer Nähe auftauchte.

Irgendwie war gerade alles schwierig und kaputt und erschien so, als läse es sich nicht reparieren.
 

Nach dem der reguläre Unterricht vorbei war, fand die Informatik AG statt und Tom redete zum ersten Mal an diesem Tag wieder mit mir.

Er erzählte von seinem großen Bruder Marvin, der in den USA studierte und zurzeit ein wenig Heimweh hatte.

Tom wirkte bedrückt und nahm sich vor Geld zu sparen, um in den Sommerferien nach Kalifornien fliegen zu können.

Ich kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass die das niemals erlauben würde. Aber da ich nicht wollte, dass er noch schlechtere Laune bekam, band ich ihm das nicht auf die Nase. Und wer weiß. Vielleicht schaffte er es ja auf diesem Weg, Marvin in den Sommerferien einzufliegen.
 

Unser AG Leiter wollte gleich zu Beginn wissen, für welche Präsentationsthemen wir uns entschieden hatten, damit kein Thema doppelt oder dreifach vorgestellt wurde.

Über unser Thema war er nicht gerade begeistert. Das machte mich binnen weniger Sekunden völlig fertig. Und den Rest der Stunde verbrachte ich damit, sämtliche Informatik angehauchte Themen in meinem Kopf durchzugehen, um ein besseres zu finden. Denn ich wollte unbedingt an dieser Kursfahrt teilnehmen. Doch als es zum Ende der Stunde klingelte, war ich immer noch nicht weiter.

Zum Glück schaffte Tom es aber, unsere Lehrer davon zu überzeugen, dass wir eine 1A Präsentation auf die Beine stellen würden. Anschließend schleifte er mich euphorisch grinsend aus dem Raum. Tom war jetzt Feuer und Flamme und sein Gewinnerinstinkt war geweckt worden.

Auf dem Weg zur Einfahrt, schwärmte er die ganze Zeit davon, wie toll unsere Präsentation werden würde und wie cool die Zeit in Zürich werden würde. Das wiederum machte mir Sorgen. Denn Tom neigte dazu, zu übereifrig zu werden. Und die Ergebnisse, die er dann erzielte, waren meist schlechter, als die, die er erreichte, wenn er nur halbherzig bei der Sache war.

Auch wenn ich mich dennoch genauso sehr freute wie er, fiel es mir trotzdem schwer, mich auf sein Gerede zu konzentrieren. Mir schwirrten andere, wichtigere Dinge im Kopf herum. Und eins davon stand gerade vor dem Schultor und schien auf mich zu warten.

»Ach! Hi Milena; willst du deinen Schatz abholen?«, begrüßte Tom sie mit einem anzüglichen Grinsen.

Milena und ich wurden gleichzeitig tomatenrot im Gesicht und trauten uns nicht, einander anzusehen.

Ich verabschiedete mich von Tom und wandte mich dann Milena zu.

»Was gibt es?«, fragte ich nervös.

Sie schüttelte mit dem Kopf und wartete bis Tom, um die nächste Ecke verschwunden war. Dann räusperte sie sich: »Wir sollten reden; ich mache mir Sorgen um dich!«

Erstaunt riss ich die Augen auf. Sie machte sich Sorgen um mich?

»Du brauchst dir keine Sorgen machen, mir geht es super! Es ist alles in Ordnung«, entgegnete ich, wandte aber den Blick ab, weil ich mich dafür schämte, dass ich sie anlog.

»Lüg mich nicht an, bei dir ist gar nichts in Ordnung! Du bist schon seit ein paar Wochen so komisch.« - sie seufzte - »Du wirkst müde, unkonzentriert und verwirrt. Und dann verschwindest du plötzlich ohne Bescheid zu sagen, dass passt überhaupt nicht zu dir! Was ist los? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst!«

Ich zögerte. »Ich weiß Milena und ich bin dir auch sehr dankbar dafür. Aber ich weiß nicht, wie ich mich in Worte fassen soll und deswegen bleibe ich dir eine Erklärung schuldig.« - jetzt seufzte ich - »Aber es tut mir wirklich leid, dass ich dich am Samstag stehen lassen haben!«

Ich senkte gepeinigt den Blick.

Milena nickte verhalten. »Ich bin dir nicht mehr böse, aber Sorgen mache ich mir trotzdem noch und ich hoffe du machst den Mund auf, bevor du dir etwas antust!«

Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Das werde ich! Mach‘ dir bitte keine Sorgen mehr!«

Nun lächelte Milena auch. »Wehe nicht!«, drohte sie spielerisch und boxte mir mit ihren Fäustlingen in die Schulter.

Jetzt mussten wir beide lachen. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, fragte Milena, wann ich sie morgen Abend abholen würde.

»Tanja erwartet uns ab 20 Uhr in der Bar«, antwortete ich. »Was hältst du von 18 Uhr?«

Sie überlegte einen kurzen Augenblick, dann nickte sie.

Wir verabschiedeten uns voneinander und machten uns dann auf den Weg nachhause.

