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Melodien für John

von

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Nachklang

Alle Leben enden, alle Herzen werden gebrochen, zu lieben ist nicht von Vorteil. Er hatte es gesehen, so viele Male, wie Menschen sich aneinander aufrieben. Man sagt, dass kluge Menschen aus ihren Fehlern lernen. Aber in Wahrheit ist es doch so, dass klügere Menschen aus den Fehlern anderer lernen. Was ihn dann wohl offiziell zu einem klügeren Menschen machte. Nicht dass das überraschend wäre, aber manchmal wünschte er, er wäre dumm gewesen.
 

Er hatte kein Licht gemacht, kein Feuer im Kamin. Nur der Mond spendete sein kühles Licht und hüllte den hageren Mann in silbrigen Schein. Sherlock saß in seinem Sessel, Johns war leer. So sehr er es auch wollte, er konnte seine Augen nicht von dort abwenden. Früher hatte ihn dieser Anblick nie tangiert, jetzt verursachte er ihm Übelkeit.

Es gab Menschen, deren Anwesenheit in einem Raum nachklang, obwohl sie schon längst gegangen waren. Man konnte spüren, dass sie dagewesen waren, obwohl sie bereits wieder fort waren. John war so ein Mensch. Wie eine Stimmgabel war John jemand, nach dem er sich richten konnte (1). Und seine Töne waren nie verstummt, er hörte sie noch immer. In dem Cluedo-Spielbrett an der Wohnzimmerwand. In der Treppe, die weiter nach oben führte. In den Tassen im Küchenschrank, Sherlock nahm noch immer zwei von ihnen hinaus, wenn er Tee machte. In jedem Stuhl, auf dem John gesessen hatte. In den Wänden, sein Lachen im Flur. Wie Phantomschmerzen.
 

Moriartys Versprechen sein Herz herauszubrennen (2), er hatte es erfüllt. John war fort. Wo war seine selbstdiagnostizierte Soziopathie, wenn er sie brauchte? Er war… involviert. Ein Euphemismus, der ihn hämisch auszulachen schien.

Man sagt, niemand ist eine Insel, und doch war John die seine gewesen, wenn die Wellen hoch schlugen und er zu ertrinken drohte. Nun ertrank er. Er ertrank in seinen eigenen Fluten, den Versuch zu schwimmen längst aufgegeben. Denn es gab Dinge, die zusammengehörten, aber nicht zusammenpassten.
 

Wann war die Sonne untergegangen? Als Sherlock seine Geige vor sich auf den Tisch gelegt hatte, war es draußen noch hell gewesen. Nun starrte er auf das Instrument als wäre sie ein kaltherziges Ungeheuer. Er fürchtete sich vor dem, was geschehen würde, wenn er sie zu spielen begann.
 

John war immer der Stärkere von ihnen gewesen, hatte ihm so viele Male und auf so vielen Wegen das Leben gerettet, die dem Arzt nicht einmal bewusst sein dürften. Nicht bloß als er damals den Taxifahrer erschossen hatte, nein, John war sein Grund gewesen clean zu bleiben. Ohne ihn hätte er sich irgendwann zum Sterben in ein Krackhaus zurückgezogen. John war jemand, der zuhause auf ihn gewartet hatte, der ihn begleitet hatte, jemand, für dessen Sicherheit er sorgen musste, für den er verantwortlich war. Ohne ihn hätte er sich irgendwann in mutwilliger Waghalsigkeit erschießen lassen. Und erst ganz zum Schluss, als er bereits den Luftzug des Abgrundes gespürt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er, Sherlock Holmes, John etwas bedeutete. Ohne ihn hätte er nie versucht seinen Fall vom Dach des St. Barts zu überleben. (3)
 

Danach war nichts mehr so, wie es gewesen war.

Sherlock hatte angenommen, dort weitermachen zu können, wo sie aufgehört hatten. Aber er hatte einsehen müssen, dass zurückkommen nicht das selbe ist wie nie fort gewesen zu sein. Und er war länger weg gewesen als sie sich überhaupt gekannt hatten. John hatte sich verändert, sein Tod hatte John verändert, die Trauer. Und auch er selbst war nicht mehr der, der er gewesen war. Die Narben, die seinen Rücken überzogen, bezeugten das. Nur zu gut erinnerte er sich an ihre Entstehung. John. Ein Wort, um ihn daran zu erinnern, dass er leben wollte, leben musste, der Wille zurückzukehren.
 

