Zum Inhalt der Seite

Eren

Geheimnisse der Turanos
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mathe, Handy und Serumtest

Um 15:35 Uhr entlässt Herr Lang schließlich die Schüler, damit sie sich noch umziehen und trotzdem rechtzeitig zu den Bussen kommen können. Eren beschließt die Sportsachen einfach anzubehalten. Das erspart ihm einmal am Klo umziehen. Obwohl er eigentlich auch einfach die Schweißbänder dran lassen könnte. Aber so ziemlich alle lassen das an, was sie gerade tragen, schnappen sich nur ihre Taschen und verduften aus der Umkleide.

 

„Du musst echt gute Sportlehrer gehabt haben, Eren.“ Max neben ihm kämpft noch mit seinen Turnschuhen, die er in den Sportbeutel zu stopfen versucht. „Ich glaub, du hast nicht einmal geschwitzt. Ich will das auch können. Ich stinke wie eine Sportsocke, die mit benutztem Katzenstreu gefüllt und in der Sonne vergessen wurde.“

 

„Das kannst du laut sagen“, stimmt Timo zu und hält sich theatralisch die Nase zu.

 

„Hey! Du stinkst doch genauso!“, behauptet Max lachend und verpasst dem Klassensprecher einen freundschaftlichen Schlag gegen den Oberarm.

 

Gute Sportlehrer nicht, dafür einen strengen Bruder. Allerdings ist auch genau dieser Bruder dafür verantwortlich, wie stark Eren heute ist. Er sollte Ajax wohl eher dankbar sein. Und das ist er auch, wirklich. Ajax hat ihm so ziemlich alles beigebracht, was er weiß. Ausgenommen dem Schulstoff.

 

Als Eren seine Jeans in den Sportbeutel stopfen will, fällt ihm der Inhalt der Hosentasche ein. „Ach ja, Max?“

 

„Ja?“, gibt Max zu verstehen, dass er zuhört, ohne seine Mission die Turnschuhe in den Rucksack zu bekommen, aufzugeben. Bisher sieht das wenig erfolgversprechend aus.

 

„Bevor ich´s vergesse, hier.“ Mit diesen Worten hält er dem Jungen einen Zettel entgegen.

 

„Was ist das?“, fragt er neugierig und nimmt das Stück Papier entgegen.

 

„Bestimmt Bestechungsgeld, damit du sein Freund wirst“, mutmaßt Timo spöttisch.

 

„Was? Nein“, stellt Eren sofort klar. Wollte er nicht damit aufhören? An Max gewandt fährt er fort: „Du hast mich doch gestern nach meiner Nummer gefragt.“

 

„Du hast jetzt ein Handy?“

 

„Kaum will das Prinzlein was, schon zückt Papi die Kreditkarte“, mosert Timo vor sich hin, greift grob nach seinem Rucksack und stapft mies gelaunt nach draußen. „Bis morgen, Max.“

 

„Bis morgen.“ Verdattert blickt der Blonde seinem Freund hinterher.

 

„Ein paar Wochen, hm?“, erinnert sich Eren zweifelnd an die Schätzung von Max. „Ich glaub, das dauert länger.“

 

Verlegen gluckst der Blonde vor sich hin. „Kann sein. Aber wenn man ihn besser kennt und er sich eingekriegt hat, ist er eigentlich ein echt guter Freund.“

 

