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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Kollabierende Gefühle

Sobald Eren aufgestanden ist, springen die beiden Männer entsetzt auf, jegliche Farbe ist aus ihren Gesichtern gewichen. Sogar dem sonst so emotionslosem Ajax steht der perplexe Schock deutlich ins Gesicht geschrieben.

 

„Eren?! Seit wann bist du hier?“, verlangt sein Bruder zu erfahren, ohne sich die Mühe zu machen, ruhig zu klingen. „Wie lange lauscht du schon?“

 

„Wieso liegst du nicht im Bett?“, fügt sein Vater mit einem schiefen Lächeln hinzu.

 

Der Zwölfjährige überhört ihre Fragen, zu viele schwirren ihm selbst im Kopf herum und schreien nach einer Antwort. Seine Stimme klingt heiser als er sie zur Rede stellt: „Ist es wahr? Ich bin adoptiert? Und Ajax auch?“

 

Die beiden Männer sehen sich ertappt mit schwer deutbaren Blicken an. Diese schweigsamen Sekunden sind für Eren reinste Folter. Er ballt die Hände zu Fäusten, um das Zittern zu verbergen. Dass sich dabei die Krallen in seine Handflächen bohren, bemerkt er kaum.

 

„Hör zu, Eren“, beginnt Turano vorsichtig.

 

Sogleich unterbricht ihn der Junge, was er vorher noch nie gewagt hat. „Antwortet mir! Und keine Lügen!“

 

Ungläubig blinzelt der Mann ihn an, doch es ist Ajax, der das Wort ergreift. „Eren, spricht man etwa so mit seinem Vater?“

 

„Ich will wissen, ob er überhaupt mein Vater ist!“, entgegnet Eren äußerst bemüht darum ruhig zu bleiben, dem Dämon nicht nachzugeben, der immer wieder Stirb, du Lügner in seinem Kopf brüllt. Der Engel ist inzwischen längst verstummt.

 

Sein Bruder kneift angespannt die Augen zusammen, als Turano tief durchatmet, sieht er ebenfalls zu ihm. „Du hast ja recht, Eren. Es wird Zeit für die Wahrheit.“

 

„Du willst es ihm wirklich sagen?“, hakt Ajax überrascht nach und fügt leiser hinzu: „Soll ich nicht lieber das Memory-Serum holen?“

 

Benedikt schüttelt den Kopf. „Diesmal nicht.“

 

Geschockt starrt Eren die beiden Männer an. „Diesmal? Ihr habt an meinen Erinnerungen rumgespielt?!“

 

Schuldbewusst zuckt Dr. Ryu hinter der Couch zusammen und betrachtet ihre Stiefelspitzen, ohne diese wahrzunehmen. Ajax und Benedikt zeigen nicht ansatzweise ein schlechtes Gewissen deswegen.

 

„Ja, haben wir. Aber es war nur zu deinem besten“, behauptet Turano schnell.

 

„Zu meinem besten?“, wiederholt der Junge und lacht trocken auf. „Das ist die bescheuertste Ausrede, die es gibt!“

 

„Eren, achte auf deine Wortwahl“, ermahnt ihn Ajax mit verschränkten Armen.

 

Eren ignoriert ihn.

 

„Lass es uns erklären, dann wirst du es verstehen.“ Der Mann hält an der Lüge fest. „Fangen wir von vorne an. Zu deiner ersten Frage: ja, Ajax und du, ihr seid adoptiert.“

 

Erens Körper stellt alle Funktionen ein. Er hat es ja schon vor dem Geständnis gewusst, es aber jetzt bestätigt zu hören, bohrt eiskalte Krallen des Verrats in sein Herz.

 

Sie haben uns tatsächlich all die Jahre belogen?! Das werden sie bereuen! Ich bestrafe sie! Lass mich frei!

 

„Eren, hör mir bitte zuerst zu, bevor du uns verurteilst, ja?“, fleht der Mann schon fast und geht dabei auf den Jungen zu.

 

Dieser weicht gleichzeitig zwei Schritte zurück, was Turano sichtlich verletzt. Doch das ist Eren im Augenblick vollkommen egal. Sie haben ihn sein Leben lang angelogen! Weil sie ihn hierbei belogen haben, fragt er sich zwangsläufig: Bei was noch? Was haben sie ihm noch alles vorgespielt und verheimlicht? Wer sind die beiden Männer, von denen er dachte, sie wären seine Familie?

 

„Heißt das, das andere ist auch alles wahr?“ Erens Stimme ist belegt, er wagt es kaum die Worte über seine Lippen zu bringen, aus Angst, sie sind genauso wahr. Aber er muss es einfach wissen. „Die Menschen im Bunker, all ihre Fähigkeiten … Sie sind nur Resultate irgendwelcher Experimente? Die Kräfte kommen gar nicht von Flaurana?“ Eren wartet gar nicht auf eine Antwort, die Blicke der beiden sagen alles. „Dann stimmt es also. Auch, dass ihr nur wollt, dass ich die Verwandlungen hinbekomme, weil ihr das Blut der beiden Seiten braucht?“

 

„Grob vereinfacht: ja“, antwortet der Mann ehrlich. „Beruhige dich bitte, lass uns das alles in Ruhe klären.“

 

Eren ist gar nicht mehr in der Verfassung rational zu denken oder auch nur ruhig zuzuhören. Der Dämon in ihm und seine eigenen Gedanken schreien in seinem Kopf um die Wette. Alles in seinem Körper zieht sich schmerzhaft zusammen, außerhalb dreht sich der Raum immer schneller. Er fühlt sich, als hätte ihm jemand zuerst das Herz herausgerissen und anschließend den Boden unter den Füßen eingeschlagen. Und jetzt fällt er unaufhaltsam immer tiefer hinab in seine Verzweiflung ohne Aussicht auf ein Rettungsseil.