Und das erste Mal seit vier Wochen, hatte ich das Gefühl, dass alles wieder gut werden würde – ob mit oder ohne Oliver war mir im Moment vollkommen egal!

Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, frag nach Salz und Tequila.

Am nächsten Abend stand ich pünktlich um 18.00 Uhr vor Milenas Haustür und ich war ziemlich nervös. Weswegen wusste ich nicht. Mir war trotz eisiger Temperaturen heiß und ich schwitzte in meiner eigentlich viel zu dünnen Jacke.

Milena war auf die Minute genau pünktlich. Was unter ihrem knielangen Mantel hervorblitzte sah atemberaubend aus. Nur schien es etwas zu dünn für diese Jahreszeit.

Trotzdem lächelte ich sie aufrichtig an. »Wo hast du das Kleid denn gefunden?«, fragte ich interessiert. Bei H&M hatte ich so eins nicht gesehen.

»Ich hab' mich ein wenig verirrt und am anderen Ende des Shopping-Centers eine kleine Boutique entdeckt. Die war zwar etwas teurer, aber die Kleider sind 1000-Mal schöner und in das hier habe ich mich sofort verliebt!«, grinste sie und drehte sich zweimal um die eigene Achse.

Mein Lächeln wurde noch breiter. Milena ist wirklich ein tolles Mädchen. Ich konnte mich glücklich schätzen zu ihren Freunden zu gehören. Und ich würde mit ihr als feste Freundin auch einen guten Fang machen. Aber es wäre falsch, ihr etwas vorzuspielen, nur um mich selbst von Oliver abzulenken. Mit mir würde sie nicht glücklich werden und umgekehrt ich auch nicht mit ihr!

Milena korrigierte online, gemeinsam mit anderen, Doktorarbeiten, Klausuren und Aufsätze von Studenten. Sie hatte in Deutsch eine glatte eins und ließ es sich nicht nehmen, dass jedem auf die Nase zu binden. Während wir zum Bahnhof liefen, erzählte sie mir Geschichten von Studenten, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Sie verwechselten ständig "seit" und "seid" oder konnten Substantive nicht von Verben unterscheiden. Manchmal war es ein bisschen nervig, ständig von ihr verbessert zu werden. Aber andererseits hatte sich meine Deutschnote durch sie auch erheblich verbessert. Und als Tochter einer Deutschlehrerin erwartete man schließlich nichts anderes von ihr.

Der Zug kam pünktlich und war fast leer. Milena und ich fanden ein leeres Abteil, in dem wir uns breit machten. Milena zeigte mir ein Video von der letzten Schach-Weltmeisterschaft und schwärmte in einer Tour von ihrem Lieblings-Champion. Ich konnte diesen Schweizer überhaupt nicht ausstehen. Er war rücksichtslos, frech und boshaft. Und ich war immer noch der Meinung, dass er schummelte. Wäre er eine Schach-Figur, dann mit Sicherheit ein Bauer!

Der Düsseldorfer Hauptbahnhof war wie immer laut und voll. Milena und ich irrten ziellos am Bahnhof herum, weil wir die Bushaltestelle nicht fanden. Und dann stand Tanja plötzlich vor uns, grinste mich an wie ein Honigkuchenpferd und fiel mir um den Hals. Sie bewies mit ihrem leichten Aufzug mal wieder, dass sie überhaupt kein Kälteempfinden hatte.

Sie trug bloß eine dünne Strumpfhose und eins von diesen raspelkurzen Kleidern, die gerade so verdeckten, was nötig war. Die Jacke – oder besser gesagt der Stofffetzen – die sie trug würde sie bei der nächsten Windböe eiskalt im Stich lassen und sie nicht annähernd vor dem Luftzug schützen. Also wenn sie sich heute Nacht keine Erkältung wegholte, würde ich einen Besen fressen!

»Lelo; Ich bin überrascht!«, sagte sie zur Begrüßung. »Von dir hatte ich eigentlich erwartet, dass du als erster in der Bar bist!«

Sie hatte recht. Ich kam nie zu spät und war ungerne der Letzte am Treffpunkt. Wenn es sich einrichten ließ, war ich in der Regel immer eine Stunde zu früh da. Zuspätkommen war immer mit einer gewissen Peinlichkeit verbunden. Ich mochte es nicht, mich rechtfertigen zu müssen, deswegen vermied ich es immer, wenn es ging. Aber ich wollte Milena nicht dazu nötigen eine Stunde mit mir alleine in einer Bar herumzuhängen. Ich wusste, dass sie Pünktlichkeit höflich, aber Überpünktlichkeit nervig fand.

»Wo hast du Jan gelassen?«, fragte ich, um das Gespräch von mir abzulenken. Ich bin nicht gerne der Mittelpunkt.

Sie schnaubte verächtlich. »Er hat nach dem Unterricht gekifft und ist zuhause eingeschlafen. Vor 'ner halben Stunde ist er aufgewacht und hat mir geschrieben, dass er sich sofort auf den Weg macht!«

Mir war nach wie vor ein Rätsel, was die sonst so organisierte Tanja mit so einem Chaoten wollte. Aber in der Liebe ging es eben nicht nach Wollen und nicht Wollen.