„Sorry, aber irgendwie kann ich das nicht glauben.“

 

~~~

 

Max und Eren waren die letzten, die die Umkleide verlassen haben. Es hat ein Weilchen gedauert die widerspenstigen Schuhe in den Rucksack zu stopfen. Schlussendlich haben sie es aufgegeben und Max trägt sie jetzt in der Hand. Pünktlich zum Gong verlassen sie das Schulgebäude. Wie schon gestern wartet eine schwarze Limousine am Straßenrand und die Chauffeurin daneben.

 

„Irgendwann musst du mich mal in so einer mitfahren lassen, ja?“, beschließt Max mit leuchtenden Augen.

 

„Ich weiß nicht. Es ist nichts besonderes. Es ist auch nicht anders wie in einem normalen Auto“, meint Eren ausweichend, wohlwissend, dass Ajax und sein Vater ausflippen würden, wenn er einen Außenstehenden in die Familienlimousine einlädt.

 

Der Blonde ist anderer Meinung. „Aber es ist eine Limousine!“ Das ist die Erklärung. Nicht mehr, nicht weniger. „Also, bis morgen. Ich schreib dir, ja? Ich muss mich nur beeilen, weil mein Bus gleich losfährt.“

 

„Okay. Bye“, verabschiedet sich der Turano, froh darüber, dass er scheinbar vergessen hat, dass er ja einen Überredungsversuch wegen der Kostümsache starten wollte.

 

Die beiden Jungs trennen sich an der Straße, Max geht rechts entlang zu den Bushaltestellen, Eren nach links zur Limousine, wo ihm die Frau bereits höflich die Tür aufhält. „Guten Tag, junger Herr Turano.“

 

„Hallo.“ Den Angestellten immer wieder das Du anzubieten ist sinnlos.

 

Zu Erens Überraschung ist die Limousine leer. Kein Ajax. Kein Vater. Okay? Wollen sie nicht seinen neuesten Bericht hören? Das ist seltsam. Vor allem bei Ajax. Dabei fällt ihm ein, er hat ja jetzt ein Handy. Vielleicht haben sie ihm ja geschrieben?

 

Während er das kleine Gerät aus der Schultasche angelt, fährt die Limo los. Es ist noch keine fünfmal vorgekommen, dass er allein in dem großen Auto hockte. Vielleicht hätte er Max doch mitnehmen können und ihn nach Hause fahren, oder so? Immerhin wüsste er dann, wo der Blonde wohnt und das ist doch gut für die Mission, oder? Diesen Gedanken verwirft er schnell wieder. Er weiß, dass es auch in den Limousinen Kameras gibt und er auf direkten Weg nach Hause fahren soll, um seinen restlichen Stundenplan abzuarbeiten. Außerdem würde es Probleme geben, wenn seine Familie dahinter kommt. Da spielt es keine Rolle, ob er herausgefunden hat wo Max wohnt.

 

Mit dem Smartphone, das natürlich eine Schutzhülle mit dem Logo von Turano Industries besitzt, lehnt er sich zurück und tippt den Entsperrcode ein. Wo war nochmal die App, die Ajax ihm gezeigt hat? Er hat noch immer keine Ahnung wie das Gerät funktioniert und das wird wohl auch noch ein Weilchen so bleiben. Was allerdings wahrscheinlicher ist, ist die Tatsache, dass die Mission vorher beendet ist. Und danach braucht er ja kein Handy mehr. Danach wird alles wieder so sein wie vor der Schulmission.

 

Tatsächlich hat er zwei neue Nachrichten bekommen. Eine von Ajax und die andere von … Max? Aber er hat doch gerade erst seine Nummer bekommen? Auch die Zeit der Nachricht ist erst eine Minute her. Seltsamer Junge. Eren beschließt, dass die Nachricht von Ajax dringender ist, also tippt er auf dessen Chat zuerst.

 

Ajax, 28.10., 15:03

Ich musste kurzfristig einen Auftrag annehmen, daher kann ich dich nicht abholen. Vater ist in der Firma. Schick deinen Bericht in die Gruppe und erledige danach deine restlichen Termine. Nicht schwänzen, ich kontrolliere.

 

Jap, das klingt nach Ajax. Kein freundliches „Hallo", kein „wie war die Schule?“, nur „schick den Bericht, erledige deine Aufgaben“. Irgendwie muss Eren deswegen ja schmunzeln. Das ist so typisch sein Bruder. Anstatt auf diese Nachricht zu antworten, geht er also in die Familiengruppe und beginnt dort seinen Bericht zu tippen.

 

Eren, 28.10., 15:52

Bericht: Auftrag Max

- ist schlecht in Deutsch

- ist sportlich eher Durchschnitt (Klassenniveau)

- fährt Skateboard mit seinem Nachbarn im Stadtpark

- ist ein Kindskopf

- mag Kostüme, Süßigkeiten, Wettbewerbe

- hat äußerlich nicht ein einziges Merkmal auf Fähigkeiten

- haben Handynummern getauscht, hat auch schon geschrieben

 

So, mehr fällt ihm momentan nicht ein. Er sendet die Nachricht in den noch ziemlich leeren Chatverlauf und wechselt dann zu Max. Der hat ihm allerdings nicht viel geschrieben, nur dass er jetzt auch seine Nummer hätte. Schnell tippt Eren ein Ok ein, schickt einen Screenshot davon in die Familiengruppe, sperrt das Smartphone und sieht dann hinaus auf die Straße.

 

~~~

 

Gedankenverloren sieht Eren aus dem Fenster und beobachtet eine Amsel im Schulhof, die angestrengt versucht einen Wurm aus der Erde zu ziehen, die vom Regen letzte Nacht ganz aufgeweicht ist. Den Ellbogen hat er auf der Tischplatte abgestützt und den Kopf auf der Handfläche. Heute ist er nicht so fit auf den Beinen. Schuld daran ist der letzte Punkt seiner gestrigen Liste, bei dessen Durchführung nur er und sein Vater in Erens Zimmer anwesend waren. Kein Arzt zum Beaufsichtigen der Vitalwerte. Es war auch schon ziemlich spät, Dr. Ryu hatte schon lange Feierabend und einem der anderen Ärzte traut Turano sein wertvollstes Familienmitglied nicht an. Dennoch hat der Mann darauf bestanden, den Test durchzuführen. Es steht immerhin auf dem Plan.