 

„All die Jahre … Mein ganzes Leben … Ich hab alles getan, was ihr von mir verlangt habt. Hab das ganze Training über mich ergehen lassen. Hab alles getan, um euch stolz zu machen. Und ihr? Ihr habt mich die ganze Zeit nur belogen. Ihr führt Experimente an Menschen durch. Ihr habt mich mein Leben lang gefoltert, mich nur benutzt, um an mein Blut zu kommen, mir was vorgespielt. ... Ihr … Ihr …“ Erens Atmung wird unregelmäßig, hysterisch. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er vor sich hin, ohne etwas wahrzunehmen oder die Versuche ihn zu beschwichtigen zu hören. „Ihr habt mich zu einem Mörder gemacht. Wie viele der Zielpersonen haben wirklich den Tod verdient? Wie viele waren nur Teil eines eurer dämlich Tests, um herauszufinden, ob ich Unschuldige immer noch umbringen kann? War überhaupt irgendetwas, was ihr mir jemals gesagt habt, wahr?!“

 

Das alles hier wird ihm zu viel. Es überfordert ihn nicht nur, die Lügen überrollen ihn. Er hält die Wahrheit einfach nicht mehr aus. Es tut weh. Körperlich und seelisch. Er kann nicht mehr. Er will, dass das alles aufhört. Im Versuch das Karussell in seinem Kopf zu stoppen, presst er sich die Hände an die Schläfen. Ein nutzloser Versuch. Der rechte Arm ist mittlerweile bis zum Ärmel des T-Shirts schwarz gefärbt, nur noch wenige einzelne Haare haben die natürliche Braunfärbung. Der Dämon ist kurz davor die Oberhand zu gewinnen. Und Eren hat nicht vor ihn aufzuhalten.

 

~~~

 

Komm zu mir, Eren. Ich kann dir den Wunsch erfüllen.

 

Eren ist wieder einmal im Spiegelraum gelandet. Im weißen Spiegel herrscht nur dichter Nebel, nicht einmal die goldenen Augen beobachten ihn. Im rechten, dunklen Spiegel steht die vollständig sichtbare Gestalt des Dämonen-Eren mit verschränkten Armen und sieht ihm genauso aufgewühlt, wütend und rachsüchtig entgegen, wie er sich fühlt.

 

Ich lasse sie den Tag bereuen, an dem sie uns das erste Mal belogen haben. Sie werden uns nie wieder anlügen, nie wieder für ihre egoistischen Zwecke missbrauchen. Das verspreche ich.

 

Der Junge steht zwischen den beiden Spiegeln, den Kopf gesenkt, die Augen leer auf den nicht vorhandenen Boden gerichtet. Wie in Trance nähert er sich mit emotionslosem Blick langsam der dunklen Seite, angelockt von den süßen Versprechungen des Dämons darin, der ihm aus roten Augen triumphierend entgegen starrt.

 

Gut so. Du tust das richtige. Sie haben uns verletzt, wir revanchieren uns nur für all die Jahre in denen sie uns gefoltert haben und es Training nannten. Für alle Missionen, für die sie uns nur als Marionetten missbraucht haben. Sie haben uns angelogen, ausgenutzt, vergiftet, verbrannt, eingefroren, erstochen, erschossen, ausgesetzt und mehrmals beinahe getötet ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

 

Eine ganz, ganz leise Stimme in ihm drin meldet sich, dass er sofort umdrehen soll ... aber er tut es nicht, blendet die Vernunft aus und geht stoisch weiter. Schritt für Schritt nähert er sich der dunklen Gestalt bis er nur noch wenige Zentimeter vom Spiegel entfernt ist.

 

Lass mich frei, Eren. Du weißt, die beiden haben es verdient bestraft zu werden. Immerhin haben sie uns schon immer belogen. Sie wollten nur unser Blut haben, um einen geheimen Plan umzusetzen, dieses Projekt Apex Life, von dem sie uns auch nichts erzählt haben. Sie haben uns als Quelle bezeichnet. Sie haben uns ihre Drecksarbeit machen lassen und uns zu Mördern gemacht. Viel zu lange haben wir uns wie brave Spielsteine in ihrem kranken Spiel bewegt. Damit ist jetzt Schluss! Heute bekommen sie alles zurück!

 

Wie von einem unsichtbaren Faden geleitet, hebt der Zwölfjährige seinen rechten Arm und legt die Handfläche auf den Spiegel. Da sich das Mal ohnehin schon viel zu weit ausgebreitet hat, existiert keine Spiegeloberfläche mehr. Seine Hand gleitet sofort hinein.

 

Sehr gut. Komm rein, Eren. Ich werde das für uns regeln. Ruh du dich aus.

 

Bereitwillig steigt der Junge durch den Rahmen ohne den geringsten Widerstand zu leisten als sich zeitgleich der Dämon befreit. Im Inneren des Spiegels bleibt Eren mit dem Rücken zum grauen Raum stehen, den Kopf und die Schultern noch immer gesenkt. Er bewegt sich nicht, starrt nur abwesend in die schwarze Leere um ihm herum.

 

Auf der anderen Seite des Spiegels entfaltet der Dämon seine Schwingen und lässt die Knöchel angriffslustig knacken.

 

Keine Sorge, Eren. Sie haben uns das letzte Mal belogen. Wird Zeit endlich mal wieder ein bisschen Spaß zu haben.



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