»Und du musst Milena sein! Leon erzählt immer so viel von dir. Wir sind uns auf dem Schulhof bestimmt schon Mal über den Weg gelaufen. Schade, dass er dich uns noch nie offiziell vorgestellt hat.«

Milena, die sich in der Regel für alles entschuldigte, auch für Fehler, die nicht ihre Schuld waren, wurde rot und senkte den Blick. Als könnte sie etwas dafür, dass ich sie noch nie mitgenommen hatte.

Tanja runzelte daraufhin die Stirn und sah Milena komisch an. Ich konnte ihre Gedanken bis hier herhören. Sie fand sie komisch und wusste nicht, wie sie mit ihr umgehen sollte. Tanja und Milena waren genauso unterschiedlich, wie Tanja und Jan. Genau aus diesem Grund hatte ich sie nie zu unseren Treffen mitgenommen. Sie passte nicht zu meinen Freunden und würde sich vermutlich einen ganzen Abend lang unwohl fühlen und das wollte ich eigentlich nicht.

»Ähm Tanja; mit welchem Bus müssen wir fahren?«, fragte ich aufdringlich, um Tanja von Milena abzulenken.

Tanja begann breit zu grinsen. »Glücklicherweise brauchen wir uns darüber keine Gedanken zu machen - Oliver sammelt uns ein!«

Ich schluckte jegliche Widerworte hinunter und wünschte mir, ich hätte mich heute krankgemeldet. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Oliver uns nur abholte. Tanja hatte ihn bestimmt auch eingeladen. Wie sollte ich das bloß überleben? Eine ganze Nacht, gefangen mit ihm in einer Bar. Gemeinsam mit meinen Freunden und reichlich Alkohol. Das konnte nur in einer Katastrophe enden!

Tanja und Milena begannen ein zögerliches Gespräch über Klamotten und Schminke und ich verlebte meine Galgenfrist mit erhöhtem Puls und klopfendem Herzen. Ich wünschte, es würde mir aus der Brust springen, damit mein Leiden endlich ein Ende hatte.

Als der schwarze Golf vor uns zum Stehen kam, hatte ich das Gefühl in den nächsten drei Minuten einen Defibrillator zu benötigen.

Oliver stieg nicht alleine aus. Auf der Beifahrerseite kroch ein zierlicher Blonder Mann aus dem Auto und grinste uns an, als hätte er einen Clown zum Frühstück gegessen. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

»Hi ich bin Timo! Ich hoffe dich stört es nicht, dass dein Bruder mich mitbringt!«

Tanja lächelte stolz und warf ihrem Bruder einen kurzen Blick zu. Sie freute sich für ihn, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn mag. Doch ich konnte diesen Timo schon jetzt nicht leiden!

»Ach Quatsch, das geht in Ordnung! Ich bin übrigens Tanja und dass da sind Leon und seine Freundin Milena!«

Oliver bekam plötzlich einen heftigen Hustenanfall und mir entgleisten sämtliche Gesichtszüge.

»Wir ähm ... sind nicht zusammen; wir sind bloß Freunde!«, sagte Milena mit knallroten Wangen zu Tanja.

Aber Tanja wäre nicht Tanja, wenn sie sich nicht bereits ihre eigene Version der Geschichte zusammengesponnen hätte. Deswegen zwinkerte sie Milena zu und kletterte auf den Rücksitz. Milena folgte ihr zögerlich und auch dieser komische Timo stieg wieder ein.

Oliver warf mir einen verwirrten Blick zu, ehe Tanja ihn und mich zum Einsteigen aufforderte. Immerhin käme sie schon jetzt viel zu spät zu ihrer eigenen Party.
 

Wir gingen nicht oft weg, aber da es in Klein Schnürstadt nur eine urige Kneipe gab, in die kein Jugendlicher freiwillig einen Fuß setzte, mussten wir notgedrungen auf Düsseldorf ausweichen. Sandy und Till hatten schließlich durch Zufall das „Wolkenreich“ entdeckt und es zu unserer Stammbar auserkoren. Sie war nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt, es kontrollierte niemand, ob du schon volljährig warst und sie war klein und übersichtlich.

Oliver warf uns direkt vor dem Wolkenreich raus und suchte dann gemeinsam mit Timo nach der passenden Parklücke. Ein komisches Gefühl machte sich deswegen in mir breit und ich knallte die Autotür etwas fester zu, als beabsichtigt.

Am liebsten würde ich ihnen nachlaufen und sie persönlich ins Wolkenreich bringen. Bei der Vorstellung davon, was die beiden gerade miteinander trieben, wurde mir schlecht. Ich hatte das Gefühl, dass mir mein Abendbrot in absehbarer Zeit noch einmal "Hallo" sagen wollte.

Ich starrte dem Golf nach, weil ich wissen wollte wo Oliver parkte. Doch bevor ich ihn auf der Straße wiederfand, packte Tanja mich am Arm und zog mich ins Innere der Bar.

