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Festival of Blood

von

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1

Samantha Davis zog genüsslich an dem Strohalm, welcher ihr den köstlichen Smoothie in den Mund beförderte, bevor sie den Becher wieder in der Mittelkonsole ihres Leihwagens verstaute und den Arm lässig aus dem geöffneten Fenster streckte und der Musik aus dem Radio lauschte. Das Navi meldete sich kurz zu Wort und gab ihr neue Anweisungen, welche die junge Frau sofort befolgte. Nachdem sie sich auf der neuen Straße sicher eingeordnet hatte machte sie es sich erneut auf ihrem Fahrersitz gemütlich.

Ab und zu fuhr sie sich mit gespreizten Fingern durch ihre offenen braunen Haare, tippte mit den Fingern im Takt der Musik auf das Lenkrad, ab und zu sang sie sogar ein paar Strophen mit.

Nach einiger Zeit nahm sie ihre Sonnenbrille ab, der Himmel hatte sich zunehmend mit dunklen Wolken zugezogen und es sah verdächtig nach einem kräftigen Regenschauer aus. Genau in diesem Moment blinkte das Motorsymbol ihres Wagens auf und ein ungutes Piepen übertönte die Musik.

„Das ist nicht gut…“, murmelte die junge Frau und setzte sich wieder in eine aufrechte Position.

Unruhig beobachtete sie, wie immer mehr Symbole piepend aufleuchteten, der Wagen ließ sich zunehmend schwerer lenken.

„Oh bitte nicht!“, stöhnte Samantha genervt und schlug auf das Lenkrad ihres nun immer langsamer werdenden Autos ein.

Der Wagen hatte ihr bereits vor 65 Meilen durch immer wieder aufblinkende Symbole zu verstehen gegeben, dass er allmählich die Schnauze voll hatte. Er konnte ja schließlich nichts dafür, dass Samantha zu spät aufgestanden und somit der klimatisierte Leihwagen mit deutlich mehr PS bereits vergriffen war. Hätte sie doch bloß auf der Internetseite auf reservieren geklickt! Das Auto stand nun endgültig mitten auf der Straße und machte auch keinerlei Anstalten mehr weiterzufahren.

Verdammt nochmal! Frustriert stieß Samantha die Wagentüre auf und kletterte nach draußen.

„Fuck!“, zischte sie und trat mit voller Wucht gegen den Vorderreifen, woraufhin die Motorhaube demonstrativ mit einem lauten „Puff“ aufsprang und weißer Rauch emporstieg.

„ECHT JETZT?!“

Die junge Frau riss die Arme gen Himmel empor und stieß sämtliche Flüche und Schimpfwörter auf einmal aus, bevor sie sich gegen den linken Vorderreifen fallen ließ und in ihrem Handy nach der nächsten Werkstatt suchte.

„Herzlichen Glückwunsch Miss Davis! Sie haben den Hauptgewinn gezogen und dürfen laaange laufen!“, ächzte Samantha und stand wieder auf.

Die Tatsache, dass der Himmel immer dunkler und der Wind immer rauer wurde machte ihre Gesamtsituation wohl kaum besser.

Sie holte ihre Umhängetasche und zwei Flaschen Eistee aus dem Kofferraum, blickte ein letztes Mal auf den immer noch qualmenden Leihwagen und lief los. Immer am Straßenrand entlang ging Samantha sämtliche Szenarien durch, wie die Reaktionen ihrer Mutter sein könnten wenn sie ihr erklärte, was passiert war und welchen Rattenschwanz es hinter sich herziehen würde. Die junge Frau stöhnte mehrmals entnervt auf, denn egal welche Taktik sie anwenden würde, es würde ein Drama geben. Wie immer...

Sie nahm einen kräftigen Schluck ihres Eistees und stieg auf einen kleinen Hügel um eine bessere Übersicht zu haben. Ihre Füße schmerzten jetzt schon und Samantha befürchtete, dass sie an Nicoles Hochzeit mit offenen Blasen in die teuren Schuhe steigen müsste. Wie ätzend! Wieso musste sie gerade an einem so wichtigen Tag den Wecker überhören?! So was passierte aber auch wirklich nur ihr. Samantha versuchte es zu vermeiden immer wieder auf ihr Handy zu sehen um Akku zu sparen, daher hatte sie nach einer Weile das Zeitgefühl völlig verloren. Natürlich hatte es vor ein paar Minuten auch noch zu regnen begonnen.

„Shit!“, fluchte sie und wischte sich eine nasse Haarsträhne von der Stirn bevor sie ihr Cap wieder aufsetzte, „ich hasse dich auch Karma...“

Es musste ungefähr früher Nachmittag sein, der Regen war stärker geworden, Samanthas Klamotten klebten bereits an ihr, jeder weitere Schritt war nur noch eine Qual und an den Muskelkater, welchen sie spätestens morgen haben würde wollte sie noch gar nicht denken.

„Kommt bitte dieses Mal pünktlich!“, hörte sie die mahnende Stimme ihrer Mutter im Kopf und rollte theatralisch mit den Augen.

„Ja Mama“, hatte Samantha beim Telefongespräch von letzter Woche gestöhnt.

„Du weißt, dass Onkel Jeff uns das wieder monatelang vorhalten wird!“

„Ja Mama...“

„Die halbe Verwandtschaft macht sich bereits über uns lustig!“

Erneut hatte Samantha die Augen verdreht und war in ihrer Wohnung auf und abgelaufen.

„Deine Kleider habe ich dir bereits gekauft, dass wenigstens diese pünktlich vor Ort sind!“

Moment mal...Kleider? Plural? Wie lange sollte diese Hochzeit eigentlich gehen?

„Jetzt übertreib nicht Mama!“, rief Samantha empört und knabberte an ihrem Fingernagel, „das letzte Mal war ich nur knapp zwei Stunden zu spät!“

„Ja! Zwei ganze Stunden! Und Onkel Jeff hat es mir ein halbes Jahr täglich aufs Brot geschmiert!“

„Ich kann doch auch nichts dafür, dass der Highway verstopft war...“

„Wenn du rechtzeitig losgefahren wärst...“

„Er macht aber auch immer ein Drama wo keines ist...“

„Kindchen bitte nicht an den Nägeln knabbern!“

Augenblicklich hatte Samantha ihre Finger wieder aus dem Mund genommen und ihrer Mutter mehrmals versprochen, dass sie es zu Nicoles Hochzeit pünktlich schaffen würde.

Und hier war sie nun mitten im Nirgendwo seit Stunden zu Fuß im Regenschauer unterwegs und hatte nur noch eine halbe Flasche Eistee übrig. Langsam machten ihre Nerven schlapp und sie ging erneut sämtliche Szenarien durch, was passieren würde, falls ihr die Flüssigkeit ausging. Im Abendprogramm hatte Samantha schon immer gerne Survival Shows angesehen, doch jetzt begann sie langsam zu realisieren, dass sie nicht dafür bereit war ihren eigenen Urin aus ihrem Schuh zu trinken...zumal sie offene Riemchensandalen trug.