Doch er war nie zurückgekehrt, nicht vollständig. Er hatte nicht nachhause kommen können, zu John. Die Baker Street fühlte sich seither nicht mehr wie ein Zuhause an. Und Mary hatte seinen Platz eingenommen. Nein, das war nicht ganz richtig, denn an Marys Stelle war er nie gewesen.
 

Schon immer war er von den Menschen abgelehnt worden, besonders von denen, die ihm etwas bedeuteten. Er hatte sich daran gewöhnt, ging nunmehr von vornherein davon aus. Mit der Zeit hatte er jede Bemühung und jede Hoffnung diesen Umstand zu ändern aufgegeben. Vielleicht war es das, was ihn zu dem machte, der er war.

Nur bei John, bei John hätte er es nicht ertragen. Er hatte so viel Angst vor Zurückweisung, dass er es nicht einmal versucht hatte. Lieber fragte er sich auf ewig, ob es hätte funktionieren können, als ins Gesicht gesagt zu bekommen, dass es unmöglich sei.

Sherlock sah, was die Menschen brauchten, nur leider war es meistens nicht das, was sie wollten. Das, was sie wollten, sah er nie. Das, was John wollte, hatte er nie gesehen, geblendet von den Schatten in seinem Kopf. Und so hatte der Anfang nie angefangen. Nun wollte das Ende nicht enden.
 

In seinem Gedächtnispalast existierte ein mentaler Brief für John, ein langer Brief. Es gab so vieles, das er ihm sagen wollte, aber nie gesagt hatte und auch nie würde. Ich habe mich nie bei dir bedankt. Du bist nicht selbstverständlich. Ich will, dass du glücklich bist. Ich kann dir nicht geben, was du brauchst.
 

Sherlock spürte, wie er sich in den Was-Wäre-Wenn’s verlor, in dem was sie hätten sein können. Denn er erinnerte sich an alles, an jede kleine Reaktion, an jede unscheinbare Veränderung seiner Mimik, seines Tonfalls, an sein Schweigen. Und er glaubte jedes Wort, das John nicht gesagt hatte.

Aber das, was er bereute, war nicht die verlorene Vergangenheit, sondern die verlorene Zukunft, nicht das, was nicht gewesen war, sondern das, was nie sein würde.
 

Man konnte Liebe nicht denken. Und doch erschlossen sich ihm einige wesentliche Erkenntnisse, vielleicht die essentiellsten.

Für ihn war es stets schwieriger, gar unrealistisch gewesen Liebe anzunehmen als sie selbst zu geben. Sherlock hatte verstanden, dass es wichtiger war zu lieben als geliebt zu werden. Denn das war es, was Menschen ausmachte. Das war es, was Menschen von Maschinen unterschied. Maschinen konnten geliebt werden, so wie manche Autos, Fernseher oder Computer geliebt wurden. Doch sie konnten nicht lieben. Sherlock war keine Maschine, denn er konnte es. (4)

Wenn man jemanden wahrlich liebte, wollte man, dass derjenige glücklich war, ganz gleich ob das das eigene Glück inkludierte oder nicht. Mary machte John glücklich und das war mehr als er ihm jemals hätte bieten können.
 

Sherlock schloss die Augen, atmete tief, sammelte sich. Dann öffnete er jede Tür seines Gedächtnispalastes, bereit sein Innerstes nach außen zu reißen.

Langsam stand er auf, nahm seine Geige und begann zu komponieren. Einen Walzer.
 

 

„Es ist schwierig, sich dem Ausmaß seiner Sehnsucht zu stellen. Wir haben zu Recht Angst davor. Wenn wir es tun, dann erkennen wir, dass sie unendlich ist und diese Unendlichkeit in uns selber liegt. Es gibt kein Ziel außerhalb. Wir erkennen, dass wir an einem Bahnhof stehen und auf einen Zug warten, der nie kommt, weil es nichts gibt, wohin wir reisen könnten. Es ist der Moment, in dem wir stürzen.“

Ampersand
 


 

1) "You. It's always you, John Watson. You keep me right." Sherlock 3x2 – "Not good?"

2) M: "I will burn you. I will burn the heart out of you." S: "I have been reliably informed that I don't have one." M: "But we both know that's not quite true." 1x3

3) "I will solve your murder, but John Watson will save your life. He saved mine so many times and in so many ways." Sherlock 3x2

4) "You machine!" John 2x3



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