Unsere Freunde hatten sich an unserem Stammtisch breit gemacht. Tom war ohne Begleitung unterwegs und Maximilian hatte ein Mädchen aus der 12. Klasse bei sich. Doch als er Milena entdeckte, klebten seine Augen unablässig an ihr. Also platzierte ich sie am äußersten Ende neben Sandy, damit mein Bruder sie nicht weiterhin ungeniert anstarrten konnte.

Tanja sagte, noch bevor sie sich etwas zu trinken bestellte, dass Jan verschlafen hatte und das ihr Bruder und sein neuer fester Freund noch erscheinen würden. Ich erwartete sowohl von meinem Bruder als auch von Tom einen blöden Kommentar. Doch die Tatsache, dass Oliver jetzt einen Freund hatte, schien sie zu beruhigen. Vielleicht machte sie aber auch der böse Blick von Sandy mundtot! Und ich bekam Bauchschmerzen von der Vorstellung, dass Oliver lieber Timo küsste, statt mir.

Als die beiden das Lokal betraten, hielt ich die Luft an und wandte den Blick ab.

Timo stellte sich genauso eloquent vor, wie vorhin.

Ich warf Oliver einen flüchtigen Blick zu. Dieser Timo war viel zu aufgedreht und extrovertiert für ihn. Die beiden passten meiner Meinung nach absolut nicht zusammen!

Am Tisch war nur noch ein Stuhl frei. Oliver wollte gerade losgehen, um sich einen weiteren zu organisieren, als Timo ihn auf den letzten freien Platz presste und sich dann einfach seinen Schoß setzte, als wäre das, dass normalste der Welt.

Ich war daraufhin nicht die einzige Person, die das Gesicht verzog. Maximilians Begleitung schien ebenfalls nicht wirklich erpicht darauf, mit diesem Pärchen an einem Tisch zu sitzen. Deswegen forderte sie meinen Bruder zum Tanzen auf und zog diesen von der Bank, bevor er zustimmen konnte. Tom warf Oliver und Timo noch einen schnellen Blick zu und folgte meinem Bruder dann.

Tanja seufzte schwer und ging zur Bar, um sich etwas zu trinken zu bestellen. Zurück kam Sie mit einem Cocktail und einem doppelten Wodka-Orangensaft. Den kippte sie sich in einem Schluck die Kehle hinunter, noch bevor sie sich wieder an den Tisch setzte. Ihr Bruder warf ihr einen kritischen Blick zu und schüttelte anschließend den Kopf.

Er schien nicht oft in ihrer Gegenwart zu trinken. Wir kannten Tanja gar nicht anders. Obwohl sie Sportlerin ist und es darauf abzielte, nach Olympia zu gehen, konnte sie sich in der Gegenwart von Alkohol nur schwer zusammenreißen. Sie konnte trinken wie ein Schluckspecht und vertrug für ihr geringes Gewicht ziemlich viel. Ich hatte nach zwei Cocktails bereits Probleme damit, geradeaus zu laufen. Tanja konnte mit derselben Menge im Blut noch auf hohen Schuhen Tango tanzen und das zu 99 Prozent fehlerfrei! Selbst mein Bruder, der eine ähnlich starke Alkohol Verträglichkeit vorzuweisen hatte, fand das bewundernswert.

»Was willst du trinken?«, fragte ich Milena, um mich von Oliver und Timo abzulenken. Deren Flirten war unsäglich nervig!

Milena ließ ihren Blick über die Getränke schweifen, die auf dem Tisch standen und bekam rote Wangen, als sie kurz danach eine Cola bestellte.

Ich nickte. Vernünftige Entscheidung. So sollte ich auch anfangen, wenn ich von dem Abend noch etwas haben wollte.

Ich machte einen großen Bogen um die Tanzfläche und wartete nervös darauf, dass der Barkeeper Notiz von mir nahm. Ich könnte winken oder rufen, aber das traute ich mich nicht.

Zu meinem Leidwesen schien Oliver dieselbe Idee gehabt zu haben, wie ich. Denn er tauchte keine drei Sekunden nach meiner Ankunft neben mir auf.

»Wir sind nicht zusammen!« - Olivers leise Worte bohrten sich wie ein Stachel durch mein Herz. Ich ballte die Hände zu Fäusten und zwang mich dazu, ihn nicht anzusehen. Ich wünschte er wäre nicht hier. Ich wünschte, er würde mit seinem Timo das Weite suchen.

»Warum erzählst du mir das? Du musst dich nicht rechtfertigen!«, antwortete ich schroff und traute mich nun doch dem Barkeeper zu zuwinken. Ich wollte so schnell wie möglich hier weg und warf in solchen Situationen sogar meine Schüchternheit über Bord.