„So schlimm wird es schon nicht werden...mach dich nicht unnötig verrückt“, sprach sich die junge Frau selber Mut zu, musste jedoch feststellen, dass es sie nur noch panischer machte.

Ihre Schritte wurden auf einmal wieder schneller, hastiger und dann passierte es auch schon. Durch ihre Panik gepaart mit den Riemchensandalen rutschte Samantha auf einem nassen Blätterhaufen aus, ruderte wie wild mit ihren Armen, knickte mit ihrem Knöchel um und es legte sie der Länge nach zu Boden.

„ECHT JETZT KARMA?!“, schrie die junge Frau vor Schmerz und hielt sich die verletzte Stelle, „ich hasse dich ja auch...aber ECHT JETZT?!“

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit geworden, dass sie nun doch ihren eigenen Urin trinken müsste? So langsam schien ihr zu dämmern, dass die Hochzeit ohne sie stattfinden würde. Nicht, weil sie sich wie alle erwarteten verspäten würde, sondern weil irgend ein wildes Tier an ihrem Oberschenkelknochen nagen würde. In einer dunklen Höhle. Weit weg von hier.

Tränen von Frust und Verzweiflung stiegen Samantha in die Augen und sie rieb sich schluchzend den Knöchel, weshalb er ihr nur noch mehr schmerzte.

„Was kann ich denn überhaupt?“, schniefte die junge Frau und wischte sich den Rotz unter der Nase mit dem Arm weg, „alles mach ich falsch!“

Langsam robbte sie über den nassen Waldboden durch den Matsch zum nächsten Baum, welcher der erste einer kleinen Lichtung war und lehnte sich gegen seinen Stamm. Vorsichtig zog Samantha sich die Sandale vom Fuß und versuchte sich ihren Knöchel mit kalten nassen Moos und Laub zu kühlen. Als der Schmerz endlich für einige Sekunden gemildert wurde schloss sie die Augen und stöhnte erleichtert auf, ließ ihren Oberkörper wie einen nassen Sack gegen den Stamm fallen und legte den Kopf gen Nacken. Sie horchte dem Rauschen des Regens um sich herum, den Rascheln der Blätter im Wind und irgendwo in unmittelbarer Nähe plätscherte ein Bach. Wenn sie es bis zu diesem Bach schaffen würde, dann könnte sie ihren Fuß noch effektiver kühlen.

Unter lautem Ächzen raffte sich die junge Frau wieder auf die Beine, ihren verletzten Fuß so gut wie nur möglich schonend und humpelte in die Richtung, woher das Plätschern kam. Nach Weile erreichte sie einen gefällten Baumstamm, welcher bereits großzügig mit Moos bewachsen war und setzte sich erleichtert seufzend darauf. Hier würde sie eine Pause einlegen, kurz verschnaufen und ihrem Puls erlauben, wieder in humanen Abständen zu schlagen. Samanthas lange braune Haare, welche sich durch Wind und Wetter beinahe alle aus ihrem lockeren Dutt gelöst hatten klebten an ihrem Körper. Mit einem geübten Handgriff löste sie ihren Haargummi und schüttelte kräftig ihren Kopf, so dass ihr fast schon schwindelig wurde. Als sie einzelne Strähnen aus dem Gesicht gewischt hatte horchte sie angespannt auf und sah sich ein wenig um. Natürlich wusste sie, dass sie sich das Geräusch von eben nur eingebildet hatte, ein listiges Spiel ihrer Fantasie, dennoch versteifte sich ihr Körper immer mehr und irgendein komisches Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.

Sie hatte vor einiger Zeit schon durch Nässe und Wind zu zittern begonnen, aber dieses Zittern, was sie jetzt hatte…

„Hallo?“, rief Samantha nach links.

Nichts. Natürlich nichts! Wenn sie ein jagendes Tier wäre, würde sie ja auch nicht antworten!

„Oh man…“, seufzte sie und tadelte sich dafür, sich mit diesen Gedanken noch mehr Angst gemacht zu haben.

Jetzt wurde sie noch unruhiger und ihr Gehör bildete sich immer mehr imaginäre Geräusche ein. Aber...was wenn es gar nicht imaginär war…?

„Hör jetzt auf damit!“, rief Samantha laut und verpasste sich selber eine Ohrfeige.

Mit einem lauten Schluchzen, denn die Ohrfeige war fester gewesen als geplant, stemmte sich die junge Frau von dem Baumstamm ab und humpelte weiter in Richtung des Baches. Allmählich wurde das Plätschern lauter, woraufhin sich Samanthas Stimmung wieder aufhellte. Die Büsche wurden dichter, sie hatte mit ihrem verletzten Fuß alle Mühe sich hier durchzukämpfen. Natürlich verhedderte sich ihr Oberteil in den kleinen Ästen, wodurch Samantha gezwungen war stehen zu bleiben. Sie fummelte verärgert vor sich her fluchend an dem Stoff und den Blättern herum, als plötzlich aus dem Nichts ein lauter und viel zu naher Tierschrei ertönte. Wie versteinert stand sie nun da, die Augen weit aufgerissen, ihre Hände verkrampften sich und ihr Körper bebte nun so stark, dass ihre Zähne schmerzhaft aufeinander klapperten. Samantha war vor Jahren mit ihrem Großvater jagen gewesen um zu wissen, dass das, was sie da eben gehört hatte definitiv der Jäger war. Ein Späher, welcher dem Rest des Rudels zu verstehen gab, dass er die Beute ausgemacht hatte.

Samanthas Kopf fuhr ruckartig herum, als nur wenige Meter neben das Knacken eines Zweiges zu hören war. Die Büsche und Sträucher in unmittelbarer Nähe wackelten in einer gleichmäßigen Bewegung, etwas kam gerade auf sie zu gelaufen.

„FUCK!“

Samantha zerrte an ihrem Oberteil, der Stoff riss und die junge Frau fiel nach hinten über. Sie ruderte wie wild mit den Armen, um noch in letzter Sekunde wieder das Gleichgewicht zu erlangen, blieb dann jedoch mit ihrem verletzten Fuß an einer Baumwurzel hängen und landete unsanft auf ihrem Hintern.

„Ah...shit…“, keuchte sie und blickte durch die Sträucher hindurch.

Zwei leuchtend rote Augen waren starr auf sie fixiert, die Pupillen waren so klein wie Stecknadelköpfe. Zäher Speichel tropfte von weißen spitzen Fangzähnen, welche nur darauf warteten, sich in Samanthas weiches Fleisch zu bohren.

