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Fischfutter

von

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Prolog

Klares, blaues Wasser. Der Geruch der See vermischte sich mit der warmen Sommerluft. Am anderen Ende des Stegs sammelten sich kleine Gruppen Möwen und ein paar Fischersleute. Einige Boote tuckerten über das Meer. Ich liebte es hier. Meist saß ich am Anfang des Stegs, zog meine Schuhe aus und ließ meine nackten Füße im eiskalten Wasser umher gleiten. Es war ein sehr angenehmes Gefühl zu dieser Jahreszeit. In der Stadt war es viel zu schwül. Ich strich meine Haare zurück, die der Wind mir strähnenweise ins Gesicht geschlagen hatte und seufzte leise. Wenn ich hier war, konnte ich alles vergessen, was mich belastete. Ich achtete auf nichts mehr. Nur auf die kleinen, türkisen Fische, die meine Füße anpickten, als wären sie etwas zu essen. Das zarte Kitzeln belustigte mich jedes mal aufs neue. Kaum hatte ich erneut zur Sonne aufgesehen, erklangen auch schon die Turmglocken. Ich würde zu spät kommen, so wie jeden Tag.

Mist., dachte ich und zog meine Füße eilig aus dem Wasser. Ich nahm meine Schuhe in die Hand und rannte den ersten Teil des Stegs barfuss zurück. Erst, als die gepflasterte, harte Straße anfing, legte ich eine kurze Pause ein um mir meine Schuhe anzuziehen. Viertel vor Zwei. Es war unmöglich, es jetzt noch zu schaffen. Mein Rock wehte stürmisch im Wind, doch ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern. Als ich durch den Torbogen am anderen Ende der Straße gelaufen war und mich an den parkenden Automobilen vorbei gekämpft hatte, bog ich eine kleine separate Seitengasse ein. Einzig das Geräusch meiner Schuhe auf dem Asphalt war dort zu vernehmen. Ich ließ sie hinter mir und blickte mich hastig um. Die Haltestelle war nur noch einige hundert Meter entfernt.

Hey, vielleicht schaff’ ich’s ja doch!, ein kurzes Gefühl der Erleichterung durchzuckte meinen Körper, bis ich enttäuscht feststellen musste, dass der Bus, der mich nach Hause bringen sollte, direkt auf die Station zu fuhr. Ich rannte so schnell ich konnte, winkte dem Busfahrer zu, in der Hoffnung, dass er mich vielleicht sehen konnte und schrie verärgert auf, als er ohne Gnade weiterfuhr. Na super. Der Tag war gelaufen, so viel stand fest.
 

Ich setzte mich auf die kleine Bank, die sich an der Haltestelle befand und verschnaufte kurz. Einige Schweißperlen liefen einem Gesicht herunter. Es war so warm, das mir schwindelig wurde. Wasser., dachte ich verzweifelt und kramte in meiner Tasche herum. Ich musste es am Steg vergessen haben. Meine Beine zitterten leicht. Es musste auch so gehen. Als ich losgelaufen war, packte mich ein leichtes Schwindelgefühl. Ich hätte nicht so schnell laufen sollen. Nun war es jedoch zu spät, ich konnte es nicht mehr ändern. Ich machte mich also zu Fuß auf den Weg nach Hause, zum anderen Ende der Stadt, dort, wo versnobte Gesichter und unbarmherzige Menschen auf mich warteten.

Der Maler

„Cloe! Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?”, war ja klar, dass es so kommen musste. Ich versuchte meine vor Wut zusammengezogenen Augebrauen unter meinem langen Pony zu verstecken. Die Standpauke meiner Mutter hinzunehmen war nicht einmal das größte Problem. Das größte Problem war der Mann, den sie angeschleppt hatte. Er war klein und pummelig, in einen schwarzen Anzug gesteckt worden und grinste. Es war ein hässliches Grinsen, das mich mit Abneigung erfüllte.

„Ich hatte Schule.”, sagte ich monoton. „Mr.White hat überzogen, da hab ich meinen Bus verpasst, das ist alles!”

„Denkst du im Ernst, ich kaufe dir das noch ab? Kind, du kommst jeden Tag zu spät, tausende von Männern warten auf dich, wollen dich kennen lernen! Es wird Zeit, dass du dich deiner Pflicht und Verantwortung bewusst wirst.”

„Immer diese alte Leiher, ich kann’s nicht mehr hören! Soll die Versammlung doch all diese Fremden heiraten!”, schrie ich verärgert und blickte den Neusten noch einmal an. Ich deutet auf ihn und verzog das Gesicht. Ich sprach nun direkt zu ihm. „So etwas wie dich werde ich nie heiraten! Niemals, hörst du! Du bist dick, faul und emotionslos, wirst in einen teueren Anzug gesteckt und erwartest, dass ich dich so nehme?! Verpiss dich endlich!”

„Cloe!”, fauchte meine Mutter. Der junge Mann sah mich an, vollkommen entrüstet, wollte etwas sagen, doch ich kam ihm zuvor und flüchtete mit feuchten Augen aus dem Wohnzimmer. Ich rannte die Treppe hinauf, auf das Dach unserer Villa. Der einzige Ort, der mir dort blieb, um zur Besinnung zu kommen. Noch während ich die Tür öffnete, rieselten ein paar Tränen an meinem Gesicht herunter. Ich schluchzte leise. Vom Dach aus konnte man auf die ganze Stadt sehen, aber nicht auf das Meer. Doch es war besser, als die restlichen Zimmer dieses Gefängnis’.

„Wieso… wieso nur? Ich will nicht mehr!”, sprach ich zu mir selbst und kauerte mich an die Tür. Ich umschlang meine Beine mit meinen Armen. Während ich weinte, musste ich immer wieder an die Gesichter der Männer denken, die meinetwegen zu uns gekommen waren.

Ich war eine Kreselia. So wurden Mädchen genannt, die wie ich weiße Haare und graue Augen hatten. Ein seltenes Gen rief diese Anomalie der Augen und Haare hervor. Für das Volk waren wir Reinkarnationen der Götter, wertvoll. Man wurde anders erzogen als normale Mädchen, hatte eine andere Zukunft. Die meisten Kreselien stammten aus adligem Hause. Durch sie hat das jeweilige Haus genug Macht, um mit anderen mächtigen Familien eine Verbindung durch eine Hochzeit einzugehen. Genau wie das Haus meiner Familie. Mein Vater war ein reicher Kaufmann gewesen, ich sah ihn höchstens drei Mal im Jahr. Meine Mutter stammte aus einem anderen Adelsgeschlecht, hatte sich in meinen Vater verliebt, als er ihr Lieblingsgeschäft gekauft und es ihr überlassen hatte. Sie hatten sich ineinander verlieben dürfen, mir fehlte angeblich die Zeit dazu. Ich war das Opferlahm, das zum “Wohle” unserer Familie geschlachtet werden sollte. Ich wollte all das nicht. Ich gehörte zu der Sorte Mädchen, die sich nicht von Geld abhängig machten. Ich wollte einfach nur frei sein, umher laufen, die Welt sehen. Doch das würde ein Traum bleiben, ich würde nie einen Mann und ein Leben wählen können, das mir gefällt.

„Mademoiselle Cloe?”, ich schreckte etwas auf, als ich die Stimme von Alfred, meinem privaten Diener, vernahm. Er hatte an die Tür des Daches geklopft und war vorsichtig eingetreten, als ich etwas zur Seite gerückt war und sich die Tür hatte öffnen lassen. Alfred war ein netter, älterer Mann, der sich bereits drei Monate nach meiner Geburt um mich gekümmert hatte. Er war wie der Vater, der mir seit meinem zweiten Lebensjahr fehlte. Sein kleiner Bart war typisch für einen Diener, doch ich hatte ihn nie als solchen gesehen. Als ich zu ihm aufgeschaut hatte und sah, dass er ein kleines Tablett in der Hand hielt, bat ich ihn, sich zu setzten.

„Mademoiselle, fehlt Ihnen etwas?”, fragte er behutsam und stellte das Tablett neben sich. Ich lehnte mich an seine Schulter und seufzte.

„Bitte, sei nicht so förmlich zu mir, Alfred. Du weißt, dass ich das nicht mag.”, er zögerte einen Moment, nickte jedoch und zog ein kleines, besticktes Taschentuch aus seiner Hose. Er überreichte es mir, mit diesem einfühlsam melancholischen Blick, den ich so an ihm liebte.

„Hat sie es wieder getan?”, fragte er und strich mir sanft über die Haare. Ich nickte und musste mich bemühen, nicht noch einmal in Tränen auszubrechen.

„Fett, klein, hässlich. Noch schlimmer als der davor.”, meine Arme sanken an meinen Körper zurück. Ich strecke meine Beine aus und hielt meinen Kopf etwas gesenkt.

„Es tut mir leid für Sie, Cloe. Sie müssen einiges durchgemacht haben.”

„Solange du bei mir bist, Alfred, ist es in Ordnung.”, er lachte kurz, es war mehr ein Brummen, wie das eines alten Mannes, der es liebte, Geschichten zu erzählen. Als ich ihn so geschmeichelt sah, hoben sich meine Mundwinkel zu einem sanften Lächeln an.

„Selbst wenn es nicht meine Pflicht wäre, so würde ich alles geben um bei Ihnen zu bleiben.”, sagte er. Er nahm meine Hand und streichelte sanft darüber. „Vielleicht ist es anmaßend, wenn ich dies von mir gebe, doch Sie sind wie eine Tochter für mich, ich schätze Sie sehr.”

„Es ist kein bisschen anmaßend, Alfred.”, versicherte ich fröhlich. „Danke.”, ich umschlang seine Hand mit meiner. „Du weißt wirklich am besten, was in mir vorgeht.”, Alfred war nämlich, ähnlich wie ich, im Alter von 17 Jahren von seinen Eltern an unseren Hof verkauft worden. Seit dem diente er uns. Auch er musste einiges durchgemacht haben, und ich war beinahe froh, dass es so gewesen war. Wir waren ein Herz und eine Seele.

„Ach ja.”, sagte er schließlich und nahm die kleine Porzelantasse vom Tablett. Er goss wohlriechenden Tee ein, Schwarztee schätzte ich. „Ich dachte, Sie haben vielleicht durst, da habe ich Ihnen ihren Lieblingstee gemacht. Zudem sollte er gegen ihren Frust helfen.”, ich nahm die Tasse dankend entgegen und atmete tief ein. Das sanfte, feine Aroma des Tees vermischte sich mit dem Rosenduft, der unsere Villa aufgrund unserer breit angelegten Rosengärten umgab. Die Sonnenstrahlen reflektierten mein verheultes Gesicht in der Tasse. Ich sah furchtbar aus. Ein Glück, dass ich mich nie freiwillig geschminkt hatte. Ich versuchte die Reste der Tränen so gut es ging aus meinen Augen zu wischen und trank den Tee in schnellen Zügen. Die Temperatur war perfekt für diesen Tee, ich genoss den Moment. Alfred sah mir nur zu, lächelte, freute sich scheinbar, dass es mir wieder besser ging. Das hatte ich allein ihm zu verdanken, so wie all die Male zuvor. Wenn er sich nur auch eine Tasse mitgebracht hätte, wäre dieser Moment perfekt gewesen.
 

Alfred hatte sich mittlerweile zu den Rosengärten begeben, um sich um die Rosen zu kümmern und sie am Leben zu erhalten. Meiner Mutter gegenüber zeigte er sich nie von seiner einfühlsamen Seite, wenn es nötig war, wies er mich auch vor ihr zurecht. So war es von ihm erwatete worden. Und ich akzeptierte es, weil ich sicher war, dass man ihn feuern würde, würde er es nicht tun. Ich hatte also Hausarrest, für den Rest der Woche. Hätte schlimmer kommen können. Als ich mein Zimmer betreten hatte, öffnete ich das Fenster und setzte mich auf das riesige Fensterbrett. Von dort aus konnte ich zu Alfred und den schönen Blumen herüber sehen. Der Wind hatte eine angenehme Stärke und dennoch hatte ich mich entschlossen, meine Haare zurück zu binden. Sie reichten ungefähr bis zur Brust. Manchmal dachte ich darüber nach, sie mir einfach abzurasieren. Dann wäre ich nichts Besonderes mehr, graue Augen waren nahezu normal. Doch sobald ich in den Spiegel sah, verliebte ich mich jedes Mal aufs Neue in sie. Sie glänzten wie das Mondleuchten. Meine Haare können schließlich auch nichts dafür., dachte ich grinsend. Ich flocht sie zu einem Fischgrätenzopf und band ein kleines Band an das untere Ende. Das ich dies ohne Spiegel perfekt schaffte, war sowohl für Alfred als auch für mich ein großes Wunder. Am Tor der Villa fuhr plötzlich ein kleiner Wagen ein. Das werden wahrscheinlich Mami und Papi von diesem Typen sein… Die können ihn ruhig wieder mitnehmen, den wird keiner vermissen., ich schloss meine Augen und lauschte dem Wind. Manchmal überbrachte er mir Botschaften, die ich nur verstand, wenn ich mich ihm voll und ganz überließ. Er strich sanft meine Ohren, kitzelte meine Wangen. Doch ehe ich seine Botschaft erhalten hatte, rief mich die Stimme meiner Mutter. Am liebsten wäre ich aus dem Fenster gesprungen.

„Was ist denn?”, fragte ich entnervt, als ich die Treppe hinunter getreten war. Zu meiner großen Verwunderung war der Mann von vorhin nicht gegangen, es waren mehr erschienen. Drei weitere, der eine schlaksig mit braunen Locken, der andere breit und der letzte, scheinbar sehr schüchtern, schaffte es nicht einmal, mir in die Augen zu sehen. „Was ist hier los?”, fragte ich eingeschüchtert und blieb auf der vorletzten Treppenstufe stehen. Meine Mutter lächelte sanft. Es war ein affektiertes Lachen, das wusste ich.

„Du wolltest eine Wahl, bitte sehr.”, sagte sie und stellte mir jeden Einzeln vor. Ich konnte nicht glauben, dass sie so gefühllos war. Ohne ihr und den Männer auch nur einen Funken Beachtung zu schenken rannte ich die Treppe hinauf, so schnell es ging in mein Zimmer zurück. Meine Mutter war mir gefolgt, das hörte ich an dem harten Absatz ihrer Schuhe, der auf die Specksteine traf.

„Cloe! Cloe, komm sofort zurück!”, schrie sie verärgert. Ich schloss die Tür hinter mir ab und hielt sie mit ganzer Kraft zu, obwohl ich wusste, dass sie nicht herein kommen konnte. Mein ganzer Körper zitterte. Das war alles zu viel für mich. „Sie werden solange bleiben, bis du dich entschieden hast. Mach dir das bewusst!”, erklang es durch die Tür. Nicht ein einziges freundliches Wort. Nicht ein Zeichen, dass mir zeigte, dass sie mir ein anderes Leben wünschte, nur das Beste für mich wollte. Als ich hörte, dass sich ihre Schritte von der Tür entfernten, sackte ich langsam auf den Boden. Und konnte nicht anders, als erneut zu weinen.
 

An diesem Abend war Vollmond gewesen. Wenn ich keinen Hausarrest hatte, liebte ich es, den Abend in der Stadt zu verbringen. Doch auch wenn ich das Haus nicht verlassen durfte, ich wollte einfach nur weg. Also tat ich es trotzdem. Mutter zog sich immer nach Sonnenuntergang in ihr Zimmer zurück, ich musste mir also keine Sorgen darum machen, dass sie mich erwischen konnte. Das Personal schlief im Anbau der Villa. Ich zog mir eine dünne Weste über und nahm meine Schuhe in die Hand, um keinen unnötigen Lärm auf den Treppen von mir zu geben. Von dort aus lief ich in den nach Süden verlaufenden Flur und öffnete das größte Fenster, aus dem ich schließlich hinausstieg. An einen Rosenbusch gelehnt zog ich mir meine Schuhe über und rannte, schnell und doch behutsam, von dem Anwesen. Zu Fuß dauerte es eine halbe Stunde, bis man das Zentrum der Stadt erreicht hatte. Doch das interessierte mich nicht. Noch während ich hinlief, genoss ich das Klima. Es war, als wäre ich ein Vogel, der endlich aus seinem Käfig entlassen worden war. Meine Füße balancierten am Rand des Gehwegs, während ich den anfänglichen Mondschein genoss. Die Natur war wie ein Geschenk für mich, das Schönste, dass ich je erhalten hatte. In der Stadt angekommen fiel mir schließlich auf, dass ich kein Geld bei mir trug. Etwas ungeschickt. Mein Magen knurrte. Ich lief an diversen Restaurants vorbei, doch keines zog mich so in seinen Bann wie das, von dem aus man direkt auf das Meer sehen konnte. Ich umstreifte es vorsichtig, sah mir die Stühle, aber vor allem das gute Essen an, dass dort serviert wurde. Fisch aus dem Meer mit Gemüse, Salate mit Rosenblättern, Suppen, hausgemachte Crepes. Einfache Speisen und doch die, die ich am liebsten mochte. Einer der Kellner schien meinen Rundgang bemerkt zu haben und lief auf mich zu.

„Guten Abend, gnädiges Fräulein. Möchten Sie vielleicht etwas zu sich nehmen?”, fragte er mich freundlich. Von seiner Haltung und seiner Redensart ähnelte er Alfred. Ich schüttelte sanft den Kopf und antwortete: „Bitte verzeihen Sie, ich liebe dieses Restaurant, aber ich trage gerade kein Geld bei mir.”

„Das geht schon in Ordnung.”

„Was?”, fragte ich etwas überrascht. Der Kellner bat mich einzutreten. Ich folgte ihm schweigend. Er zeigte mir den weg zu einem Tisch, im Außenbereich, genau den Tisch, den ich solange angestarrt hatte. Ich stoppte abrupt.

„Es tut mir leid, aber ich trage wirklich kein Geld bei mir.”, sagte ich noch einmal.

„Sie sind doch eine Kreselia, oder etwa nicht?”, fragte mich der Mann. Ich nickte zögerlich, was ihn scheinbar sehr zufrieden stellte. „Dann ist das kein Problem. Es ist uns eine Ehre, sie bei uns begrüßen zu dürfen.”, etwas perplex setzte ich mich schließlich auf den Stuhl, den er mir zu recht geschoben hatte. Ehe ich etwas sagen konnte, hatte er mir die Karte gebracht.

„Ich möchte wirklich nicht, dass sie mich aufgrund meines Status’ einladen, das wäre einfach nicht richtig.”, entgegnete ich hastig und drückte ihm die Karte zurück in die Hand. Er lächelte, so, wie Alfred es manchmal tat, wenn er etwas süß fand. Ich errötete kurz.

„Allein die Tatsache, dass Sie sich nicht auf ihrem Status ausruhen, zeigt mir, dass Sie sich durchaus einmal einladen lassen könnten. Wissen Sie, selbst wenn sie keine Kreselia gewesen wären, hätte ich Sie angesprochen. Sie sahen so aus, als könnten Sie warme Hausmannskost jetzt gut vertragen.”

„… Ist das wirklich so offensichtlich?”, flüsterte ich etwas melancholisch. Der Mann nickte ehrlicherweise. Ich seufzte lachend und nahm die Karte erneut entgegen. „Ich danke Ihnen. Sie haben meinen Abend gerettet.”, sagte ich zufrieden.

„Gern Geschehen. Wissen Sie schon, was es sein darf?”, als er mich das fragte, grinste ich in mich hinein. Es war unschicklich, viel Essen auf die Kosten anderer zu bestellen… Doch ich konnte einfach nicht anders. Ich würde es mir gut gehen lassen, das hatte ich mir vorgenommen.
 

„ Oh man, war das lecker…”, es war unglaublich, aber der freundliche Kellner hatte alles bezahlt. Den Fisch, die Nudeln, die Suppe und sogar den mehrschichtigen Crepe. Ich war mir sicher, dass ich an diesem Abend mindestens drei Kilogramm zugenommen hatte. Nachdem ich mich von dem Kellner verabschiedet hatte, begab ich mich auf den Weg zu meinem Lieblingssteg. Als der Mond beinahe im Zenit stand, hatte ich das Gefühl, er würde mir den Weg weisen. Das Rauschen des Meeres stimmte mich sehr glücklich. Ich nahm meine Weste von mir, damit ich den Wind besser spüren konnte. Am Steg angekommen erlöste ich meine Füße von meinen Schuhen. Ich wollte gerade an meinen gewohnten Platz gehen, als ich sah, dass er von jemandem belegt war. Ein großer, junger Mann, vielleicht zwei Jahre älter als ich, mit mandelförmigen, dunklen Augen und schwarzen, kurzen Haaren saß dort. Etwas verwundert stoppte ich. Er hielt einen Zeichenblock in seiner Hand und als ich genauer hinsah, konnte ich sehen, dass er genau diesen Abend eingefangen hatte. Doch etwas schien in seinem Bild zu fehlen.

„Guten Abend.”, sagte er schließlich, als er mich bemerkt hatte. Ich nickte zögerlich und grüßte zurück.

„Guten Abend… Ähm… würde es dir etwas ausmachen, ein kleines Stückchen zu rücken?”, fragte ich vorsichtig. Ohne ein Wort zu sagen rückte er ein großes Stück zur Seite, sodass ich mich auf meinen geliebten Platz setzen konnte. Obwohl es ein komisches Gefühl war, dass er bereits warm gesessen war. Ich tauchte meine Füße ins Wasser und ließ sie dort baumeln. Aus einem Augenwinkel heraus sah ich, dass er mich beobachtete.