Oliver wollte mir antworten, doch im selben Moment tauchte der Barkeeper vor uns auf und sah uns abwartend an. Oliver bestellte ein Bier für sich und einen Cocktail, dessen Namen er kaum aussprechen konnte für Timo. Der Barkeeper verstand ihn glücklicherweise trotzdem. Dann sah er mich an und begann schief zu grinsen. »Und was darf‘s für dich sein Hübscher?«

Ich wurde knallrot. Der Kosename brachte mich völlig aus dem Konzept. Ich konnte nicht einordnen, wie er es meinte. Ob er mich auslachte oder versuchte mit mir zu flirten.

Oliver neben mir gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Bildete ich mir das ein oder passte ihm das Verhalten des Barkeepers nicht?!

»Für ihn kannst du ‘nee Cola und ‘nen Sex on the Beach machen!«, antwortete Oliver für mich und klang so, als würde er gleich in den Ring steigen wollen – aggressiv und kampflustig.

Der Barkeeper und Oliver wechselten einen kurzen Blick miteinander, dann verschwand ersterer und ging seiner Arbeit nach.

Ich sah Oliver stirnrunzelnd an. Bevor ich meine Sprache wiederfand, verging jedoch eine ganze Weile. Mein Kopf war mit Olivers komischer Art und Weise und dem Sex on the Beach beschäftigt. Wie schmeckte so etwas überhaupt? Süß? Bitter? Sauer? Ich mag eigentlich keine Cocktails mit anzüglichen Namen. Die schmecken meistens genauso komisch, wie ihre Namen klangen.

»Warum bestellst du eigentlich für mich? Das kann ich auch ganz gut alleine!«, fauchte ich schließlich in Olivers Richtung.

Wieder hinderte Oliver jedoch das Auftauchen des Barkeepers am Antworten. Dieser stellte Oliver die bestellten Getränke vor der Nase ab, wovon dieser allerdings nicht wirklich Notiz nahm.

Tanjas großer Bruder grinste mich an und fixierte mich mit einem schelmischen Blick. »Du siehst aus, als würdest du darauf stehen!« - Dann nahm er seine Getränke und verschwand in der tanzenden Menge. Mit hochrotem Kopf sah ich ihm einige Sekunden nach.

Als ich mich anschließend wieder zur Theke umdrehte, stellte der Barkeeper gerade meine Bestellung ab und grinste mich dabei breit an.

»Siehst gar nicht aus wie jemand, der darauf steht!«, sagte er lächelnd und drehte ab.

»Ich stehe auch nicht auf Sex am Strand!«, schrie ich ihm hinterher, weil mich diese ganze Situation irgendwie unglaublich wütend machte.

Ein paar Gäste, die direkt am Tresen saßen, drehten sich mit verwunderten Gesichtern nach mir um. Ich sah zu, dass ich samt meiner Gläser so schnell wie möglich zurück zu unserem Tisch kam.

Alle Anwesenden beäugten mich komisch. Vermutlich weil in meinem Glas ein bunter Strohhalm und ein buntes Schirmchen herumschwammen. Der einzige, der mich nicht ansah, war Oliver. Der wiederum grinste in sein Bier, als wäre ich ein herumlaufender Witz.

Ich verzog das Gesicht, als ich Milena ihre Cola zu schob. Jetzt, wo Oliver Timo hatte, war ich in seinen Augen nichts weiter als ein einfacherer Jugendlicher.

Auf der Suche nach Ablenkung, drehte ich mich zur Tanzfläche um. Ich konnte nicht tanzen. Ich hatte kein Rhythmusgefühl und Schrittfolgen erschienen mir komplizierter als die Relativitätstheorie. Und ich wusste wovon ich sprach; ich hatte mich im Tanzen ausprobiert, nachdem ich Gefallen an „Dirty Dancing“ und „Footloose“ gefunden hatte. Aber ich war ein hoffnungsloser Fall – so wie in allen anderen sportlichen Aktivitäten auch.

Das Tanzen in Bars und Clubs hatte nur irgendwie überhaupt nichts Ästhetisches an sich, wie mir gerade auffiel. Die meisten wackelten unkoordiniert herum, wie Kindergartenkinder bei der morgendlichen Gymnastikstunde oder umkreisten sich wie zwei Paarungswillige unerfahrene Löwen, die zum ersten Mal geschlechtsreif waren.

Sandy und Till verwickelten Oliver und Timo in ein harmloses Gespräch über unverfängliche alltägliche Themen. Tanja starrte währenddessen sehnsüchtig die Tür an. Mich beschlich das dumpfe Gefühl, dass Jan heute nicht mehr erscheinen würde. Ich traute ihm durchaus zu, dass er gleich nach dem Telefonat mit Tanja wieder eingeschlafen war.

Milena, die nicht nur ein Gespür für deutsche Grammatik hatte, sondern auch sofort merkte, wenn es jemand anderem schlecht ging, forderte Tanja zum Tanzen auf. Unsere Sportbarbie warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick in Richtung Tür, dann folgte sie Milena wenig begeistert auf die Tanzfläche. Meine Freundin aus dem Schachclub warf mir einen flüchtigen Blick zu und ich schenkte ihr im Gegenzug ein dankbares Lächeln.

Aus Mangel an Alternativen holte ich mein Handy aus meiner Jackentasche und startete eine Partie Online-Schach.

Jan kam ein paar Minuten später zur Tür hereingeschneit. Als Tanja ihn bemerkte, warf sie ihm nur einen bösen Blick zu und zog Milena demonstrativ auf die andere Seite der Tanzfläche. Jan ließ die Schultern hängen und schlürfte zu unserem Tisch. Er rief ein enttäuschtes „Hallo“ in die Runde und sank anschließend auf die Bank zu meiner linken.

»Du musst dir eine wirklich gute Entschuldigung überlegen! So sauer habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen!«, sagte Sandy verärgert zu ihm.

Einen Moment sah er wirklich so aus, als würde er sich das zu Herzen nehmen, doch dann grinste er bloß schief. »Zum Glück ist sie da nicht sehr anspruchsvoll«, entgegnete er ermutigt und stand wieder auf.

Jan ging direkt auf Tanja zu, packte sie am Arm und drehte sie zu sich herum. Dann drückte er ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen, der Sandy und mich erröten und Milena einen Schritt zurückweichen ließ.

Tanja startete einen lahmen Versuch des Widerstands, gab ihrem Freund aber nach ein paar Sekunden nach und erwiderte den Kuss.

Milena sah ein bisschen ratlos aus, als sie zum Tisch zurückkam. Ihr puterrotes Gesicht versteckte sie hinter ihrer Cola. Ich schenkte ihr ein sanftes Lächeln und widmete mich dann wieder meiner Schachpartie.

Plötzlich sprang dieser Timo auf und zog Oliver ebenfalls vom Stuhl hoch. »Ich liebe dieses Lied – lass uns tanzen!« - Oliver hatte keine Chance zu widersprechen. Sein Freund zog ihn einfach mit sich. Erbarmungslos wie ein Tsunami.

Ich versuchte, mich auf meine Partie Schach zu konzentrieren, aber es ging nicht. Schon nach wenigen Augenblicken klebten meine Augen unnachgiebig an Oliver und Timo, die sich im Licht umkreisten, als würden sie einen Balztanz aufführen. Das ganze Szenario erinnerte mich an einen Unfall und das dazugehörige Sprichwort: Man wollte nicht hinsehen, aber man musste!

Timo war ein umherlaufendes Klischee. Geprägt und geformt von Hollywood, Magazinen und der abwertenden Meinung der Menschheit. Er ließ seine Stimme mit Absicht zwei Oktaven höher klingen und machte aus jeder normalen Bewegung einen halben Tanzschritt. Er kicherte mädchenhaft, wenn jemand einen schlechten Witz erzählte und versuchte Olivers Hand wegzuschieben, als dieser ihn versuchte am Hintern zu berühren.

»Also, wenn er das bei mir versuchen würde, würde ihn nicht zurückweisen!«, sagte Milena direkt hinter mir.

Vor Schreck wäre ich beinahe von meinem Stuhl gefallen. Ich drehte mich ertappt zu ihr um und fühlte meine Wangen heiß werden.

»Wovon sprichst du?«, fragte ich überflüssigerweise.

»Du starrst sie an Leon. Warum genau du das tust muss ich noch ergründen!« - Milena knuffte mir in die Seite, als hätte sie nur einen Scherz gemacht.

»Tu ich gar nicht!«, entgegnete ich entrüstet und entsperrte mein Handy.

Die Online-Schach-App war noch geöffnet. Ich hatte nur überhaupt keine Lust mehr auf Schach. Ich wollte lieber Oliver beim Tanzen beobachten, auch wenn sich die lästige Bazille Timo um ihn herumschlängelte.

Milena beugte sich ganz nah an mich heran. »Als wir neulich in dem Café waren, wolltest du mir da von ihm erzählen?«

Erschrocken riss ich die Augen auf. War ich so leicht zu durchschauen? War mein Verhalten so eindeutig?

Panik machte sich in mir breit. Wenn Milena nur ein paar Minuten gebraucht hatte, um mich zu durchschauen, wie schnell würden die anderen dann dahinterkommen?

Ich warf Sandy und Till über den Tisch hinweg einen prüfenden Blick zu. Glücklicherweise waren die beiden mit sich selbst beschäftigt und achteten nicht auf mich oder Milena. Innerlich seufzte ich erleichtert.

Ich sollte Milena nicht die Wahrheit sagen. Das wäre nicht nur mein Untergang, sondern auch Olivers. Und ich wollte Tanja ihren Geburtstag nicht verderben.

»Er ist auch Teil der Geschichte«, redete ich mich schließlich heraus und trank anschließend meinen Cocktail in zwei großen Schlucken aus. »Ich brauche jetzt noch mehr Alkohol – willst du auch was?«

Milena schüttelte den Kopf. »Danke, ich habe noch!«

Ich nickte und verschwand in Richtung Bar.