„Du bist...kein...Hund…“, keuchte die junge Frau, ihr Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell, während sie versuchte sich vorsichtig nach hinten weg zu schieben. Vor allem weg von diesem Ding, welches sie immer noch anstarrte.

Ein Geräusch aus einer Mischung von Knurren und Bellen ertönte, Samantha rutschte vor lauter Schreck mit ihrem Fuß auf dem nassen Laub aus und ihr entfuhr ein heller Aufschrei. Darauf hatte das Tier mit den roten Augen nur gewartet.

Es preschte hervor, Samantha schrie erneut auf. Ihre Füße stemmten sich gegen den nassen Waldboden und dann rannte sie. Sie rannte so schnell sie nur konnte, sie spürte im Moment keinen Schmerz mehr, nur noch nackte Angst. Hinter sich hörte sie immer noch das Tier mit den roten Augen, wie es sie vor sich her hetzte, seine Beute.

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sich die junge Frau, ob es vielleicht Sinn machen würde auf einen Baum zu flüchten, doch dann fiel ihr wieder ein, dass es regnete und beinahe alle Bäume mit Moos bewachsen waren. Und sie konnte eigentlich auch gar nicht so gut klettern. Wie viele Filme hatte sie bereits gesehen, wo die junge Frau vor irgendeinem Bösewicht floh und jedes Mal, wenn diese auf einem Baum oder Felsvorsprung klettern wollte packte sie etwas am Fuß. Ende Gelände.

Oh nein! Nicht mit mir!, dachte Samantha und griff nach einem dünneren Baum, sie wirbelte herum, rutschte nur minimal auf dem nassen Laub und hetzte dann in eine andere Richtung. Ihre Lungen brannten mittlerweile, sie hatte das Gefühl gar nicht mehr richtig Luft einzuatmen, doch stehen bleiben kam auf keinen Fall in Frage! Hinter ihr gab das Tier ein genervtes Knurren von sich, so als hätte es allmählich genug und würde sie gleich fangen wollen.

„BITTE NICHT!!“, rief Samantha und versuchte ihren Baumtrick gleich noch einmal.

Diesmal erwischte sie jedoch einen morschen Stamm, welcher unter dem Schwung und ihrem Gewicht mit einem lauten Knacken sofort nachgab. Samantha wurde zu Boden geschleudert und kullerte noch ein paar Meter weiter, dann gab der Waldboden unter ihr nach und sie rutschte einen Hang herunter. Als hätte sie eine Hornisse gestochen sprang die junge Frau sofort wieder auf ihre Beine und erblickte einige Farmgebäude nur wenige hundert Meter vor sich.

Gerade als sie erleichtert aufatmen wollte hörte sie wieder das Tier hinter sich laut aufknurren. Anscheinend suchte es eine flachere Stelle um seine Jagd wieder aufnehmen zu können, doch so lange würde Samantha nicht warten. Wieder rannte sie um ihr Leben, versuchte um Hilfe zu schreien, doch ihre geplagten Lungen ließen es wie ein erbärmliches Pfeifen des Windes klingen.

Ein knurrendes Bellen ertönte erneut hinter ihr und durch das durchaus kürzere Gras konnte sie die Pfoten ihres Verfolgers über den Boden schnellen hören.

Gleich würde sie es haben. So kurz vor ihrem Ziel, so klischeehaft. Es würde sie zu Boden drücken, ihr Fleisch mit seinen Zähnen heraus reißen und sie würde dabei noch bei vollem Bewusstsein sein. Die Ranch kam nur sehr langsam näher, Samantha merkte, wie ihr Körper bereits von sich aus langsamer wurde. Er hatte bereits aufgegeben…

Als die junge Frau ein letztes Mal unter Tränen aufsah bemerkte sie, wie eine einzelne Person neben dem Gebäude, einem Stall hervorgetreten war und genau in ihre Richtung blickte.

„HEEEY!“, schrie sie auf, wedelte wild mit den Armen, verlor dabei ihr Gleichgewicht und stürzte erneut zu Boden.

In dem Moment, als sie feste damit rechnete, dass das Tier mit den roten Augen das erste Mal seine langen Zähne in ihr Fleisch bohren würde ertönte ein lauter Knall, dann noch einer. Etwas jaulte schmerzhaft auf, es folgte ein dritter Knall und dann war es ganz plötzlich ruhig. Nur das Rauschen des Regens war zu hören und Samantha hob wie in Zeitlupe ihren Kopf. Die Person, welche sie eben erst entdeckt hatte stand breitbeinig einige Meter vor ihr, Rauch quoll aus einer Schrotflinte. War es endlich vorbei? Hatte sie tatsächlich überlebt?

Hastig rollte sie sich auf den Rücken und blickte in Richtung aus der sie gekommen war. Zwei tiefe Einschussmulden waren zu sehen, eine davon nur knapp von ihren Füßen entfernt. Der dritte Schuss musste das Tier mit den roten Augen erwischt haben, dennoch war es nirgends zu sehen. War es etwa nur verwundet worden? Samantha stand mühsam auf, ihre Knie wackelten als stünde sie auf einer Vibrationsmatte und erst jetzt konnte sie ihre brennenden Lungen das erste Mal in vollem Ausmaß spüren, sie hustete heftig, es schüttelte ihren ganzen Körper und dann erbrach sie.

Es dauerte einige Momente, bis sie sich wieder gefangen hatte und erst danach sah sie einen tiefroten nassen Fleck im Gras, nur knapp einen Meter von sich entfernt. Als ihr durch diesen Anblick bewusst wurde, wie nah sie tatsächlich dem Tode gewesen war erbrach sie sich erneut. Sie verweilte einen Augenblick noch kurz über dem Boden kauernd, dann blickte sie sich nach ihrem Retter um.

Doch da stand niemand mehr. Sie konnte sich das alles nicht nur eingebildet haben! Samantha fand erneut die beiden Einschussmulden im Boden und den Blutfleck, dennoch war kein Schütze mehr aufzufinden. Vorsichtig ging sie auf wackeligen Beinen die paar Meter zu der Scheune, hielt sich an der Holzwand kurz fest, bevor sie zögernd um die Ecke sah.

Was sie erblicken konnte waren zirka zwanzig weiße Schafe, welche genügsam mähend brav in einem Kreis herumstanden, in ihrer Mitte stand ein junger Mann. War dieser Mann ihr Retter? Samantha hatte vorher sein Gesicht nicht wirklich sehen können, zumal er ein Cap tief in sein Gesicht gezogen auf hatte und jetzt stand er mit dem Rücken zu ihr. Oberkörper frei. Trotz Regen.

„Ähm...entschuldigen Sie…?“, versuchte Samantha auf sich aufmerksam zu machen.

Der Mann, welcher anscheinend gerade damit beschäftigt war seine Herde zu scheren reagierte nicht auf sie. War sie so leise gewesen? Die junge Frau ging noch ein paar unsichere Schritte auf das Gewusel vor sich zu, dann regte sich ihr Gegenüber zum ersten Mal.