„Ist.. Ist etwas?”, fragte ich etwas verlegen. Er schüttelte den Kopf und lächelte.

„Nein, bitte entschuldige. Es ist nur… würde es dich stören, so sitzen zu bleiben, damit ich dich malen kann?”

„Was? Du willst mich malen?”, fragte ich sichtlich überrascht zurück.

„Ja.”, entgegnete er ehrlich. „Auch ich komme oft hierher. Ich habe dich schon öfters hier gesehen. Du bist eine Kreselia, richtig?”

„…”, ich schwieg einen kurzen Moment. Dass man mich so oft auf meinen Status ansprach, war mir unangenehm. Doch ich nickte schließlich. „Ja. Macht das einen Unterschied?”, in meiner Stimme erklang eine leichte Schärfe, mehr, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Der Mann wirkte sichtlich erfreut.

„Ganz im Gegenteil.”, sagte er. Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang. „Man sagt, das Kreselien erst im Mondlicht ihre wahre Schönheit entfalten können. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich diesen Moment unheimlich gerne einfangen.”, kaum hatte ich seine Worte vernommen, spürte ich, dass mein Herz schneller schlug. Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte, und so beschloss ich, einfach nichts zu sagen und mich von ihm malen zu lassen. Es störte mich nicht. Es war eine wunderschöne Stimmung. Selbst in der Nacht gab es ein paar Fische, die um meine Füße schwammen und mich sanft kitzelten. Von den benachbarten Straßen ließen sich vergnügte Stimmen vernehmen, eine gesellige und doch ruhige Atmosphäre.

Es vergingen einige Stunden, ehe der junge Mann an mich heranrückte und sein Werk präsentierte.

„Hier.”, sagte er und gab mir den Block. Ich nahm ihn entgegen und wusste für einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Es war so naturgetreu, hielt die Stimmung so gut fest, dass in mir ein Gefühl der Vollkommenheit aufkam. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich gab ihm den Block zurück, ehe ich sie nicht mehr verbergen konnte.

„Ist alles in Ordnung?”, fragte er vorsichtig. Er legte den Block beiseite und versuchte in mein Gesicht zu sehen. Ich drehte mich eilig weg. Ich wollte nicht, dass mich jemand außer Alfred so sah.

„Alles okay.”, sagte ich mit versagender Stimme. „Das Bild hat mich nur sehr berührt.”, obwohl dies der Wahrheit entsprach, spürte er wohl, dass mein erneuter Gefühlsausbruch nicht nur daher rührte. Er strich mir leicht über den Rücken und fragte mich noch einmal.

„Was ist denn los?”

„Wieso sollte ich das einem Fremden sagen?”, fragte ich zurück.

„Gute Frage.”, gestand er und lächelte kurz. „Stell dir vor, es ist die Beichte in der Kirche. Ich bin einfach nur ein Pfarrer, mehr nicht.”, seine Ausdrucksweise war merkwürdig. Ich drehte mich zaghaft zu ihm um, so, als würde ich nicht ganz verstehen, was er meinte.

„Ich kenne dich nicht. Und gerade weil das so ist, kann ich dir nur auf neutraler Basis helfen. Manchen Leuten tut es aber durchaus gut, eine seitenunabhängige Meinung zu hören, verstehst du?”, ich verstand durchaus, aber ich verstand nicht, wieso er mir seine Hilfe anbot. Als hätte er meine Gedankengänge hören können, fügte er schließlich hinzu: „Sieh es als Dankeschön dafür, dass ich dich malen durfte.”, mein Schluchzen nahm etwas ab, ich kramte das Taschentuch, das mir Alfred gegeben hatte hervor und putze mir die Nase. Seine Hand ruhte noch immer auf meinem Rücken. Sie war angenehm warm und erleichterte es mir, die Dinge die mich belasteten, von mir zu geben.

Und so erzählte ich ihm meine Geschichte, die Qualen, die ich auf mich nehmen musste und mein Wunsch nach Freiheit. Kaum war ich fertig gewesen, hatte er seine Augen geschlossen.

„Ich verstehe. Das muss schwer sein.”, sagte er melancholisch. „Ich denke, du solltest deinem Herzen folgen. Niemand sollte dich von deinen wirklichen Wünschen abbringen können, besonders nicht deine Eltern. Es gibt Momente im Leben, da muss man getrennte Wege gehen.”

„Sprichst du aus Erfahrung?”, fragte ich ihn halb im Scherz, weil es so klang. Unerwarteter Weise nickte er.

„Oh, bitte entschuldige! Ich wollte dir nicht zu nahe treten!”, sagte ich eilig. Ich schämte mich dafür, Scherze über solche ein ernstes Thema gerissen zu haben und wandte meinen Blick von ihm ab.

„Es ist schon in Ordnung.”, sagte er und lächelte. Er nahm seine Hand von meinem Rücken und legte sie auf das eine Knie, das er an sich gezogen hatte. „Es war schon immer mein Traum, Künstler zu werden. Doch meine Eltern waren strickt dagegen. Sie wollten, dass ich irgendeiner ihrer Meinung nach ordentlichen Lehre nachging und möglichst viel Geld verdiene. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten und bin abgehauen. Hab von vorne angefangen. Tja, und jetzt sitze ich hier.”

„Und du malst…”, murmelte ich vor mich hin. „Ich wünschte, es wäre so einfach.”, sagte ich und schloss meine Augen. Ich spürte, dass es an der Zeit war, zu gehen. Ich wusste nicht genau wieso, doch in genau diesem Moment wusste ich, dass ich mein Leben ändern musste. Ich zog meine Füße aus dem Wasser und wartete einen Moment, bis sie abgetropft waren. „Danke für deinen Rat.”, sagte ich. Erst jetzt bemerkte ich, wie klar und schön seine dunklen Augen waren. Als ich in sie hinein blickte, konnte ich das Wasser und den Mondschein in ihnen sehen, so klar reflektierten sie das Licht. Ich versuchte mich von ihnen zu wenden und erhob mich eilig.

„Danke, dass ich dich malen durfte, Kreselia.”

„Cloe.”, sagte ich schließlich, weil ich den Namen meiner Rasse nicht mehr hören konnte.

„Jun. Freut mich.”

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Schönen Abend noch.”

„Ah, warte!”, sagte er eilig. Ich drehte mich zu ihm um, ich glaube, ich sah ziemlich verwundert aus. „Ich stell demnächst ein paar Bilder in der Nähe des Himmelstors aus. Dürfte ich das hier vielleicht auch ausstellen? Und… würdest du vielleicht vorbei kommen?”, er lächelte mich an, es war ein sehr ehrliches Lächeln. Es war so angenehm, jemanden zu treffen, der seine Gefühle nicht hinter einer Maske versteckte, dass ich, etwas schüchtern, einwilligte. Auch der junge Mann namens Jun schien damit nicht gerechnet zu haben.

„Das freut mich.”, sagte er sanft. Ich verabschiedete mich noch einmal, diesmal ließ er mich gehen, ohne mir weiterhin große Beachtung zu schenken. Ich wusste nicht wieso, doch aus irgendeinem Grund begann ich ihn zu mögen. Ich hatte so intensiv über das Gespräch nachgedacht, dass ich gar nicht merkte, dass ich die ersten 50 Meter der Straße ohne Schuhe gelaufen war. Seufzend hielt ich an, um mir die Schuhe anzuziehen. Das Rauschen des Meeres erinnerte mich an das Bild. Obwohl ich es nur so kurz gesehen hatte, hatte es mein Herz sofort berührt. Bei jedem Tropfen, der in das weite Meer fiel, dachte ich daran.

Ich hatte das Anwesen erreicht. Niemand schien meine Abwesenheit bemerkt zu haben, doch um sicher zu gehen, schlich ich mich in den Anbau und klopfte so leise es ging an Alfreds Tür. Ein kleiner Lichtstreifen schimmerte innerhalb kürzester Zeit unter der Tür und ich hörte, wie er gähnend auf die Tür zu lief.

„Nanu? Cloe? Was machen Sie denn um diese Uhrzeit hier?”, fragte er mich halb im Schlaf.

„Darf ich vielleicht bei dir übernachten, Alfred?”, fragte ich, ohne ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben. Ich denke, er ahnte bereits, dass ich das Verbot gebrochen hatte. Er seufzte und ließ mich kurz danach eintreten. Alfreds Zimmer war relativ groß für das eines Dieners. Ich legte meine Weste auf einen Stuhl und zog meine Schuhe aus. Alfred hatte sich schon zurück in sein Bett gelegt und ein Stück näher zur Wand hin gerollt, damit ich genug Platz neben ihm hatte. Das schätzte ich so an ihm. Dass ich nie etwas sagen musste, damit er mich verstand, wusste, was ich brauchte. Ich legte mich neben ihn und kicherte kurz.

„Das letzte Mal haben wir so nebeneinander gelegen, als ich sieben war.”, erinnerte ich ihn amüsiert.

„Das wissen Sie noch?”, fragte er überrascht.

„Du doch auch.”, konterte ich zufrieden.

„Nun, da haben Sie mich wohl erwischt.”, gestand er und lachte kurz. „Doch nun lassen Sie uns nicht noch mehr wertvolle Schlafenszeit verloren gehen lassen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, träumen Sie was schönes.”

„Alfred!”, flüsterte ich verärgert und starrte ihn etwas enttäuscht an. Er seufzte und drehte sich von mir weg.

„Ich wünsche dir eine gute Nacht, schlaf gut. Sind Sie-”

„Du!”

„Bist du nun zufrieden?”, fragte er und streichelte grob durch meine Haare. Ich kicherte und nickte. Der Fischgrätenzopf löste sich relativ schnell auf, als ich das Band aus meinen Haaren entfernt hatte. Ich legte meinen Kopf auf das Kopfkissen. Es ging mir so viel durch den Kopf, dass ich froh war, nicht alleine schlafen zu müssen. Kaum hatte ein letztes Mal zu Alfred herüber geschielt, merkte ich, dass meine Augenlieder schwerer wurden. Es war ein langer Tag gewesen.

Das Geheimnis

Als ich am nächsten Morgen zu mir kam, merkte ich, dass die Sonne noch nicht sehr hoch am Himmel stand, es musste also noch sehr früh sein. Alfred schien bereits aufgestanden zu sein, seine Schlafkleidung lag, ordentlich zusammen gefaltet, auf seiner Hälfte des Bettes. Mit einem leichten Ruck stand auch ich auf und sah in den Spiegel, der an der Zimmerwand hing, die parallel zum Bett verlief. Meine Haare waren ziemlich zerzaust und unter meinen Augen sah ich leichte Augenringe, wahrscheinlich, weil ich am Vortag so viel geweint hatte. Ich goss etwas Wasser in die Holzschale, die unter dem Spiegel stand und wusch mir über mein Gesicht. Anschließend öffnete ich das Fenster und lüftete etwas durch. Alfred vergaß das nur zu oft, doch im Grunde genommen bekam er täglich genug frische Luft ab und hatte dies auch nicht nötig. Ich zog mir meine Weste über. Es klopfte an die Tür.

„Cloe? Sind Sie bereits erwacht?”, es war Alfreds Stimme.

„Ja. Guten Morgen.”, sagte ich und öffnete die Tür. Er sah etwas müde aus, wahrscheinlich hatte ich mich heute Nacht ziemlich breit gemacht und ihm seinen sonst so ruhigen und festen Schlaf genommen. Auch wenn er ulkig aussah, verkniff ich mir ein Lachen und strich ihm stattdessen ein paar Rosenblätter aus den Haaren.

„Die Madame ist noch nicht erwacht, wenn Sie sich gleich in Ihr Zimmer begeben, wird sie nichts merken. Ihr Frühstück ist dort bereits angerichtet.”

„Tausend Dank, Alfred. Und danke, dass ich hier schlafen durfte.”

„Gern Geschehen, Cloe. Sie sind jederzeit willkommen.”, sagte er und lächelte. Auch ich musste unweigerlich lächeln und begab mich schließlich auf den Weg zu meinem Zimmer. Er hatte Recht behalten, es war gerade einmal halb sechs, eine Uhrzeit, zu der meine Mutter nicht einmal ansprechbar war. Die komischen Kerle, die sie angeschleppt hatte, schliefen wohl im Gästezimmer, ihre Schuhe waren dort in einer Reihe aufgestellt. Ich befasste mich jedoch nicht weiter damit und lief die Treppe hinauf. In meinem Zimmer angekommen, bemerkte ich den angenehmen Duft von weißem Tee und frisch gebackenen Brötchen. Alfred war wirklich der beste Diener, Freund und “Vater“, den man sich nur wünschen konnte. Er hatte sogar das Fenster für mich geöffnet und eine kleine Flasche Rosenwasser an den Fensterrahmen gestellt, das mein Zimmer mit einer köstlichen Süße erfüllte.

Nachdem ich mein Frühstück zu mir genommen hatte, nahm ich ein kurzes Bad und zog mich anschließend an. Ein Glück, dass es Freitag war und ich heute nur wenige Stunden unterricht hatte. Ich würde noch genug Zeit haben, mich an den Steg zu setzten und das herrliche Wetter zu genießen. Plötzlich fiel es mir wieder ein. Der junge Maler, dem ich gestern Abend begegnet war. Ob ich ihn heute wieder treffen würde? Ob er wieder so ein wunderschönes Bild malen würde? Wieso ich so viel über ihn nachdachte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Statt weiterhin Zeit damit zu vergeuden, versuchte ich meinen Rock richtig zu binden. Es war ein kurzer Faltenrock, den man zur Zeit in fast jedem Laden kaufen konnte. Das Oberteil, dass ich trug, hatte dünne Träger und wurde am Nacken mithilfe eines kleinen Bandes festgebunden. Als ich erneut auf die Uhr sah, wusste ich, dass ich mich auf den Weg machen sollte. Ich trat aus der Zimmertür und wählte den Ausgang zu den Rosengärten, weil ich nicht noch einmal am Gästezimmer dieser Dummköpfe vorbei laufen wollte. Der Weg war in weißen Kiessteinen gebettet, die gerne in die Schuhe derjenigen sprangen, die auf ihnen liefen. Alfred stand ein paar Meter weiter an einem weißen Rosenbusch und schnitt ein paar verwelkte Zweige mit einer kleinen Schere heraus. Vor langer Zeit hatte er mir einmal erzählt, dass er ebenso gerne Gärtner geworden wäre, weil er sich gerne mit Pflanzen beschäftigte. Ich lief an ihm vorbei und wünschte ihm einen schönen Tag, er tat es mir gleich. Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel, es war noch nicht allzu warm. Einige Möwen flogen über das Meer und versuchten sich ein paar Fische zu schnappen. Als ein großer Kahn an mir vorbei fuhr, schlugen kräftige Wellen in die Brandung ein. Das Geräusch war sagenhaft.

In der Stadt war noch nicht sehr viel los, gewöhnlich waren nur Bäcker und Fischersleute um diese Uhrzeit auf den Beinen. Ich grüßte ein paar von ihnen, als ich durch den Torbogen gelaufen war und folgte der Hauptstraße, bis ich schließlich an meiner Schule angekommen war. Sie war nicht sehr groß, ein altes Fachwerkhaus mit Ziegeln verkleidet. Zudem war es eine reine Mädchenschule, beinahe eine hochbegabten Schule, in der man nur auf hochgewachsene, athletische Mädchen traf. Ich viel wohl etwas aus dem Muster, da ich weder Freunde besaß, noch irgendeinem Leistungssport nachging. Trotzdem hatte ich eine gute Figur, was wohl daran lag, dass ich täglich, mehr oder weniger freiwillig, durch die Stadt rannte und an die frische Luft kam. Im Inneren der Schule angekommen, suchte ich meinen Spind auf und legte meine Tasche hinein. Es war üblich, ohne Bücher in die Schule zu kommen, alle Materialien, die man benötigte, erhielt man vor Ort. Ich betrat das Klassenzimmer und ließ den Unterricht über mich ergehen. Meine Klassenkameradinnen wirkten, jeden Tag aufs neue, so versnobt, dass ich mir sicher war, kein normales Wort mit ihnen wechseln zu können. Nach vier Stunden Tragödie war ich schließlich frei. Und hatte sage und schreibe zwei Stunden, um dem Meer zu Lauschen. Wie jeden Tag war ich die erste, die das Klassenzimmer verlassen hatte. Ich schnappte mir meine Tasche und machte mich auf den Weg. Doch ehe ich auch nur auf die Hauptstraße der Stadt gelangen konnte, sah ich, dass das Automobil meines Vaters vor der Einfahrt der Schule geparkt hatte. Was?!, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wenn ich mich meinem Vater widersetzten würde, würde ich für den Rest meines Lebens Hausarrest haben. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als auf das Automobil zu zulaufen. Der Fahrer meines Vaters steig aus und hielt mir die Tür auf. Mein Vater schien ein Gespräch zu führen, er nahm mich nicht einmal war, als ich direkt neben ihm saß. Der Fahrer startete den Wagen und nach einigen Minuten legte mein Vater den Hörer zur Seite. Ich grüßte ihn höfflich, freute mich eigentlich, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen. Doch alles, was aus seinem Mund kam, war: „Deine Mutter wollte, dass ich dich abhole. Um sicher zu gehen, dass du dich an dein Verbot hältst.”, ich schwieg. Nun war ich mir eindeutig sicher: Ich war meinen Eltern vollkommen egal. Ein Mann, der seine Tochter nach dreieinhalb Monaten wieder sieht, müsste doch normalerweise glücklich sein, oder? Er sollte seine Tochter in die Arme schließen und ihr sagen, wie sehr er sie und seine Frau vermisst hatte. Doch es kam nichts. Nicht einmal ein “Hallo”. Ich war am Boden zerstört.

Wir hatten die Villa erreicht. Ich stieg aus, ohne das mir der Fahrer die Tür geöffnet hatte und rannte in den Garten. Das gesamte Anwesen war von dem Geruch von Essen erfüllt, auch wenn ich Hunger hatte, ich wollte weder meinem Vater noch meiner Mutter gerade begegnen. Ich lief eine Weile durch die Rosenbüsche und setzte mich schließlich auf die Holzbank, die an einem kleinen Brunnen inmitten aller Rosen stand. Meine Tasche umklammernd schloss ich meine Augen. In letzter Zeit gab es so viele Dinge, die ich am liebsten aus meinem Leben verdrängen würde. Ich würde alles dafür geben, um das tun zu können, wonach sich mein Herz sehnte. So, wie es Jun, der junge Maler, mir erzählt hatte. Wie schön musste es doch sein, sich an irgendeinen Ort zu setzten und seiner Lieblingstätigkeit nach zu gehen… Ich träumte etwas vor mich hin, hörte das Rauschen der Wellen in meinen Ohren und wurde schließlich von Alfred wach gerüttelt, der mir eine kleine pfirsichfarbene Rose ins Haar steckte.

„Willkommen zurück, Cloe. Ich habe Ihnen etwas Brot mitgebracht, ich dachte, sie haben vielleicht Hunger.”, ich fasste an die Rose und bat ihn sich zu setzten. Auch seine Miene verzog sich allmählich. Dass ich in letzter Zeit kaum noch lachte, schien sich auch negativ auf seine Laune auszuwirken.

„Alfred?”, fragte ich zögerlich. Er nickte. „Warum bist du eigentlich an unserem Hof geblieben?”, von meiner Frage etwas verwundert, faltete er seine Hände auf seinem Schoß zusammen und suchte nach den richtigen Worten. Er lächelte ein wenig, es schien beinahe so, als würde er sich an etwas Schönes erinnern.

„Um ehrlich zu sein mochte ich die Madame und ihren Gatten nie. Ich hatte lange Zeit darüber nachgedacht, einfach zu verschwinden und irgendwo ein neues Leben anzufangen. Das einzige, was mich lange Zeit hier hielt, waren ihre wunderschönen Rosen. Jedes Mal wenn ich sie sah, im Tau getränkt, funkelnd in der Morgenröte, stieg ein Gefühl der Geborgenheit in mir auf. Und dazu kamen schließlich auch Sie, Cloe.”, ich hörte gespannt zu. Alfred wirkte plötzlich erfreut, wie jemand, der ein Geschenk erhalten hatte. „Als ich erfuhr, dass die Madame schwanger war, und sie eine Tochter erwartete, hatte ich Mitleid mit dem Kind. Ich fragte mich, in was für einer Welt es wohl aufwachsen würde, wenn es keine Eltern hatte, die sich um es kümmerten. Also wartete ich bis zur Geburt des Kindes ab, bemühte mich möglichst stark darum, das Vertrauen des Hausherren zu gewinnen, damit ich mich um Sie kümmern durfte. Sie hätten sich sehen müssen.”, sagte er amüsiert und lachte sein brummiges Lachen. „Sie waren so gebrechlich, mit ihren wunderschönen weißen Haaren und ihren funkelnden grauen Augen, die reiner schimmerten als ein Bergkristall. Ich war damals 35 Jahre alt und hatte keine Ahnung von Kindern. Doch ich spürte eine nahezu undurchdringliche Verbundenheit zu Ihnen. Sie waren so viel anders als Ihre Eltern, lernten, kaum da sie laufen konnten, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen… Ja, heute bin ich mir sicher. Ich bin geblieben, weil ich wissen wollte, wie Ihr Leben wohl verläuft, weil ich für Sie da sein wollte, wenn es Ihnen schlecht ging, weil ich Sie trösten wollte, wenn es Ihre Eltern nicht taten.”, als Alfred fertig erzählt hatte, spürte ich, wie sehr mich seine Geschichte berührt hatte, wie sehr ich ihn liebte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und drückte ihn an mich.