Dieses Mal war es ein anderer Barkeeper. Deswegen bestellte ich meine Pina Colada ohne Scham und beschloss, ihn direkt am Tresen zu trinken. Ich wollte nicht zurück zu unserem Tisch, wo Milena mir unausweichliche Fragen stellte und/oder Oliver mit Timo herumturtelte. Ich hatte verstanden, dass er nichts von mir wollte, dass musste er mir nicht noch mit Absicht unter die Nase reiben!

Der DJ dimmte das Licht immer weiter runter. Mittlerweile war es so dunkel in der Bar, dass ich beinahe mein Glas umschmiss, als ich danach greifen wollte.

Plötzlich presste sich jemand von hinten gegen mich. Wer auch immer das war, war nicht größer als ich, dafür aber wesentlich muskulöser als ich. Derjenige legte sein Kinn auf meiner Schulter ab.

Der Geruch von Bier und Bruno Banani Deo stieg mir in die Nase.

»Du stehst im Weg«, flüsterte mir jemand so leise ins Ohr, das ich beinahe kein Wort verstand.

Erschrocken wich ich Oliver aus und drehte mich danach zu ihm um.

Ich würde ihm gerne etwas schlagfertiges an den Kopf knallen und mich dann aus dem Staub machen, bevor er etwas erwidern konnte. Nur leider fehlte mir für Schlagfertigkeit der nötige Einfallsreichtum und fürs einfach verduften der Mut. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Situation stillschweigend auszusitzen.

Links und rechts neben mir war genügend Platz. Ich stand also gar nicht im Weg, ging aber trotzdem einen Schritt beiseite.

Oliver hatte wohl mit Widerstand und einer Diskussion gerechnet. Deswegen blinzelte er überrascht, als ich wortlos nachgab. Er sah einen Moment so aus, als wolle er etwas sagen, doch dann blinzelte ich und er trat an die Theke heran.

Ich sorgte für noch mehr Platz zwischen mir und Oliver, während er auf sein bestelltes Bier wartete.

Er sollte bloß nicht auf die Idee kommen, sich zu mir zu stellen. Ich ertrug seine Anwesenheit heute nicht.

Aber das Schicksal hatte wie so oft andere Pläne mit mir.

Oliver schob sein Glas über den Tresen zu mir hinüber. Unbehagen drehte ich den Kopf in die andere Richtung und nippte gleichzeitig an meinem Pina Colada. Eigentlich mit dem Ziel, ihm zu signalisieren, dass ich jetzt absolut nicht mit ihm reden wollte.

»Möchtest du gerne tanzen?«, fragte Oliver nebenbei.

Ich merkte sofort, wie mir das Blut in die Wangen schoss und freute mich zum ersten Mal über die Dunkelheit in dieser Bar. So blieb mir ein weiteres peinliches Erlebnis erspart.

Nur leider half die Dunkelheit meiner Stimme nicht weiter. Denn an meinem reichlich verspäteten und gestotterten »Nein« konnte man meine Nervosität deutlich heraushören.

»Dann galten deine sehnsuchtsvollen Blicke vorhin also doch mir und nicht der Tanzfläche!«, neckte er mich.

Ich stellte mein leeres Glas auf der Theke ab und warf ihm einen vorwurfsvollen blick zu.

Er wusste wirklich wie man Leute, die schon am Boden lagen, noch mehr demütigte.

»Was interessiert dich das überhaupt? Solltest du nicht nur Augen für Timo haben?«, erwiderte ich trotzig. Als der Barmann eine Sekunde später nach meinem Glas angelte, nutzte ich die Gelegenheit und bestellte mir einen doppelten Wodka-Orangensaft. Dabei entging mir der skeptische Blick, den sich der Barkeeper und Oliver zu warfen, nicht. Aber im Moment war mir das egal.

»Warum hast du ihn überhaupt mitgebracht? Macht es dir Spaß mich zu quälen?«, fragte ich kleinlaut und traute mich dann nicht mehr, ihn anzusehen.

»Er ist spontan bei mir vorbeigekommen und hat sich dann quasi selbst eingeladen. Ich hätte ihm diesen Vorschlag niemals gemacht, weil ich weiß, wie deine Freunde sind!«

Auch wenn ich Timo nicht leiden konnte, sollte Oliver trotzdem mitbringen dürfen, wen er wollte. Dass er Rücksicht auf meine Freunde nahm, klang irgendwie fürchterlich falsch.

»Liebst du ihn?«, fragte ich. Gleichzeitig rührte ich verlegen mit dem Strohhalm in meinem Getränk herum.

Ich rechnete mit allem, aber als Oliver anfing zu lachen, traf mich das völlig unvorbereitet.

»Ich kenne ihn doch kaum«, antwortete Oliver.

»Wäre er jemand, in den du dich verlieben könntest?« - Diese Frage zu stellen, kostete mich eine ganze Menge Überwindung.

Olivers ehrliches »Vielleicht« traf mich hart.

Ich trank einen großen Schluck Wodka. »Dann solltest du jetzt zu ihm gehen, um es herauszufinden!«

»Leon, ich -«

»Nein, bitte«, unterbrach ich ihn harsch, »bitte hör auf deine Schwester oder unseren Altersunterschied als Ausrede zu missbrauchen. Du willst mich nicht und ich bin mit meinen 16 Jahren alt genug, dass zu verstehen!«

Oliver wollte noch etwas sagen, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. Ich schnappte mein Glas und suchte das Weite.

Ich quetschte mich zu Milena auf die Bank und holte mein Handy wieder heraus. Ich sollte aufhören über Oliver nachzudenken. Der Kampf war gekämpft und ich hatte verloren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
© 2018 by YukiKano
2. Überarbeitung von "Neujahrs Glück" Komplett anzeigen
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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von:  YukihoYT
2023-03-09T23:16:48+00:00 10.03.2023 00:16
Ich erinnere mich gerade wieder daran, wie viel Spaß mir diese Geschichte gemacht hat. Keine Ahnung, wie es dem Autor, der die geschrieben hat, gerade geht oder was er tut, aber ich hoffe, dass offline alles okay ist. Ob die Geschichte weitergeschrieben wird oder nicht. Die Arbeit hier ist qualitativ sehr hochwertig und ich bin glücklich darüber, wie sauber alles grammatikalisch, typographisch und inhaltlich gehandhabt wurde. Danke dafür! Sowas schätze ich.
Von:  Rentierchan
2020-03-16T12:07:26+00:00 16.03.2020 13:07
Mhm, ich weis nicht was ich davon halten soll. Mal davon ab das die meisten seiner Freunde gewöhnungsbedürftig sind, ist Oliver gerade wirklich ein Arsch.
Er hat ihm doch klar gemacht das das nichts wird und nun rennt er ihm hinterher um was zu tun? Ach ich find dich doch ganz nett aber....
Von:  Onlyknow3
2020-01-13T09:18:29+00:00 13.01.2020 10:18
Puh das war gerade wohl sehr knapp, um die Klippe geschippert. Ob Milena etwas ahnt, ob sie bemerkt hat warum Leon sich so komisch verhält? Leon sollte wirklich Oliver aus dem Kopfschlagen. Vielleicht kann ihm Milena dabei sogar helfen, zu nächst sollte er sich aber um seine Schulischen Sachen kümmern, und auch seinen Bruder ignorieren.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Onlyknow3
2019-07-31T12:31:03+00:00 31.07.2019 14:31
Oliver wird wohl doch noch mal darüber Nachdenken was er wirklich will.
Ob er vielleicht auch deshalb gegen eine Beziehung ist, weil er für einen Escort- Service arbeitet.
Wo er Geschäftsmänner begleitet, die ihn gebucht haben?
Denn Leon hat rech, irgendwo muss das Geld ja herkommen.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Onlyknow3
2019-07-31T11:36:55+00:00 31.07.2019 13:36
Vielleicht ist Oliver einfach nur zu Überrumpelt, außerdem hat er es ja gerade zu Provoziert.
Das sollte er sich auch mal selbst sagen. Mir tut Leon hier leid.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Jenj15
2019-07-31T08:35:40+00:00 31.07.2019 10:35
Freut mich grad echt, dass das neue Kapitel gekommen ist und bin gespannt wie sich das zwischen den beiden noch weiter entwickeln wird!
Jenny
Von:  Vodka
2019-05-25T08:06:03+00:00 25.05.2019 10:06
Da stimme ich Rentierchan vollkommen zu.

Dein Schreibstil ist toll. Aber es sind immer wieder Schreib- und Formulierungsfehler zu finden.
Hast du jemanden, der nochmal drüber liest?

Ich freue mich schon sehrdarauf, wenn es weiter geht. Hoffentlich bald. ;o)
Von:  Rentierchan
2019-05-24T06:13:00+00:00 24.05.2019 08:13
Ach man das war fies!
Oliver macht derartige Andeutungen und dann wundert er sich?
Mal ehrlich, welcher vernünftig Kerl würde so die Liebe erklären wenn er nicht einen Verdacht hat.

Ich habe mich sehr gefreut endlich wieder ein Kapitel zu lesen!
Klasse!
Von:  Onlyknow3
2019-03-11T08:53:48+00:00 11.03.2019 09:53
Er sollte es vielleicht sogar Oliver überlassen. Denn seine Reaktion, auf das "nein" von leon war eindeutig.
Auch ihm ging der er nicht mehr aus dem Kopf. Da ist was passiert, in der Nacht, bei beiden.
Weiter so, freue mich auch das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Usaria
2019-02-28T21:50:48+00:00 28.02.2019 22:50
Oh! Oh! tolles Kapitel, deine Überschriften sind immer so flippig.
Ich ahne noch jede Menge Verwirrung. So wie ich Max einschätze wird der doch bestimmt seinem schüchternen Bruder helfen wollen, und dann... Du solltest deine Geschichte um benennen in Chaos hoch 13, oder Chaos der Liebe. Den vom Neujahrsglück merkt man noch nicht´s. Oder kommt das später? Lieben Gruß Usaria


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