„Wenn du jetzt noch einen Schritt näher kommst, verscheuchst du meine Schafe!“, rief er ihr zu, ohne von seiner Arbeit abzulassen.

Samantha blieb starr und wie angewurzelt stehen. Sie beobachtete ihn noch eine Weile, wie er da so ein Schaf nach dem anderen die weiße Wolle routiniert mit einer Elektroschere abschnitt, es wegschob und sich gleich das nächste holte.

„Ich...ich wollte mich bei Ihnen bedanken, Sir! Sie haben mir das Leben gerettet!“

Er ignorierte sie erneut. Langsam fühlte sich Samantha dann doch von ihm verarscht und ging zwei weitere Schritte nach vorne. Kaum hatte sie zum dritten Schritt angesetzt, verstummten plötzlich alle Schafe, blickten zu ihr auf und verstreuten sich unter aufgeregtem Mähen in alle Richtungen. Der Mann hielt in seiner Position inne und auch Samantha war erneut zu einer Salzsäule erstarrt.

„...ups…“, raunte sie und sah den Tieren nach, welche immer noch wie aufgescheucht rannten.

„Habe ich dir eben nicht erst gesagt, dass du da stehen bleiben sollst?!“, fauchte der Mann sie jetzt an und ging strammen Schrittes auf sie zu.

„Ähm aber ich...ähm…“, stammelte die junge Frau, als er direkt vor ihr zum Stehen kam.

Eingeschüchtert blickte sie mit eingezogenem Kopf zu ihm auf, er war locker zwei Köpfe größer als sie und selbst durch seine verspiegelte Sonnenbrille konnte Samantha die hasserfüllten Blicke spüren, mit welchen er auf sie herabsah.

„Tut...tut...mir leid…“, murmelte sie und wich zwei Schritte zurück.

„Damit gewinne ich jetzt auch keinen Blumentopf mehr! Hast du eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, alle Schafe einzufangen?“

Samantha erinnerte sich daran, dass sämtliche Tiere eben völlig tiefen entspannt um ihn versammelt gestanden hatten, doch sie traute sich nicht zu widersprechen. Sie wich lieber noch einen Schritt zurück.

Der Mann wandte sich von ihr ab und schimpfte weiter wild vor sich her, hob die Elektroschere vom Boden auf und stampfte deutlich angepisst in die Richtung, wo sich die meisten Schafe versammelt hatten. Samanthas Atem ging immer noch zittrig und sie nutzte die Gelegenheit, um sich etwas umzusehen. Sie stand direkt neben einer Scheune, anscheinend wurden dort die Tiere untergebracht, wenn sie nicht auf der Weide standen. Ungefähr dreißig Meter gegenüber vom Stall stand das Wohngebäude, dahinter war eine großzügige Fläche eingezäunt. Weiter links von der Scheune, bei welcher Samantha sich gerade befand stand eine weitere ihrer Art. Bei schönem Wetter würde der Anblick hier weitaus angenehmer und nicht so trostlos sein wie jetzt, es hatte zwar mittlerweile aufgehört wie aus Kübeln zu regnen, doch der Himmel war immer noch dunkelgrau.

Die junge Frau zitterte heftig, wahrscheinlich eine Mischung aus Angst und Kälte, ihre nassen Klamotten klebten ihr am Leib wie eine zweite Haut. Samantha ließ den Blick weiter über die Ranch gleiten in der Hoffnung noch jemanden außer dem Schafe scherenden Rüpel zu erblicken, doch leider schien er der einzige weit und breit zu sein.

Langsam ging sie in dessen Richtung, blieb allerdings mit respektvollem Abstand zu ihm und den Schafen stehen und räusperte sich. Die flauschigen Tiere blickten erneut alle auf einmal zu ihr auf.

„Können Sie mir vielleicht sagen, was das für ein Tier war?“

„Das sind Schafe“, antwortete er knapp, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Ja das sehe ich auch!“ Samantha rollte theatralisch mit den Augen, „ich meine das Vieh, welches mich verfolgt hat!“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

Auch diese Antwort kam viel zu schnell und zu knapp. Samantha schüttelte ihren Kopf und deutete in die Richtung aus der sie gehetzt worden war.

„Verkaufen Sie mich nicht für blöd! Da hat mich was verfolgt und ich will wissen, was es war!“

Der Mann ließ von dem geschorenen Schaf ab und drehte sich in der Hüfte zu ihr um.

„Na dann geh halt wieder zurück, vielleicht findest du es noch einmal...oder besser gesagt es findet dich!“

Samantha stampfte wütend mit dem verletzen Fuß auf den Boden, japste dann schmerzhaft auf, was dem Mann ein gehässiges Kichern entlockte. Er schmiss die Elektroschere achtlos auf den Boden und drehte sich nun voll zu ihr um. Er konnte unmöglich älter wie Mitte zwanzig sein, seine nackte Haut war von der Arbeit unter freiem Himmel dezent gebräunt, sein trainierter Oberkörper war vollkommen unbehaart und glänzte vor Schweiß und Regentropfen. Unter seiner Cap spitzten einzelne schwarze Haare hervor.

„Hören Sie“, versuchte es die junge Frau erneut und spürte wie sich Verzweiflung in ihr breit machte, „das Vieh muss hier noch irgendwo herumlaufen!“

„Gut möglich.“

„Was war es?“

„Nur ein Hund.“

„Ein Hund?! Welcher Hund hat rote Augen??“

„Ein wilder Hund.“

Samantha ließ entnervt ihre Schultern hängen und blickte ihr Gegenüber fassungslos an. Anscheinend wollte er ihr nicht helfen, auch wenn er eben noch ihr Leben gerettet hatte.

„Gibt es hier irgendwo in der Nähe eine Werkstatt? Mein Auto ist…“

„Nein“, schnitt er ihr schroff ins Wort, „es gibt eine kleine Siedlung in etwa 3 Meilen. Versuch es dort.“

Samantha blickte in die Richtung, in die er zeigte. Sie stutzte bei dem Gedanken die Strecke mit ihrem verletzten Knöchel alleine laufen zu müssen in dem Wissen, dass das Tier mit den roten Augen noch irgendwo da draußen auf sie wartete. Unter normalen Umständen würde sie für die Strecke wahrscheinlich in knapp etwas über 90 Minuten brauchen, mit dem verletzen Knöchel allerdings…

„Könnten Sie mich vielleicht fahren?“

Der Mann hob als Antwort lediglich nur eine Augenbraue.

„Könnten Sie dann vielleicht so nett sein und jemanden Bescheid geben…?“

Seine Mimik blieb unverändert. Der Frust stieg erneut in Samantha hoch und sie ballte die Fäuste, während sie versuchte die Tränen zurück zu halten. Sie holte tief Luft und startete einen letzten Versuch.

„Kannst du mir dann wenigstens deine Waffe geben, falls dieses Vieh wieder kommt?!“

Der Mann griff hinter sich an seinen Gürtel und warf etwas in ihre Richtung. Kurz vor ihrem nackten Fuß steckte nun ein Messer mit einer zirka 13 cm langen Klinge, welches sie aufhob und hoffnungslos betrachtete.
 

~*~
 

„...sollte ich dieses verdammte...au...Arschloch je wieder...au...sehen, dann werde ich seine Elektroschere...au...nehmen und ihn mit meinen eigenen Händen irgendetwas abrasieren!“, fluchte Samantha wütend vor sich her.

Sie hatte vor wenigen hundert Metern zufällig einen dicken Ast gefunden, auf welchen sie sich nun abstützen konnte und humpelte um einiges sicherer den erdigen Weg entlang. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt noch richtig war, mittlerweile hatte es angefangen zu Dämmern, und die Tatsache, dass es erneut zu Regnen begonnen hatte machte ihre Gesamtsituation nicht wirklich besser. Ihr Magen knurrte und sie hatte fürchterlichen Durst, sie war mittlerweile völlig erschöpft und fror. Hinzu kam noch, dass ihr Handyakku leer, somit ihre einzige Lichtquelle dahingeschieden war und sie deshalb dermaßen paranoid geworden war, dass sie bei jedem kleinsten Geräusch aufschrie und zusammen zuckte. Das Messer hielt sie immer griffbereit, auch wenn ihr Verstand ihr immer wieder sagte, dass sie damit wohl kaum eine Chance haben würde.

Samantha kam an eine Weggabelung an und guckte verzweifelt in die beiden Richtungen, zwischen denen sie jetzt entscheiden müsste. Die Linke führte nach einigem Geschlängel in einen dichten Wald und ihre müden Augen spielten ihr vor, dass viele kleine gelbe und rote Augenpaare sie bereits daraus fixierten. Der Rechte Weg führe einen kleinen Hügel hinauf, und sie konnte nicht sehen was dahinter lag.

„Tiefer finsterer Wald gegen Fußschmerzen des Todes…“, murmelte die junge Frau vor sich her, „gefressen werden gegen vielleicht eine geringe Chance Hilfe zu finden.“

Sie seufzte und humpelte rechts den kleinen Hügel rauf.

„Ich werde ihm so was von die Eier abrasieren!“

Nach und nach wurde es immer dunkler und Samantha wurde es allmählich bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit draußen unter freiem Himmel schlafen zu müssen gar nicht so weit weg lag. Sie schluchzte niedergeschlagen und zog die Nase hoch und plötzlich passierte es ganz schnell.

Ihr Ast, auf welchem sie sich gestützt hatte brach unter einem lauten Knacken genau in der Mitte auseinander und erneut an diesem Tag stürzte die Frau heftig zu Boden. Als wäre das allerdings noch nicht entwürdigend genug gewesen landete Samantha diesmal in einer tiefen schlammigen Pfütze, so dass ihr Gesicht für einige Sekunden im Matsch untertauchte. Hastig versuchte sie sich wieder aufzusetzen, wirbelte mit ihren Händen vorm Gesicht herum und versuchte Mund und Augen so schnell wie nur möglich wieder frei zu bekommen. Als ihr das nicht wirklich gelingen wollte ballte sie wutentbrannt die Fäuste, schlug damit auf die Matschpfütze ein und schrie aus vollem Hals ihren Frust hinaus. Noch bevor sie ein weiteres Mal tief Luft holen konnte klackte es knapp hinter ihr und sie hielt erschrocken inne. Wie in Zeitlupe hob sie ihre Hände, die Finger weit gespreizt nach oben.

„Bitte...bitte nicht schießen…“

„Bist du unbewaffnet?“, fragte eine tiefe Männerstimme.

„Ich habe nur ein Messer…“

„Zeig es mir!“, befahl der Mann schroff und Samantha konnte den Lauf der Waffe an ihrem Hinterkopf spüren.

„ICH SEHE ES NICHT!“, schluchzte sie verzweifelt mit hysterisch quietschiger Stimme auf, „meine Augen sind voller Schlamm!!“

Stille.

Samantha hörte nur das Prasseln des Regens und matschige Schritte, welche um sie herumgingen.

„Wo genau hast du es verloren?“

„Bitte nicht schießen! Es muss hier irgendwo bei mir liegen, aber bitte nicht schießen!“

Erneut schwieg der Mann und sie konnte spüren, wie er in ihrer unmittelbaren Nähe den Boden absuchte.

„Ich habe es gefunden. Trägst du sonst noch irgendeine Waffe bei dir?“

„Nein…“

Samantha fragte sich in diesem Moment wie beschissen dieser Tag eigentlich noch werden konnte. Dann plötzlich griff der Mann ihr in die Haare und zog ihr Gesicht mit einem Ruck nach hinten.

„NEIN!! BITTE NI-“

Aus dem Nichts floss kaltes Wasser über ihr Gesicht und die junge Frau verschluckte sich heftig daran. Allmählich spürte sie unter ihrem Kulchen, wie der Matsch von ihrem Gesicht weggespült wurde, konnte sogar endlich das Licht, welches direkt auf sie gerichtet war wahrnehmen. Der Mann ließ ihre Haare wieder los und entschuldigte sich tatsächlich dafür, dass er sie eben so grob angefasst hatte. Langsam öffnete Samantha ihre Augen und blinzelte verwirrt gegen den Scheinwerfer, ihre Hände immer noch erhoben. Der Mann, welcher sich als weitaus älteres Semester mit Lederhut und bodenlangen Mantel entpuppte half ihr mit einem schnellen Ruck hoch und in sein Auto, welches zu den grellen Scheinwerfern gehörte. Erst als er ihre Tür mit einem schwungvollen Knallen schloss und die junge Frau erleichtert aufatmen wollte hielt sie inne und musterte die ganzen Schusswaffen, welche auf dem Sitz zwischen ihr und dem Fahrer lagen.

Shit, dachte sie und stellte nüchtern fest, dass sie anscheinend vom Regen in die Traufe gefallen war…

Der Mann stieg und einem ächzenden Seufzer in sein Auto ein und schnallte sich an, dann blickte er zu seiner Mitfahrerin und bemerkte ihren besorgten Blick.

„Ich bin Jäger“, antwortete er tonlos.

„Und was jagen Sie genau…?“

„Keine Menschen“, lachte er jetzt laut auf und schaltete das Radio an, „keine Sorge! Hätte ich dir etwas antun wollen, dann würdest du jetzt nicht neben mir sitzen!“

Samantha wandte ihren Blick von den ganzen Schusswaffen ab und stierte wortlos in die Dunkelheit. Nach einigen Fahrtminuten brach der Jäger sein Schweigen.

„Was macht so ein junges Fräulein wie du hier draußen ganz alleine? Du...du bist doch alleine oder?“

„Bin ich“, nickte sie knapp, „mein Auto ist irgendwo liegen geblieben und ich habe Hilfe gesucht.“

„Irgendwo liegen geblieben“, wiederholte der Mann ungläubig, „du bist also nicht von hier?“

„Nein, Sir. Ich komme aus Gainesville, Georgia und wollte ursprünglich nach Orlando, Florida. Meine Cousine feiert dort gerade Hochzeit.“

„Aus Gainesville sagst du? Aber wie kommst du denn gerade hier hin?“

„Wo ist dieses hier hin?“

Der Jäger hielt inne und schob seine Unterlippe dramatisch vor.

„Das...kann ich dir leider auch nicht so genau sagen…“

„Nicht mal den Bundesstaat?“

„Nein, Miss.“

„Kennen Sie sich hier dann wenigstens aus?“

„Einigermaßen.“

Samantha ließ sich schwungvoll in ihren Sitz fallen und schlug die Hände vor die Augen.

„Aber, aber! Wer wird denn gleich so verzweifelt weinen? Wir sind ja gleich da.“

Nur zögerlich nahm Samantha ihre Arme wieder herunter und blickte in das Gesicht ihres Entdeckers. Dieser grinste breit und lenkte sein Auto einen holprigen Pfad entlang.

„Hier in dieser verlassenen Einöde gibt es tatsächlich ein kleines verschlagenes Nest Namens Wolfsburrow. Errichtet von irgendwelchen Siedlern, die den Weg nicht mehr nach Hause gefunden haben.“

„Wolfsburrow?“

„Wolfsburrow.“

Könnte dieses Dorf tatsächlich jenes sein, welches der junge Schäfer heute erwähnt hatte? Samantha schüttelte sich bei dem Gedanken an diesen Kerl, welcher ihr zwar das Leben gerettet, sie danach jedoch keines Blickes mehr gewürdigt hatte. Der Wagen kam zum Stillstand und die beiden stiegen aus. Natürlich regnete es immer noch aber das ließ die kleinen Häusern, aus welchen gedämpftes Licht schimmerte auf eine gemütliche Art mystisch wirken. Der Jäger winkte Samantha zu, dass sie ihm folgen sollte. Wie in einer Trance überwältigt von der unbeschreiblichen Atmosphäre hinkte sie hinter ihm her, konnte somit aber beobachten wie hier und dort Vorhänge zur Seite geschoben und sogar ein paar Haustüren geöffnet wurden. Doch von den Einwohnern ging keinerlei Furcht aus, niemand beäugte Samantha mit Misstrauen, ganz im Gegenteil ein junges Pärchen mit Kindern blieb tatsächlich auf ihrem Weg stehen und winkten ihr freundlich zu. Samantha wäre beinahe schon wieder gestolpert, so verblüfft war sie gewesen.

„Kennen...Sie die alle?“, fragte sie an den Jäger gewandt, als er ihr die große Türe einer Art Wirtshaus aufhielt.

„Nur einige. Aber keine Sorge, sie sind hier alle sehr herzlich und Fremden gegenüber immer hilfsbereit.“

„Ohne Gegenleistung?“

„Es kommen nicht allzu viele Touristen hier her. Sie scheinen sich über neue Geschichten zu freuen.“

Samantha machte ein überraschtes Gesicht, dann standen die beiden bereits an einem massiven Holztresen, wo der Jäger zwei Mal mit der flachen Hand drauf schlug. Noch bevor seine Begleitung sich darüber beschweren konnte schwang eine Tür seitlich hinterm Tresen dermaßen dynamisch auf, dass Samantha Angst hatte das Holz gleich ins Gesicht geknallt zu bekommen. Sie wich einen Schritt zurück, ihr Körper erinnerte sie daran, dass sie eigentlich große Schmerzen hatte und sie ächzte laut auf. Einer der Sitzgäste, welcher sich mit Freunden in einer Nische gegenüber des Tresens niedergelassen hatte rückte ein wenig zur Seite und klopfte auf den nun freien Platz neben sich. Samantha nickte ihm dankend zu, setzte sich und versuchte ihren Fuß nicht weiter zu belasten. Als sie an ihrem ausgestreckten Bein hinab blickte wurde ihr mit einem mal ganz anders und die Schamröte stieg ihr ins Gesicht. Sie war von Oben bis unten mit Matsch bedeckt, sie wischte sich hastig übers Gesicht, ihre Hände waren voll mit nasser Erde und Schlamm. Und so lässt der mich neben sich sitzen…

„Es...es tut mir leid, ich hoffe deine Klamotten werden nicht dreckig“, entschuldigte sie sich kleinlaut bei dem Mann, welcher ihr Platz gemacht hatte.

Doch dieser winkte lächelnd ab, nahm einen kräftigen Schluck seines Biers und entgegnete, dass ihm Naturmädchen eh die liebsten seien.

Hinter dem Tresen war eine mopsige Frau in ihren 50ern mit blonden hochgesteckten Haaren erschienen und ihr Gesicht strahlte eine dermaßen wohlige Wärme aus, dass Samantha hätte dahinschmelzen können. Die Wirtin begrüßte den Jäger so, wie es sich Samantha vorgestellt hatte. Eine herzliche Umarmung über die Theke, sie tätschelte mit ihrer Hand sogar seine Schulter und dann reichte sie ihm erst mal einen Schnaps aufs Haus. Die beiden redeten kurz miteinander, dann zeigte der Jäger auf Samantha und gestikulierte ein wenig hin und her. Die junge Frau erinnerte sich daran, dass sie über und über mit Schlamm und Erde besudelt war und schämte sich erneut. Gleich würde sie sich ein Donnerwetter anhören dürfen, was ihr einfiel so das Gasthaus zu betreten. Doch anstatt tief Luft für eine Standpauke zu holen machte die Frau einen bemitleidenden Schmollmund, kam um die Theke gewuselt und legte eine Hand auf Samanthas Schulter.

„Oh Kindchen...du armes kleines Ding...hat dich das Wetter überrascht?“

„Äh...ja…?“

„Keine Sorge! Wir kümmern uns um dich“, strahlte die Frau und rieb sich energiegeladen die Hände, „mein Mann soll dir so schnell wie möglich ein entspannendes Bad einlassen und ich bezieh ein frisches Bett für dich! Sicherlich hast du Hunger? Und Durst! Colin! Gib dem armen Ding doch mal was ab, dein Bauch hängt eh bald unter deinem Hemd hervor!“

Die Männer, welche neben Samantha in der Nische saßen lachten laut auf und noch bevor sich die junge Frau in irgendeiner Art äußern konnte wurde ihr ein voller Maßkrug und ein prall gefüllter Teller vor die Nase geschoben.

„Aber ich kann doch nicht…!“, versuchte Samantha die durchaus nette Geste abzuwenden, doch die Wirtin nickte ihr eifrig zu und bestand darauf, da es niemanden unter ihrem Dach jemals an etwas fehlen sollte.

„Vielen Dank die Herren…“, murmelte Samantha eingeschüchtert wie ein kleines Kind, nahm jedoch einen großzügigen Schluck und große Bissen.

Verdammt es schmeckte alles dermaßen gut, dass sie immer hastiger wurde und immer mehr schlang, dann erinnerte sie sich, dass sie ja nicht alleine war und schämte sich erneut. Die Männer in ihrer Nische lachten erneut laut auf und ermutigten sie ruhig weiter zu essen. Samantha tat wie ihr geheißen und schob sich weitere Kartoffeln und Fleischstücke in den Mund, so dass sie gar nicht mitbekam, wie der Jäger seinen Schnaps leerte und sich bei der Wirtin mit einem Handzeichen verabschiedete.
 

~*~
 

„Ich möchte mich vielmals bei Ihnen entschuldigen, dass ich so viel Dreck und Unruhe in Ihr Haus gebracht habe…“, entschuldigte sich Samantha später am Abend bei der Wirtin, welche auf den Namen Martha hörte, „noch dazu, dass Sie andere Gäste…“

„Aber, aber meine Liebe!“, winkte Martha schnell ab und wuselte den nur bedingt beleuchteten Flur im oberen Geschoss entlang, „hier sind alle Gäste meine Kinder und Kinder bekommen früh erzogen, dass geteilt wird. Nicht wahr?“

„Ähm...ja?“

Martha legte ihre Hand auf einen der antiken Türknäufe, drehte ihn und schob die Holztür unter leisem Knarren von sich. Samantha trat ebenfalls in das Zimmer und wurde von einer rustikalen Wärme empfangen. Alle Möbel waren aus massiven Holz geschreinert worden, ein alter, aber dennoch schöner Teppich lag vor dem Bett, welches seitlich an der Wand stand, gegenüber hatte ein Schreibtisch inklusive Stuhl seinen Platz gefunden. Gleich neben der Tür stand ein Sessel, welcher dazu einlud viele Bücher in ihm zu lesen und daneben ging eine weitere Türe weg, anscheinend das Badezimmer.

„Hoffentlich wirst du dich hier wohlfühlen!“

„Es ist wunderschön“, lächelte Samantha und begutachtete die Schnitzerei in der Kommode am Bettende.

„Das Bad ist gleich dort“, bestätigte Martha und wies auf die andere Türe, „mein Mann hat das Bad bereits vorbereitet. Wenn du noch irgendetwas brauchst, dann komm ruhig runter, wir sind immer lange auf!“

„Vielen, vielen Dank!“

„Nicht doch, nicht doch! Wir lieben es Gäste von Außerhalb zu haben!“

„Aber ich muss mich noch bei meiner Familie melden, dass sie sich keine Sorgen um mich machen. Das habe ich vorhin völlig vergessen!“

„Alles zu seiner Zeit, Schätzchen...jetzt genieße erst einmal dein Bad und schlaf dich ordentlich aus! Morgen wirst du genug Zeit haben, dich um alles zu kümmern.“

Martha schenke Samantha ein letztes Mal ihr herzliches Lächeln, dann schloss sie die Tür. Die junge Frau eilte in das Badezimmer, wo ihr eine dicke nach Lavendel und Zitrone riechende Nebelwand aus Wasserdampf entgegenkam. Sie konnte sich ihr Spiegelbild nicht ansehen, der Spiegel war zu beschlagen, also riss sie sich ihre Klamotten, oder besser gesagt was davon übrig geblieben war vom Leib und stieg in die Wanne. Das Wasser war perfekt! Der Schaum war perfekt! Der Kerzenschimmer, das leise tröpfeln des Regens gegen das Fenster einfach nur perfekt! Samantha konnte gar nicht glauben, dass sie nach so einem Tag tatsächlich noch ein Happy End gefunden hatte und rutschte mit ihrem Kopf Unterwasser. Morgen Früh musste sie den Jäger oder Steve, Marthas Mann unbedingt nach diesem großen Tier mit den roten Augen befragen, denn auch, wenn sie mit dem Leben davon gekommen war...es ließ ihr einfach keine Ruhe!

Aber als Erstes auf ihrer Liste stand definitiv, dass sie ihre Mutter anrief. Sie musste gerade vor lauter Sorge am Sterben sein, Samantha war zwar eine ständige zu spät Kommerin, dennoch hatte sie es immer geschafft, ihrer Mutter vorher Bescheid zu geben, dass sie sich verspäten würde.

„Arme Mama…“, seufzte Samantha und prustete den Badeschaum von ihrem Mund weg.

Endlich wieder sauber und gut riechend schlüpfte sie in die Klamotten, welche sie in der Kommode vorfand und verkroch sich unter die mollig warme Decke. Sogar das Bett war perfekt! Das konnte doch alles gar nicht der Realität entsprechen…

Doch um darüber nachzudenken war Samantha bereits zu müde. Ihre Lider schlossen sich noch bevor sie bemerken konnte, dass Jemand oder besser gesagt Etwas auf das Dach geklettert war und sie nun im Schlaf beobachtete.
 

~*~
 

Sie hatte absolut keine Ahnung gehabt wie spät es war, als sie zum ersten Mal ihre Augen öffnete, doch Samantha fühlte sich so fit und erfrischt wie schon lange nicht mehr. Sie streckte sich genüsslich, stopfte ihre Haare in einen lockeren Dutt, nachdem sie sie provisorisch mit ihren Fingern gekämmt hatte und ging in ihren Schlafklamotten barfüßig aus dem Zimmer. Samantha stieg die Treppen zum Gasthaus runter, wo sie bereits von Steve und Martha erwartet wurde. Die beiden begrüßten sie überaus herzlich und tischten ihr ein beinahe königliches Frühstück auf. Als Samantha denen sagte, dass sie niemals so viel Geld bei sich haben würde winkten die beiden vollkommen synchron ab und versicherten ihr, dass sie sich deswegen erst mal keine Sorgen machen müsste. Das Frühstück war noch köstlicher als das gestrige wild zusammen gewürfelte Abendessen gewesen. Martha hatte Samantha einen himmlisch riechenden Tee zubereitet, welcher süß und fruchtig schmeckte. Die junge Frau erkundigte sich nach der Geschmacksrichtung, Martha zwinkerte jedoch nur und meinte es wäre ein Familienrezept.

Als sie mit dem Essen fertig und alles abgeräumt war fragte Samantha erneut nach dem Telefon des Wirtshaus.

„Steve ist gerade dabei es zu reparieren“, entschuldigte sich Martha, „der Sturm gestern Abend hat anscheinend eine Leitung beschädigt. Spätestens bis zum Abend des Mondscheinfest sollte es wieder funktionieren!“

„Bis zum Abend des Mondscheinfestes?“

„Unser Mondscheinfest ist wunderschön“, strahlte die Wirtin über ihr komplettes Gesicht, „wir feiern es einmal im Monat zum Vollmond!“

Augenblicklich musste Samantha an den Mythos des Werwolfes denken und schüttelte den Kopf. Es gab weder Werwölfe, Vampire, noch Feen oder jegliches anderes Fabelwesenzeug.

„...und wann soll dieses Mondscheinfest denn stattfinden?“

„Wir beginnen morgen Abend damit, einen Tag vor Vollmond und es geht insgesamt 3 Nächte.“

„Und solange kann ich nicht nach draußen telefonieren?!“, gab Samantha erschrocken von sich, „meine Mutter wird vor Sorge sterben!“

...die Männer haben zwar schon einiges an Werkzeug mitgenommen, können allerdings erst vor Ort herausfinden wie groß der Schaden tatsächlich ist. Wenn wir Pech haben, müssen sie also noch mal hierher zurück und mehr Werkzeug holen. Das zieht sich leider…“

„Verständlich…“, seufzte Samantha dennoch.

„Du wirst heute wahrscheinlich alle Hände voll damit zu tun haben, dich um dein Auto zu kümmern?“

„Oh Gott ja! Das habe ich ja fast vergessen!“

Martha lächelte glücklich und stellte den letzten Teller wieder in den Schrank, bevor sie sich ihre Schürze abnahm und mit Samantha nach draußen ging.

Es schien zwar die Sonne, jedoch blieb es kühl in der kleinen Siedlung Wolfsburrow, es lag sogar noch ein leichter Nebelschleier in der Luft. Vor dem Wirtshaus lag ein gepflasterter Platz, auf welchem die Einwohner gut verteilt standen, um sich zu unterhalten und um sie herum spielten drei Kinder fangen. Die restlichen Häuser waren in zwei Reihen um den Platz gebaut worden und hinter diesen auf einem Hügel konnte Samantha eine kleine Kirche entdecken. Hier hatten sie tatsächlich eine kleine Siedlung errichtet, wie alt diese jedoch war konnte man nicht anhand eines oberflächlichen Blickes festgestellen. Hinter dem Wirtshaus ging ein kleiner Pfad am Bach entlang und führte in ein kleines Waldstück. Davon würde sie sich allerdings erst einmal fernhalten schwor sich Samantha. Sie hatte definitiv genug von Wald und das für die nächsten Jahre!

„Wir haben hier eine Heilerin“, holte Martha sie aus ihren Gedanken zurück in die Realität.

„Bitte?“

„Dein Knöchel. Er muss dir immer noch sehr wehtun. Wir haben hier eine sehr begabte Kräuterkundige Heilerin, welche dich im Handumdrehen wieder hergestellt hat.“

Samantha glaubte nicht an Kräuterheilkunde und schon gar nicht, dass ihr Knöchel im Handumdrehen geheilt sein würde. Aber warum sollte Martha sie auf lügen wollen? Außerdem schien hier vieles ein wenig mystischer zu sein, als es sich jeder zugestehen wollte.

„Ich bringe dich zu ihr.“

Die beiden Frauen gingen quer über den Platz, grüßten einige der Einwohner mit freundlichen Kopfnicken und Lächeln, dann führte sie ihr Weg zwischen zwei Häusern vorbei und plötzlich fand sich Samantha vor einer kleinen Hütte auf einer Waldlichtung vor. Schon wieder! Die junge Frau begann allmählich den Wald zu hassen.

Martha ging einige Schritte voraus, klopfte an die Tür und wartete. Samantha hingegen, welche ja noch einige Schritte entfernt stand beobachtete, wie hellgrauer Rauch aus dem kleinen gemauerten Schornstein quoll. Sie musste sofort an den Film die Hexe und der Zauberer an Merlins Haus denken, denn genauso sah dieses hier aus. Nur, dass kein alter weiß bärtiger Mann die Tür öffnete, sondern eine junge Frau mit kinnlangen rötlichen Haaren und einem schmutzig grünen Umhang über die Schultern geschmissen. Darunter schien sie nur einen schwarzen Zweiteiler mit eng anliegenden Shorts zu tragen und als Schuhe Boots. Sie erkannte Marthas Gestalt und ihr Gesicht strahlte, sie sprang hervor und fiel der alten Frau um den Hals.

„Es ist auch schön dich wiederzusehen“, lachte die Wirtin schwer atmend und versuchte ihr beider Gleichgewicht zu halten.

Samantha stutzte. Ihr Wort wörtliches Hexenhäuschen war keine zehn Minuten Fußweg von Wolfsburrow entfernt gewesen und die beiden umarmten sich, als wäre ihr letztes Treffen über ein halbes Jahr lang her gewesen.

„Ich habe eine Patientin für dich“, holte Martha Samantha aus ihren Überlegungen, „ihr Knöchel ist schwer verletzt.“

Samantha legte den Kopf schief und fragte sich, wie die andere junge Frau wohl auf sie reagieren würde. Die Kräuterheilerin blickte über die Schulter der Wirtin hinweg zu ihr und winkte ihr freudig zu. Samantha tat es ihr gleich, wenn auch etwas weniger euphorisch.

„Sie braucht deine Hilfe, Wilma.“

Die junge Frau, welche auf den Namen Wilma zu hören schien nickte aufmerksam und winkte die beiden anderen nach innen. Während Samantha zum Hauseingang humpelte winkte Martha ab mit der Begründung, dass sie noch fürs Abendessen Zutaten bräuchte und sich die Zimmer nicht von alleine säuberten. Gerade als Samantha ihre Hilfe beim Saubermachen anbieten wollte packte Wilma ihren Arm, zog sie in ihre Hütte und schloss die Tür. Dann rieb sie sich aufgeregt in die Hände und hüpfte wie eine Elfe in die Mitte ihrer Behausung, wo Klischeehaft ein alter Kessel vor sich her brodelte. Erst jetzt erreichten Samanthas Nase sämtliche Gerüche nach Gewürzen, Kräutern und irgendwas anderem undefinierbar Säuerlichen. An den Wänden waren alte Holzbretter angebracht worden, wo Gläser gefüllt mit Allerlei Wurzeln, Blättern, Beeren und sogar Vogelfüßen standen.

Dieses ganze Haus war das reinste Hexen Klischee!

„Dann erzähl mir doch bitte, wie dir das passiert ist“, ergriff Wilma zum ersten Mal das Wort und blickte Samantha über den Rand ihres Kessels hinweg an.

„Bitte?“

„Dein Knöchel. Wie ist das passiert?“



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