„Ma-Madmoiselle?!”, fragte er sichtlich überrascht. Er zögerte, doch dann legte er seine Arme an meine Taille und streichelte mir sanft über den Rücken.

„Danke.”, sagte ich und schloss meine Augen. „Danke, dass du geblieben bist!”, es war mir peinlich, aber ich musste schon wieder weinen. Neuerdings war ich wohl eine ziemliche Heulsuse. Doch es ging einfach nicht anders. Er sah mir in mein Gesicht und strich mir meine Freudentränen von den Wangen.

„Sie sind ein ungewöhnlich freundlicher Mensch, mit einem reinen Herzen. Es ist mir ein Vergnügen, an Ihrer Seite zu sein.”, er lachte erneut, als er sah, wie sehr ich seine Worte zu schätzen wusste. Er umarmte mich noch einmal, strich mir über den Kopf, so wie es Eltern taten, die ihre Kinder liebten. In diesem Moment war ich ihm so unglaublich dankbar. Ich glaube, ich hatte es allein ihm zu verdanken, dass ich wenige Minuten später den Mut besaß, die Villa zu betreten und mit meinen Eltern und dem Pack, dass sie mir als zukünftige Lebensgefährten vorgestellt hatten, zum Mittag zu essen. Obwohl es furchtbar war und ich kaum etwas an Essen zu mir genommen hatte, wusste ich, dass ich nicht allein war. Wenn mich etwas belastete, würde Alfred für mich da sein. Wenn ich einen Ratschlag bräuchte, würde er mir das Raten, was für mich am besten wäre. Er war mein Vater, das wusste ich seit jenem Augeblick mehr als zuvor. Denn es spielte keine Rolle, wer einen zur Welt brachte, entscheidend war, wer einen mit Liebe versorgte und sich für einen interessierte. Und das tat er. Mehr als alle anderen, die ich kannte.

Ich würde seine Tochter sein, für den Rest meines Lebens.

Wir waren eine kleine Familie, inmitten einer großen, die zerbrochen war, wie ein Spiegel aus dünnem Glas. Es war ein Geheimnis, dass wir bis in alle Zeit in uns tragen würden.

Das Bild

Es war Freitag. Endlich. Das Verbot war aufgehoben. Ich weiß nicht, wie genau ich diese eine Woche überlebt hatte, mit all diesen Leuten, die ich hasste, aber ich hatte es geschafft. Und ich hatte mir fest vorgenommen, jede Minute Freizeit, die mir nun zur Verfügung stand, zu genießen. Kaum hatte Alfred mich geweckt, hatte ich mich auf den Weg zur Stadt begeben und mich an meinen Steg gesetzt. Das Rauschen des Meeres, die Bote, die an mir vorbei fuhren…. Wie hatte ich all das nur vermisst. Meine Füße durchstreiften ein paar Algen, es fühlte sich komisch an, belustigte mich jedoch. Es war so, als wäre meine Welt wieder hergestellt. Ich schloss meine Augen und fing den Geruch von frischem Fisch ein. Was für ein Duft… Über mir flogen ein paar Möwen, durch meine geschlossenen Augen spürte ich, wann sie die Sonne verdeckten und wann nicht. Hell… Dunkel, zählte ich jedes Mal in Gedanken mit.

… Hell…. Nanu?… Dunkel? So lange?, so groß konnte keine Möwe sein, oder etwa doch?

„Na, so sieht man sich wieder.”, kaum hatte ich meine Augen geöffnet, starrte ich in das Gesicht eines jungen Mannes. Es war Jun, der Maler.

„Hallo.”, sagte ich und lächelte etwas perplex. Er setzte sich neben mich und schloss seine Augen, so wie ich es wenige Sekunden zuvor getan hatte.

„Es ist wunderschön, nicht wahr?”, sagte er, seine Stimme klang wie in Trance.

„Ja…”, stimmte ich ihm verträumt zu. Plötzlich fing ich an zu lachen. Ein etwas zu groß geratener Fisch pickte an meinen Füßen herum. Es kitzelte so sehr, dass ich sie für einen Moment aus dem Wasser ziehen musste. Jun beobachtete mich dabei. Ich nahm dies jedoch erst war, als er seinen Block aus seiner Tasche geholt hatte.

„Was denn, willst du mich etwa schon wieder malen?”, fragte ich und lächelte. Er lachte kurz und ließ seinen Stift sinken.

„Du bist so natürlich. Ein tolles Motiv. Würde es dich stören, noch einmal für mich Modell zu stehen?”

„Nein.”, antwortete ich. Mein Blick schweifte zurück auf das Meer. Der Fisch hatte sich mittlerweile verzogen und doch blieb das Lächeln in meinem Gesicht erhalten. Ob es der Wind war, der meine Haare durcheinander brachte? Die Alge, die sich zwischen meinen Zehen verhedderte ? Oder war es Jun, der Maler, der alles um sich herum vergessen konnte, wenn er etwas zeichnete. Ich war ein wenig fasziniert von seiner scheinbar grenzenlosen Konzentration. Ich wollte ihn ansprechen, ihn fragen, woher er kam, wie alt er war. Und doch konnte ich es nicht. Vielleicht, weil ich angst hatte, seine Konzentration zu stören. Oder einfach, weil ich viel zu schüchtern dazu war.

Die Sonne zog langsam ihre Bahn nach Westen, als Jun seinen Stift in seine Tasche zurück packte und sich sein Werk noch einmal zufrieden lächelnd ansah.

„Hier, bitte sehr.”, sagte er glücklich und gab mir den Block. Es war unglaublich, aber das Bild war noch schöner als das vorherige. Ich sah mich selbst, wie ich lachte, wie meine Haare sanft an meinen Rücken hinunter glitten, als wären sie aus reiner Seide. Wie sich alles in mir nach der Brise sehnte, wie ich das Meer betrachtete, anbetete. Es dauerte lange, sehr lange, bevor ich in der Lage war, etwas zu sagen.

„Es ist unglaublich schön.”, stammelte ich schließlich, vollkommen im Bild versunken.

„Du bist das schönste Motiv, das ich bis jetzt hatte.”

„W-Was?”

„Es ist wahr.”, er lachte sein ehrliches Lachen. Es beruhigte mich, obwohl mein Herz etwas schneller schlug als gewöhnlich. „Du lässt dich nicht davon irritieren, dass ich dich male. So etwas ist ziemlich selten. Normalerweise fragen mich die Leute, die ich male immer, ob sie so richtig sitzen würden und ob das Lächeln so gut wäre. Du brauchst all das nicht. Du gibst dich so, wie du dich in dem Moment fühlst. Ein naturgetreues, realistisches Modell. Und ein überaus Hübsches dazu…”, die letzten Worte wurden vom Wind umschlungen. Es war beinahe ein Flüstern, dass man kaum hatte hören können. Doch ich hatte es gehört. Und ich war mir sicher, dass ich in diesem Moment röter wurde als es eine Tomate je hätte werden können. Ich wandte meinen Blick etwas von ihm ab. Das Meer reflektierte das Licht der Sonne, es färbte sich allmählich Orange. Ich bewegte meine Füße etwas durch das Wasser und machte es den Fischen so schwerer, an ihnen herum zu knabbern. Da ich mich zu seinen Worten nicht geäußert hatte, schwiegen wir nun beide. Doch es war kein unangenehmes Schweigen. Ich hatte beinahe das Gefühl, dass es genügte, einfach so neben ihm zu sitzen. Es war, als könnte nichts diesen Moment zerstören.

Außer den Turmglocken, deren Klang nun durch die Bucht hallte.

„Oh, mann…”, sagte ich seufzend und zog meine Füße aus dem Wasser.

„Musst du gehen?”, fragte er mich, er klang etwas überrascht. Ich nickte wehmütig. Alles in mir sträubte sich dagegen, meine Schuhe anzuziehen, doch es blieb mir nichts anderes übrig. Jun musterte mich kurz und fragte schließlich: „Darf ich dich vielleicht bis zu deinem Zuhause begleiten?”

„Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist…”, es tat unsagbar weh, diese Worte auszusprechen, doch wenn mich jemand mit ihm sehen würde, würde ich ihn wohl nie wieder sehen, da war ich mir sicher. „Ich meine, es ist nicht so, dass ich nicht will, aber…”, fügte ich eilig hinzu.

„Ich verstehe schon.”, entgegnete er nickend. Er schloss seine Augen und grinste kurz. Er nahm seinen Block erneut in die Hand und riss das Bild, das er gemalt hatte, vorsichtig ab. Als er es mir entgegen streckte, wusste ich nicht, wie genau ich reagieren sollte.

„Hier. Ich will, dass du es behältst.”, sagte er. Seine Stimme hatte einen umwerfenden Klang, sie brachte mich fast vollkommen aus der Fassung.

„Aber deine Ausstellung…?”, fragte ich leise. Meine Stimme hingegen klang kraftlos. Wir erhoben uns fast zeitgleich. Er war fast einen Kopf größer als ich.

„Ich habe genug Bilder. Bitte, nimm es an.”, etwas zögerlich nahm ich das Papier entgegen. Ich konnte kaum glauben, dass er es mir überlassen hatte.

„Vielen Dank.”, stammelte ich. Ich lächelte, ich freute mich wirklich sehr darüber. Die Turmglocken erklangen bereits zum dritten Mal. Ich schaute eilig zum Turm, blicke in sein zufriedenes Gesicht und verzog daraufhin mein eigenes. „Ich muss jetzt wirklich los.”, sagte ich halb im Gehen.

„Ist schon in Ordnung. Auf Wiedersehen.”, er winkte mir kurz zu. Ich drehte mich ein letztes Mal um, dann rannte ich den Gehweg entlang. Es viel mir schwer, mich nicht noch einmal umzudrehen. Doch ich blieb standhaft und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren, die momentan so schlecht war, dass ich mir sicher war, innerhalb kürzester Zeit Seitenstechen zu bekommen. Das Bild hatte ich zusammen gerollt und mit äußerster Vorsicht in meine Tasche gepackt. Jedes Mal, wenn ich es aus ihr herauslugen sah, musste ich an ihn denken. Er hatte ein äußerst apartes Gesicht, es war freundlich, fast von Güte erfüllt. Und doch hatte ich den Eindruck, dass er auch eine sehr schweigsame Seite besaß. Je mehr ich über ihn nachdachte, desto langsamer wurde ich. Nach fast vierzig Minuten war ich am Tor der Villa angekommen. Ich ging tief in mich, atmete langsam und versuchte die schönen Erinnerungen in meinem Herzen abzuspeichern, dort, wo niemand außer mir Zugriff auf sie hatte. Ich öffnete das Tor, trat ein und lief den Weg entlang. Eines der Dienstmädchen begrüßte mich höfflich, öffnete mir die Tür. Ungewöhnlicher Weise waren weder Vater noch Mutter anwesend.

„Sie sind auf einem wichtigen Konferenztreffen.”, so wurde es mir von dem Mädchen erklärt. Ich nickte schweigsam und machte mich auf den Weg zur Küche. Auf dem kleinen Küchentisch stand Zitronensorbet. Ich nahm an Alfred hatte es zubereitet. Ich sah mich um und probierte heimlich, es schmeckte sagenhaft. Ja, jetzt war ich mir sicher, dass er es gemacht hatte. Am liebsten hätte ich es mir einfach genommen, doch aus irgendeinem Grund verging mir mein Appetit. Aus einem Augenwinkel heraus sah ich, dass jemand an der Küchentür lehnte. Es war der kräftige, kleine Mann. Er starrte mich an, als wäre ich seine Beute.

„Wo warst du denn solange?”, fragte er mich. Seine Stimme klang affektiert, sie war das komplette Gegenteil zu Juns wunderschöner Stimme. Ich ignorierte ihn so gut es ging, ließ das Sorbet stehen und versuchte mich an dem Tölpel vorbei zu drängeln. Doch er stellte sich mir in den Weg. „Wo willst du denn hin? Wenn du meine Frau werden willst, solltest du anfangen, mich kennen zu lernen.”, seine fettwulstigen Finger bewegten sich zu meinem Gesicht. Ich fing sie mit meiner Hand ab. Ich war vielleicht schlank, doch ich hatte Kraft. Der Dicke verzog das Gesicht.

„Ich soll dich kennen lernen?”, wiederholte ich streng. Ich drückte seine Hand etwas zusammen, er zuckte auf und versuchte sie mit der anderen aus meinen Fängen zu befreien. „Hör mal zu, du ignorantes Schwein. Ich tue, was immer mir gefällt. Lieber würde ich ein Messer schlucken, als dich kennen zu lernen und deine Frau zu werden. Merk dir eins, ich lasse mich von niemanden einschränken und vor allem lasse ich mich nicht so von dir behandeln, ist das klar?!”, an seinem Doppelkinn tropfte der Schweiß herunter. Ich drückte seine Hand so lange zusammen, bis er schließlich nickte und ich sie ihm entgegen schleuderte. Er rannte panisch und tapsig aus der Küche. Allem Anschein nach würde er es dem Personal mitteilen. Soll er doch., dachte ich abfällig und begab mich zum Waschbecken. Ich wusch mir die Hand so gründlich es ging und schnappte mir das Sorbet, ehe es jemand anders tun konnte. Alfred schien immer noch in den Gärten tätig zu sein. Ich wollte ihn nicht stören und so begab ich mich allein auf mein Zimmer. Ich schloss die Tür ab und legte mich auf mein Bett. Mit einem Löffel Sorbet im Mund starrte ich die Zimmerdecke an. Sobald ich mein Augen schloss, hatte ich das Gefühl wieder dort zu sein. Am Steg. Das klare Wasser vermischte sich mit dem Blau des Himmels, die Fische schwammen umher und Jun fing den Moment ein. Jun. Jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, spürte ich, dass mein Herz schneller schlug, vielleicht überschlug es sich sogar. Ich wusste nicht genau, was das zu bedeuten hatte. Ich rollte mich zur Seite und starrte meine Tasche an. Wo soll ich das Bild nur hin tun?, dachte ich und seufzte. Vielleicht konnte mir Alfred helfen, ich würde ihn später fragen. Im Moment war ich viel zu müde dazu. Ich aß den letzten Rest des Sorbets und stellte die leere Schüssel auf den Boden. Meine Augen begannen sich langsam zu schließen. Obwohl ich eigentlich nicht hatte schlafen wollen, wachte ich ein paar Stunden später durch ein sanftes Klopfen an der Tür auf.

„Wer ist da?”, fragte ich, nein, krächzte ich wohl.

„Ich bin es nur, Mademoiselle. Ich bringe Ihnen etwas Tee.”, Alfreds Stimme zu vernehmen stimmte mich unweigerlich glücklich. Ich lief zur Tür herüber und öffnete sie vorsichtig. Als ich sicher war, dass niemand hinter Alfred stand, zog ich ihn eilig herein und sperrte die Tür wieder ab. Er betrachtete mich verwundert, allem Anschein nach empfand er meine Sorge als unbegründet.

„Normalerweise sperren Sie doch nie ab, wenn ich hier bin. Ist etwas vorgefallen?”, fragte er zaghaft. Ich trabte an ihm vorbei, seufzte und legte mich zurück auf das Bett. Ich bat ihn, es mir gleichzutun.

„Einer der Kerle hat mich in der Küche abgefangen.”, antwortete ich schließlich. Alfred erwiderte mein Seufzen.

„Oh, Cloe, womit haben Sie das nur verdient?”, fragte er mich. Vielleicht fragte er auch sich selbst und den Himmel. Ähnlich wie er wusste ich keine Antwort auf die Frage. Er setzte sich auf und goss mir etwas Tee ein.

„Nanu?”, sagte er schließlich.

„Hm?”, ich blickte in seine Richtung und sah schließlich, dass er das Bild bemerkt hatte. Ehe er es sich ansehen konnte, zog ich ihn an seinem Jackett zurück.

„Alfred, du musst mir schwören, dass du es niemandem zeigen wirst.”, er nickte ehrlich. Ich nahm das Bild in die Hand und überreichte es ihm. Er reagierte wie ich, als ich es zum ersten Mal gesehen. Mit absoluter Faszination.

„Unglaublich, Cloe. Wer hat das gemalt? Es ist sagenhaft!”, das ihn das Bild so erfreute, stimmte mich glücklich.

„ Ein Maler namens Jun. Ich habe ihn am Steg kennen gelernt.”, erzählte ich fröhlich. Vielleicht etwas zu fröhlich. Alfred starrte erst mich an, dann das Bild, dann blickte er zwischen uns hin und her, bis er schließlich grinste, wie ein alter Mann, der ein Kind bei einer Untat erwischt hatte. Ich zuckte etwas auf und errötete. Ich wusste genau, was er in diesem Moment dachte.

„Sagen Sie, Cloe.”, begann er zu sprechen. Ich wandte mich von ihm ab und lief noch röter an. „Kann es sein, dass Sie..”, ehe er es aussprechen konnte, hatte ich ihm den Mund zu gehalten. Es war mir so unsagbar peinlich und das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünschte, er würde mich nicht so gut kennen. Ich stieß einen verzweifelten Laut aus und ließ mich auf das Bett zurückfallen. Mein vor Scham rotes Gesicht versuchte ich so gut es ging mit meinen Händen zu verdecken. Alfred lachte, etwas lauter als gewöhnlich, und legte sich neben mich.

„Aber, Cloe.”, sagte er schließlich. „Ich freue mich ja so für Sie! Sie müssen sich nicht schämen.”

„Tu ich aber….”, murmelte ich vor mich hin und schloss meine Augen erneut. Er überreichte mir die Teetasse, ich nahm sie im Liegen entgegen, ich war mir sicher, ich wäre eh wieder zurück auf das Bett gekippt, so kraftlos und entblößt fühlte ich mich. Ich trank einen kleinen Schluck und stellte die Tasse schließlich auf meinem Nachttisch. Ich blickte noch einmal zu Alfred herüber. Er schaffte es einfach nicht, sich ein weiteres Lachen zu verkneifen.

„Das muss unser Geheimnis bleiben.”, erinnerte ich ihn streng, ich meinte es wirklich ernst. Doch wie es von ihm zu erwarte war, nickte er nur äußerst gehorsam und setzte sich an meine Seite.

„Ach ja, junge Liebe…”, sagte er seufzend. Ich schlug mit einem Kissen nach ihm.

„Alfred!”, zischte ich, halb ihm Scherz, halb Ernst. Schließlich mussten wir beide lachen, auch wenn ich nicht genau wusste, ob all das wirklich so witzig war. Es würde mir wahrscheinlich nur neue Probleme einbringen, mir neue Verbote auferlegen. Ich musste diese Gefühle geheim halten. Meine Eltern durften davon nie etwas erfahren.
 

Etwas später am Abend kamen meine Eltern schließlich nach Hause. Und ungewöhnlicher Weise wollten sie sofort mit mir sprechen. Das wollten sie doch nie, besonders nicht nach einer Konferenz. Es sei denn, ich würde zurecht gewiesen werden. Ich betrat den Speisesaal und setzte mich an en langen Marmortisch, der in dessen Mitte stand. Meine Eltern hatten sich an das andere Ende gesetzt, sie starrten mich mit einem Ernst an, dass mir beinahe schlecht wurde.

Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl, es durchzuckte meinen Körper wie der Schmerz, den man spürte, wenn man sich einen Dorn in den Finger gerammt hatte.

Ich wollte, dass sie einfach nur da saßen und nichts von sich gaben.

Doch wie ich es vorher gesehen hatte, gab es Neuigkeiten.

„Cloe.”, sagte mein Vater monoton, ich konnte nicht ein einziges Gefühl aus seiner Stimme heraus hören. „Du wirst ab heute nicht mehr zur Schule gehen.”, ich schwieg und wartete. Mich jetzt schon aufzuregen war vielleicht noch zu früh. Unter dem Tisch krallte ich meine Fingernägel in meine Hände. Ich war so nervös, dass mir schon schwindelig wurde. „Deine Mutter und ich haben auf dieser Konferenz beschlossen, dass du mehr als genug Zeit hattest, dir einen Mann auszusuchen.”, ich wollte, dass sie schwiegen. „Also haben wir es nun in die Hand genommen und waren so frei, einen Mann für dich zu wählen, der über ausreichend Macht und Vermögen besitzt, um dir ein komfortables Leben zu ermöglichen.”, Meine Gedanken standen still. Ich spürte, dass mein Herz kaum noch schlug, vielleicht noch sehr, sehr langsam. Ich riss meine Augen auf und versuchte einen Satz zustande zu bringen, doch es ging kaum. Mein Vater kam mir zuvor, er bat das Dienstmädchen, einen Mann namens Theodor eintreten zu lassen. Ich drehte mich um, mit solch einer Angst, solch einem Hass, dass ich mir meine Kehle am liebsten mit einem Messer durchtrennt hätte.

Es war der dicke, der mich in der Küche abgefangen hatte.

Sein widerliches Antlitz schlug mir auf den Magen.

Ich spürte, dass ich mich übergeben musste.

Ich rannte aus dem Saal, zu der nahe gelegenen Toilette und brach alles aus, sowohl das wenige Essen, das ich zu mir genommen hatte, als auch meine Gefühle, die plötzlich alle auf einmal ausbrachen. Ich hustete stark, mir war schwindelig. Alfred schien davon Wind bekommen zu haben, es dauerte keine zehn Minuten, ehe er mich gefunden hatte.

„Cloe!”, schrie er entsetzt und stützte mich. Mein ganzer Körper zitterte. Er wusch mir mit einem feuchten Lappen über den Mund und hob mich auf seine Arme, es war schön nicht laufen zu müssen. Was danach geschah, weiß ich nicht mehr. Ich muss wohl in Ohnmacht gefallen sein. Alles, was mich in diesem Moment umgab, war Dunkelheit. Nur an meiner Hand befand sich Wärme, jemand musste sie wohl umklammert haben.

Das Unwetter

Als ich erwachte, spürte ich, dass ich in einem dicken Haufen Kissen eingebettet war. Auf mir lag eine Decke, die der von Alfred nur allzu ähnlich sah. Ich blickte mich um und sah, dass sie tatsächlich ihm gehören musste, denn ich lag in seinem Zimmer. Ich richtete mich etwas auf und merkte den leichten Schwindel, der sich in mir breit machte. Meine Beine glitten über die Kante des Bettes und ich hielt einen Moment inne. Nach und nach erinnerte ich mich an die Geschehnisse, die sich vor meinem Zusammenbruch ereignet hatten. Dieser Typ, meine Eltern, die mich ohne meine Zustimmung vermählt hatten… ich konnte nicht mehr. Nun war es endgültig zu viel. Doch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, betrat Alfred das Zimmer mit einem leichten Seufzer. Als er sah, dass ich aufgewacht war, lief er eilig auf mich zu.

,,Cloe! Sie sind erwacht!”

,,Sieht so aus.”, stimmte ich ihm zu. Er setzte sich neben mich und erzählte mir, dass ich einen Tag lang bewusstlos gewesen war. In seinem Gesicht spiegelte sich unsagbar große Erleichterung wider.

,,Ich bin so froh, dass es Ihnen besser geht.”, sagte er und nahm meine Hand. Ich lächelte kurz und wendete meinen Blick von ihm ab.

,,Was ist mit meinen Eltern? Und diesem…”

,,Ihre Eltern mussten fort, sie sind auf einer wichtigen Geschäftsreise und werden wohl nicht vor Donnerstag nächster Woche zurückkehren. Und was diesen Mann betrifft…”, fuhr er fort und schloss seine Augen. ,,So habe ich mir erlaubt, Sie hier einzuquartieren und ihm zu sagen, dass es ihm keineswegs gestattet ist, mit Ihnen zu reden, geschweige denn Sie anzurühren. Ich denke, dass war deutlich genug.”, ich blickte ihn etwas verdutzt an. ich hatte nicht damit gerechnet, dass Alfred so eigenmächtig handeln würde, wenn meine Eltern fort waren. Mit einem Mal hob sich meine Stimmung. Ich lehnte mich glücklich an seine Schulter und sagte: ,,Vielen Dank, Alfred. Du hast mir damit wirklich sehr geholfen.”, er legte seinen Kopf auf meinen und lachte kurz.

,,Das ist das Mindeste, was ich in dieser Situation für Sie tun kann.”

,,… Wie soll das alles nur weitergehen?”, murmelte ich schließlich vor mich hin. Die Melancholie in meiner Stimme lies Alfreds Blick in mein Gesicht schweifen. Der Ausdruck, den meine Augen normalerweise besaßen, war fast vollkommen verschwunden. ,,Ich kann mich nicht ewig vor ihm verstecken.”, Alfred seufzte.

,,Ja, ein Zusammentreffen wird sich wohl nicht vermeiden lassen.”, er stand auf und lief zu dem kleinen Tisch herüber, der in seinem Zimmer stand. Darauf stand ein kleines Tablett mit einer Kanne Tee. Er goss mir eine Tasse Tee ein und reichte sie mir. Ich nahm sie dankend entgegen und blickte auf die spiegelnde Oberfläche. Sie erinnerte mich an Juns Augen, die das Mondlicht an jenem Abend so wunderschön reflektiert hatten. Ich ließ meinen Kopf hängen und versuchte mit aller Mühe nicht zu weinen. Mein Herz tat so schrecklich weh, wenn ich an ihn dachte. Alles in mir sehnte sich danach, ihn wieder zu sehen, mich mit ihm zu unterhalten. Ich schluchzte kurz und sah, wie meine Tränen, die ich ungewollter Weise vergoss, in den Tee fielen und zarte Kreise auf dessen Oberfläche bildeten. Ich bedeckte meine Augen mit meiner Hand. Alfred setzte sich neben mich, nahm mir die Tasse ab und schloss mich in seine Arme. Ich schluchzte immer lauter, es zu unterdrücken war vollkommen zwecklos.

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, hatte ich beschlossen, in die Stadt zu gehen. Alfred hatte für mich nach diesem dicken Mann Ausschau gehalten, damit ich ihm nicht begegnen musste. Die Wolken, die allmählich am Himmel aufzogen, passten perfekt zu meiner derzeitigen Stimmung. Ich beschleunigte mein Tempo etwas, um nicht im Regenfall am Steg anzukommen. Tief in meinem Inneren wünschte ich mir, auf Jun zu treffen. Mit ihm zu reden, mit ihm zu lachen. Es gab mir Hoffnung inmitten all dieser Verzweiflung.

Doch als ich schließlich da war, sah ich niemanden…. Ich war allein, allein, dort am Steg, allein in meiner Welt gefangen. Das Wasser war aufgewühlt, meine Füße jetzt hinein zu tauchen, wäre mehr als leichtsinnig. Also setzte ich mich einfach nur hin, genoss wie üblich, die Brise, die an mir vorbei rauschte. Die Freude, die ich sonst empfand, wenn ich hier war, stieg allerdings nicht in mir auf. Mein Blick schweifte zum Himmel über. Der Wind wurde langsam stürmischer, es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis es anfangen würde zu regnen. Ich wartete noch ein paar Minuten, einfach so. Ich schlang meine Arme um meine Knie, es war etwas kälter geworden. In meinem Inneren war alles nahezu abgestorben.

Was tat ich eigentlich hier, wenn niemand hier war, den ich sehen wollte?

Wenn ich wieder zurück musste, ohne ihn gesehen zu haben?

Ohne mit ihm geredet zu haben… Ich vergrub mein Gesicht in meinen Knien. Ich hörte, dass die ersten Regentropfen ins Meer fielen. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe sich die Tropfen zu einem nahezu reißenden Strom verdichtet hatten. Ich spürte, wie das Wasser langsam in meinen Klamotten einsackte. Ich schaute nicht auf. Ich hielt meine Augen geschlossen. Ich wollte mit dem Regen verschwinden….

,,Cloe?”, ich zuckte kurz auf. Die Stimme hinter mir kam mir nur allzu bekannt vor. Mit einem Mal pochte mein Herz, als wäre es zu neuem Leben erwacht. Ich drehte mich um und traf auf Juns verwirrten Blick. Er war komplett durchnässt, hielt sich eine Jacke über den Kopf, die den Regen nur minimal abhielt.

,,Jun?”, sagte ich. Meine Stimme klang plötzlich lebendig. Ich war so glücklich ihn zu sehen, ich dankte dem Himmel, dass ich ihn sehen durfte. Er half mir aufzustehen und teilte seine Jacke mit mir. Wir liefen eilig vom Steg und stellten uns unter dem Dach eines Hauses unter. ,,Was für ein Wetter!”, sagte er erschöpft und schüttelte den Kopf. Seine Haare standen plötzlich in alle Richtungen ab, ich musste unweigerlich lachen. Es war unglaublich, aber ich konnte alle meine Sorgen vergessen, wenn er bei mir war.

,,Warum hast du denn ganz alleine bei dem Regen da gesessen? Du holst dir noch eine Erkältung, du Dummerchen.”, sagte er und rang seine Jacke aus. Ich seufzte lächelnd und schüttelte den Kopf.

,,Ich musste einfach einen klaren Kopf kriegen.”, er nickte, ich wusste, dass er nicht genau verstand, was ich damit gemeint hatte. Doch er sagte nichts weiter dazu, beugte sich nur etwas unter dem Dach hervor und blickte zum Himmel hinauf.

,,Oje.”, sagte er mürrisch. ,,Der Regen wird immer stärker.”

,,So ein Unwetter hatten wir schon lange nicht mehr.”, fügte ich hinzu. Meine Haare waren klitschnass. Ich rang sie aus und merkte plötzlich, wie kalt es war, wenn der Wind um meinen Körper sauste. Jun schien es bemerkt zu haben, er lächelte kurz und fragte schließlich:

,,Hast du noch irgendwas vor?”

,,Nein.”, antwortete ich und kreuzte seine Blicke.

,,Wenn du willst, könnten wir zu meiner Ausstellung und solange da bleiben, bis der Regen aufgehört hat.”

,,Das klingt toll.”, stimmte ich zufrieden ein. ,,Dann kann ich mir endlich deine Bilder ansehen.”, wir lachten fast zeitgleich und rannten eilig los. Es war zwar unmöglich noch nasser zu werden, aber die Kälte würde sich ziemlich schnell in uns eingenistet haben, sollten wir uns weiterhin im Nassen aufhalten, soviel stand fest. Als wir das Haupttor passiert hatten, bogen wir in eine Seitenstraße ein. Das Himmelstor befand sich direkt vor uns. Es war ein relativ großes Haus, dass mit einem Torbogen verbunden war, der so hoch reichte, dass man sein Ende nur erblicken konnte, wenn man seinen Kopf in seinen Nacken legte. Jun kramte einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche aus und ließ mich eintreten. Kaum hatte ich meine Schuhe ausgezogen, konnte ich den meterlangen Flur erkennen, in dem seine Bilder reihenweise hingen. Es war ein überwältigender Anblick.

,,Wow.”, murmelte ich vor mich hin. Jun lächelte glücklich und verschwand kurz in ein Nebenzimmer. Als er wiederkam, hielt er zwei Handtücher in der Hand. Er reichte mir das eine und legte das andere um seinen Hals.

,,Es klingt vielleicht etwas narzisstisch, aber ich bin unglaublich stolz auf diese Bilder. Sie zeigen sowohl Eindrücke meines Lebens als auch die der Leben anderer Personen, denen ich begegnet bin.”, er lief in den Raum hinein. Ich folgte ihm etwas schüchtern und sah mir die Bilder an. Jedes Einzelne hatte eine ganz besondere Note, wie eine Brise, die etwas zum Leben erweckte. Mal war es etwas düsteres, mal etwas kindliches, es waren tausende verschiedene Eindrücke, die mich überwältigten. Als ich weiter lief, sah ich plötzlich, dass ein Bild am Ende der Ausstellung separat von den Anderen hing. Es war in einen wunderschönen Rahmen gefasst.

,,Das ist das Herz meiner Ausstellung.”, sagte Jun leise und lächelte. Es war das Bild, das er von mir gemalt hatte. Es hob sich so sehr von all den anderen hervor, sei es der Stil als auch die Stimmung. Ich errötete etwas, als ich sah, wie sehr in das Bild erfreute. Auf dem Bild glich ich einer Göttin. Es war viel zu schön. Als ich es mir noch einmal genauer ansah, sah ich schließlich, dass, im Vergleich zu den anderen Bildern, kein Preisschild an dem Rahmen befestigt war.

,,Ist es etwa schon verkauft?”, fragte ich leicht verwundert und blickte zu ihm herüber. Er lachte und schüttelte den Kopf.

,,Nein.”, antwortete er amüsiert. ,,Ich habe es zwar ausgestellt, aber ich wollte es bewusst nicht verkaufen.”, er trocknete sich seine Haare ab und schloss seine Augen. ,,Das Bild ist perfekt. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich es mir ansehe, jedes Mal aufs Neue. Wieso sollte ich es also weggeben wollen? Kein Geld dieser Welt kann so einen Moment ersetzten.”, seine Worte lösten in mir ein unbeschreibliches Gefühl aus. Ich spürte, dass ich erneut errötete und drehte mich eilig von dem Bild weg. Ich spürte Juns Blick auf mir ruhen und ich wusste, dass er mich innerlich auslachte. Aber es störte mich nicht. Ich war nur dankbar, dass er diesen Moment von damals behalten hatte. Neben dem Flur, in dem die Bilder ausgestellt waren, gab es eine kleine Küche.

,,Willst du vielleicht einen Tee?”, fragte er mich. Ich nickte und folgte ihm. Hinter der Küche befanden sich noch ein paar weitere Zimmer, was mich etwas verwunderte. Es wirkte mehr wie ein normales Haus, nicht wie eine Halle, in der Künstler normalerweise ausstellten.

,,Das ist keine normale Ausstellung, oder?”, fragte ich.

,,Ja.”, antwortete er. ,,Um ehrlich zu sein, ist es mehr eine Art Übergangszimmerausstellung. Ich wohne in dem hinteren Bereich und hab das Zimmer einfach mit gemietet.”

,,Was?! Wirklich?”, ein wenig überrascht setzte ich mich auf einen der Stühle, die an dem kleinen Küchentisch standen. Er gesellte sich zu mir und reichte mir eine der Tassen.

,,Ich fand das Haus schon immer schön. Und irgendwie lief es mit der Malerei so gut, dass ich es mir leisten konnte. Seit letztem Jahr wohne ich jetzt hier.”

,,Das Haus passt gut zu dir.”, sagte ich kichernd und trank einen Schluck Tee. Er blickte mich vergnügt an und schreckte kurz auf.

,,Oh verdammt, ich hab ganz vergessen, dass du deine nassen Klamotten noch trägst! Warte, ich leih’ dir was von mir.”

,,N-Nein! Das ist nicht nötig!”

,,Machst du Witze? Du wirst dir noch ‘ne Grippe einfangen! Komm mit, du kannst dich im Bad umziehen.”, etwas verlegen folgte ich ihm. Ehrlich gesagt war es mir ziemlich unangenehm seine Wohnung zu betreten. Das Rot auf meinen Wangen wollte einfach nicht verschwinden. Wir betraten sein Schlafzimmer. Es war ein schönes Zimmer, mit einem großen Fenster, das in der Dachschräge angebracht war. Es erfüllte den Raum mit einem angenehmen Licht. Er lief zu seinem Kleiderschrank herüber und suchte etwas, das mir passen könnte. Dabei blickte er immer wieder zwischen mir und seiner Garderobe hin und her, wahrscheinlich widersprach ich seiner Kleidergröße vollkommen. Er zog ein kurzes Hemd und eine weite Hose hervor und gab sie mir.

,,Das sind die kleinsten Sachen, die ich hab. Ich denke, dass sie dir trotzdem ein paar Nummern zu groß sein werden, sorry.”

,,Das macht gar nichts! Vielen Dank...”, als ich mir das Hemd an die Brust hielt, sah ich, dass es nahezu überdimensional groß war. Ich würde es wohl mehrfach umkrempeln müssen, um mich nicht darin zu verheddern. Ich lief in das Bad und schloss die Tür ab. Meine nassen Klamotten auszuziehen war mehr als mühevoll. Obwohl es mir peinlich war, seine Klamotten zu tragen, bemerkte ich plötzlich den angenehmen Duft, der von ihnen ausging. Es war sein Geruch, es hatte fast etwas Nostalgisches. Ich kicherte leise und zog mir die Kleidung über. Ich war wirklich sehr froh darüber, dass die Hose einen Bund hatte, ich war mir sicher, sie wäre mir sonst bis zu den Knien herunter gerutscht. Kaum hatte mich Jun so gesehen, konnte er sich sein Lachen nicht länger verkneifen. Ich musste wohl wirklich sehr ulkig aussehen. ,,Das steht dir echt super.”, sagte er und lachte aus voller Kehle. Ich schlug ihm leicht gegen den Arm und begab mich zurück in die Küche. Wir unterhielten uns ein wenig, es war eine entspannte und angenehme Atmosphäre. Ich ließ meinen Blick noch einmal über das Haus schweifen.

,,Sag mal, Jun.”, begann ich zu fragen. ,,Wie alt bist du eigentlich? Ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand in deinem Alter schon in solch einem Haus wohnt?”, er grinste kurz und nickte. ,,Wahrscheinlich. Ich werde dieses Jahr zwanzig.”

,,Zwanzig… Dann bist du zwei Jahre älter als ich.”

,,Echt?”, fragte er interessiert. Ich nickte lächelnd.

,,Ich werde im Dezember achtzehn.”

,,Schönes Alter.”, sagte er. ,,Und ein besonderes dazu.”

,,Mhm.”, murmelte ich vor mich hin und trank den letzten Rest meines Tees. Die Wärme des Tees breitete sich unglaublich schnell in mir aus. Ich seufzte zufrieden und lehnte mich an die Stuhllehne zurück.

,,Möchtest du noch was trinken?”, fragte er höfflich.

,,Nein, danke. Mir ist warm genug.”, antwortete ich glücklich. Er zögerte einen Moment, doch dann fragte er: ,,Dein Geburtstag… Dürfte ich dir etwas schenken?”, ich wusste nicht genau, wie ich reagieren sollte. Ich war überrascht, sehr sogar.

,,Das würdest du tun?”, fragte ich leise.

,,Natürlich.”, er lachte so ehrlich, wie ich es von ihm gewöhnt war. Meine Mundwinkel hoben sich fast automatisch.

,,A-Aber dann möchte ich dir auch etwas schenken! Wann genau hast du Geburtstag?”

,,Im September. Ich wüsste sogar schon, was du mir schenken könntest.”, seine Stimme hatte etwas Amüsiertes und doch klang sie sachlich. ,,Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich gerne einen Tag lang malen.”

,,Was? Das ist alles?”, dass ich seinen Wunsch als so geringfügig betrachtete, schien ihn zu überraschen. Er stützte seinen Kopf in seine Hand und grinste zufrieden. Ich glaube, es war ein belustigtes und dankbares Grinsen.

,,Es freut mich wirklich, wenn es dir nichts ausmacht.”

,,Wie sollte es auch?”, murmelte ich vor mich hin. Er schien es gehört zu haben, ich lief augenblicklich rot an.

,,N-Naja, du bist nett und ein unglaublich begabter Maler! Es ist mir eine Ehre, dir Modell stehen zu dürfen.”, fügte ich eilig hinzu. Er lachte erneut, ich denke, es war ziemlich offensichtlich, dass ich in Verlegenheit geraten war. Ich wisch seinem Blick aus und blickte stattdessen aus dem Fenster. Der Wind peitschte die Regentropfen gegen die Glasscheibe. Es war wohl wirklich eines dieser Sommergewitter, die jedes Jahr ein oder zwei Mal über unsere kleine Stadt herein brach. Ich fragte mich ernsthaft, wie ich wohl nach Hause kommen sollte. Bei solch einem Unwetter fuhren keine Busse, weil die Gefahr bestand, dass das Wasser des Meeres in die Stadt eindrang. Ob sich Alfred schon Sorgen machte? Ich musste ihn irgendwie erreichen können.

,,Jun?”, fragte ich etwas abwesend.

,,Hm?”

,,Hast du vielleicht ein Telefon? Ich muss meinem Vater Bescheid sagen, dass ich etwas später nach Hause komme.”

,,Wenn du bei dem Wetter überhaupt rausgehen kannst. Siehst du das?”, er deutete mit einer Geste aus dem Fenster. Das Meer schlug so hohe Wellen, das der Steg und ein kleiner Teil der Hauptstraße bereits überflutet waren.

,,Oje… wie, zum Teufel, soll ich dann nach Hause?”, fragte ich mich selbst und zog meine Augenbrauen leicht verzweifelt zusammen.

,,Bleib doch einfach hier.”, sagte Jun. Ich zuckte kurz auf, ich suchte vergeblich nach einer Spur von Sarkasmus in seiner Stimme. Doch ich fand keine. Ich wisch seinem Blick aus, kreuzte ihn wieder und fragte anschließend: ,,Du meinst das ernst?”, er lachte.

,,Keine Angst, ich beiß nicht.”, sagte er, ehe seine Miene wieder ernste Züge annahm. ,,Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, bei dem Wetter rauszugehen. Am Ende passiert dir noch was. Das Risiko würde ich nicht eingehen.”

,,Hm…. Da hast du wohl recht… Aber… Aber ist das wirklich in Ordnung? Ich meine, ich will dich auf keinen Fall belästigen oder so.”, entgegnete ich.

,,Du und belästigen?”, fragte er belustigt. ,,So ein Unsinn. Leute, die mich belästigen, lass ich erst gar nicht hier rein. Also, wie sieht’s aus?”, ich glaube, alles in meinem Inneren schrie in diesem Moment vor Freude. Doch mein Verstand kämpfte dagegen an. Ich wusste, dass es keine gute Idee war, längere Zeit von Zuhause fortzubleiben. Es würde nur für unnötiges Aufsehen sorgen. Aber was sollte ich schon tun? Draußen tobte ein Sturm. Es würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als meinen Verstand mit diesen Tatsachen zu konfrontieren. Solange, bis schließlich auch er einwilligte und ich Jun zustimmte.

Der Albtraum

Entgegen den aller letzten Hoffnungen meines Verstanden willigte Alfred sofort ein. Es wäre eindeutig zu gefährlich, Jun würde sich schon um mich kümmern, hatte er kichernd gemeint. Während des Gesprächs hatte ich zunehmen den Drang, Alfreds Mund mit Klebeband zuzukleben. Wirklich schade, dass dies in jenem Moment nicht möglich gewesen war.

Der Abend war herein gebrochen und Jun hatte keinen weiteren Hehl daraus gemacht, obwohl ich manchmal die Ahnung hatte, er lachte mich innerlich immer noch aus, wie ich da war, in seinen viel zu großen Klamotten. Wir hatten uns in sein Wohnzimmer begeben, es war äußerst gemütlich und stilvoll eingerichtet. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal mit jemandem außer Alfred gesprochen hatte, ohne mich im Laufe von fünf Minuten mit demjenigen zu streiten. Ich saß auf dem Sofa, mit einer zweiten Tasse Tee in der Hand und dachte darüber nach. Jun kam aus der Küche zurück und setzte sich zu mir. Er war um einiges gesprächiger, als ich vorerst angenommen hatte.

Der Wind tobte. Als ein Blitz vom Himmel herab fuhr, bekam ich so einen gewaltigen Schreck, dass mir fast die Teetasse aus der Hand gefallen wäre.

„Alles okay?”, fragte Jun halb im Scherz, nachdem ich seufzend ausgeatmet hatte.

„Ich weiß es nicht.”, gab ich ehrlicherweise zu. Mein Herz schlug immer noch viel zu kräftig gegen meinen Brustkorb. Ich stellte die Tasse sicherheitshalber ab. „Ich hatte schon als kleines Kind Angst vor Gewitter.”, murmelte ich vor mich hin. Meine Augen begannen sich langsam zu schließen. Als ich genauer darüber nachdachte, merkte ich, dass es nicht einmal der Blitz oder Donner war, der mir solch eine Angst einjagte, es war vielmehr das Ereignis, das ich damit verband. Anscheinend war Jun mein flüchtiger Gedankengang nicht entgangen. Er blickte mich leicht fragend an, es würde mir wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als es ihm zu erzählen.

„Früher haben sich meine Eltern oft gestritten.”, ich zog meine Beine auf das Sofa hoch und umklammerte sie ein wenig mit meinen Armen. „Mein Vater hat damals alle Türen zugeschlagen, wenn er einen Raum betreten hat. Ich hab mich jedes Mal so erschreckt, wenn er mein Zimmer betreten hatte, mit diesem stechenden Blick. Ich hatte immer Angst, dass er mich schlägt, bevor er es der Tür gleichtun würde.”

„Oje… Dabei dachte ich, dein Vater wäre ein netter Mann, am Telefon klang er zumindest so.”, sagte er. Ich kreuzte seine von Mitleid geprägten Blicke und musste ein wenig Kichern, ich hätte es ihm wohl erklären sollen.

„Das hab ich ja ganz vergessen.”, sagte ich amüsiert. „Ich bezeichne meinen “Diener” Alfred auch als meinen Vater.”

„Ach so?”, Jun wirkte ziemlich verwirrt. Kein Wunder, mein Familienleben war sicherlich mehr als verwunderlich. „Sagen wir es so, im Gegensatz zu meinem richtigen Vater ist er immer für mich da, wenn ich ihn brauche. Er hat mich eigentlich großgezogen, wenn man’s so nimmt.”

„Klingt so, als hätten das deine richtigen Eltern nie auf die Reihe gekriegt.”

„Das haben sie auch nicht… Ich will nicht wissen, was genau aus mir geworden wäre, wenn ich ihn nicht gehabt hätte.”

„…”, aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass er diese Erfahrungen mit mir teilte, wenn auch nicht alle. Es war, als wäre er ein wenig weggetreten. Seine schönen Augen waren auf den Boden gerichtet, er seufzte, eher er sein Gesicht etwas anhob und an die Zimmerdecke starrte.

„Man kann sich seine Familie leider nicht aussuchen, nicht wahr?”, ich nickte stumm und griff nach meiner Tasse. Ich trank einen großen Schluck, ich sah, dass der Tee das Zimmerlicht reflektierte. Und ich sah auch, dass sich sein Blick mir zugewendet hatte. Ich drehte mich zu ihm um und zuckte kurz auf. Es war unglaublich, aber ein einziger Blick von ihm genügte, um mich fast vollkommen aus der Fassung zu bringen.

„Bist du deswegen so oft am Steg?”, ich brauchte eine Weile, ehe ich mich von seinen Augen wenden konnte, dann nickte ich eilig und sagte: „Dort hin zu gehen ist eine der wenigen Freiheiten, die ich noch besitze.”

„Ich bin wirklich froh, dass du sie noch besitzt. Sonst hätte ich nie so ein tolles Modell gefunden.”, wir lachten beide, verstummten jedoch, als erneut ein Blitz in die Region eingeschlagen war. Diesmal jedoch hinterließ er mehr Eindruck, denn sämtliche Lichter verblassten innerhalb weniger Sekunden.

„Oh, mist.”, sagte Jun und erhob sich von seinem Sitzplatz. Es war schwer, etwas bei dieser Dunkelheit zu sehen, doch ich sah, dass er zu der hintersten Ecke des Zimmers herüber lief und die kleine Tür des Sicherungskastens aufklappte. „Die Sicherungen sind noch drin. Na super.”, fügte er sarkastisch hinzu. Er blickte zu mir herüber und lächelte etwas verzweifelt. „Wir haben wohl Stromausfall.”

„Oh.”

„Oh? Das ist alles?”

„Naja, ich weiß auch nicht. So schlimm finde ich das nicht.”, sagte ich schließlich.

„Haha, du bist ja witzig.”, seine Stimme klang mit einem Mal erheitert. Ich glaube, ich lief erneut rot an, vielleicht sogar etwas mehr als die vielen Male davor. „Normalerweise müsste jetzt so etwas kommen wie: Oh nein! Stromausfall!”

„Ach, wirklich?”, fragte ich. Dass ich so gelassen mit einem Stromausfall umging, schien ihm wohl zu gefallen. Er grinste und kramte eine kleine Lampe aus einem der Wohnzimmerschränke aus. In ihrer Mitte befand sich eine kleine Kerze, er entzündete sie mithilfe eines Streichholzes.

„So.”, sagte er und fuhr schließlich fort. „Alle Mädchen, die ich bis jetzt getroffen habe, haben meistens rumgeschrien, weil sie nichts mehr sehen konnten und Angst hatten oder so. Du bist wohl die Ausnahme.”

„Das Licht von der Lampe reicht doch.”,

„Ja, finde ich auch. Schön, dass es dir nichts ausmacht.”, er setzte sich wieder neben mich und stellte die Lampe auf den Tisch. Ich stellte die Teetasse daneben, so, dass ich sie noch sehen konnte. Der Regen hatte erneut zugenommen, es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis das Unwetter zu Ende war.

„So schlimm war es schon lange nicht mehr.”, murmelte er vor sich hin.

„Ja. Scheint so, als würde sich heute alles auf einmal entladen.”, stimmte ich zu. Mit einem Mal überkam mich ein leichter Anflug von Müdigkeit. Ich gähnte kurz, Jun lachte leise.

„Bist du schon sehr müde?”, fragte er sanft.

„Es geht.”, murmelte ich und rieb mir über die Augen. „Ich frage mich, ob man bei dem Wetter überhaupt einschlafen kann.”

„Gute Frage.”, stimmte er mir zu. „Ich denke, das müssen wir einfach testen. Du kannst in meinem Bett schlafen, ich schlafe hier auf dem Sofa.”

„W-Was? Nein, das will ich nicht. Ich schlafe hier und du schläfst ganz normal-”

„Keine Angst, es macht mir nichts aus.”

„Darum geht es nicht, ich bin der Gast, ich sollte auf dem Sofa schlafen.”, sagte ich bestimmt. Allein die Vorstellung in seinem Bett zu schlafen, ließ mich erröten. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass seine Aufopferung nicht notwendig war, doch er bestand darauf. „Es ist wirklich okay. Außerdem gibt es in meinem Zimmer nur ein Fenster, da sollte man den Regen nicht ganz so schlimm hören können.”

„Aber-”

„Bitte, Cloe. Sei nicht so stur.”, entgegnete er lachend. Ich seufzte leise und nickte schließlich. Mein Gesicht hatte wohl schon die Farbe eines Hummers angenommen. Es war mir so unsagbar peinlich, doch was sollte ich schon tun? Es gab offensichtlich tatsächlich jemanden auf dieser Welt, der noch sturer war als ich. Und das wollte etwas heißen.

Der Donner brach über unsere Stadt herein, als würde man zwei Gebirge zusammenschlagen. Ich quiekte kurz auf, es war schwer, meinen Schrecken zu verbergen. Der Regen hatte schon wieder zugenommen, ich konnte sehen, dass Teile der Straßen bereits überflutet waren. Ich zitterte leicht und klammerte mich an einem Kissen fest. Eh?, das Kissen fühlte sich nicht wie ein solches an. Erst jetzt merkte ich, dass es sich bei dem Stoff, den ich krampfhaft umklammerte, um den Ärmel von Juns Hemd handelte.

„Oh Gott, bitte entschuldige! Das wollte ich nicht!”, sagte ich verlegen. Ich ließ ihn sofort los und rückte ein kleines Stück von ihm weg.

„Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen.”, sagte er lachend. Ich verdrehte die Augen. All das war mir so unangenehm. Jun kreuzte meine Blicke und seufzte. „Wirklich, mach dir keinen Kopf deswegen. Es ist ja irgendwie süß.”

„W-Was?”, meine Stimme klang schwach. Ich wisch seinem Blick aus. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Er war so ehrlich, brachte mich in Verlegenheit, ohne sich dafür zu schämen. Ich wünschte mir wirklich, solch eine Gelassenheit zu besitzen.

„Ja.”, sagte er noch einmal, nein, flüsterte er wohl. „Du verstellst dich nie. Das ist bewundernswert.”, mein Herz schlug noch etwas schneller, in solch einer Situation noch nachzudenken, war wirklich anspruchsvoll.

„Danke.”, antwortete ich zögerlich und blickte zu ihm auf. „I-Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen.”, …um nicht vollkommen durch zu drehen. Jun nickte und stand auf. Ich tat es ihm gleich und lief in sein Schlafzimmer.

„Wenn du noch etwas brauchst, sag einfach bescheid.”, sagte er und lehnte sich an den Türrahmen. Ich setzte mich auf sein Bett, es war wirklich sehr bequem. Ich blickte noch einmal zu ihm herüber und nickte.

„Vielen Dank noch mal, dass ich hier schlafen darf.”

„Keine Ursache. Gute Nacht, schlaf gut.”, erwiderte er lächelnd und trat langsam aus der Tür. Als sie ins Schloss gefallen war, atmete ich erleichtert auf und ließ mich auf die Matratze zurückfallen. Ich glaube nicht, dass ich mich noch länger mit ihm hätte unterhalten können, ohne von seinem Blick und seiner Stimme umschlungen und verzehrt zu werden. Mein Herz wollte wohl am liebsten zerspringen, es schlug so kraftvoll gegen meinen Brustkorb, als wolle es ausbrechen. Ich strich mir über mein Gesicht und spürte, wie warm es war.

Reiß dich zusammen, Cloe., sagte ich zu mir selbst und deckte mich zu. Das Dachfenster war wirklich wunderschön. Obwohl man an diesem Abend nur Regentropfen sehen konnte, beruhigte es mich zunehmend. Das Kopfkissen schmiegte sich an mich. Juns Geruch haftete an ihm. Ich hatte das Gefühl, er würde mich in seine Arme schließen. Doch es würde auch nur ein Gefühl bleiben, eine Fantasie, ein Spaß, den sich mein Verstand erlaubte. Mein Atem ging allmählich ruhiger. Ich schloss meine Augen und versuchte, nicht an ihn zu denken. Doch dies war alles andere als einfach. Wenn ich seinen Geruch wahrnahm, musste ich an seine Augen denken, seine Stimme, seine Gesten. Er macht mich vollkommen verrückt…. Ich verlier noch meinen Verstand, wenn das so weiter geht!, ich umklammerte meinen Kopf mit meinen Händen und seufzte. Da fiel es mir wieder ein.

Es ist ja irgendwie süß., hatte er gesagt. Süß?, je länger ich darüber nachdachte, desto wacher wurde ich. Es würde wohl wirklich sehr, sehr lange dauern, bis ich eingeschlafen war und das würde bestimmt nicht an dem Unwetter liegen.
 

Meine Augen öffneten sich abrupt. Ich war wohl eingeschlafen. Der Regen prasselte nach wie vor auf das Fenster, der Sturm schien sich wohl noch nicht verzogen zu haben. Die Unruhe in meinem Inneren war gewachsen. Ich wusste es plötzlich wieder: Ich hatte einen Albtraum gehabt. Ich hatte dieses Ekelpacke geheiratet, Jun war in eine andere Stadt gezogen und hatte mich vergessen. Ich blickte mich um. Dass ich nach wie vor in seiner Wohnung war, unverheiratet, erleichterte mich. Ich setzte mich an die Bettkante und atmete tief ein und aus. Meine Gedanken standen zum ersten Mal seit langer Zeit vollkommen still. Ein Glas Wasser vielleicht., ich erhob mich von dem Bett und lief auf die Tür zu. So leise ich konnte lief ich schließlich los. Ich hoffte aus tiefstem Herzen, dass ich Jun nicht wecken würde, doch als ich das Wohnzimmer betrat, musste ich erstaunt feststellen, dass er noch wach war. Er stand an einem der Fenster, es war etwas geöffnet. Ich hielt an und musterte ihn kurz. Seine Haltung ähnelte meiner, als ich wenige Minuten zuvor aufgewacht war, er wirkte leicht angespannt.

„Ist alles in Ordnung?”, fragte ich leise. Er drehte sich zu mir um, allem Anschein nach überaus überrascht über die Tatsache, dass ich noch wach war.

„Konntest du auch nicht schlafen?”, fragte er gelassen. Ich nickte seufzend. Das Glas Wasser verschwand aus meinem Gedächtnis, statt daran zu denken, stellte ich mich neben ihn und folgte seinem Blick.

„Ein kleiner Albtraum hat mich geweckt.”, meine Stimme klang auf einmal so melancholisch, ich wusste selbst nicht genau, wieso. Jun nickte und lehnte sich an den Fensterrahmen.

„Ging mir genauso.”, fügte er hinzu.

„Wirklich? Wovon hast du geträumt?”

„Von dir.”, antwortete er seufzend. Ich schreckte kurz auf, als sich unsere Blicke trafen. Sein Blick hatte auf einmal so einen intensiven, wehmütigen Ausdruck, dass mein Atem stockte.

„Von mir?”, wiederholte ich. Es war fast ein Flüstern. Er blickte aus dem Fenster und schloss seine Augen.

„Ja. Alles war dunkel. Ich habe deine Stimme gehört, du hast um Hilfe geschrien, aber ich konnte dich nicht finden. Ich bin eine gefühlte Ewigkeit in der Dunkelheit umhergelaufen, aber du warst nicht da. Dann hast du plötzlich aufgeschrien und ich bin aufgewacht.”, ich schwieg. Er musterte mich eine ganze Weile, zog seine Augenbraue zusammen und sagte schließlich: „Träume, die sich so real anführen, enthalten immer einen Funken Wahres.”

„Was?”

„Das hat meine Großmutter immer gesagt.”, er lächelte kurz, kam dann jedoch auf das Thema zurück. „Kann es sein ….dass du Hilfe brauchst?”, meine Gedanken setzten erneut aus, genauso wie meine Atmung. Ich wisch seinem Blick aus. Obwohl ich etwas sagen wollte, kamen keine Wörter aus meinem Mund heraus. Ich war genauso sprachlos wie damals, als ich von meiner Heirat erfahren hatte. Juns Miene nahm sehr ernste Züge an. „Dann stimmt es also?”, hauchte er fragend. Meine Augen schlossen sich krampfhaft. Ich lehnte mich an die andere Seite des Fensterrahmens und nickte seufzend.

„Teilweise vielleicht.”, gestand ich.

„Was meinst du mit teilweise? Ist irgendetwas passiert?”

„E-Es ist nichts.”, murmelte ich.

„Das glaube ich dir nicht.”, harkte er nach. „Du kannst mir alles erzählen, wirklich. Ich werde dir zuhören.”

„Ich weiß.”, flüsterte ich und massierte mir die Schläfen. Die Windrichtung drehte. Der Regen hatte wohl etwas abgenommen, wenn auch nur minimal. Mit einem Mal spürte ich, wie sehr mir meine Sorgen auf der Seele brannten. Mein Mund verselbständigte sich.

„Ich habe Angst zu heiraten.”, ich blickte zu Jun auf. Obwohl diese Antwort etwas merkwürdig klang, nickte er, er wollte wohl, dass ich fortfuhr. „Das ist mein Schicksal. Aber ich will es nicht. Ich will keinen reichen Kaufmann heiraten, den ich nicht kenne und vor allem nicht liebe. Ich will kein behütetes Schaf inmitten einer Wolfsherde sein. Ich hab so Angst davor, wie mein Leben verlaufen wird, Jun. So wahnsinnige Angst.”, meine Stimme brach ab. Die Realität holte mich langsam ein, das wurde mir in jenem Moment mehr bewusst als jemals zuvor. Juns ernste Miene hatte sich gelockert.

„Kannst du dich dem nicht widersetzten?”, fragte er vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf.

„In letzter Zeit ist es noch schlimmer als zuvor. Meine Eltern drängen darauf, mich zu verheiraten, wie es mir dabei geht, ist ihnen vollkommen egal. Was ist, wenn ich nie aus diesem Teufelskreis rauskomme?”

„Aber du wirst doch dieses Jahr achtzehn, wenn du volljährig bist, sollte dir das doch egal sein können, oder?”

„Das ist es ja.”, meine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Meine Eltern werden alles daran setzten, mich davor zu verheiraten. Es ist so widerlich, wie mich all diese Männer ansehen. Sie sind so anders als du. Sie tragen immer eine Maske, immer dieses künstliche Lächeln auf ihren Lippen. Ich will nicht wissen, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie die Chance dazu hätten.”

„Das hast du nicht verdient.”, stimmte mir Jun zu. „Es ist schlimm genug, dass dich deine Eltern so behandeln, eine Zwangsheirat geht zu weit. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, dieser ganze Kreselien- Mythos ist eine Zumutung.”, seine Stimme klang so wie die von Alfred, wenn er sich über einen neuen Heiratskandidaten beschwerte. Ich freute mich insgeheim darüber, dass er so über die Sache dachte. Das zeigte mir erneut, was für ein toller Mensch er war.

„Bitte entschuldige, dass ich dich mit meinen Problemen belästigt habe.”, sagte ich schließlich und lächelte. Ich stützte meinen Kopf auf meine Arme, die ich am Fensterrahmen aufgestützt hatte.

„Dummerchen.”, sagte er und rückte ein Stück an mich heran. „Ich wollte es ja wissen, du hast mich damit nicht belastet, es ist alles in Ordnung.”, meine Mundwinkel hoben sich, als ich sah, dass er mich anlächelte. Ich hatte den Eindruck, dass sich meine Angst und meine Sorgen verringert hatten.

„Und, wie geht’s dir jetzt?”, fragte er.

„Besser. Vielen Dank, Jun.”, antwortete ich glücklich. Ich fühlte mich tatsächlich erleichtert. Er war so fürsorglich. Ich glaube, in jenem Moment verliebte ich mich noch mehr in ihn. Er war wie ein Ruhepol inmitten dieser chaotischen Welt. Ich nahm meine Arme vom Fensterbrett und trat ein paar Schritte zurück.

„Also dann…. Ich gehe wieder schlafen. Gute Nacht und danke noch mal, dass du mir zugehört hast.”, sagte ich, als ich mich umgedreht hatte. Er schwieg, ich schlug den Weg zu seinem Schlafzimmer ein.

„Warte.”, sagte er schließlich. Er zog mich sanft an meinem Handgelenk zurück. Alles in meinem Körper reagierte darauf. Ich wollte mich zu ihm umdrehen, doch dann spürte ich, dass sich seine Arme von hinten um meine Taille schlangen.

„Wa-?!”, stammelte ich überrascht. Die Wärme seines Körpers schmiegte sich an mich und übertrug sich auf mich. „J-Jun?”, fragte ich und versuchte in sein Gesicht zu blicken.

„Ich kann das nicht mehr.”

„Was denn?”

„Ich kann nicht mehr zusehen, wie du unter diesen fremden Kerlen leidest, Cloe.”, ich konnte nicht glauben, dass das gerade wirklich geschah. Er war so nah, mein Herz überschlug sich allmählich. „Du bist so offenherzig und nett, ich glaube, ich habe noch nie so jemanden wie dich getroffen. Es klingt vielleicht anmaßend, aber ich will dich nicht an irgend so einen Kerl verlieren, der dich nur wegen deines Status’ haben will.”

„Jun…”, er ließ mich langsam los und blickte mich an. Ich versuchte so ruhig wie möglich zu atmen. Ich hatte das Gefühl, mich in der Tiefe seiner dunklen Augen zu verlieren.

„Seit ich dich an jenem Abend gemalt habe, musste ich immer wieder an dich denken… Ich habe mich gefragt, wie es dir wohl geht, was du wohl machst… Ich hatte so Angst, dich nicht wieder zu treffen.”

„W-Wirklich?”, fragte ich leise. Das musste ein Traum sein. Er nickte wehmütig und strich mir sanft über mein Gesicht. Ich zuckte kurz auf, mein Herz schlug immer schneller.

„Wirklich.”, flüsterte er. Ich konnte seinem Blick nicht weiter entfliehen. Alles in mir sehnte sich nach seiner Berührung. Ich legte meine Hand an seine, als er sich zu mir herunter gebeugt hatte. Ich spürte, wie seine Lippen sanft auf meine trafen, wie er mich an sich zog. Ich schloss meine Augen und versank in dem unbeschreiblichen Gefühl, dass sein Kuss in mir auslöste. Meine Beine zitterten leicht, ich wusste nicht, ob sie dem standhalten konnten. Doch Jun löste sich von mir, ehe etwas passieren konnte.

„Ich liebe dich.”, hauchte er mir ins Ohr. Ich errötete und vergrub mein Gesicht in seiner Brust.

„Ich liebe dich auch.”, sagte ich glücklich. Er lachte kurz und fuhr mir durch die Haare. Er küsste mich noch einmal, noch leidenschaftlicher als zuvor. Ich wusste, dass mich meine Beine nicht mehr lange tragen würden. Der Arm, den er um meine Taille gelegt hatte, stützte mich jedoch. Jede seiner Berührung war angenehm. Mein Inneres bebte förmlich. Ich legte meine Hände an seine Brust und schob ihn sanft von mir. Ich holte tief Luft, es war ein zittriges Atmen.

„Du bist so süß.”, sagte er neckend und küsste mich auf die Stirn. Ich klammerte mich etwas an ihm fest, mir war etwas schwindelig, kein Wunder, mein Herz schlug so schnell, dass ich die Schläge nicht mehr zählen konnte. Er hob mich auf seine Arme und lief in sein Schlafzimmer.

„Ähm, Jun, ich….”, als ich das Bett sah, errötete ich noch etwas mehr. Ich denke, er verstand, was ich meinte. Er nickte und sagte: „Keine Angst, ich werde nie etwas tun, was du nicht willst, versprochen.”, ich lächelte erschöpft und küsste ihn auf die Wange. Er legte mich in das Bett und deckte mich zu.

„Am besten versuchst du noch ein bisschen zu schlafen.”, seine Stimme klang erheitert, vielleicht sogar glückselig. Als er aufgestanden war, zog ich ihn leicht an seinem Hemd zurück.

„Kannst du nicht hier bleiben?”, fragte ich schüchtern. Es war mir peinlich, aber ich wollte nicht alleine schlafen, allein aus der Tatsache heraus, dass ich Angst hatte, erneut aufgrund eines Albtraums aufzuwachen. Er lächelte amüsiert und setzte sich zurück an die Bettkante. Ich rückte ein großes Stück, damit er genug Platz hatte. Ich schmiegte mich leicht an ihn und schloss meine Augen. Im Gegensatz zu meinem schlug sein Herz langsam und gleichmäßig. In diesem Moment schämte ich mich ein wenig für die Launen meines Herzens. Jun umarmte mich und legte seinen Kopf an meinen.

„Schlaf gut.”, flüsterte er und blickte mich an. Ich lächelte und nickte.

„Du auch.”, murmelte ich zufrieden. Ich konnte nach wie vor kaum glauben, dass all das wirklich wahr war. Doch es musste so sein. Ich konnte seinen Atem spüren, wie er gleichmäßig ging, seinen Herzschlag, der meinen beruhigte, seine Wärme, die mich umgab. Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich frei. Ich sah ein letztes Mal zu ihm auf, schloss meine Augen und ließ mich von ihm in eine andere Welt tragen. In eine Welt jenseits der meinen, in eine Welt mit einer neuen Zukunft.

Der Ausflug

Licht. Viel zu viel auf einmal. Ich öffnete meine Augen und blinzelte mehrfach. Der Sturm hatte sich wohl verzogen, der Himmel war nahezu strahlend blau. Ich drehte mich zur Seite. Jun lag nicht mehr neben mir. Wo er wohl hingegangen ist?, dachte ich etwas überrascht. Ich legte die Bettdecke leicht verschlafen zur Seite und stand auf. Ich lief durch den Flur und sah durch die Zimmereingänge. Nicht einmal im Wohnzimmer schien er zu sein. Der Geruch von frisch gekochtem Essen lockte mich schließlich in die Küche. Als ich sie betrat, konnte ich sehen, dass der Esstisch gedeckt war. Auf der einen Seite stand ein Teller mit einem Omelette, es schien noch heiß zu sein. Daneben stand eine Kanne Tee. Ich lief zu dem Sitzplatz herüber und konnte sehen, dass an der Teetasse ein kleiner Zettel klebte. Guten Morgen, ich bin auf dem Dach, den Himmel malen. Wenn du willst, kannst du rauf kommen., ich kicherte kurz. Schon so früh am Morgen aufzustehen, um ein Bild zu malen, passte zu ihm. Ich goss mir etwas Tee ein und genoss das Aroma, das in der Luft aufstieg. Dann setzte ich mich und trank einen Schluck. Tut das gut., auch das Omelette schmeckte hervorragend. Ich hatte zuvor nicht damit gerechnet, dass er auch kochen konnte.

Nachdem ich fertig gefrühstückt hatte, blickte ich mich um und fand schließlich den Zugang zum Dach. Es war eine Treppe, die separat zum Ausstellungsraum verlief. Ich lief sie hinauf, mit der Teetasse in der Hand, und staunte nicht schlecht über die Aussicht. Von dem rechteckigen Dach aus konnte man einfach alles sehen: Den Hafen, das Meer, den kleinen Ort am Stadtrand… ich hatte den Eindruck, sogar bis zu unserer Villa blicken zu können.

„Ah, da bist du ja. Hat dir das Frühstück geschmeckt?”, ich zuckte kurz auf und drehte mich um. Jun saß am anderen Ende des Daches und zeichnete eifrig.

„J-Ja, guten Morgen.”, ich lief zu ihm herüber und blickte ihm neugierig über die Schulter. Er hatte nicht nur den Himmel, sondern zusätzlich auch noch die Wirkung des Lichts der Morgensonne auf die Vorstadt eingefangen. Doch im Gegensatz zu den anderen Bildern, die ich von ihm kannte, hatte er dieses mit Kreide gemalt.

„Ist das eine neue Technik?”, fragte ich interessiert.

„Nein, ich habe nur lange nicht mehr mit Kreide gemalt. Sie ist aber perfekt, um Lichtverhältnisse darzustellen.”, antwortete er lächelnd.

„Das kann man wirklich gut sehen.”, sagte ich und setzte mich zu ihm. Seine Hand glitt in so einem Tempo, mit solch einer Präzision über das Papier, dass ich kaum hinterher kam. Es dauerte kaum zehn Minuten, ehe er das Bild vollendet und versiegelt hatte.

„Soo… fertig.”, er reichte mir den Block herüber. Kaum hatte ich den Block in der Hand, stieg ein angenehmes Gefühl in mir auf.

„Deine Bilder strahlen so viel Ruhe aus.”, sagte ich leise. „Es ist wunderschön geworden. Einfach perfekt.”

„Hehe, vielen Dank.”, meinte Jun amüsiert. Er rückte ein Stück hinter mich und umarmte mich zärtlich. „Deine Meinung ist mir die Wichtigste.”, flüsterte er. Ich errötete etwas, als er seinen Kopf auf meine Schulter legte und ich seinen Atem spüren konnte.

„Und? Hast du schon ‘nen Plan für heute?”

„Bis jetzt noch nicht.”, antwortete ich. Dann hielt ich einen Moment inne. Ich dachte an mein Zuhause, an Alfred und diesen Kerl, der sich dort noch immer herum trieb. „…aber ich weiß, dass ich nicht nach Hause will. Zumindest nicht tagsüber.”

„…Verstehe. Du kannst immer herkommen. Auch dein Vater ist hier herzlich willkommen.”, dass Jun Alfred tatsächlich als meinen Vater bezeichnete, stimmte mich glücklich. Ich legte meine Hände an seine Arme und lehnte mich an ihn.

„Danke, Jun. Danke für alles.”

„Dafür brauchst du mir doch nicht zu danken.”, sagte er lachend und küsste mich auf die Wange. Ich kicherte zufrieden und sagte: „Hast du vielleicht eine Idee, was wir machen könnten?”

„Hm… das Hochwasser ist noch nicht ganz zurückgegangen.”, murmelte er vor sich hin. ,,Was aber nicht heißt, dass wir nichts in der Stadt unternehmen können. Gibt es denn irgendetwas, dass du noch nicht gemacht hast und gerne machen würdest?”, ich dachte eine ganze Weile über diese Frage nach. Gab es denn etwas, dass ich noch nie gemacht hatte? ….Da gab es etwas. Etwas, dass ich mir seit meiner Kindheit gewünscht hatte.

„Ich wollte schon immer mal bis zum Vorort der Stadt laufen und dort einfach umherlaufen. Meine Eltern haben es mir immer verboten, weil sie sagten, dass dort nur arme, schmutzige Menschen leben würden und ich Hausverbot kriegen würde, würden sie mich dabei erwischen.”

„Alles klar. Dann wissen wir ja, was wir heute machen!”, Jun schaukelte etwas umher, es war lustig, ich musste unweigerlich lachen.

„Wie schön. Ich freu mich so.”, gestand ich zufrieden. „Ich würde nur noch kurz Alfred Bescheid geben, dann könnten wir los.”

„Okay, mach das.”, wir standen auf und gingen zur Dachtreppe. In der Wohnung angekommen, begab ich mich sofort zum Telefon und wählte die Nummer meines Hauses an. Es klingelte drei Mal leer, dann nahm Alfred den Anruf entgegen.

„Ja, bitte?”, fragte er höfflich.

„Guten Morgen, Alfred. Ich bin es nur.”

„Ah, Mademoiselle. Geht es Ihnen gut? Was gibt es denn?”, es war erstaunlich, wie schnell seine Stimme an Interesse gewann, sobald er wusste, dass ich es war, mit der er sprach.

„Jun und ich wollten heute in den kleinen Vorort der Stadt gehen. Ich wollte dir das nur sagen, damit du weißt, dass ich erst gegen Abend zuhause bin.”, meinte ich.

„Hmm… ich halte es für besser, Sie dort abzuholen. Dieser Mann, Sie wissen, wen ich meine, er wird sonst noch Verdacht schöpfen.”

„Du hast recht.”, gestand ich und seufzte. „Wo soll ich hinkommen?”

„Am besten Sie halten sich in der Nähe des Meeres auf, ich werde Sie schon finden.”, antwortete er. Ich konnte mir in diesem Moment gut vorstellen, dass er leicht melancholisch lächelte. Es war wirklich alles andere als ideal, aber ich wollte wirklich nichts mit diesem Mann namens Theodor zu tun haben. Und wenn ich sterben müsste, der Tod war wahrlich etwas besseres, als mit diesem Mann verlobt oder nur in Kontakt zu sein.
 

Nach dem Telefonat hatte ich mich ins Bad zurück gezogen und meine getrockneten Klamotten angezogen. So sehr ich Juns Kleidung und den Geruch, der an ihnen haftete auch mochte, es war wirklich angenehm, wieder Kleidung zu tragen, die mir passte. Jun hatte in der Zwischenzeit eine Tasche gepackt, ich ahnte, dass er darin seinen Block und Zeichenmaterial aufbewahrte. Wir gingen durch die Haustür, Jun sperrte sie kurz ab, und folgten der Hauptstraße in Richtung Westen. Während wir liefen, unterhielten wir uns ein wenig. Es war kein besonderes Gespräch, er fragte mich lediglich über ein paar Dinge aus, die ich mochte. Ich antwortete stets ehrlich: Was meine Lieblingsspeise war, welche Sportart ich am liebsten mochte und dass ich die Farbe grau nicht ausstehen konnte, woraufhin er, etwas verwundert, zu lachen begann. Wir erreichten die Meerseite innerhalb von zehn Minuten. Wir passierten den Steg, nun ja, zu diesem Zeitpunkt wohl mehr das, was davon noch zu sehen war. Das Wasser stand noch immer ungewöhnlich hoch. Auch die Bushaltestelle, zu der ich immer lief, wenn ich vom Steg nach Hause fuhr, schien aufgrund des Hochwassers nicht befahrbar zu sein. Doch wir setzen unseren Weg fort. Der Weg war noch immer breit genug, um neben einander zu laufen. Mit noch jemandem diesen Weg entlang zu laufen, den ich mein Leben lang nur alleine gelaufen war - nicht einmal Alfred hatte mich begleiten dürfen - war ungewohnt und dennoch sehr angenehm. Ich hatte zunehmend das Gefühl, Jun schon dutzende von Jahren zu kennen. Wie konnte es nur möglich sein, dass man mit jemandem, den man nicht einmal drei Wochen kannte, auf solch einer Wellenlänge war?

Das Meerwasser preschte in die Brandung. Die Wassertropfen, die davon hinauf geschleudert worden waren, brachen das Licht der Sonne. Ich mochte diesen Anblick sehr. Jun folgte meiner Blickrichtung und sagte schließlich: „Du scheinst Wasser sehr zu mögen.”

„Ja, das tue ich.”, antwortete ich zufrieden und harkte mich in seinem Arm unter. „Es ist etwas vollkommenes, ohne jegliche Schwäche. Es leistet Widerstand, es bewahrt seine Schönheit und birgt unheimlich viel Leben in sich. Ich finde es wirklich sehr faszinierend.”

„Interessante Sichtweise.”, sagte Jun und lächelte mich an. „Aber du hast recht. Wasser ist etwas Einmaliges. Für mich ist es wie eine Art Freiheitssymbol. Egal, was man tut, man kann es nicht bezwingen. Der Sturm gestern Nacht war das beste Beispiel dafür.”

„Haha, ja, das stimmt wohl.”, gab ich zu. Unsere Blicke trafen sich kurz. Jedes Mal, wenn ich in seine Augen blickte, wurde mir bewusst, was für ein Glück ich hatte. Wie sehr seine Anwesenheit die Leere in meinem Herzen füllte. Als ich ihn noch einmal anblickte, errötete ich leicht. Es war wirklich schwer, seinem Blick über einen längeren Zeitraum stand zu halten und so heftete ich meinen Blick stattdessen an die Straße. Der Weg mündete langsam in eine Landstraße ein, die ich normalerweise umgehen musste, wenn ich zur Villa zurückkehren wollte. Dass ich sie wirklich einmal betreten würde…. Wie sehr hatte ich mir das gewünscht.

„Sieh mal! Da hinten ist es!”, sagte ich freudig und deutete auf die kleinen Häuser, die das Meer wie ein Zaun umrandeten. Bereits am Orteingang gab es zahlreiche, blühende Bäume und Büsche. Alles wirkte so ländlich und friedlich, ich war diese Stimmung nicht gewöhnt. Wir folgten dem Weg und gelangten schon bald auf die Hauptstraße der Ortschaft. An der Straße angrenzend gab es sehr viele, eng aneinander liegende Gassen und Fachwerkhäuser. Es waren allesamt Altbauten mit schönen Terrassen und Blumenkästen, die sie verzierten. „Ist das schön hier.”, ich war selbst ein wenig überrascht über die Freude, die in meiner Stimme lag. Jun nahm mich bei der Hand und führte mich von der Hauptstraße herunter. Wir liefen durch eine kleine Gasse und fanden uns schließlich auf einem Weg wieder, der an der Küste entlang verlief. Er war durch ein Holzgeländer vom Meer abgeschirmt. Es war, als würden uns die Möwen, die über der Küste flogen, den Weg weisen. Angrenzend an das Ende des Geländers befanden sich kleine Restaurants mit Blick auf das Meer. Es waren wunderschöne Lokale mit einer hohen Anzahl an Gästen. Da das Frühstück jedoch noch nicht allzu lange her war, bat ich Jun weiter zu gehen. Er schien sich in dieser Umgebung sehr gut auszukennen.

„Manchmal komme ich hierher, um zu malen, manchmal aber auch einfach nur, um die Stimmung zu genießen.”, hatte er gemeint. Er führte mich entlang der Küste zu einem Steg, der dem in der Stadt sehr ähnlich war. Er war jedoch um einiges breiter und etwas unzugänglicher. Ich lief den Steg entlang, bis zum Rand und betrachtete das Meer. Das klare, kühle Blau verschmolz mit dem reflektieren Sonnenlicht. Die Brise umgarnte mich, als wollte sie mich begrüßen. Es war atemberaubend und anders als in der Stadt hatte ich dort das Gefühl, mich an nichts mehr halten und von nichts und niemandem mehr einschränken lassen zu müssen.

„Danke, Jun, danke! Es ist wie ein Traum…”, sagte ich fröhlich. Er lachte erheitert und lief an meine Seite.

„Ich hab dir zu danken.”, entgegnete er leise. Er legte seine Hand in meine und schlang sich zärtlich um mich. Ich genoss seine Berührungen sehr, auch, wenn ich leicht errötete. Wenn er mir so nahe war, konnte ich seinen Körper spüren. Er war so stark und kraftvoll im Vergleich zu meinem. Ich lehnte meinen Kopf an seinen und seufzte zufrieden.

Nach ein paar Minuten waren wir schließlich meinem Ritual nachgekommen: Ich hatte meine Füße im Wasser baumeln lassen und mich am Wellenstrom erfreut, der sie mit jeder Welle leicht mitzog. Jun und ich unterhielten uns lange. Über alles, was uns in den Sinn kam. Und ich hatte lange nicht mehr so viel gelacht.

„Klaus-Günther? Du hast einen Marienkäfer wirklich so genannt?”

„Hey, der Name war spitze!”, meinte er schmollend. Ich lachte lauthals. Jun stieß mich kurz an, er schien leicht beleidigt zu sein, doch ich konnte einfach nicht anders. Ich kugelte mich sogar vor Lachen. Das war mir noch nie passiert.

„E-Ehe-Entschuldige, aber …puh… das klang einfach… so untypisch.”, brachte ich mühevoll hervor. Er legte sich neben mich und strafte mich mit seinem Blick. Ich schluckte kurz und versuchte, seinen reinen, dunklen Augen nicht zu begegnen. Doch dann legte er seine Hand an mein Gesicht und drehte es zu sich.

„So brav, wie du scheinst, bist du auch nicht.”, hauchte er grinsend.

„Das habe ich auch nie behauptet.”, meinte ich. Mein Herz schlug schnell auf, als ich seinen Blick erneut kreuzte. Seine Hand glitt von meinem Gesicht zu meinem Hals hinunter. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich errötete, ich konnte seinen Atem spüren. Und dennoch war ich tief in meinem Inneren ruhig, wie stilles Wasser. Weil ich ihm vertraute. Nur wenige Sekunde später küsste er mich, leidenschaftlich und zärtlich zugleich. Ich genoss es. So sehr, dass ich fürchtete, mein Inneres würde verbrennen. An meiner Taille spürte ich plötzlich seine Hand, die vorher an meinem Hals geruht hatte. Wir lösten uns voneinander und ich öffnete meine Augen, die ich zuvor geschlossen hatte.

„Ich liebe dich…”, entfloh es mir leise. Ich konnte ihn lächeln sehen, ehe er seine Lippen erneut auf meine legte. Dieser Kuss unterschied sich von den vorherigen. Ich zuckte kurz auf, als ich spürte, dass sich unsere Zungen berührt hatten. Jun schien es bemerkt zu haben, er wollte sich wohl entschuldigen, doch ich ließ ihm keine Zeit dazu. Ich schlang meine Arme sanft um seinen Hals und zeigte ihm, dass es mir nichts ausmachte. Er lehnte sich etwas zur Seite und so rollten wir ein Stück am Steg entlang. So lag ich nun mehr oder weniger auf ihm, während er mit dem Rücken an der Stegkante lag. Ich wusste, dass er uns jeden Moment ins Wasser fallen lassen konnte.

„Wehe, du drehst dich um.”, mahnte ich ihn lächelnd. Er schaukelte absichtlich umher, ließ mich jedoch nicht los.

„Es ist seltsam.”, flüsterte er zärtlich. Seine Hand fuhr sanft durch meine hellen Haare. „Ich habe das Gefühl, du machst mein Leben komplett. …Wo warst du nur die ganze Zeit?”

„Das könnte ich dich auch fragen.”, erwiderte ich und seufzte leise. Ich küsste ihn auf die Wange und spürte, dass er sich etwas nach links gedreht hatte.

„Lust, schwimmen zu gehen?”, fragte er, als er sich weiter gedreht hatte. Ehe ich etwas hatte sagen können, waren wir schon ins Wasser gefallen. Und, womit hatte ich das nur verdient, es war eiskalt gewesen! Ich tauchte eilig auf und sah, dass Jun, im Vergleich zu mir, im Wasser stehen konnte.

„Du bist so gemein!”, sagte ich ärgerlich und spritzte so viel Wasser nach ihm, wie ich konnte. Während er vor mir in Deckung ging, lachte er so ehrlich wie eh und je. Und obwohl ich die Situation durchaus komisch fand, ließ ich nicht nach. Erst, als er plötzlich verschwunden war, konzentrierte ich mich wieder darauf, nicht unterzugehen.

„Wo ist er denn jetzt schon wie-”, ich quiekte kurz auf, als mich Jun von unten gepackt hatte. Er hatte mich locker auf seine Arme gehoben, so, wie am Vorabend. Ich klammerte mich so gut es ging an ihm fest, ich hatte mich so erschrocken, oh, wie gerne hätte ich ihm eine Standpauke gehalten! Doch als ich mich schließlich mit der Situation abgefunden hatte, blickten wir uns lediglich kurz an, ehe ich in sein Gelächter mit ein stieg. In seinen Armen, triefend durchnässt, in eiskaltem Wasser, das nur von der Sonne erwärmt wurde.

Er war wohl wirklich verrückt, oder nein, vielleicht einfach nur etwas zu quirlig.
 

Der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu. Unsere Klamotten waren mit der Zeit immerhin etwas getrocknet. Wir waren noch ein wenig durch die Ortschaft gelaufen, ehe wir uns zurück zum Ufer begeben hatten, um auf Alfred zu warten.

„Ich hoffe, er nimmt mich nicht gleich auseinander.”, sagte Jun etwas verlegen. Ich kicherte amüsiert und schüttelte leicht den Kopf.

„Keine Angst, Alfred ist nicht so. So, wie ich ihn kenne, wird er dich sehr schnell mögen.”

„Meinst du? Ich würd mich freuen, wenn's so wäre.”, entgegnete er. Er lehnte sich an das Geländer, das das Wasser vom Ufer trennte und blickte die Straße entlang, ich tat es ihm gleich. Während all dieser Zeit hatte er meine Hand nur sehr selten losgelassen. Natürlich freute mich das, doch ich wusste auch, dass es ein Hauch von Ungewissheit in ihm war, der mich nicht gehen lassen wollte. Und dieser war nicht unbegründet. Ich konnte ihm zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht sagen, wann genau wir uns wiedersehen würden.

Obwohl ich mich freute, Alfred wieder zu sehen, wünschte ich mir, dass er an diesem Tag nicht erscheinen würde.

Juns Augen weiteten sich kurz: „Ist er das?”, er deutete auf einen Mann in einem schwarzen Anzug. Der Haltung, dem Äußeren und dem Gang nach konnte es sich hierbei wirklich nur um Alfred handeln. Ich nickte wehmütig und lehnte mich an seine Schulter. „Leider.”

„Hey, was heißt hier leider, er kümmert sich wenigstens um dich.”, sagte er und streichelte mir grob durch die Haare. „Pass bloß auf dich auf.”

„Werde ich. Ich komme so schnell wie möglich wieder.”, ich küsste ihn ein letztes Mal, ehe ich zu Alfred sah und ihn anlächelte. Er war wirklich sehr langsam gelaufen, ich wusste, dass er schon sehr viel Zeit für uns aufgeschoben haben musste.

„Guten Abend, Mademoiselle.”, sagte er sichtlich erfreut, dann blickte er zu Jun herüber. „Und Sie sind dann wohl der junge Herr Maler. Es freut mich wirklich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.”

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Bitte, sagen Sie einfach Jun zu mir.”

„Sehr wohl.”, Alfred wollte weiter sprechen, doch er schien von unserem Anblick ein wenig abgelenkt zu sein.

„Wir waren schwimmen.”, meinte Jun und stieß mir leicht in die Seite. Ich kicherte und fügte hinzu: „Ohne es vorher geplant zu haben.”

„Haha, ich verstehe.”, ich glaube, ich hatte Alfred lange nicht mehr so lachen sehen. Ich spürte, wie sehr ich es vermisst hatte, ausgelassen mit ihm zu lachen und zu reden.

„Ich muss mich noch einmal bei Ihnen bedanken, Jun, dass sie Mademoiselle Cloe aufgenommen haben und gesund und munter zurück gebracht haben.”, Jun blickte kurz zu mir herab und lächelte.

„Das war doch selbstverständlich.”, meinte er daraufhin. In seiner Stimme lag erneut dieser Unterton, der mich etwas erröten ließ. Ich blickte eilig zur Seite, um nicht von ihm darauf angesprochen zu werden. Ich schreckte etwas auf, als ich ein klingendes Geräusch vernahm. Es waren die Turmglocken der Stadt, die man sogar bis hier hatte hören können. Sie legten das Ende dieses wunderschönen Tages fest, ohne, dass es jemand von uns gewollt hätte. „Nun denn, Mademoiselle?”, fragte Alfred zaghaft. Ich seufzte und lief an seine Seite.

„Bis bald.”, sagte ich und kreuzte ein letztes Mal Juns Blick. Sie fesselten mich jedes Mal aufs Neue. Es war dieser unbeschreibliche Funke in ihnen, der es mir noch schwerer machte, mit Alfred mitzugehen.

„Bis bald, Cloe.”, die Art und Weise, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte, brannte sich in mein Herz ein. Ich drehte mich langsam von ihm weg. Und erst als ich seine Hand los ließ, spürte ich, wie unsagbar schwer es mir fallen würde, auch nur einen Tag ohne ihn verbringen zu müssen.

Die schmerzliche Wahrheit

Auf dem Rückweg zur Villa unterhielt ich mich lange mit Alfred, ausgelassener und glücklicher als zuvor, zugleich jedoch auch mit melancholischer Mimik. Nachdem er ein wenig über Jun im Bilde war, schwieg ich einen Moment lang und blickte auf den langen, mit Kieselsteinen gepflasterten Weg vor uns.

„Glaubst du… dass ich es diesen Monat noch schaffe, ihn wieder zu sehen?", fragte ich wie in Trance. Meine Stimme hatte wenig Gewicht, wie ein Blatt wurde sie vom Wind davon getragen. Alfred nahm mich zärtlich bei der Hand und antwortete: „Ganz bestimmt, Cloe, ganz bestimmt.", unsere Blicke trafen sich und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte wohl recht. Solange ich optimistisch blieb und mich nicht unterkriegen ließ, würde ich es sicherlich schaffen.
 

Das dachte ich zumindest, bis ich die Villa erreicht hatte.
 

Doch dann befand ich mich auch schon auf einem dieser widerlichen Bälle im Hause der Kies, einem hochrangigen Clan, der meine Eltern – und leider auch mich und dieses Scheusal von Gast – zu sich geladen hatte. Die Villa der Kies war mit unserer nicht zu vergleichen. Sie war in etwa doppelt so groß, mit einer schönen, naturfarbenden Marmorverkleidung und einem überaus großem und gepflegtem Garten, in den ein kleiner Teich mündete. Der Ballsaal befand sich seitlich vom Empfangsbereich. Er war mit langen, schönen Gardinen verkleidet, der edle, karmesinrote Teppichboden wies nicht einen Makel auf.

Dort stand ich nun also, mit einem Glas Champagner in der Hand, den ich sowieso nicht trank, einfach, weil ich Alkohol nicht mochte, und blickte in die unzähligen Gesichter der kleinen Adelsschicht unserer Region. Was an diesem Abend jedoch besonders auffiel, war die Anzahl der Mädchen, die dieselben Erbanlagen aufwiesen wie ich. Kreselien. Mindestens ein Dutzend von ihnen standen in der Masse.

„Na, amüsierst du dich?", ich drehte mich um und traf auf den strafenden Blick meiner Mutter. Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. „Deine Schärpe am Kleid hat sich gelockert, dreh‘ dich zu mir.", ich tat, was sie verlangte. Einfach aus dem Grund, dass der Abend auch ohne Streitereien schon schlimm genug war. Das Kleid, das ich trug, war trägerlos und um den Brustbereich in weißen Rüschen zusammengerafft. Der Rest des Kleides war schwarz, lediglich die Schärpe, die an meinem Rücken herabhing, hatte weiße Verzierungen.

„Wie lange müssen wir noch hier bleiben?", fragte ich und knirschte leicht mit den Zähnen. Meine Mutter ging nicht weiter auf meinen Ärger ein, sondern zog lediglich die Schärpe fest.

„Solange, bis alle es begriffen haben.", antwortete sie nüchtern.

„Begriffen? Was denn?", fragte ich zurück, doch ich erhielt keine Antwort. Sie ging, setzte ihr gekünsteltes Lächeln auf und verschwand in der Menschenmasse. Ich starrte ihr eine ganze Weile hinterher und seufzte schließlich. Wie immer würde ich die Antwort auf meine Frage nie erfahren.
 

Nach dem Abendessen hatte ich mich in den Garten des Hauses zurück gezogen. Zum Glück hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenig mit Theodor zu tun gehabt, das war allerdings auch das einzige positive an meiner Situation gewesen. Ich blickte mehrfach auf das Kleid herunter und wünschte mir, es in der Luft zu zerreißen. Es sah vielleicht schön aus, doch es war durch die Schärpe und die fehlenden Träger so unangenehm zu tragen, dass es mir zunehmend als Last vorkam. Ich zog es mit Mühe ein gutes Stück über mein Dekolleté und lief ein wenig durch den Garten. Die Rosenstöcke waren wirklich wunderschön, selten hatte ich so schöne weiße Rosen gesehen. Und doch war ich mir sicher, dass unsere Rosen dank Alfreds Fürsorge noch ein wenig schöner aussahen. Bei dem Gedanken an sein Gesicht lächelte ich ein wenig, verzog meine Miene jedoch gleich wieder, als ich sah, dass jemand auf mich zu lief. Überraschenderweise waren es drei dieser Mädchen, die mir so ähnlich sahen. Eines von ihnen trug ein orangenes, langes Kleid, ihr weißes Haar war aufwändig zurückgesteckt. Das andere trug ein Türkise Kleid und das Mädchen, das am Dichtesten bei mir stand, ein violettes.

„Guten Abend.", sagte ich höflich und senkte den Kopf zaghaft, doch die Geste schien sie nicht sonderlich zu stören. Statt auf meine Begrüßung einzugehen, griff das Mädchen in dem violetten Kleid zaghaft nach meinen Haaren und strich sanft durch sie hindurch.

„Unheimlich rein.", murmelte sie vor sich hin, kreuzte meinen verwunderten Blick mit ihren schönen, klaren grauen Augen und lächelte leicht.

„Wir wollten gerne mit dir reden.", fügten die beiden anderen hinzu. Ich nickte zögernd und bot ihnen an, ein Stück mit mir im Garten zu spazieren. Ich spürte, dass das Gespräch nicht für andere Ohren bestimmt war, deswegen wollte ich mich mit ihnen soweit es ging von der Villa entfernen.

Nachdem wir ein paar Minuten gelaufen waren, hielt ich an und fragte: „Also, worüber wolltet ihr mit mir sprechen?"

„Über dein Leben.", antwortete die in dem orangenen Kleid. „Mein Name ist Lilia."

„Ich bin Sou.", fügte das Mädchen in dem Türkisenen hinzu.

„Und ich Kalou."

„Mein Name ist Cloe, sehr erfreut.", entgegnete ich, die Mädchen schenkten mir allesamt ein schönes Lächeln.

„Ihr sagtet, ihr wollt über mein… Leben sprechen?"

„Besser gesagt über den weiteren Verlauf deines Lebens.", antwortete Kalou. Ihre Miene gewann an Ernsthaftigkeit. „Du bist verlobt, nicht wahr?", bei dieser Frage verkrampfte sich meine Haltung ein wenig. Ich lehnte mich an das Gitter, das die Rosenstöcke von einer kleinen Mauer trennte und nickte wehmütig. „Es ist alles… so kompliziert."

„Das wissen wir mindestens genauso gut wie du, Cloe.", Lilia schritt auf mich zu und packte mich sanft bei der Hand. Obwohl sie alle sehr höflich zu mir waren, hatte ich ein wenig Angst vor ihnen. Es waren nicht nur ihre Ausstrahlungen, die mich erschreckten, Lilias Hände waren zudem auch noch kalt wie Eis. Nun trat auch Sou einen Schritt auf mich zu und lehnte sich an Lilias Seite.

„Du hast jemanden, den du liebst, nicht wahr?"

„Woher-?"

„Ich sehe es in deinen Augen.", ich schreckte etwas hoch, als ich ihre Worte vernahm.

„In… in meinen Augen?"

„Ja.", antwortete Sou lächelnd. „Da ist ein winziger, heller Fleck in dem Grau deiner Augen.", fuhr sie fort. „Ein Symbol, das fast allen Kreselien wohlbekannt ist.", auf Sous Hinweis blickte ich den Mädchen behutsam und doch sorgfältig in die Augen. Sie alle hatten diese Punkte in ihren Augen, sogar mehrere. Ich wusste nicht genau, wie ich darauf reagieren sollte.

„Was hat das zu bedeuten?", Kalou schien zu merken, dass ich mich allmählich unwohl fühlte. Sie bat die anderen beiden, einen Schritt von mir zurück zu treten und sagte dann: „Wir alle wurden als Kreselien vermählt. Unsere Gatten sind Männer, die wir nie zuvor gesehen hatten. Dennoch wird von uns allen erwartet, sie aufrichtig und ehrlich zu lieben. Doch wie soll das gehen?", ihre Stimme klang auf einmal unsagbar traurig, fast so wie meine in den letzten Wochen. Aufmerksam hörte ich ihr zu. „Wir alle haben schrecklich Erfahrungen mit ihnen durchgemacht. Und es wurde meist noch schlimmer dadurch, dass wir Geliebte hatten. Geliebte, die wir nicht sehen durften.", mein Blick sank zu Boden. Je mehr sie mir erzählte, desto mehr schauderte es mich, Weiteres zu erfahren. Ich ballte meine Hände zu Fäusten zusammen und schloss meine Augen.

„Was… was wollt ihr mir damit sagen?", fragte ich ernst. „Dass ich ihn nie wiedersehen werde? Wollt ihr das sagen? Oder… oder wie schlimm mein Leben verlaufen wird?! ", meine Stimme gewann ungewollt an Kraft und Lautstärke. „Ich- Das weiß ich selbst, in Ordnung!? Niemand muss mich darüber aufklären, ich weiß, wie schrecklich es wird!", ich sank an dem Gitter zu Boden und zog meine Beine an meinen Körper, mein Gesicht verdeckte ich mit meinen Armen. Ich war so aufgewühlt. Mit einem Mal verschwand Juns Gesicht vor meinem Inneren Auge. Es war so, als würde er sich immer weiter von mir entfernen oder nein, vielleicht realisierte ich nur, in was für einer Misere ich wirklich steckte.

Und wie schwer es wohl war, ihr zu entkommen.

Ich spürte, wie eines der Mädchen sanft über meinen Kopf strich, es war wohl Sou gewesen, denn sie setzte sich nur wenige Sekunden später zu mir herunter.

„Du bist niedlich, Cloe. Ich mag dich.", sagte sie kichernd. Daraufhin setzte sich Lilia an ihre Seite und verzog das Gesicht auf kindliche Art und Weise. „Was soll das denn heißen, Sou?", auf ihre Frage hin drehte sich Sou lächelnd zu ihr herum und tat etwas, was ich wohl nie erwartet hätte.

Sie küsste sie. So sanft, dass ich wohl leicht in Verlegenheit geriet, sie dabei so angestarrt zu haben. Als sich die beiden voneinander gelöst hatten, war ich kaum in der Lage, auch nur einen Ton von mir zu geben. Kalou nahm mir das Wort ab: „Wir alle haben Geliebte, die wir nicht sehen können oder besser gesagt, nur unter unpassenden Umständen. Was denkst du, was all diese Menschen wohl sagen würden, wenn sie herausfänden, dass Sou und Lilia nie etwas für ihre Gatten empfunden haben und es auch nie können werden, weil sie nun einmal etwas für einander empfinden?... Sie würden sie verleugnen, verbannen, alles Mögliche tun, um sie zu trennen."

„…", ich brauchte einen Moment, um all das zu verarbeiten. Ich hatte begriffen, was sie mir sagen wollten, doch….

„Was hat das mit diesen Punkten zu tun?", die drei Mädchen seufzten fast zeitgleich. Sou strich sanft über ihr rechtes Auge. „Diese Punkte entstehen aus unseren Sehnsüchten. Je stärker sie sind, desto größer und heller werden die Punkte."

„Aber diese Punkte…"

„Du hast es bemerkt?", fragten sie mich. Ich wollte es nur ungerne aussprechen, aber es schien so, als würden meine Gedanken mit der Wahrheit übereinstimmen. Ich streckte meine Hand sanft vor Lilias Augen und merkte, wie langsam sie darauf reagierte. Ich schluckte.

„Sie… trüben… das Augenlicht?"

„Genau so ist es…", antwortete diese melancholisch und schmiegte sich an Sou.

„Ich fasse es nicht…", entfloh es mir leise. Ich konnte meinen Schock über diese Tatsache nicht verbergen.

„Das ist das größte und einzige Mysterium um unseren Gendefekt.", entgegnete Kalou. Ihr Blick schweifte durch die Gegend, sie blickte lange in den Himmel und konnte sich einen weiteren Seufzer nicht verkneifen. Diese drei Mädchen wirkten mit einem Male so hilflos. Dass all ihre Beziehungen so unerfüllt waren, dass sie so sehr darunter litten – vielleicht sogar noch mehr als ich – belastete mich sehr. Ehe ich etwas sagen konnte, sahen mich alle drei noch einmal eindringlich an und sagten: „Mach nicht den gleichen Fehler wie wir."

„Geh zu ihm, liebe ihn.", behauptete Sou sanft.

„Ring dich dazu durch. Du sollst nicht so enden wie wir, du sollst dein Augenlicht und deine Hoffnungen behalten, das war der Sinn und Zweck dieses Gesprächs!"

„Aber… was ist mit euch?", fragte ich und musterte ihre traurigen Blicke und Haltungen. „Gibt es nicht irgendetwas, was ich für euch tun kann?", die Eindringlichkeit meiner Stimme schien sie allesamt überrascht zu haben. Doch es war mir ein dringendes Bedürfnis, ihnen meine Hilfe anzubieten.

Hätten sie mich nicht gewarnt… mich nicht über die Konsequenzen aufgeklärt, die es mit sich zog, als Kreselia so viel Sehnsucht zu empfinden… wer weiß? Vielleicht hätte ich mein Augenlicht schon längst verloren. Doch es schien beinahe so, als hätten sie alle es akzeptiert. Mit einer nahezu stolzen Haltung erhoben sie sich und halfen mir ebenfalls aufzustehen. Kalou, die mich hinaufgezogen hatte, umklammerte noch einmal meine Hände und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Du bist ein nettes Mädchen, Cloe, und du scheinst zu wissen, was du willst. Erfülle deinen Wunsch.", sprach sie liebevoll. „Erfülle ihn, und du erfüllst den Traum von uns allen.", mein Blick senkte sich leicht. Ich drückte Kalous Hände sanft zusammen, nickte und versuchte, nicht zu weinen. Auch ihre Augen waren nahezu übersaht mit weißen Punkten, doch sie bewahrte ihr Lächeln voller Würde.

Was waren sie alle doch für tapfere junge Frauen. Mir wurde bewusst, welch eine Verantwortung sie mir in diesem Moment übergeben hatte.

Ich spürte, dass es allmählich Zeit für mich gewesen war, ihren Wünschen nachzugehen. Es war nicht nötig gewesen, noch mehr Worte zu wechseln. Entschlossen ließ ich Kalous Hände sanft los und Schritt voran, dicht gefolgt von ihr, Sou und Lilia. Ich denke, etwas in meinem Inneren hatte sich in diesem Moment verändert. Auf mein Ziel fixiert marschierte ich durch den Garten, die kleine Treppe der Veranda hinauf, in den Saal zurück. Ich musterte einige Menschen, die Stimmen im Saal wurden allmählich ruhiger. Es war kaum zu übersehen, dass es nun soweit war. Die wichtigsten Neuigkeiten sollten vom Oberhaupt der Kies‘ verkündet werden. Das war der Moment, mein Moment.
 

Der Moment, in dem ich uns alle, uns Mädchen, die wie Vögel im goldenen Käfig gefangen gehalten wurden, befreien und unseren Wünschen Flügel verleihen sollte.

Der Ausbruch

Jean Kies, das Oberhaupt des Clans, hatte nun die Aufmerksamkeit all seiner Gäste für sich gewonnen. Er war ein Mann mittleren Alters, mit leicht grauen Schläfen und einem äußerst gepflegtem Äußeren. Neben ihm stand seine Gattin Laurence Kies, die allgemein für ihren strengen Ton, ihr strenges Äußeres aber vor allem für ihren Einfluss berühmt war.

Sou, Lilia und Kalou standen ein Stück von mir entfernt, ich hatte mich so weit nach vorne durchgekämpft, dass ich den beiden Gastgebern direkt in die Augen sehen konnte.

„Meine Damen und Herren.", begann Jean schließlich zu sprechen. „Wie sie vielleicht mitbekommen haben, hat diese Feier verschiedene Zwecke. Zum einen dient sie zum Vergnügen, zum anderen zur Information.", Laurence reichte ihrem Gatten ein Papier, ich denke, es handelte sich dabei um eine Liste, denn nur wenige Sekunden später las er die Namen aller sich im Raum befindenden Kreselien vor, mich natürlich eingeschlossen.

„Zu unserer Freude werden nicht nur zwei dieser hübschen Mädchen bald ein Kind empfangen…", die Gäste begannen bereits nach diesen wenigen Worten glücklich zu tuscheln. Doch das Clanoberhaupt fuhr fort: „Auch dürfen wir uns sehr über die Verlobung von Theodor Kies, meinem ältesten Sohn, und der schönen Cloe Cecilia freuen.", mein Blick fuhr automatisch zum Gesicht meiner Mutter. Sie lächelte mich an und klatschte, wie alle anderen Gäste, fröhlich in ihre Hände. Nun wurde mir bewusst, was sie gemeint hatte, als sie davon sprach, dass alle es begreifen sollten. Sie wollte es bewusst so publik machen, vor allen Leuten!, fuhr es durch meinen Kopf, mein Atem stand still. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Natürlich. In solch einer Situation konnte man sich nicht vor der Öffentlichkeit und der Realität verschließen oder sich ihr entziehen. So war es ihr gelungen, mich einzufangen und den Leuten wie eine Trophäe zur Schau zu stellen. Während Jean mit einem Lächeln auf den Lippen den geplanten Hochzeitstermin verkündete, hatte sich meine Mutter zu mir begeben. Ich sah sie nicht an.

„Hast du es nun verstanden, Cloe?", flüsterte sie mir kaltherzig ins Ohr. Mein Herzschlag stach förmlich in meine Pulsadern hinein. ,,Sieh es ein. Das ist dein Schicksal. Und das Beste für uns alle.", das Beste für uns alle…., wie lange diese Worte doch in meinem Kopf wiederhallten. Wie lange hatte sich nun schon alles um dieses gottverdammte, noble und edle Leben gedreht?

„Das Beste…", murmelte ich noch einmal und lachte höhnisch. Diese Worte hatten das Fass zum Überlaufen gebracht.

Noch bevor sich meine Mutter von mir entfernen konnte, schlug ich mich an ihr vorbei zum Büffet, vorbei an all diesen mich anstarrenden, widerlichen Nobelmenschen. Ich löste ein Raunen im Saal aus, das sich in ein entsetztes Schweigen verwandelte, als ich nach einem der ellenlangen Kochmesser gegriffen hatte und es mir an die Kehle hielt. „Genug davon!", brüllte ich mit aller Kraft. Jean und Laurence hatten augenblicklich die Kontrolle über ihre Gäste verloren. Sie alle traten einige Schritte zurück, mir war es nur recht so.

„Was soll das, Cloe?!", konnte ich sie schreien hören. Ich drückte den kalten Stahl näher an mich heran.

„Was das soll?", wiederholte ich scharf. Ich hielt den Blickkontakt zu jedem einzelnen von ihnen, musterte sie und brannte mir ihre widerlichen Visagen in mein Gedächtnis sein. „Seit ich ein kleines Mädchen bin, bin ich an diese nicht enden wollenden Pflichten gebunden! Meine Kindheit, meine Träume, meine Freiheit, das alles wurde mir- ", ich hielt eine Sekunde inne und lachte kopfschüttelnd. „Nein, falsch. Das alles wurde uns genommen!", bei diesen Worten ließ ich meinen Blick zu den anderen Mädchen schweifen. Ihre Blicke verrieten mir, dass ich genau das angesprochen hatte, was sie alle über so lange Zeit belastet haben musste. Halb unbewusst nickten sie mir zu, mit ernst-trauriger Miene und murmelten leise Dinge vor sich her, die mit meinen Aussagen übereinstimmten.

„Habt ihr euch je gefragt, ob wir auch Gefühle haben? Dass wir auch Menschen sind, trotz diesem unnötigen, selten Gen, das uns unser Äußeres schenkt…?", fragte ich dann leise, doch meine Stimme war nicht zu überhören. Sie hallte in dem rieseigen Saal wieder, als wäre sie das einzige, was es auf der Welt gäbe. „… Habt ihr euch je gefragt, wie sich ein Kind fühlt, wenn es nicht spielen darf, sondern üben muss, um in die feine Gesellschaft aufgenommen zu werden?... Habt ihr euch je gefragt, wie es sich anfühlt, alleine zu sein…?", ich schloss meine Augen. Während ich sprach, blitzen all die Bilder meiner Vergangenheit in mir auf. Wie wenig ich doch mit meinen Eltern unternommen hatte… wie oft ich mich widersetzt hatte und im Gegenzug eine Ohrfeige hatte einstecken müssen… wie oft ich doch geweint hatte, weil Alfred mein einziger Freund gewesen war…

Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich, dass einige der Gäste ihren Blick gesenkt hatten. Wohin auch immer sie blickten, sie mieden es, meinen Blick zu kreuzen. Meine Gesichtszüge verloren an Spannung. War es nicht schockierend, dass es einen drohenden Selbstmord brauchte, um an diese Menschen heran zu gelangen? Um sie dazu zu bringen, über ihre Konventionen und Traditionen nachzudenken? Um vielleicht sogar so etwas wie Gefühle in ihnen zu wecken…? Seufzend nahm ich das Messer ein Stück von meinem Hals weg. Ich sah, dass mich Sou, Lilia und Kalou ein wenig überrascht ansahen, auch sie schienen nicht damit gerechnet zu haben, dass ich so in die Öffentlichkeit trat. Doch das alles zog an mir vorbei.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich, wie mich der Drang nach Freiheit übermannte, wie mich dieser Drang alle Zwänge vergessen ließ. Keiner dieser Menschen schaffte es, mein Inneres länger gefangen zu halten, nichts davon.

Auch nicht die Tränen, die nun in großem Maße über mein Gesicht rollten. Ich sah, wie sie langsam an meinem Kleid herunter fielen, den Boden benetzten. Warum ich weinte wurde mir erst bewusst, als ich mir das von der Seele sprach, was mich am meisten belastete.

„…Wie oft habe ich mir gewünscht, einfach wegzugehen…", murmelte ich. „… aber weißt du was, Mutter?", sie zuckte auf, als ich sie ansprach und einen Schritt auf sie zu machte. Sie trat zurück, so, als hätte sie Furcht vor meinen Worten. Doch sie konnte sich mir nicht entziehen. In meinem Tränen getrübten, verschwommenen Blickfeld hielt ich sie fest. „.. Ich konnte es nie.", fuhr ich wie heiser fort. „Und weißt du auch warum?..", schluchzend trat ich durch die Gäste. Ohne ein Wort zu sagen, traten sie beiseite und kesselten mich und meine Mutter ein. Ich sah, dass sie zitterte, dass ihr der Schweiß an der Stirn hinunterlief, doch ich blieb ruhig. Ich nahm das Messer von mir, schlang meine Arme langsam um ihren Hals und flüsterte: „Tief in meinem Inneren… habe ich immer darauf gewartet, dass du mich einmal so in dem Arm nehmen würdest… und… das du sagen würdest… Ich liebe dich, Cloe… und ich bin froh, dass es dich gibt.", mein Herz zersprang förmlich, als ich diese Worte aussprach. Verzweifelt schloss ich meine Augen und schluchzte laut. Egal, was ich tat, meine Mutter rührte sich einfach nicht. Nicht einmal jetzt, wo ich ihr so nahe war, ich ihr mein Herz ausschüttete…. Selbst jetzt hingen ihre Arme wie erstarrt an ihrem Körper herunter, als wäre ich ein Fremdkörper. Es war egal, wie viele Tränen ich vergossen hatte, es war egal, ob nun mit oder ohne Messer an meiner Kehle. Ich löste mich von ihr und lächelte sie ein letztes Mal an: „Doch … ich weiß… dass du das nicht kannst.", meine Mundwinkel hoben sich zu einem melancholischen Lächeln an. Die salzigen Tränen, die von meinen Augen zu meinem Mund rannen, erweckten meine Sinne zu neuem Leben. Zum Schrecken der vielen Gäste nahm ich das Messer noch einmal an meinen Hals heran, doch diesmal umklammerte ich dabei meine langen, weißen Haare mit der anderen Hand. Als hätte es meine Mutter geahnt, brüllte sie irgendwelche unkenntlichen Worte zu mir, ich erinnere mich nicht mehr an sie. Denn in diesem Moment, dem Moment, in dem die Klinge des Messers sanft durch meine Haare strich und sie um mindestens eine Elle kürzte, in dem Moment, in dem meine verfluchten Haare zu Boden fielen, ließ ich es hinter mir.

Mein altes Leben.

Meine Vergangenheit.

Meine Verlobung.

Meine Trauer.

Doch vor allem… meine Eltern.
 

Die letzte Haarsträhne sank wie eine Feder zu Boden. Ich ließ das Messer fallen und fuhr mit meinen Händen durch meine kurzen Haare. Einige Blicke waren lediglich auf die Überreste meiner Haare gerichtet, doch das wunderte mich nicht. Schließlich waren sie das, was ihrer Meinung nach besonders an mir war. Auch wenn ich es vorher nicht gewollt hatte, es war ein wunderbares Gefühl, sie dort liegen zu sehen. Meine Tränen versiegten, ich wischte mir die letzen Reste von ihnen aus den Augenwinkeln. Mit neuer Hoffnung und Kraft blickte ich mich in der Menge und sprach: „Der Fluch ist endlich gebrochen. Wir sind Menschen, wie ihr alle auch. Und wir werden genauso leben, wie wir es uns wünschen."

Zu meiner Verwunderung folgte kein widersprüchliches oder raues Echo auf diese Worte. Diese Resonanz stimmte mich insgeheim glücklich und erleichterte es mir noch einmal, voran zu gehen. Niemand von ihnen kam mir in die Quere, als ich zu Lilia, Sou und Kalou herüber lief, sie herzlich umarmte und schließlich ging. Es war komisch… doch mit einem Male war ich an keine einzige Fessel mehr gebunden. Ich konnte einfach gehen, mit den Blicken der drei Mädchen vor meinem Inneren Auge, wie ich mich von ihnen verabschiedet hatte, noch bevor ihre Tränen den Boden berührt hatten…
 

Vor den Toren der Villa angekommen riss ich die Seite meines Kleides auf, um laufen zu können. Oder besser gesagt, um rennen zu können. Durch das große Tor der Villa, die Hauptstraße herab, mit einem zarten Lächeln auf den Lippen, dass sich bald darauf in ein erleichtertes, strahlendes Lächeln wandelte und meinen Körper impulsiv mit Kraft auflud. Ich breitete meine Arme aus, wie ein Vogel, der das fliegen lernte und vom Ast seiner Geburtsstäte abhob. Ich sprang – so hoch ich konnte, mit vor Freude zusammen gekniffenen Augen und brennenden Lungen. Ich ließ den goldenen Käfig ein für alle Mal hinter mir- nie wieder wollte ich dorthin zurückkehren.
 

Denn nach all diesen Jahren hatte ich endlich meine Freiheit gefunden.
 

Als das Rauschen des Meeres langsam zu hören war, hatte ich mein ehemaliges Zuhause erreicht. Bis in den frühen Morgen war ich gelaufen, um dort hin zu gelangen. Ich trat ein letztes Mal durch den mit Kieselsteinen gepflasterten Weg durch die Rosengärten, ein letztes Mal durch die Türen der Dienerschaft. Im Flur angekommen klopfte ich gegen die Tür, die sodann aufsprang. Alfred hatte sie geöffnet, mit weit aufgerissenen Augen und einem unglaublich erleichterten Gesichtsausdruck. Noch ehe ich ihn grüßen konnte, hatte er sich an mich in seine Arme geschlossen.

„Oh, Cloe!", sagte er mit seiner Stimme, die vor Glück zitterte. Ich musste unweigerlich lachen, als er mein Gesicht in seine Hände nahm und durch meine kurzen Haare strich. „Ich habe alles gehört! Ich bin ja so unsagbar stolz auf Sie…!", ich wollte ihm antworten, doch da weinte Alfred auch schon los, es war wohl eines der wenigen Male, das ich ihn aus tiefstem Herzen weinen sah. Ich strich ihm ein paar Tränen weg und drückte mein Gesicht nah an seines. „Tausend Dank, Alfred. Auch dafür, dass du mir die Kraft gegeben hast, so zu handeln."

„Oh, nein, Cloe, das waren Sie ganz allein…!", sprach er schluchzend. Ich lachte und umarmte ihn aus tiefstem Herzen.

Nachdem sich Alfred ein wenig beruhigt hatte, hatte er mich in sein Zimmer eintreten lasse und mir eine Tasche gereicht, in denen er meine liebsten Sachen zusammen gepackt hatte. Eine typische Handlung von ihm, die ich wie immer sehr zu würdigen wusste. Wir liefen zusammen durch den Rosengarten und sprachen eine ganze Weile miteinander. Dann setzten wir uns an den Brunnen und betrachteten den Sonnenaufgang. Alfred sah mich dabei eine ganze Weile lang an.

„Was haben Sie-"

„Du!", korrigierte ich ihn und lachte. Er erwiderte mein Lachen und seufzte.

„Sogar jetzt sieze ich dich noch….", meinte er und lachte brummig. „Aber… was hast du jetzt vor Cloe? Hast du einen Plan?", ich lehnte mich an seinen Rücken und schüttelte den Kopf.

„Nein.", gestand ich ehrlicherweise. „Aber das brauche ich auch nicht. Endlich habe ich die Gelegenheit, meinen eigenen Weg zu gehen."

„Da freut mich so sehr.", sprach er. Wir blickten in den Himmel, zu der schönen, strahlenden Sonne, die alles und jeden in ihren schönen Schein hüllte. Es war komisch, doch ich wusste, dass ich mich in diesem Moment auch von Alfred verabschieden musste. Ich harkte mich in seinem Arm unter und murmelte: „Was hast du denn jetzt vor, Alfred? Willst du hier bleiben?", auf meine Frage hin dachte Alfred einige Minuten lang über die Antwort nach.

„Nun… wie du weißt, habe ich bis auf dich hier nie jemanden richtig gemocht.", begann er zu sprechen.

„Also gehst du auch weg?“, fragte ich leicht überrascht. Alfred seufzte schweren Herzens.

„Das weiß ich nicht, Mademoiselle…. Ohne S-… dich wird es nicht dasselbe sein, viel langweiliger, sinnloser und strenger zugleich…. Doch wenn ich weg bin… wer kümmert sich dann um diese schönen Rosen?", sprach er traurig und blickte zu seinen geliebten Rosen, die er, genauso wie mich, von Beginn an großgezogen hatte. Bei diesen Worten musste ich unweigerlich lachen. Es war so typisch für ihn, mir so eine Antwort zu geben und auch, wenn ich mir innerlich gewünscht hatte, er würde mich begleiten, so wusste ich doch, dass es das beste war, wenn alles in seinem Leben – mit Ausnahme von meinem Verschwinden – so blieb, wie es immer schon gewesen war.

„Dann hast du dich also entschieden… das freut mich, Alfred.", sagte ich kichernd und stieß ihm leicht in die Seite, woraufhin er grob durch meine Haare streichelte. Ich genoss noch ein wenig den Sonnenschein, während Alfred aufstand und eine Rose von einer der vielen Hecken schnitt. Er kniete sich vor mich und steckte sie mir in mein Haar. „Sieh sie als kleines Abschiedsgeschenk.", sagte er leise und strich von der Rose sanft über mein Gesicht. Ich legte meine Hand zärtlich auf seine und schenkte ihm ein Lächeln, um uns beiden diesen qualvollen Abschied ein wenig angenehmer zu gestalten. „Du weißt, dass du für mich immer wie eine leibliche Tochter warst, Cloe. Und auch, wenn du nun erwachsen geworden bist, sollst du wissen, dass ich jederzeit und immer für dich da bin, wenn du meine Hilfe brauchen solltest."

„Tausend Dank… Papa….", hauchte ich den Tränen nahe und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Als wir uns erneut umarmten, verharrten wir eine ganze Weile in den Armen des jeweils anderen. Obwohl ich nun glücklich war…. Alfred zurück zu lassen war schwerer, als alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkte hatte durchstehen müssen. Um nicht vollkommen in Trauer zu zerfließen ließ er mich los, lächelte noch einmal für mich, so, wie ich es vorher getan hatte und nahm mich sanft bei der Hand. Wir durchschritten das Tor und blickten auf den Weg vor uns. Ich hing mir die Tasche um und drehte mich ein letztes Mal zu ihm um.

„Ich werde dir regelmäßig schreiben, das verspreche ich dir."

„Und ich werde dir antworten, so schnell ich kann.", entgegnete er sanft. Ich schloss meine Augen und ließ seine Hand los.

Diese warme Hand, die mir immer so viel Liebe geschenkt hatte. Ich kämpfte nach wie vor mit Tränen. Tief ein und ausatmend schaffte ich es jedoch, meine Trauer zu unterdrücken. Ich lief den Weg entlang, aufrechten Blickes und nahm ihn so intensiv war, wie noch nie in meinem Leben. Vielleicht lag das daran, dass ich kein Ziel vor Augen hatte.

Alles, was ich in diesem Moment tun wollte, war, die Welt, die mir so lange gestohlen worden war, zu erkundigen.

Wie ein Fisch, der, frei von allem, durch den Ozean schwamm…



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)

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Von:  HathorCat
2014-06-14T11:20:24+00:00 14.06.2014 13:20
Was?! nein, warum endet das kapitel hier Q.Q
das ist nicht fair, ich will die entscheidung des hauses hören und cloes!

da bin ich natürlich baff, dass die unerfüllten sehnsüchte das augenlicht trüben.. obwohl.. die augen sind der spiegel der seele und in der seele sind die sehnsüchte.. also ja schon verständlich^^

und schön, dass du wieder was hochlädst *-*
Antwort von:  YunYang
14.06.2014 13:22
Haha danke fürs Kommi<3 xD keine Angst, ich sitz schon am nächsten Kapitel, da kommt dann die Auflösung :p^^ und ja solangsam wirds spannend, es fehlt ja auch nicht mehr allzu viel von der Geschichte^^<3
Antwort von:  HathorCat
14.06.2014 13:23
was?! dann verlange ich ne fortsetzung XD
Antwort von:  YunYang
14.06.2014 13:26
Hahaha xDDD es wird noch ein paar specials geben, also kommen locker noch 3 zusatzkapis, wenn die hauptstory durch ist xD
Von: abgemeldet
2013-10-03T08:16:49+00:00 03.10.2013 10:16
*huff*
Lese endlich deine FF *schlepend weiterles*
Mal wieder sehr packend (bei bücher n ist es besonders schwer mich zu packen, nur 4 von 20 bisherigen gelesen büchen haben es geschafft) und die kleinen Rechtschreibfehler überdenke ich mal

Ich lese jetzt stück für stück, wenn ich gerade nichts zu tun habe und wenn es mir sehr gefällt, haste ein Favo bei mir sicher ^w^
Von:  Honigschnute
2013-07-29T08:13:40+00:00 29.07.2013 10:13
oh man...ich hab das kapitel schon so oft gelesen und es ist nach jedem mal immer noch bezaubernd.

dein schreibstil ist einfach unbeschreiblich schön! (Gott, das macht einen eifersüchtig!)und die geschichte zwischen jun und cloe ist so süß!

ich bin echt jedes mal von neuem hin und weg!

Und die ge
Von:  Honigschnute
2013-03-16T11:51:47+00:00 16.03.2013 12:51
ach ja....es tutu mir aufrichtig leid das ich dich mit rechtschreibfehlern überhäufe.

*hust*
Von:  Honigschnute
2013-03-16T11:49:11+00:00 16.03.2013 12:49
Das hier nicht ein Kommi steht schockt mich jetzt ziemlich. dabei ist es so klasse geschreiben. ich favorisiers auf jeden fall....man, man, man. manchmal frag ich mich was mit animexx los ist. kommentiert den größen mist aber HIER, bei so was zuckersüßem, steht natürlich nix. das is do ungerecht. aber ich, die ewig schreibfaule, will unbedingt sagen wie sehr mir die story gefällt und wie toll ich deinen schreibstil finde. es ist unglaublich weil alles os stimig ist und in meinem kopf die ganze zeit das kopfkino lief. die geschichte hat so etwas sommerliches, frisches. Ich jedenfalls musste die ganze zeit an den sommer denken.

so nun werde ich mich sofort auf die anderen kapitel stürzen und bin sicher das diese genau so wunderschön geschrieben sind.

sei geknutscht und genuddelt.
Von:  HathorCat
2013-02-10T09:33:19+00:00 10.02.2013 10:33
*tränen wegwisch*
hachja.. so schön *_____*

das ist so knuffig und zucker und süß >.<
da wird morgen das bittere erwachen kommen O.o
Von:  HathorCat
2013-02-08T13:21:06+00:00 08.02.2013 14:21
*schmacht*
endlich allein.. boah jetzt setze ich aber große anforderungen an das nächste kapi xD
oje.. mal schauen was sie dann zuhause erwarten wird.. vllt sollte sie wirklich einfach weglaufen...
hm, wird aber schwer..

jedenfalls ein sehr schönes kapitel, eine autorin bist du jedenfalls auch ;)
Von:  HathorCat
2013-01-29T18:19:58+00:00 29.01.2013 19:19
scheiße.. verdammte scheiße ><
ausgerechnet diese.. dieses.. individium muss sie?!
bring dich um, oder lauf weg O____o
hinfort.. für alle zeit..
verdammt.. ich fühle so mit ihr.. das schmerzt richtig T___T
ich bin gespannt, wie du sie noch retten willst.. und alfred T.T
Von:  HathorCat
2013-01-27T19:13:00+00:00 27.01.2013 20:13
O__O
na toll.. vom vater hatte ich wenigstens eine begrüßung erwartet..

cloe sollte weglaufen und nur alfred solle bescheid wissen, das wäre das beste für sie..
aber sowas von ><
wie kann man nur?

hm.. vllt haben diese wesen, kreselas ja auch bestimmte fähigkeiten.. vermute ich.. es kann ja nicht nur am aussehen liegen xD
dann hätte sienoch mehr chancen^^
Von:  HathorCat
2013-01-27T17:52:34+00:00 27.01.2013 18:52
wow *____*
ich bin beeindruckt, du kannst nicht nur gut zeichnen, sondern auch hinreißend schreiben ♥
es hat mich wirklich überwältigt^^
oja.. dieses wunderschöne bild, man hat es so klar vor augen.. unbeschreiblich.
deine charaktere gefallen mir auch gut^^
ich bin wirklich gespannt, was du aus dieser geschichte noch zaubern wirst.
cloe kann einem auch leid tun ><
ich bin mir sicher, dass jun noch weiter drin vorkommt.. vllt wird da noch was *_*
und alfred.. nein, den knuddel ich auch gleich ^-^

bloß die eltern.. die lassen wir hinrichten.. sowas unsensibles!


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