 

Im Grunde war der Test recht simpel. Dr. Ryu hat im Vorfeld das Mittelchen vorbereitet, sodass Eren es nur noch nehmen musste. Es hatte die Farbe von Silber, war allerdings von der Konsistenz her eher wie Wasser. Keine Ahnung was das war. Irgendeine nächste Stufe zur Immunisierung. Eren hat auch nicht nachgefragt, sondern das kleine Fläschchen einfach getrunken. Warum ausgerechnet unter der Woche vor einem Schultag ein neues Mittel mit unbekannten Nebenwirkungen getestet werden sollte, versteht er immer noch nicht.

 

Das Zeug zu trinken war jedenfalls ein großer Fehler. Es dauerte zwar wenige Minuten bis sich etwas bemerkbar machte, aber dafür war die Wirkung umso verheerender. Alles in ihm drin hat sich angefühlt, als würde es von Säure zerfressen werden. Er hat Blut und Schaum gespuckt, aus Nase, Augen und Ohren geblutet, sich eine gefühlte Ewigkeit vor Schmerzen im Bett gekrümmt und immer wieder geschrien. In einer Sekunde hatte er das Gefühl zu verbrennen, schon in der nächsten als würde er zu einem Eisblock erfrieren.

 

Sein Vater ist hilflos daneben gestanden, hat irgendwie versucht ihm mit Worten zu helfen, die Eren sowieso nicht gehört hat. Schließlich hat er es nicht mehr ausgehalten und wurde ohnmächtig.

 

Als er heute Morgen dann von seinem Wecker geweckt wurde, lag er in einer richtigen Blut- und Schweißpfütze, die mal sein Bett gewesen war. Jede einzelne Zelle hat bei jeder noch so kleinen Bewegung gebrannt, als würde die Prozedur von vorne beginnen. Nur ganz, ganz langsam hat er es geschafft, sich ins Badezimmer zu schleppen. Vor Schwindel musste er ein paar Pausen einlegen. Da sein Vater gnädigerweise eingesehen hat, dass Eren nicht in der Verfassung war weitere Strapazen zu erdulden, im Moment, hat er die morgendlichen Kräfteschrumpfungen abgesagt. Ajax war auch noch unterwegs und konnte nicht widersprechen.

 

Solche Schmerzen hatte er schon lange nicht mehr ertragen müssen. Was auch immer das war, Eren hofft, dass die Mischung so schnell nicht erhöht wird. Das gute ist, er bekommt noch heute ein neues Bett, das schlechte, es tut ihm noch immer jeder Muskel weh. Zumindest nicht mehr so schlimm, als dass er es nicht mehr verstecken könnte, aber schlimm genug, dass er sich zu nicht mehr fähig fühlt als mit abgestütztem Kopf einer Amsel zuzusehen.

 

„Eren, wenn du Zeit hast aus dem Fenster zu starren, bist du sicher schon fertig, oder?“, holt ihn eine strenge, lispelnde Stimme zurück ins Klassenzimmer.

 

Der geschundene Turano dreht den Kopf und blickt seinem Mathelehrer Herr Tucker ins Gesicht. Es ist die dritte Schulstunde und eigentlich ist die Klasse gerade mitten in einer Prüfung. Eren hätte die Wahl gehabt, diesen Test noch auszusetzen, weil er neu ist, aber da er den Stoff sowieso schon beherrscht, hat er eingewilligt mitzuschreiben.

 

„Ja, bin ich“, gibt Eren Antwort und versucht gleichzeitig seinen Magen davon zu überzeugen, dass er sich nicht gleich wieder aufregen braucht, nur weil er den Kopf bewegt hat. Er hätte sowieso keinen Inhalt, um sich zu übergeben. Er hat heute noch nichts gegessen.

 

„Ach ja?“ Mit dieser Antwort hat der Mann wohl absolut nicht gerechnet. Er blinzelt völlig aus dem Konzept gebracht. „Bist du dir sicher? Ihr hättet noch eine halbe Stunde Zeit. Willst du dir die Aufgaben nicht noch einmal ansehen?“

 

„Nein, ich bin fertig.“

 

„Nun gut. Dann kannst du dich ja für den Rest der Stunde still beschäftigen.“ Mit diesen perplexen Worten nimmt der Lehrer Erens Prüfung mit zum Pult, legt sie verdeckt ab und beginnt wieder mit seinen Aufsichtsrunden durch die Reihen, um Spicker auf frischer Tat zu ertappen.

 

Die verbleibenden Minuten bis zur Pause hat Eren dösend verbracht, die Arme verschränkt auf der Tischplatte und den Kopf darauf gebettet. Dabei hat er sich nur auf seine eigene Atmung und den Herzschlag konzentriert, um die Heilkräfte zu unterstützen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück