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Way Down

von

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Neal | They’re gone

Die Hitze, die ihm entgegenschlug, versengte seinen Bart und fraß sich in die Haut darunter. Er wollte, musste vorwärts. Er hörte Lanas Schreie und ein verhaltenes Gurgeln, das Eins wurde mit dem prasselnden Lodern des Feuers. Da ist etwas im Wasser, hieß es in einer der letzten Meldungen, die über das Radio empfangen werden konnten. In diesem Moment war es Neal vollkommen gleich, ob das Wasser sauber und keimfrei war oder von irgendeinem verwesenden Tümpel stammte. Er brauchte welches, um den Brand zu löschen, aber es gab schon lange keine Feuchtigkeit mehr auf der Erdoberfläche. Die Hitze hatte sich alles genommen. Er drängte ein weiteres Mal vorwärts. Seine Augen tränten, die Haut an seinen Armen platzte auf. Es knirschte irgendwo über ihm. Der Dachstuhl gab den schwächer werdenden Balken nach und stürzte in den Raum. Das Gurgeln verstummte, die Schreie wurden zu einem Wimmern, dann zu einem Husten. Die klare Feuerwand verlor langsam an Kontur. Auch Neal spürte den Rauch tief in seinen Lungen. Der Boden unter seinen Füßen knackte. 

»Lana ... Lana!«

Seine Sicht verschwamm, tauchte sich in Dunkelheit. Er stolperte rückwärts. Sein Husten mischte sich mit erstickenden Schluchzern. 

Er ... konnte ihnen nicht helfen. 

 

Sein Schrei ließ eine Schar Krähen protestierend von vertrockneten Bäumen in die Höhe steigen. Noch mit dem nächsten Atemzug griff er nach seinem linken Oberschenkel und zog die Machete aus der Halterung. Er hielt sie ins Leere und brauchte mehrere Sekunden, um zu realisieren, dass er allein war. Kein Feuer, keine Schreie, keine Kranken. Neal seufzte schwer, fuhr sich über das verschwitzte Gesicht und bettete den Arm, dessen Hand die Machete umklammerte, auf seine Knie. Er war eingeschlafen und hatte geträumt. Mitten am Tag. Er wurde nachlässig. Das durfte nicht passieren. Es war schon so lange her, aber der Schmerz war realer denn je. Langsam hob Neal die Hand zu seiner Brust und zog ein Medaillon unter dem hellbraunen Leinenhemd hervor, das vor Jahren einmal weiß gewesen war. Mit einem Klicken öffnete es sich und offenbarte zwei Bildern. Er schluckte, als er mit dem Daumen über das Bild einer jungen Frau mit langen, braunen Haaren strich. Gott ... er vermisste sie so sehr. Das andere Bild zeigte die winzige Bleistiftzeichnung eines Babys. Seine Tochter. Als er sie gezeichnet hatte, war sie gerade wenige Stunden alt gewesen. Fahrig klappte er das Medaillon wieder zu, versenkte es wieder hinter dem zerschlissenen Hemd und wischte sich harsch über die nassen Augen. Er musste weiter. Er konnte sich nicht so viele Pausen erlauben. 

Es gab Dinge, die er erledigen musste, ehe er ihnen in den Himmel folgen konnte. 

Aufmerksam tastete sein Blick die Umgebung ab. Bis auf die Vögel, die bei seinem lautstarken Erwachen das Weite gesucht hatten, war nichts Auffälliges zu sehen. Die Luft flimmerte durch die Hitze, die vom Asphalt aufstieg. Als er seinen alten Wagen sah, fiel ihm wieder ein, warum er hier angehalten hatte und im Schatten eines etwas dickeren Baumes eingeschlafen war. Die Reifen hatten ihren Dienst quittiert. Sie wurden eins mit dem Teer. Er hatte gehofft, dass er es noch bis zur nächsten Stadt schaffen würde, aber der Tagesanbruch war schneller gewesen als er. Und mit dem Aufgehen der Sonne kam die Hitze. Verdammt! Er hatte die letzten beiden Flaschen Wasser und ein paar Konserven im Wagen gelassen - verstaut in seiner Tasche. Was hatte er sich dabei gedacht?

»Scheiße ...«

Er rappelte sich auf, richtete das große Tuch, das er sich um Kopf und Hals gewickelt hatte und stampfte zurück zum Wagen. Kaum ließ er den Schatten hinter sich, prallte die Wärme wie eine Wand gegen ihn. Er ächzte leise. Bevor er die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, zupfte er sich die Lederhandschuhe zurecht. Das musste schnell gehen. Der Wagen war aufgeheizt. Wäre nicht das erste Mal, dass er sich beim Öffnen verbrannte. Seine Finger zuckten nach vorn, schoben sich unter den Griff und zogen. Die Tür ging mit einem leisen Knarren auf. Er nutzte die Boots, um sie weiter aufzuschieben, und griff ins heiße Innere. Der Gitarrenkoffer, die Tasche aus dem Fußraum. 

Ciao, Kleines, verabschiedete er sich von dem VW, der ihm so viele Jahre treue Dienste geleistet hatte. Bisher hatte er immer Möglichkeiten gefunden, ihn unterzustellen. Heute hatte er damit kein Glück gehabt. Die Strecken zwischen einzelnen Ortschaften wurden länger. Ortschaften, die auch kurz nach dieser ganzen Scheiße noch bewohnt gewesen waren. Von denen gab es nicht mehr viele. 

Als er seine wenigen Habseligkeiten am Mann hatte, trat er die Tür wieder zu und kehrte in den Schatten zurück, um dort den Koffer und die Tasche abzulegen. Neal öffnete Letztere, kramte in ihr herum und förderte eine zusammengefaltete Karte zutage. Er öffnete sie, suchte nach seinem Stift und berechnete die Strecke, die er in dieser Nacht zurückgelegt hatte. Er war nur hundert Meilen weit gekommen. Keine gute Bilanz. Die Straßen waren teilweise so sehr zerstört, dass man auf ihnen nur noch schwer vorankam. Andere liegengebliebene Autos kamen noch erschwerend hinzu. Er war hier mitten im Nirgendwo und kam sich vor, wie der letzte Mensch auf Erden, aber ... er war vor einer ganzen Weile eines Besseren belehrt worden. Auf sehr schmerzhafte Art und Weise. Er verdrängte die Erinnerungen an Lana und Mary und kreiste die nächste angekreuzte Ortschaft auf der Karte extra ein. Sie war etwas größer und er hoffte darauf, dort noch ein paar Lebensmittel zu finden. Er konnte sich eine weitere Verzögerung nicht leisten. Schon gar nicht jetzt, so ohne fahrbaren Untersatz. Etwa zwanzig Meilen waren es noch. Sie würden ihm wie eine Ewigkeit vorkommen, wenn er durch die Sonne laufen musste. Er blickte nach Osten. Die Sonne stand noch nicht an ihrem höchsten Punkt. Die richtige Hitzewelle wartete erst noch auf jeden Irren, der es wagte, sich im Tageslicht seinen Weg durchs Nirgendwo zu bahnen. Aber wenigstens war es weitestgehend windstill. Ein Sandsturm war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.

 

Behutsam faltete er die Karte wieder zusammen und achtete dabei penibel darauf, dass sie keine Risse oder zusätzliche Falten bekam. Sie war die einzige Orientierung, die er noch hatte. Als sie wieder in der Tasche verstaut war, zog er sich das Tuch über den Mund, griff in seine Jackentasche und holte eine alte Fliegerbrille hervor, die er sich aufsetzte. Der Gitarrenkoffer landete auf seinem Rücken, der Gurt der Tasche über seiner Schulter. Er öffnete sie ein letztes Mal, zählte die Munitionspatronen, die er noch hatte, sowie die bereits leeren Hülsen, die er nach dem Schießen immer wieder einsammelte. Er musste eine Drogerie finden, um seinen Schwefelvorrat aufzustocken. Er hatte kein Schießpulver mehr. Bei diesen Temperaturen wäre das Mitnehmen eines so hochexplosiven Stoffes zwar reiner Selbstmord, aber man kam in diesen Zeiten besser, wenn man Schwarzpulver selbst herstellte, anstatt direkt nach Munition zu suchen. 

Sie war das Erste, was in solchen Zeiten zur Neige ging. Nicht etwa das Essen oder das Wasser. Nein. Die Möglichkeit, sich eben diese Dinge von anderen Menschen zu erkämpfen. Verzweiflung, Stagnation, Reaktion - alles, was danach kam, ließ sich unter einem einzigen Begriff zusammenfassen. Überleben. Suchen, finden, töten. Da ist etwas im Wasser, haben sie gesagt. Halten Sie sich von großen Menschenansammlungen fern. Die Bakterien legen sich auf die Großhirnrinde und zersetzen diese. Entdecken Sie einen Menschen, der sich seltsam verhält oder sich merkwürdig bewegt - halten Sie sich fern von ihm! Die Inkubationszeit beträgt nur etwa 24 Stunden. Die Sterberate liegt noch immer bei 100 %. Es gibt noch kein Heilmittel.

Und es war keine Zeit mehr gewesen, um ein Solches zu entwickeln. Neal erinnerte sich immer wieder daran, wie Brad - sein damaliger Nachbar - eines Tages vor seiner Tür gestanden hatte und ihn irgendetwas fragen wollte. Das hatte ihm der Gesichtsausdruck verraten. Doch alles, was über die Lippen seines Kumpels gedrungen war, hatte es sich nur nach einer Aneinanderkettung von animalischen, sinnfreien Lauten angehört, die vielleicht im Kopf von Brad Sinn ergeben hatten, aber nicht für seinen Zuhörer. Als er gemerkt hatte, dass Neal ihn nicht verstehen konnte, war er aggressiv geworden. Mit hochrotem Gesicht war er in die Wohnung gekommen, hatte sogar die Hände um Neals Hals gelegt, bis er ihn mit einem beherzten Tritt zurück vor die Tür befördert und diese vor seiner Nase zugeworfen hatte. Es hatte nur wenige Tage gedauert, bis die Straße vor ihrem kleinen Reihenhaus wie leer gefegt gewesen war und Lana und er sich ebenfalls dazu entschieden hatten, die Stadt zu verlassen. Irgendwie ... hatten sie es geschafft. Bis zu dem Tag, an dem Neal gelernt hatte, dass es Überlebende gab, die nicht nur das am Leben bleiben im Sinn hatten.

Seit diesem Erlebnis hatte er niemandem mehr vertraut. Bisher war er zwei Mal wandernden Gruppen begegnet. Sie hatten ihn gefragt, ob er sie begleiten wollte. Er hatte verneint und sie waren weiter gezogen. Es gab nur eine Truppe, mit der er in Kontakt treten wollte. Die Männer, die damals seine Hütte in Brand gesteckt hatten. Er wollte den Grund dafür wissen. Und dann würde er sie alle dafür bluten lassen.

Das war der Gedanke, der ihn jeden Tag aufs Neue weitermachen ließ.

Rache.

Er hatte nichts mehr zu verlieren. Seine Frau und seine Tochter waren tot, seine Freunde vermutlich auch. Seine Eltern. Jeder, den er einst kannte. Er existierte - mehr war es nicht mehr. Und wenn man nur noch existierte, dann war man bereit, Dinge zu tun, die man früher nie getan hätte. 

Mit einem letzten Seufzen zog sich Neal die weite Kapuze über das Tuch, unter dem ein paar lange, blonde Haarsträhnen hervorquollen, und ließ den Schatten des Baumes hinter sich. Ein paar Meilen nur. Ein paar Stunden durchhalten. Atmen. Und hoffen, dass er in der nächsten Stadt vielleicht endlich ein paar Antworten fand.

Tali | This guy's insane

Ihren aufmerksamen Augen entging selten etwas. Trotz dem aufkommenden Wind und dem Staub, der sich sofort in ihren Lungen ausbreitete, verhielt sie sich so ruhig wie möglich, auch wenn sie flüchtig den Arm hob, um in den Ärmel ihrer Jacke zu husten. Sie starrte in die Richtung des jungen Mannes, der eben den Baum passiert hatte, auf dem sie saß. Zum Glück hatte auch er mit dem Sandsturm zu kämpfen, der ihm stetig ins Gesicht wehte, und schien ihr Husten so überhört zu haben. Gut für sie. Trotzdem schlecht für sie beide, wenn sie weiterhin hier draußen blieben. Erst in den letzten zwei Stunden hatte der Wind zugenommen. Sie sollte schon längst nicht mehr hier sein, aber etwas hatte ihr gesagt, dass es nicht klug wäre, wenn sie nach Hause zurückkehrte, und siehe da - sie hatte einen einsamen Wanderer gefunden! Und das war völliger Irrsinn! 

 

Tali gehörte einer größeren Gruppe an, die sich im Enchanted Rock Areal, etwa zwanzig Meilen nördlich von Fredericksburg, gesammelt oder, um es besser auszudrücken, verschanzt hatte. Dieser Fremde war auf dem besten Weg dorthin und war sich dessen vermutlich nicht einmal bewusst. Mittlerweile glich die Umgebung, in der man umherwanderte, jeder im Umkreis mehrerer hundert Meilen. Vielleicht sah auch schon die ganze Welt so aus. Es gab nur noch Sand und Hügel, vereinzelte, vertrocknete Bäume und ein paar Sträucher, die sich wacker in der Hitze hielten. Ihr selbst machten diese Temperaturen nicht viel aus. Sie war im Herzen des Llano Estacados aufgewachsen. Feuchtwarmes Klima. Jetzt war es nur noch warm. Heiß. Die Flüsse waren ausgetrocknet, ehemals große Seen nur noch unbedeutende, verseuchte Pfützen. Allein zu überleben, war absolut unmöglich. Bisher hatte sie das zumindest geglaubt. Der Einsame auf der Straße unter ihr schien sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Tali schüttelte den Kopf, griff nach dem Fernglas, das um ihren Hals baumelte, und blickte die Straße hinunter, die der Fremde raufgekommen war. Ihm folgte niemand. Auch zwischen den Sträuchern und Verwehungen der Prärie links und rechts des schwarzen Asphalts entdeckte sie niemanden. 

»Das glaub ich ja nicht.«

Sie senkte das Fernglas, griff an ihre Hüfte und löste das Funkgerät von ihrem Gürtel. Als sie sich vergewissert hatte, dass der Wanderer außerhalb ihrer Hörweite war, schaltete sie es an. 

»Malia? Kannst du mich hören? Over.«

In der Leitung rauschte es. Niemand antwortete. Tali verdrehte die Augen unter der großen Schutzbrille. Drei Leute waren gerade draußen unterwegs (gut ... vielleicht nur noch sie, aber das spielte keine Rolle) und diejenige, die für den Funktower zuständig war, vernachlässigte ihre Aufgabe. 

»Malia!«

Es knackte.

»Schätzchen, was ist denn los? Over.«

Tali schnaubte leise und hielt das Gerät nahe an ihre Lippen. Sie kannte den Unterton, der in dieser scheinbar so lieblichen Stimme mitschwang, nur zu gut. »Bist du schon wieder high? Ich dachte, ich hätte dir deinen ganzen Stoff weggenommen!«

»Oh, Tali-Baby. Ich habe immer Weed bei mir. Also, was ist? Over.«

Nein. Sie würde garantiert nicht mit der jungen Frau sprechen, die ihre Zeit damit verbrachte, wie eine Blöde zu kiffen, weil es sie nach eigener Aussage entspannte und es ja sonst nichts mehr zu feiern gab - so kurz vor dem Ende der Welt. 

»Ist Joel schon zurück? Over.«

»Eben eingeflattert. Gesund und munter. Wie ein hübscher, blauäugiger Schmetterling.«

»Gib ihn mir bitte ... over.«

»Wie du willst, Cherie. Aber ich mag deine Stimme doch so. Lass uns noch ein wenig plaudern, ja?«

Es knackte abermals in der Leitung. Dann war es eine Weile ruhig. Doch ehe Tali ein weiteres Mal sprechen konnte, empfing sie bereits ein Signal. 

»Tali?«

Erleichtert über den rauen Klang dieser vertrauten Stimme am anderen Ende schenkte Tali dem Sandsturm, der sich in den dörren Ästen verbiss, ein sanftes Lächeln. »Hey, Joel. Wo hat sie schon wieder Gras herbekommen? Over.«

»Ich glaube, dass Dave ihr gerade etwas mitgebracht hat, aber ich bin mir nicht sicher. Was ist los bei dir? Warum bist du noch nicht zurück? Der Sturm wird schlimmer. Over.«

Ihr war das bewusst. Langsam wurde es schwierig, sich auf dem Ast zu halten, den sie als Ausguck nutzte. Sie war hier ein leichtes Ziel. Es gab keine Baumkrone mehr, die das Gröbste abfangen konnte. 

»Ich habe hier draußen jemanden entdeckt. Er ist allein. Oder sie. Oder es. Komplett vermummt. Ich konnte nichts Genaueres erkennen. Over.«

»Dann sprich die Person an! Was ist dein Problem? Over.«

Das Problem war eine Schrotflinte, die am rechten Oberschenkel des Wanderers gebaumelt hatte, als er an ihr vorbei gegangen war. Damit galt er schon als sehr gut ausgerüstet und im schlimmsten Fall zählte er parallel dazu noch zu denen, die erst schossen und dann Fragen stellten. Tali war schon oft in brenzlige Situationen geraten, weil sie zu freundlich und offen gewesen war. Heutzutage konnte man kaum noch jemanden trauen. Und bei einem Menschen, der allein durch die Weltgeschichte marschierte, war das Misstrauen umso größer, denn er hatte sich behauptet. Nicht nur gegen Kranke, sondern vermutlich auch gegen feindlich gesinnte Truppen. 

»Die Zielperson ist bewaffnet. Wenn sie in dieselbe Richtung weiterläuft, dann solltest du sie in etwa einer halben Stunde durch das Zielrohr deines Schätzchens sehen können. Kann allerdings auch sein, dass sie einfach in südliche Richtung weiterläuft und unser Gebiet gar nicht erst betritt. Over.«

»Keiner ist so dumm und hält sich bei den Temperaturen in der Nähe der Straße auf! Versuch den Typen oder was auch immer, einfach am Drive In abzupassen. Der Ort ist sauber, aber wenn er das nicht weiß, wird er sicher auf die Suche nach Lebensmitteln gehen. Ihr solltet beide nicht da draußen bleiben. Over.«

»Ja, ich werde schauen, was sich machen lässt. Over and out.«
 

Tali klemmte das Funkgerät zurück an ihren Gürtel und blickte noch einmal durch das Fernglas. Die Gestalt war nur noch als Schemen zu erkennen. Sie sollte sich beeilen, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Leichtfüßig sprang sie von dem Ast hinunter und landete elegant auf dem staubigen Boden. Sie schulterte ihren Bogen und den Köcher mit den Pfeilen, ehe sie in einen leichten Trab verfiel. Der Sandsturm hatte den einen Vorteil, dass sie trotz ihrer dunklen Hautfarbe und den ebenfalls dunklen Sachen nicht so schnell erkannt werden würde. Sie wusste nicht, wie gut ihr Gegenüber war. Vielleicht, nur vielleicht, hatte sie gerade ein bisschen Angst um ihr Leben. Vermutlich war es nur ihre Vorsicht, die ihr da ein schlechtes Gefühl einreden wollte. Sie ignorierte es. Darin war sie schon immer gut gewesen. 

Joel behielt recht damit, dass ihre Zielperson das Drive In absuchen würde. Sie konnte aus sicherer Distanz beobachten, wie er das kleine Gebäude umrundete, um mögliche Gefahren ausfindig zu machen. Mittlerweile sollten auch die Leute ihrer Gemeinde den Fremden durch Ferngläser und Zielrohre entdeckt haben. Joel hielt sich aber mit Meldungen dahingehend zurück. Er konnte gut mitdenken. Tali war so nahe an dem Fremden dran, dass jedes laute Rauschen des Funkgerätes sie verraten hätte. Wie sollte sie es nur anstellen? Bei so viel Aufmerksamkeit und Konzentration wäre die Schrotflinte mit Sicherheit schneller als ein Hallo ihrerseits. 

Aber noch während sie sich darüber das Hirn zermarterte, entdeckte sie aus dem Augenwinkel heraus etwas, das nicht ins Gesamtbild passte. Mit gerunzelter Stirn griff sie nach dem Fernglas, richtete es auf den Punkt, der ihren Fokus eingefangen hatte, und senkte es mit geöffneten Lippen wieder. 

»Nein ...«

Da näherte sich ein Wagen. Er fuhr über den Steppenboden, der sich nicht so extrem erwärmte wie der dunkle Asphalt der Straße, aber dennoch zu uneben und löchrig war, um über ihn hinweg zu rasen. Spitze Steine rissen gern Reifen auf. Trockene Äste verfingen sich im Radkasten oder lösten locker werdende Auspüffe, rissen Kabel aus dem Motorraum. Sie hatten es sehr schnell aufgegeben, sich auf diesem Terrain fortzubewegen, einfach um die wenigen Fahrzeuge, die sie noch besaßen, zu schützen. Der Wagen, der sich da näherte, hatte so eine Behandlung nicht genossen und sah dementsprechend zerbeult aus. Trotzdem fuhr er viel zu schnell. Entweder der Fahrer floh vor irgendetwas oder er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Tali und ihre Gruppe waren schon einer Weile keinen Infizierten mehr begegnet, was nicht ausschloss, sich unvermittelt mit welchen konfrontiert zu sehen. 

Es blieb keine Zeit mehr, um weiter nachzudenken. Tali hob ihre Finger an die Lippen, schob sie dazwischen und pfiff so laut wie sie konnte. Obwohl der Sturm viel tilgte, drehte sich der Fremde trotzdem um. Tali hob flüchtig die Arme und deutete dann mit der rechten Hand in die Richtung, aus der sich unkoordiniert der Wagen näherte. 

»Geh ins Gebäude!«, schrie sie dann, als ihr Gegenüber dem Hinweis folgte und den näherkommenden Wagen entdeckte. Sie selbst nahm die Beine in die Hand und rannte ebenfalls auf die Tankstelle zu. Da gab es schon lange kein Benzin mehr, aber das bedeutete nicht, dass dort nicht trotzdem irgendetwas explodieren konnte, wenn jemand mit solchem Highspeed hineinraste. Der Fremde hatte sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Scheinbar konnte er sich noch nicht entscheiden, wer nun die größere Gefahr darstellte. Das konnte doch nicht wahr sein! Tali schüttelte den Kopf und blieb stehen. Das Auto war mittlerweile nahe genug und steuerte tatsächlich auf eine der Tanksäulen zu. Kurzerhand griff sie nach dem Bogen auf ihrem Rücken, brachte ihn in Position und zog mit der anderen Hand einen Pfeil aus dem Köcher. Als sie anlegte, konnte sie die Gestalt hinter dem Lenkrad bereits erkennen. Mit weit aufgerissenen Augen saß diese da und starrte durch die Windschutzscheibe, ohne wirklich zu realisieren, worauf sie da zusteuerte. Es schien sich um eine Frau zu handeln. Nebensächlich. Tali zielte auf das Vorderrad, schoss und traf. Luft zischte aus dem Reifen, der Wagen brach nach links aus, preschte an der Säule vorbei und ... steuerte direkt auf sie zu. Die Fahrerin lenkte kein bisschen gegen den Zug. Tali schnaubte, sprang zur Seite weg und rollte sich ab. Ihre Schuhsohlen streiften die Karosserie noch. Sie verlor ein paar Pfeile, aber die konnte sie später einsammeln. Es reichte, dass sie noch welche in Reserve hatte. Sie sprang wieder auf die Beine, spannte die Sehne ein weiteres Mal und zielte auf die Tür des Wagens, der nach ein paar weiteren Metern langsam zum Stillstand kam. Die Tür öffnete sich nicht. Tali ignorierte ihr eigentliches Ziel und beschrieb einen großzügigen Bogen, als sie sich vorsichtig auf gleiche Höhe mit der Vordertür begab. Die Frau auf dem Fahrersitz klammerte sich noch immer an das Lenkrad und starrte durch die Frontscheibe. Sie schien noch nicht realisiert zu haben, dass der Wagen nicht mehr weiterfuhr. Das war keine Panik. Das war völlige Abwesenheit und die bedeutete zumeist, dass sich die Krankheit bereits zu weit ausgebreitet hatte. 

»Steigen Sie aus!«, forderte Tali dennoch, auch wenn sie sich sicher war, dass ihre Worte entweder nicht verstanden oder aber gar nicht erst gehört werden würden. Auf eine Reaktion wartete sie vergebens. Als sie Schritte von rechts hören konnte, zuckte sie zusammen und drehte sich alarmiert um. Die vermummte Gestalt hatte sich genähert und wirkte aus der Nähe doch größer und kräftiger gebaut als sie. Vermutlich doch eher ein Mann, auch wenn sie da lange Haare entdecken konnte. Flüchtige Eindrücke. Tali erschrak ein wenig über sich selbst, dass sie ihn derart schnell ausgeblendet hatte nach der Konfrontation eben.

»Sie wird nicht aussteigen«, sprach er sie an und nickte zum Wagen hin. »Das ist dir bewusst, oder?«

Tali presste die Lippen aufeinander. Dass sich der Typ so völlig unbeeindruckt von ihrem Bogen und dem auf ihn gerichteten Pfeil zeigte, beruhigte sie nicht unbedingt. Dennoch ließ sie ihre Waffe langsam sinken und blinzelte. »Ich kann sie nicht da drin sitzenlassen. Sie wird uns folgen, egal wohin wir gehen.«

Auch das schien den Fremden kaum zu jucken. »Sie scheint uns noch nicht bemerkt zu haben. Wo ist also das Problem?«

»Die Krankheit? Ich komme von einem Camp ganz in der Nähe. Eine Kranke, die hier herumläuft, hat uns gerade noch gefehlt.«

»Und was genau willst du tun, wenn sie aussteigt?«

Vermutlich konnte er sich die Frage schon selbst beantworten. Tali erkannte es an der Art und Weise wie er es fragte, deswegen sparte sie sich die Antwort und näherte sich der Tür langsam, nachdem sie sich das Halstuch über den Mund gezogen hatte. Erwiesenermaßen schützte es nur bedingt gegen eine Ansteckung. Hastig packte sie den Türgriff, betätigte ihn und ließ die Hand zurückschnellen. Heiß. Im Inneren des Wagens mussten mehr als 60 Grad herrschen. Aber das war nicht das, was ihr die Kehle zuschnürte. Jetzt, da die Tür offen war, drang ein Geräusch an ihre Ohren, das sie sofort zuordnen konnte. 

»Oh mein Gott ...«

Während sie zurückwich, trat der Mann näher und schaute an der Fahrerin vorbei auf den Rücksitz. Ein kleines Kind. Völlig verschreckt. Es weinte, strampelte und versuchte aus dem Sitz herauszukommen. Es war von oben bis unten verschwitzt und rot. 

»Verdammt ... was ... was machen wir jetzt?«

Seine Kooperation kam spät und genau dann, als Tali selbst nicht wusste, was das richtige Vorgehen war. Spontan ... würde sie beide erschießen. Das Kind war mit der älteren Frau auf dem Vordersitz zu lange in direktem Kontakt gewesen. Eine Kontaminierung war nicht auszuschließen und das Risiko, es mit in die Gemeinde zu nehmen, demnach zu groß. Die Situation war neu. Sie war noch nie Kindern hier draußen begegnet. Die waren neben den Alten die Ersten gewesen, die es damals erwischt hatte. 

Das plötzliche Kreischen der Frau brachte sie sofort von den Gedanken ab. Auch ihr Begleiter sprang mit einem Satz auf Distanz und zog die Schrotflinte von dem Gurt, der um seinen rechten Oberschenkel geschnallt war. Das Kreischen wiederholte sich nicht, aber die Frau tat etwas anderes. Ihr ganzer Oberkörper ruckte nach vorn, dann krachte ihre Stirn frontal gegen das Lenkrad, nachdem ihre Hände kraftlos von diesem abgelassen hatten. Und sie tat das nicht nur einmal, sondern sie wiederholte es. Schneller. Heftiger. Die Haut an ihrer Stirn platzte auf und das Blut spritzte in alle Richtungen und überwand immer größere Distanzen. 

Tali hatte so etwas noch nicht gesehen. Diese Frau durfte nicht weiterleben und da sie sich offensichtlich selbst von ihrem Elend erlösen wollte, zögerte sie nicht mehr. Nachdem sie ein paar Schritte zurückgewichen war, zielte sie auf den Kopf der Frau, entließ den Pfeil und sah dabei zu, wie er sich seitlich durch die Schläfe ins Innere des kranken Gehirns fraß. Die Bewegungen hörten auf. Die Hände zuckten noch einige Male, dann sank der Körper nach vorn und blieb liegen - direkt auf der Hupe. Tali trat näher, griff nach den Federn des Pfeils und zog an ihm, während sie gleichzeitig ihren Fuß gegen den Körper stemmte. Der sank auf den Beifahrersitz. Sie ließ den gebrauchten Pfeil sofort fallen und wischte sich die Hand an ihrem Poncho ab, auch wenn sie kein Blut an den Fingern hatte. Diese ganze Situation war widerlich genug, um es ganz automatisch zu tun. 

Blieb nur das Kind. 

Als der Mann an ihrer Seite Anstalten machte, den Wagen zu umrunden, um die Hintertür zu öffnen, hielt sie ihn am Arm zurück und suchte seinen Blick. Hinter der verstaubten Fliegerbrille waren seine Augen nicht wirklich zu erkennen, aber da entstand eine leichte Falte auf seiner Stirn. Der Kontakt stand. 

»Was hast du vor?«, zischte sie ihn an. Fahrig machte er sich aus ihrem Griff los und trat einen Schritt zurück. Er hob die Schrotflinte nicht, aber Tali nahm das kurze Zucken wahr, das den Waffenlauf beben ließ. Er hatte darüber nachgedacht, wenn auch flüchtig. Kein gutes Zeichen. Sie schürzte die Lippen und griff an ihren Gürtel. 

»Wir ... haben einen Arzt. Er soll sich das anschauen«, erklärte sie, als sich die Waffe des Fremden nun doch hob und sie ins Visier nahm. Sie hielt in ihren Bewegungen inne und wandte ihm vorsichtig die Hüfte zu, an der das Funkgerät baumelte. »Ich will ihn nur kontaktieren.«

»Ich wollte es nicht erschießen. Ich will es mitnehmen«, erklärte er ihr und ließ die Flinte langsam sinken. »Du würdest es töten, nicht wahr? Was bist du für ein Mensch?«
 

Er schien das große Ganze nicht so zu sehen, wie sie es tat. Tali konnte es ihm nicht einmal verübeln. Wenn er die ganze Zeit allein unterwegs gewesen war, dann hatte er sich mit einer möglichen Ansteckung nicht auseinandersetzen müssen. Ihm war die Aggressivität dieser Bakterien vermutlich nicht klar. Er hatte vielleicht nie erlebt, wie ein geliebter Mensch erkrankte und irgendwann wahnsinnig wurde. Diese Gedanken kreisten in Talis Kopf und machten sie rastlos und wütend zugleich. 

»Es wäre schon längst tot, wenn ich so denken würde. Verflucht!«

Sie schnaubte, drehte ihm den Rücken zu und ging ein paar Schritte von ihm weg, ehe sie das Funkgerät an sich nahm. 

»Joel, bitte kommen. Joel!«

Dieses Mal dauerte das Antworten nur wenige Sekunden. »Wir haben die Lage ganz gut im Blick. Entfern dich von dem Typen! Der scheint gefährlich zu sein. Over.«

Tali sah in die Richtung, in der ihr Camp lag und konnte sich Joel ganz gut auf dem Bauch liegend vorstellen, das riesige Scharfschützengewehr, das noch von seiner Zeit beim Militär stammte, im Anschlag und die ganze Situation genau beobachtend. Von seiner Warte aus schien das Kleinkind auf dem Rücksitz dennoch nicht sichtbar zu sein.

»Das ist nebensächlich. Ich brauche Douglas hier unten. Da ist ein kleines Kind auf dem Rücksitz des Wagens. Wir ... wir wissen nicht, was wir tun sollen. Der Typ will es mitnehmen. Over.«

»Dann lass ihn halt und komm zurück. Soll er sich eben infizieren. Over.«

»Vorhin wolltest du noch, dass ich ihn anspreche und mitbringe. Over.«

»Da hatte er aber auch noch keine Waffe auf dich gerichtet.« Eine kurze Pause entstand. Dann sprach Joel weiter. »Ich komme mit ihm runter. Wie heißt der Typ? Over.«

Tali blickte kurz über ihre Schulter. Zum Glück war der Kerl klug genug, um abzuwarten. Den Moment hätte er locker nutzen können, um sich mit dem Kind aus dem Staub zu machen. Aber so risikofreudig schien er dann doch nicht zu sein. »Ich weiß es nicht. Das kannst du ihn ja gleich selbst fragen. Ist bestimmt voll dein Typ. Over.«

»Oh man, Tali ... im Ernst jetzt? Ich brauche keine mäßig erfolgreichen Verkupplungsversuche mehr. Bis gleich. Over and Out.«

Sie senkte das Funkgerät, grinste freudlos und drehte sich wieder zu dem Mann in dem abgewetzten Ledermantel um. Auch das Hemd hatte schon bessere Tage gesehen, genau wie die kaputten Cargohosen. Dennoch machte der Typ alles in allem einen recht robusten, gesunden Eindruck. Ihm schien es in den letzten Monaten nicht allzu schlecht gegangen zu sein. Zumindest nicht schlechter als ihnen. »Sie werden in ein paar Minuten hier sein. Kannst du noch so lange warten?«

»Sicher«, bestätigte er ihr, ging jedoch trotzdem um das Auto herum und öffnete die Hintertür. »Ich werde das Kleine aber rausholen und derweil in den Schatten stellen. In der Hitze des Wagens kann es nicht bleiben. Ich habe auch noch Wasser.«

Sie sprach sich nicht dagegen aus. Der Gedanke war ihr auch gekommen und Tali beobachtete bewegter als ihr lieb war, wie der Kerl den Gurt löste, der den Kindersitz auf der Rückbank fixierte, und die ganze sperrige Apparatur heraushob. Das Schreien ebbte nicht ab, doch Husten mischte sich darunter. 

Sie gingen gemeinsam auf die Tankstelle zu. Tali überholte den Anderen, öffnete die Tür zum Drive In und schloss sie hinter ihnen wieder. Da sämtliche Fenster verbarrikadiert waren und so kein Tageslicht den Raum direkt fluten konnte, herrschten hier drinnen nahezu angenehme Temperaturen. 

»Oh, wow«, entwich es dem Vermummten, der kurzerhand das Tuch von seinem Mund löste und auch die Kapuze in den Nacken legte. Tali beobachtete das nur aus dem Augenwinkel heraus. Sie hielt Abstand zu dem Kind, das sich etwas beruhigte in der Dunkelheit, die hier herrschte. Durch die Spalten des Holzes drang noch genug Licht, um sich hier orientieren zu können, aber mehr nicht. Erst, als sie den Blick von einem schmalen Spalt, durch den sie die Ankunft der Anderen würde entdecken können, abwandte, konnte sie beobachten, wie der Fremde eine Wasserflasche aus seiner Tasche kramte und sie aufdrehte. Seltener Anblick. Und er war so schrecklich unvorsichtig. 

»Du hast hoffentlich nicht vor, danach auch aus der Flasche zu trinken«, murmelte sie. 

»Keine Sorge. So dumm bin ich nun wirklich nicht.«

Er drückte dem noch immer wimmerndem Bündel die Flasche in die kleinen Hände und half ein bisschen nach. Als das Kind feststellte, dass da Flüssigkeit über seine Lippen kam, saugte es sich an der Flasche fest und leerte sie in gierigen Zügen. Das schien also noch zu funktionieren. Tali strich sich über die Oberarme und biss sich auf die Unterlippe. Bei Kindern war die Erkrankung nur schwer festzustellen. Sie hatten noch keine festen Verhaltens- und Bewegungsmuster wie Erwachsene. Apraxien oder Aphasien ließen sich nicht feststellen. Sie wusste nicht, ob es überhaupt Sinn machte, dass sie Douglas Cameron - den Arzt ihrer Gemeinde - hierher gerufen hatte. Was sollte er schon groß tun können? 

Doch als sie die näherkommende Staubwolke im wirbelnden Sand entdeckte, war es für die Zweifel eh zu spät. 

»Sie kommen«, teilte sie ihrem Begleiter mit und ging zur Tür, aber bevor sie diese öffnete, drehte sie sich noch einmal um. »Lass deine Flinte lieber stecken. Joel wird schnell nervös, wenn er bedroht wird und genauso schnell ist er mit dem Betätigen des Abzugs.«

Der Fremde winkte ab und stand auf. Das Kind trank von allein und war endlich ruhig gestellt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den ehemaligen Verkaufstresen, um zu zeigen, dass er sich benehmen würde. Tali hoffte zumindest, dass seine Haltung dies ausdrücken sollte.

 

Tali war schon immer ein großes Mädchen gewesen. Das musste man sein, wenn man als Nachfahrin eines Indianerstammes auf eine texanische Schule ging. Doch in den starken Armen von Joel konnte sie sich dennoch immer wieder aufs Neue verlieren. Sie war hochgewachsen, aber er überragte sie trotzdem noch und wenn es ihr nicht gut ging, dann war er da und streichelte ihr Haar, was jeden Kummer oder Schmerz verpuffen ließ. Und vielleicht ... liebte sie ihn ein wenig zu sehr dafür. Wenn das nur irgendwo hinführen würde ... oder überhaupt Sinn hätte ...

Hatte es nicht.

Er hielt sie fest, als er fragend gegen ihren Scheitel wisperte, ob alles in Ordnung war. Sie nickte an seiner breiten Brust und löste sich von ihm, um in die strahlend blauen Augen zu blicken. Die Brille hatte er schon hochgeschoben, bevor er die Tankstelle betreten hatte. Er lächelte sie an und ließ seinen Blick dann schweifen, bis er an dem Fremden hängenblieb. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Douglas purzelte schon von hinten am ihm vorbei und näherte sich dem Kindersitz und dem Mann, der diesen zu hüten schien. 

»Ich bin Dr. Cameron. Ich werde mir das Kleine mal ansehen, wenn es genehm ist?«

Tali unterdrückte ein Schmunzeln. Jeder ihrer Truppe (nun ... vermutlich bis auf zwei Ausnahmen) hatte die Vorsicht mit Löffeln gefressen. Douglas nicht. Wenn es um einen Kranken ging, dann gab es für ihn kein Halten mehr. Dabei sollte er sich lieber mehr um die Gesunden sorgen und vor allem um sich selbst. Die Infizierten waren längst verloren. 

Der Langhaarige ließ sich nicht beeindrucken und nickte dem Doktor deswegen nur zu. Sein Blick ruhte auf dem Mann im Raum, der wohl am gefährlichsten war. Tali musste zugeben, dass Joel mit seiner Ausrüstung ein wenig hätte sparen können, aber er war wohl tatsächlich davon ausgegangen, dass sie in unmittelbarer Gefahr schwebte. Wie ein großer Bruder, der sich um seine kleine Schwester sorgte. Das war fast ein bisschen traurig. 

»Das ist Joel. Er führt unsere kleine Gemeinde an«, teilte sie dem Mann am Tresen mit und deutete neben sich. Dann zeigte sie auf Douglas. »Dr. Cameron. Er ist unser Arzt. Hat früher als Chirurg gearbeitet. Das ist von großem Vorteil. Und ich bin Tali. Früher mal Tala, die Wölfin, aber die Zeiten sind längst vorbei.« 

»Und du bist?«, setzte Joel die Vorstellungsrunde fort, als er den Mann musterte, der auch ihn nicht aus den Augen ließ. Es war ein Abtasten. Tali verspannte sich dennoch, um notfalls eingreifen zu können. Ihre dunklen Augen wanderten zu dem Langhaarigen, der nun endlich nach der Fliegerbrille griff und sie auf seine Stirn rückte. 

Sein Grinsen war flüchtig. »Ich heiße Neal, aber das tut nicht viel zur Sache. Ich werde nicht mit euch kommen, falls ihr das fragen wolltet.«

Er sagte das mit solcher Entschlossenheit, dass Tali kurz an seinem Geisteszustand zweifelte, dann aber erkannte, dass er das durchaus ernst meinte. Dieser Typ war verrückt. »In einer Gruppe stehen deine Chancen zu überleben um einiges besser, findest du nicht? Warum wanderst du allein? Hast du schlechte Erfahrungen mit anderen Gruppierungen gemacht? Wenn ja, dann ... tut mir das leid, aber wir sind definitiv nicht so. Wir haben selbst ... viele verloren, die wir geliebt haben ...«

»Nein, das ist nicht das Problem. Ihr scheint einen kompetenten Eindruck zu machen.« Neals Lächeln sah ehrlich aus. Ob er es auch so meinte, war dahingestellt. »Aber mir geht es nicht ums Überleben. Ich suche nach jemandem und wenn ich meine Belange mit ihm geklärt habe, dann hält mich nichts mehr auf dieser Erde.«

»Und wer ist er?«, hakte Tali mit gerunzelter Stirn nach. Sie wusste nicht genau, was dem jungen Mann passiert war, aber wenn er nur noch für seine Rache lebte, dann musste es etwas Schlimmes gewesen sein.

»Ich habe keinen Namen. Und es war auch nicht nur einer. Es war eine Gruppe, so wie eure. Auf Motorrädern, bewaffnet mit Flammenwerfern. Sie haben die Hütte in Brand gesteckt, in der ich mit meiner Frau und meiner Tochter untergekommen bin.«

»Das ... tut mir leid«, murmelte Tali, nachdem sie einen hastigen Blick mit Joel gewechselt hatte. 

Motorräder und Flammenwerfer. 

Sie hatten einen Namen.

Und tausend Gründe, um Neal davon abzubringen, sich ihnen auch nur auf hundert Meter zu näheren. 

Joel schien das auch so zu sehen. Er schnaubte leise und schaute zu Douglas, der gerade wieder aufstand, nachdem er das Kind genaustens unter die Lupe genommen hatte. »Wie sieht es aus?«

»Nun. Wir haben hier einen kleinen Jungen, der laut dem Namen auf seinem Strampler Adam heißt. Seine Reflexe sind regelrecht. Seine Körpertemperatur ist leicht erhöht, aber das kommt davon, dass er solange in dem heißen Auto gesessen hat. Er ist außerdem stark dehydriert. Seine Augen sind klar, er hat keinen Belag auf der Zunge. Wir nehmen ihn mit und stecken ihn erstmal in die Quarantäne. Morgen um die Zeit wissen wir mehr.«

»Gut.« Joel nickte und sah dabei zu, wie Douglas den kleinen Jungen aus dem Autositz befreite und auf den Arm nahm. Dieses Vorgehen gefiel ihm rein vorschriftsmäßig offensichtlich gar nicht, aber emotional war es ein großer Moment, deswegen sagte er nichts, lächelte stattdessen sogar ein wenig. Aber das verließ seine Lippen wieder, als Douglas mit dem Kleinen nach draußen ging. Tali sah es genau und überlegte, ob sie den Raum lieber auch verlassen sollte, entschied sich aber dagegen. 

»Nun zu dir«, fuhr Joel fort und nahm Neal wieder in den Fokus, der das alles regungslos über sich hatte ergehen lassen, auch wenn er zuvor deutlich gemacht hatte, dass er den Jungen mitnehmen würde. Allerdings schien er sich nicht daran zu stören, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wurde, weil er wohl wusste, dass der Weg, den er mit seinem Leben eingeschlagen hatte, nicht der Richtige war, um ein kleines Kind mit hineinzuziehen. Vielleicht war er doch nicht ganz so wahnsinnig, wie Tali angenommen hatte. 

»Ich sagte bereits, dass ich nicht ...«

»Ich kenne die Truppe, von der du da sprichst«, unterbrach Joel ihren Gegenüber und blickte ein bisschen gehetzt zu der nur angelehnten Tür. »Und was du vorhast, wird dir nicht das geben, was du suchst. Diese Männer sind ehemalige Polizisten, Soldaten, Feuerwehrmänner. Die ganze Palette ehemaliger Ordnungshüter und anderer, die für den allgemeinen Schutz der Bevölkerung zuständig gewesen sind. Das tun sie jetzt immer noch, aber ihre Methoden sind mittlerweile anders. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet, überfallen Siedlungen und heben sich über das Gesetz. Gut ... ein Solches existiert nicht mehr, aber du verstehst, was ich sagen will, oder? Sie reinigen die Welt von den Kranken und sie tun es gern. Nur verlangen sie dafür auch etwas. Und wenn man es ihnen nicht gibt ... nun, dann war’s das.«

»Wir kennen bisher nur zwei ihrer Außenposten. Angeblich kommen sie aus dem Südosten und haben eine Festung direkt am Meer. Corpus Christi, aber was an den Gerüchten dran ist, wissen wir nicht genau.« Tali seufzte leise. »Wir wissen aber sicher, dass sie langsam expandieren. Lange Zeit hielten sie sich nur an der Küste auf, aber die Außenposten beweisen, dass sie nun auch ins Innenland vordringen.«

»Und diese Außenposten sind wo?« Neal ließ sich nicht anmerken, was diese neuen Informationen mit ihm machten. Nach außen hin wirkte er ruhig, aber der Schein konnte trügen. 

»New Braunfels und Victoria. Den Ersten haben wir selbst entdeckt. Vom Zweiten haben wir erfahren, als wir ein älteres Ehepaar aufgegriffen haben, das vor den Richtern geflohen ist.«

»Richtern?«

Joel brummte in seinen Drei-Tage-Bart und schüttelte den Kopf. »Du weißt überhaupt nichts, oder? Gut. Wir lösen das jetzt so, denn der Sturm wird schlimmer und wir sollten zurück. Du kommst mit uns, dann reden wir. Was du danach machst, ist dir überlassen. Ist das ein Deal?«

Joel streckte dem nun nicht mehr ganz so Fremden die Hand entgegen. Talis Blick wanderte ebenfalls in die Richtung. Sie beide musterten Neal, warteten auf seine Reaktion und wussten nicht recht, wie diese ausfallen würde. 

Doch wichtige Informationen wogen von jeher mehr als die eigenen Prinzipien, so eisern sie auch sein mochten. Neal zuckte mit den Schultern, stieß sich vom Tresen ab und kam näher, um dann in die ausgestreckte Hand einzuschlagen. 

»Deal.«

Joel | A place that feels like home

Bevor die Welt an den Rand ihrer Existenz getrieben worden war, war das Enchanted Rock Naturareal als beliebtes Touristenziel bekannt gewesen. Nahezu unberührte, wilde Natur und weitläufige Gebiete zum Erkunden hatten jährlich viele Besucher angelockt. Teilweise so viele, dass die Ströme reguliert werden mussten. Mittlerweile kam keiner mehr her. Die einst so üppige Natur war verdörrt. Nur die Felsen waren noch dieselben. Man konnte sie noch immer knacken und flüstern hören, wenn es ganz still war. Nunmehr war der Zaun, der die Eingangspassagen vom Gebiet dahinter abgrenzte, mit trockenem Reisig und Farn getarnt, um vor neugierigen Blicken zu schützen und auch (und vielleicht war das der wichtigste Grund) um die immer wiederkehrenden Sandstürme davon abzuhalten, die zahlreichen Zelte und Hütten zu zerstören, die sie hier aufgebaut hatten. Kleinere Schäden ließen sich aber nie verhindern. Es war ein ständiges Reparieren, aber so blieben die Leute beschäftigt und hatten nicht so viel Zeit, um über ihre Misere nachzudenken. Diese Grübeleien führten erfahrungsgemäß nirgendwohin.

 

Joel lebte mit seinen Eltern seit Ausbruch der Seuche hier. Dieser Ort war zu dem einzigen Zuhause geworden, das er noch kannte. Er war damals in Rocksprings stationiert gewesen. Sie hatten alle Reservisten eingezogen, als die ersten Krankheitsfälle aufgetreten waren. Panik war ausgebrochen, auf klare Aussagen der Regierung hatte man vergebens gewartet und die Krankenhäuser waren gezwungen gewesen, den Notstand auszurufen. Die Zivilisation war innerhalb weniger Tage völlig in sich zusammengebrochen. Er hatte damals gerade erst sein Lehramtsstudium abgeschlossen und war motiviert und entschlossen in sein Berufsleben gestartet. Zwei Wochen hatte er gearbeitet, dann war alles den Bach runtergegangen. Er hatte jetzt noch einige Essays seiner Klasse auf dem Schreibtisch liegen, außerhalb seiner Reichweite ... und mittlerweile völlig ohne Bedeutung. Vermutlich lebte von seinen damaligen Schülern keiner mehr. Viele waren krank geworden - das hatte er noch mitbekommen. 

 

Als ihre Motorräder sich dem Zaun des Haupteingangs näherten, öffnete sich dieser wie von Geisterhand selbst und sie konnten weiterfahren, ohne dafür extra absteigen zu müssen. Das war der Vorteil von Wachen und Joel wusste, dass er sich vermutlich gleich etwas von Dave anhören durfte. Die Reifen ihrer Bikes waren am Limit. Die Maschinen mussten dringend in den Schatten. Joel wartete, bis Tali abgestiegen war, ehe er selbst aufstand und das Motorrad zum Unterstand schob. Neal war das zweite Motorrad gefahren, weil Douglas sich um das Kind gekümmert hatte und als er sah, wohin Joel die Maschine brachte, tat er es ihm gleich. 

»Ihr habt ja viele davon«, wurde Joel überrascht entgegen gebrummt. Stolz lächelnd sah er sich in ihrer provisorischen Zeltgarage um. Acht Motorräder nannten sie ihr Eigen. Hinzu kamen einige Stapel unversehrter Reifen. Lebensnotwendig.

»Ja, nicht wahr? War auch gar nicht so einfach, sie alle herzubringen. Aber da draußen sind sie um einiges wendiger und unkomplizierter als Autos, auch wenn wir von denen ebenfalls zwei besitzen.«

Zufrieden beobachtete Joel das rege Zucken der Augen, die er hinter der Fliegerbrille vage erkennen konnte. Auch der Kopf bewegte sich ruhelos. Neal schien beeindruckt von dem zu sein, was er hier sah und insgeheim hoffte Joel, dass es sich der junge Mann mit seiner baldigen Abreise doch noch überlegen würde. Um ehrlich zu sein, konnten sie hier jeden freundlich gesinnten Neuankömmling gut gebrauchen. Aber woher sollte Neal das wissen? 

»Endlich sind alle wieder da! Der Sturm ist wirklich heftig.«

Joel schirmte seinen Blick gegen die Sonne ab. Obwohl der wirbelnde Sand die aggressiven Strahlen etwas in Diffusität hüllte, blendete das Licht weiterhin. Er entdeckte Ian, der eben vom Wachturm gestiegen war und sich ihnen näherte. Ein kleiner, gedrungener Mann, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. Er besaß ein gutes Auge und so ein Sandsturm brachte ihn nicht mehr wirklich aus der Ruhe. Er lebte mit seiner Tochter Brook hier, die vermutlich gerade bei den anderen im Hauptzelt war und zu mittag aß. Ehe Talis Funkspruch hereingekommen war, hatten zumindest die Vorbereitungen dafür angefangen. Brühe mit Hirsebrot. Das gab es fast jeden Tag, um Ressourcen zu sparen. Dennoch neigten diese sich langsam dem Ende zu. Sie mussten bald wieder in eine größere Stadt, um sie aufzufüllen. Aber ... darum ging es jetzt nicht. 

»Ich löse dich gleich ab, Ian. Geh ins Zelt und futtere was. Ach ja. Das hier ist übrigens Neal.« Joel trat einen Schritt zur Seite und deutete auf den jungen Mann, den sie am Drive In aufgelesen hatten. Der beobachtete in diesem Moment, wie Douglas den kleinen Adam zu einem anderen Zelt brachte, abseits der Ansammlung, in deren Nähe sie selbst standen. Doch der Langhaarige verlagerte seinen Fokus und hob kurz zur Begrüßung die Hand.

»Hi.«

»Hallo. Mein Name ist Ian. Ist lange her, dass wir da draußen jemanden gefunden haben.«

Beide reichten sich kurz die Hände. 

»Er braucht einige Informationen und meint, dass er nicht allzu lange hierbleiben wird.« Joel war alles andere als überzeugt davon, einfach weil sein Verstand es nicht verstehen konnte oder wollte, aber er würde niemanden dazu zwingen, bei ihnen zu leben. Diese Entscheidung musste jeder für sich selbst treffen und Neal machte keinen sonderlich unentschlossenen Eindruck. »Deswegen macht es wahrscheinlich auch nicht viel Sinn, dir hier alles zu zeigen, oder?«

Neal hob eine Augenbraue. Sein Blick war schon aufmerksam gewandert. Dennoch hob er die Schultern. »Nein, vermutlich nicht.«

»Du bist die ganze Zeit allein unterwegs gewesen?« Ian pfiff leise durch die Zähne. »Nicht schlecht. Das ist beeindruckend.«

»So beeindruckend auch nicht. Es war nicht wirklich einfach.«

Ian nickte mitfühlend, schulterte die AK und machte sich zum Zelt auf. 

Joel blickte ihm kurz nach, dann drehte er sich zum Turm um und warf Neal über seine Schulter hinweg einen flüchtigen Blick zu. »Komm ... leiste mir ein wenig Gesellschaft! Dann reden wir.«

»Wie du willst.«

 

Neal folgte Joel auf den Wachturm, der sehr provisorisch wirkte und bei jedem Schritt auf der Leiter qualvoll ächzte. Joel war die Geräusche gewöhnt, umso entschlossener kletterte er bis auf die Plattform hoch und zog sich das Halstuch wieder über den Mund. Sehen konnte man von hier oben nur wenig bis gar nichts, aber es war besser, als überrascht zu werden. 

Als sich Neal neben ihn stellte und seinen Gitarrenkoffer vom Rücken nahm, schmunzelte Joel leise. »Ist da echt ne Gitarre drin? Oder bewahrst du dort noch mehr Waffen auf?«

»Wenn du glaubst, dass ich dir jetzt ein Ständchen trällere, dann kannst du das gleich wieder vergessen.« Sein Schmunzeln wurde nicht erwidert, aber Joel meinte, da eine leichte Bewegung unter dem Halstuch wahrzunehmen. Vielleicht Einbildung. Sehr freundlich war sein Gegenüber nicht, aber wer wusste schon, wann er das letzte Mal Kontakt mit anderen Menschen gehabt hatte.

»Also ist da wirklich eine drin. Krass. Ich würde sowas nicht mit mir herumschleppen.«

»Hat auch keiner verlangt. Also ... wer sind die Richter?«

Joel fummelte in seiner Jackentasche nach dem zerdrückten Päckchen Zigaretten und zog eine hervor. Davon hatte er auch nicht mehr viele. Es handelte sich zwar um ein Luxusgut, aber wenn sie die nächste große Tour in Angriff nahmen, würde er danach trotzdem Ausschau halten. Er konnte und wollte nicht darauf verzichten. Das Anzünden entpuppte sich als Geduldsspiel, aber als die Zigarette brannte und der Qualm seine Lungen füllte, war er zufrieden. Ein Zug, dann das Halstuch wieder über den Mund. Ein ständiger Wechsel. Alles andere würde ihn wohl umbringen. Aber es gab sicherlich schlimmere Tode als diesen, wenn man sich mit dem Thema ausführlicher auseinandersetzte. Tat er selten. Dazu fehlte ihm schlichtweg die Zeit.

»Du kommst schnell zur Sache«, stellte er also fest und lehnte sich an die Holzbalustrade. »Ich habe dir von den Männern erzählt, die sich an der Küste versammelt haben. Wir nennen sie die Richter, weil sie nichts anderes tun. Sie richten. Sie entscheiden, wer würdig ist, weiterzuleben und wer sterben muss. So einfach ist das. Ich befürchte, dass es nicht mehr lange dauern wird und sie erreichen uns. Und was dann passiert, will ich mir nicht ausmalen.«

»Was tun sie denn? Abgesehen davon, dass sie Hütten niederbrennen, in denen Menschen leben.«

»Sie plündern, so wie es jeder tut.« Joel hob etwas hilflos die Schultern. Mit seinem Gerechtigkeitssinn ließ sich dieses Vorgehen kein bisschen vereinbaren, aber das hieß nicht, dass er es auf unterster Bewusstseinsebene nicht irgendwie nachvollziehen konnte. Nur die Methodik war beschissen. »Wir hatten erst einen direkten Kontakt mit ihnen. Und wir hatten Glück, dass es sich nur um eine kleinere Truppe gehandelt hat. Sie haben uns ziemlich zugesetzt und waren zu keinerlei Verhandlungen bereit. Sie halten sich wohl für die letzte Instanz. Die einzigen Überlebenden, die eine Chance haben.«

Er seufzte und beobachtete sein Gegenüber genau. Neal hatte die Arme ineinander verschränkt und das so verkrampft, dass er fast schon bereute, das alles gesagt zu haben. Er zog noch einmal an der Zigarette und hielt sie dem jungen Mann dann hin. »Es tut mir leid, was mit deiner Familie passiert ist. Darf ich fragen, wie du überlebt hast?«

Neals Blick wanderte flüchtig zu der Zigarette, ehe er den Kopf schüttelte und wieder in die Ferne starrte. »Sie haben die Tür eingetreten, mich nach draußen gezerrt und von mir verlangt, ihnen all meine Vorräte zu geben. Ich hatte nicht viel Gelegenheit, irgendetwas zu sagen. Sie haben mich getreten, geschlagen. Ich konnte ihnen nicht sagen, dass meine Familie noch im Haus ist. Sie haben es einfach in Brand gesteckt und sind gefahren. Das Feuer hat sich so schnell ausgebreitet, dass ich zwar reingekommen bin, aber nichts mehr gesehen habe. Ich ... habe ihre Schreie gehört und ... ich ... ich konnte nicht ...«

Ein Beben ging durch den Körper. Joel sah es genau und wäre die Fliegerbrille nicht, dann ... würde er sicher Tränen sehen und mit denen konnte er nicht umgehen. Noch nie. »Ich hätte nicht fragen sollen. Es tut mir leid. Niemand sollte so etwas erleben ...«

Doch so viel Mitgefühl er gerade auch hatte - er fragte sich, wo Neal gelebt hatte. Er war aus nördlicher Richtung gekommen. Wenn die Richter auch dort aktiv gewesen waren, dann ... nein ... er wollte es sich wirklich nicht vorstellen. Er stellte die Frage nicht. Der Augenblick konnte nicht ungünstiger sein, aber der Gedanke krallte sich in seinem Kopf fest und würde ihm wohl eine weitere schlaflose Nacht bescheren.

»Es ist ... eine ganze Weile her. Wir sind damals von New York aufgebrochen. Wir sind bis Kansas gekommen und haben beschlossen, dass es keinen Sinn macht, weiterzureisen. Wir hatten kein Ziel. Überall nur Wüste. Mein einziger Anhaltspunkt war das texanische Kennzeichen an einem der Motorräder. Aber seit ich hier in Texas bin, habe ich keinen von ihnen gefunden.«

Joel nickte leicht und folgte Neals Blick. Der Sandsturm legte sich langsam. Die Sicht wurde klarer. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass der Sturm noch einmal an Kraft gewann. Hier gab es einfach nichts, was ihn stoppen konnte. Nur weite, plane Fläche. Und der Felsen in ihrem Rücken. 

»Vielleicht gibt es ähnliche Gruppierungen im Norden. Wir sind nie soweit gekommen. Ich war in der Nähe stationiert, als alles begonnen hat. Als es keine Regierung mehr gab, der wir folgen konnten, habe ich meine Eltern genommen und bin hergekommen. Nach und nach gesellten sich die anderen dazu. Erst Tali, die hier in der Nähe gewohnt hat, dann Ian und Brook, Malia und Dave ... nun ... du willst die ganzen Namen sicher nicht wissen.«

»Es ist beeindruckend, was ihr hier aufgebaut habt. Wo kriegt ihr den Strom für das Funkgerät her?«

Da lächelte Joel leicht. Er genehmigte sich noch einen letzten Zug von der Zigarette und drückte sie dann in einem Aschenbecher am Boden aus. Er war stolz auf das, was sie in monatelanger Arbeit aufgebaut hatten. »Solarstrom. Wir haben bei unseren Touren Solarplatten von Häuserdächern geschraubt und daraus eine Kuppel gemacht, die den Tag über genug Sonnenlicht einfängt, dass wir für ein paar Stunden am Tag das Funkgerät betreiben können. Alles andere läuft mit Batterien. Die Kaffeemaschine zum Beispiel.«

»Kaffee? Ich glaub es ja nicht.« 

Da schwang Sehnsucht in der Stimme mit. Sehr viel Sehnsucht. 

Joel lächelte und drehte sich mit dem Rücken zur Steppe. Sein Blick glitt über das Gelände, das sie bewohnten. Ein großes Hauptzelt im Zentrum. Verbliebene Baracken und kleinere Zelte drumherum. Die sanitäre Anlage stammte noch von der Zeit, als hier noch zahlreiche Besucher gecampt hatten. Sie war intakt. Natürlich hatten sie nicht mehr das normale Wasser zur Verfügung. Die Wasserleitungen, die zum See in der Nähe führten, endeten an einem selbstgebauten Filtersystem und wurde noch zusätzlich abgekocht. Zum Duschen reichte es nicht. Aber zum Waschen hatten sie für jeden Tag eine ausreichende Menge zur Verfügung. Bisher hatte sich niemand angesteckt. Wie lange sie den See allerdings noch anzapfen konnten, wusste keiner so recht. Er glich mehr einer Pfütze als einem See. Ein paar Wochen vielleicht noch. 

»Ein Luxus, der bald genauso Geschichte sein wird, wie das tägliche Waschen. Unsere Vorräte gehen zur Neige.« Joel ließ sich nicht anmerken, dass ihm dieser Umstand seit Tagen den Schlaf raubte. Unter dem Halstuch und der Schutzbrille sah man davon nichts. Von Situationen, in denen er beides nicht brauchte, hielt er sich fern, deswegen hatte er Ian angeboten, seine Schicht auf dem Turm zu übernehmen. »Wir sollten die nächsten Tage aufbrechen. Alle näheren Städte haben wir bereits abgeklappert. Die nächste Strecke wird weiter, aber gut ... warum erzähle ich dir das?«

Joel lachte freudlos auf und nickte dann zum großen Zelt hin. »Du kannst dich gern den anderen vorstellen und eine Kleinigkeit zu dir nehmen.«

 

»Joel Malone! Du wirst gefälligst wie alle anderen an den Tisch kommen und essen!«

 

Nicht nur Neal zuckte bei dieser herrischen und kraftvollen Stimme zusammen, die vom Hauptzelt stammte. Joels Rücken prallte hörbar gegen das Holzgeländer, als er mit geweiteten Augen hinuntersah. Eine blonde Frau in ihren späten Fünfzigern stand mit verschränkten Armen vor dem Zelt und schielten zu ihnen hinauf. Ohne Brille, ohne Halstuch. Das Husten ließ nicht lange auf sich warten, deswegen verschwand sie wieder nach drinnen und Joel wusste ganz genau, dass sie in dem Moment, als sie sich umdrehte, bereits voraussetzte, dass er dem Befehl Folge leisten würde. 

»Deine Mum?«, hakte Neal nach und der Scharfschütze hörte den amüsierten Unterton mehr als deutlich heraus. 

Schnaubend nickte er und wandte sich der Leiter zu. »Sie sagt solche Sachen immer nur ein Mal.«

»Sonst?«

»... gibt es ein Donnerwetter, das hier keiner erleben will.«

Neal | Too good to be true

Irgendwo auf seiner langen Reise schien er die Grenze zwischen der Realität und einer Traumwelt überschritten zu haben, ohne dass er es bemerkt hatte. Das, was sich vor seinen Augen auftat, was sich vor ihnen abspielte - das konnte so einfach nicht real sein. Entweder er war längst verdurstet und halluzinierte nur noch oder er war in die größte Falle getappt, die sich ihm hätte bieten können. Es gab nichts dazwischen. Es konnte nichts dazwischen geben. Erst Tali, dann der kleine Junge, Joel, der Doktor ... und er war mitten drin, ohne dass er es hatte verhindern können. Vielleicht hatte er es gar nicht versucht. Wenn er sich die letzte Stunde wieder vor Augen führte, glich das alles eher einem Film, den man sah, als dem, was tatsächlich passierte. 

 

Neugierig und gleichzeitig ängstlich folgte er dem fremden Mann in das große Zelt. Neal spürte die Anspannung in jeder Faser seines Körpers in dem Moment, als Joel die Plane beiseite hob und sie ihm auf hielt, als er den letzten, entscheidenden Schritt machte. 

Blicke ruhten auf ihm. Er zählte die Gesichter nicht, war urplötzlich wie benebelt von dem Duft nach frisch gebackenem Brot und wusste für einen Moment tatsächlich nicht mehr, ob er wirklich wach war. Als er die Fliegerbrille nach oben schob und das Halstuch tiefer, wurde der Geruch noch intensiver und sein Magen reagierte darauf. So laut, dass es nicht verborgen blieb. 

»Da hat jemand ordentlich Appetit mitgebracht.« Die Frau von eben - Joels Mutter - trat an ihn heran und streckte ihm freundlich lächelnd die Hand entgegen. »Laureen Malone. Es freut mich wirklich sehr, Sie kennenzulernen. Entschuldigen Sie meinen Sohn. Er hätte Sie gleich herbringen sollen.«

»Mum ...« Der, um den es gerade ging, zog sich die Schutzbrille vom Gesicht und entfernte das Halstuch. Neal staunte nicht schlecht, als sich der Mann als wesentlich jünger entpuppte, als er angenommen hatte. Und er ... sah ziemlich gut aus. »Jemand sollte wirklich draußen auf dem Turm sein und die Umgebung im Auge behalten.«

»Schatz. Die Welt ist schon untergegangen. Eine halbe Stunde wird keinen Unterschied mehr machen.«

»Aber ...«

»Jetzt setz dich hin und iss!« 

Neal wusste nicht, was er gerade lieber tun wollte. Lachen oder weinen. Eine intakte Familie. Dass so etwas noch existierte ...

Die Aufmerksamkeit seiner Gegenüber verlagerte sich wieder zu ihm. »Sie müssen wirklich sehr hungrig sein. Setzen Sie sich doch einfach zu uns, ruhen sich aus und vergessen die wüste Welt da draußen. Denken Sie, Sie bekommen das hin?«

»Ich ... weiß nicht«, antwortete Neal wahrheitsgemäß, doch er tat es Joel gleich, nahm die Fliegerbrille ganz ab und wickelte auch das Tuch gänzlich von seinem Kopf. Ein Raunen ging durch den Raum, auf das flüsternde Gespräche folgten, die sich offensichtlich um ihn drehten ... und vielleicht auch um den Gitarrenkoffer auf seinem Rücken, den er vor dem Abstieg vom Turm wieder aufgesetzt hatte. Er hörte da sehr leise die Frage, ob da wohl wirklich eine Gitarre drin war. Das war ... zu viel auf einmal. Etwas mehr als zehn Menschen waren hier und sie verhielten sich so normal, wie man es aus der Vergangenheit kannte. Ein Thanksgiving Essen da, eine Weihnachtsfeier dort.

 

Normalität - sie schmeckte so bitter wie Galle und sie zog ihm den Boden unter den Füßen weg. 

 

Kräftige Arme waren da, als Neal schwarz sah. Es war ein flüchtiger Moment, in welchem sein Körper den monatelangen Strapazen einfach nachgab. Ein, zwei Atemzüge lang wirklich so schwach sein, wie er sich tief im Inneren fühlte. 

»Hoppla!« Er hörte Joels Stimme. Die Arme mussten zu ihm gehören. Da war eine weitere Hand, die sich auf seine Schulter legte und er hörte Laureen. Sie wandte sich nicht direkt an ihn, als sie sprach.

»Der arme Junge. Das hier muss ihn schlichtweg überfordern. Setzen wir ihn dort zu Malia und Dave.«

 

Neal hatte das Gefühl, keinen Schritt selbst zu tun, aber letztendlich saß er neben einer jungen Frau mit rotem Haar, das zu einem Zopf geflochten über ihrer linken Schulter lag. Auf ihren Wagen prangten so viele Sommersprossen, wie der Himmel Sterne zu bieten hatte, und sie roch leicht nach Wacholder. Jemand nahm ihm den Gitarrenkoffer vom Rücken. Ein anderer stellte ihm eine Schüssel mit dampfender Brühe hin und legte zwei Scheiben Brot daneben. Der Duft der einfachen Mahlzeit stieg ihm so intensiv in die Nase, dass Neal es langsam tatsächlich glaubte. Das hier bildete er sich nicht ein. Es geschah wirklich. 

»Ich glaube, jetzt hat er es«, murmelte ein Kerl ihm gegenüber, der genau so rote Haare hatte wie die Frau neben ihm. Neal blinzelte, sah von einem zum anderen, dann wieder auf sein Essen hinunter. 

»Das ... riecht wirklich gut«, gab er leise zu und griff nach dem Löffel. Er befürchtete, dass er sich nicht würde beherrschen können, wenn er von der Mahlzeit kostete. Er hatte sich in den letzten Wochen vorwiegend von Konserven ernährt. Irgendwann schmeckte alles gleich, hatte immer dieselbe Konsistenz. Da spielte es keine Rolle mehr, was auf dem Etikett stand. Wichtig war nur noch das Verfallsdatum. Und selbst das wurde nebensächlich, wenn man Hunger hatte. Etwas Frisches hatte Neal schon sehr lange nicht mehr gegessen. Er nahm sich eine Brotscheibe, füllte den Löffel und führte ihn an seinen Mund. 

Die Brühe war dünn, aber sie schmeckte und im Zusammenspiel mit dem Hirsebrot wurde es zum besten Essen seit langem. Er bemerkte nicht, wie amüsiert und neugierig er angesehen wurde. Selbst Randeindrücke konnte er nicht mehr sammeln. Ihm war nicht bewusst, dass er an einem einfachen Campingtisch saß und der Hocker unter seinem Schoß seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Er achtete nicht auf die anderen Tische oder den Kessel, der über einer mehrfach abgesicherten Feuerstelle hing, die munter vor sich hin prasselte. 

Er war gestorben und das hier war der Himmel. 

Das musste es sein. 

 

Obwohl Neal noch immer darauf bestand, dass er nicht hierbleiben würde, erfuhr er letztlich doch so gut wie alles über die kleine Truppe. So wurde ihm erzählt, dass Malia und Dave Geschwister waren, die Joel in Junction aufgesammelt hatte, kurz nachdem sie Ian und Brook aus Fredericksburg rausgebracht hatten. Er erfuhr, dass Sofia und Charles Brown das Ehepaar waren, das vom Außenposten der Richter in Victoria berichtet hatte und dass James, der wohl der Älteste hier war, in seinen jüngeren Jahren als Architekt gearbeitet hatte und so maßgeblich zum Bau der Solarkuppel beigetragen hatte. So viele Namen. Er selbst hatte sich nicht noch einmal offiziell vorstellen müssen. Das hatte Joel für ihn übernommen, kurz bevor der wieder nach draußen verschwunden war, um den Posten auf dem Wachturm zu besetzen. Es waren so viele Gesichter, die Neal sich merken wollte, aber einfach nicht konnte, denn er war sich darüber im Klaren, wie schnell sie verblassen konnten, wenn sie erst einmal tot waren. Den Gedanken sprach er aber nicht laut aus, denn abermals trat Laureen an seine Seite und zeigte auf den Mann an der ihren. 

»Das ist mein Mann Alexander. Wir ... haben uns gefragt, ob Sie uns nicht erzählen möchten, wie Sie es da draußen so lange allein geschafft haben. Ich kann es immer noch nicht glauben. Gehörten Sie einer größeren Gruppe an?«

»Laureen ... ich glaube nicht, dass wir ihn mit noch mehr Fragen behelligen sollten. So neugierig du auch bist, aber ich glaube, der Junge braucht erst einmal Ruhe.«

 

Joels Vater schien ruhiger zu sein, als seine Frau es war. Freiwillig hätte er den Kontakt zu Neal wohl nicht so schnell gesucht, aber wenn man seiner besseren Hälfte nichts abschlagen konnte, ergaben sich solche eher unangenehmen Situationen. Neal fand das weniger schlimm. Er hatte es endlich geschafft, die vielen Eindrücke irgendwie zu sortieren. Er wusste nun um die Existenz einer größeren Gruppe, was von Vorteil sein konnte. Sie würden ihn nicht zwingen, dass er hierblieb, was ihn also nicht unter Druck setzte. Aber leugnen, dass sie das vielleicht auch gar nicht mussten, konnte er mittlerweile nicht mehr und das war wohl die einzige Angelegenheit, mit der er noch nicht ganz klar kam. Fakt war - diese Menschen hatten Informationen, die ihm fehlten. Sie kamen aus unterschiedlichen Gegenden Texas‘. Er war hier im Grunde der Außenseiter. Nicht nur, weil er der Neuankömmling war, sondern auch, weil er aus einem ganz anderen Staat stammte.

 

»Es ist schon okay«, murmelte Neal schließlich, als er die Hände im Schoß faltete und zu den beiden hochsah. 

»Ihr könnt euch auch setzen«, erklärte der Rotschopf ihm gegenüber plötzlich, als er aufstand und auf die frei gewordenen Sitze deutete. »Ich werde mal nach Joel sehen, sonst langweilt der sich vielleicht noch.«

»Danke, Dave.«

Die beiden setzten sich und Neal bekam von dem Rothaarigen noch einen letzten Blick zugeworfen, der mit einem kurzen Zwinkern endete, bevor sich der stark Tätowierte abwandte. Da waren überall dunkelbunte Zeichnungen zu sehen, wo kein Stoff die sommersprossige Haut bedeckte. 

»Und ich werde dir mal noch eine Schüssel Brühe holen. Du hast sicher länger nichts gegessen als wir alle.«

Auch Malia erhob sich, berührte ihn flüchtig an der Schulter, als sie nach seiner Schüssel gegriffen hatte und an ihm vorbei zum Feuer ging. Neal sah ihr kurz hinterher, dann fokussierte er wieder die beiden älteren Leute vor sich. 

»Es ist sehr lange her, dass ich jemandem begegnet bin. Auf meiner Reise habe ich die ein und andere Gruppierung getroffen, aber ich habe mich keiner angeschlossen. Vermehrt deshalb, weil sie nicht in die Richtung gewandert sind, in die ich wollte. Aber auch weil man irgendwie niemandem mehr trauen kann. Seit der Attacke der Richter ... ist mir das sehr schwergefallen.«

»Attacke?« Laureen hob die Hand an die Lippen - ihre Augen waren entsetzt geweitet. »Joel hat nur angedeutet, dass Sie mit ihnen Kontakt hatten, aber ... nun ... das tut mir wirklich sehr leid.«

»Wie lange ist das her?«, hakte Alexander nach. Aus Höflichkeit. Nicht, weil er es wirklich wissen wollte. Neal spürte das. Nur die Ursache dafür blieb ihm verborgen, aber es war beruhigend, dass er hier nicht der einzige Skeptiker zu sein schien. Er war schließlich genauso ein Fremder für die Gruppe, wie sie für ihn. Er könnte ein verkorkster Psychopath sein (was er nicht war, aber jeder Eindruck konnte täuschen). Er musterte den Mittfünfziger flüchtig, ehe er leise seufzte und zu seinem Hemd griff, um unter dem Stoff nach dem Medaillon zu suchen und es zu umfassen. Das beruhigte ihn immer wieder. 

»Zu lange, um noch eine Rolle zu spielen, aber ... ich kann nicht aufhören daran zu denken. Ich muss die Männer finden, die das getan haben. Eher finde ich keine Ruhe.«

»Also hielten Sie nur die Rachegedanken am Leben?«

»Laureen ... du stellst zu viele Fragen«, wurde das Gespräch von einer weiteren Stimme unterbrochen. Sie gehörte nicht zu Malia. Die stand aber unmittelbar hinter der anderen Person, die sich als Tali entpuppte, als er aufsah. Sie blickte nicht auf ihn hinunter, sondern beobachtete Joels Eltern. Irgendetwas in ihrem Blick war seltsam und Neal dämmerte langsam, dass diese Truppe einen stabilen und organisierten Eindruck machte, interne Spannungen aber immer vorhanden waren, egal, was die Umstände dazu zu sagen hatten. Die bekam man nie raus, wenn so viele unterschiedliche Menschen aufeinandertrafen. 

»Lasst ihn bitte erst einmal ankommen. Vielleicht wird er auch gar nicht hierbleiben.« Ihre Worte klangen etwas harsch. Der Klang änderte sich, als sie sich Neal zuwandte. »Ich wollte nach Douglas und Adam sehen. Möchtest du vielleicht mitkommen?«

Neal bemerkte verspätet, dass da zwei weitere Schüsseln mit Brühe waren, ebenso wie Brotscheiben. Verpflegung für den Doktor und den Kleinen. Neal nickte und lächelte dem Ehepaar entschuldigend zu, als er sich erhob. Malia trat hinter Tali vor und reichte ihm seine eigene Schüssel, die wieder gefüllt war. 

»Die kannst du auf dem Weg dahin trinken«, war ihre Erklärung dazu. Neal verstand nicht ganz, was hier gerade passierte, was nicht ausschloss, dass er es wohl gleich erfahren würde. Tali wirkte etwas rastlos. Vielleicht interpretierte er gerade auch zu viel. Es war wirklich lange her, dass er sich mit zwischenmenschlichen Interaktionen auseinandergesetzt hatte.

 

Tali sprach nicht direkt mit ihm über das, was eben passiert war. Doch Malia, die ihr wie ein kleiner Schatten folgte, sprach sie von selbst darauf an und Neal, der ein, zwei Schritte hinter ihnen lief, hörte alles. 

»Sie wachsen hier langsam wirklich fest! Sie sollten selbst mal wieder raus und sich mit ihren eigenen Augen davon überzeugen, was aus der Welt geworden ist, anstatt jeden auszuquetschen, der neu in unsere Gruppe kommt.«

»Tali, Herzchen ... beruhige dich. Du kennst das doch. Was regt es dich so auf?«

»Weil sie das immer tun! Denk daran zurück, wie sie James damals ausgequetscht haben. Der arme Kerl. Und jetzt dasselbe bei ...« Sie zögerte und erinnerte sich wieder daran, dass Neal direkt hinter ihnen lief und alles hören konnte. Sie sah flüchtig über ihre Schulter. »Verzeih ... das ist eine eher interne Sache, aber irgendwie betrifft sie dich ja gerade.«

»Schon gut«, erklärte Neal und lächelte leicht. Der Sturm hatte zum Glück etwas nachgelassen. So sah er ihre dunklen, durchdringenden Augen. Im Kontrast dazu die strahlend grünen ihrer Begleiterin. Die beiden wirkten sehr vertraut miteinander, aber vermutlich passierte das irgendwann, wenn man eine Gemeinschaft formte. Das entzog sich Neals Erfahrungsschatz. Es wurde Zeit, dass er seinen Horizont erweiterte. Oder dass er schnellstmöglich von hier verschwand. Sein Blick wanderte zum Wachturm, den sie hinter sich gelassen hatten. Die zwei Männer auf ihm sahen in seine Richtung. Der Rotschopf hob flüchtig die Hand und drehte sich dann wieder in Richtung Wüste. Ob er noch unter Beobachtung stand? Neal wunderte es nicht. Er würde nicht anders handeln. Und wenn Joel tatsächlich der Anführer dieser Gruppierung war, stand er wohl hauptsächlich unter dessen Obhut - vorerst. 

»Warum ist Joel der Anführer und nicht seine Mutter oder eines der anderen älteren Mitglieder?«, drängte sich ihm die Frage auf und so stellte er sie auch gleich. War es nicht so, dass immer die Alten und Weisen die Führung übernahmen? Vielleicht hatte auch das in solchen Zeiten keinen allzu hohen Stellenwert mehr.

»Weil er es voll drauf hat«, erklärte Malia überschwänglich, während sie sich vorsichtig bei Tali einhakte, damit diese die Brühe nicht verschüttete. Neal sah auf seine Eigene hinunter und nahm einen Schluck von ihr, während sie sich immer weiter vom zentralen Punkt des Camps entfernten. 

»Es ist so«, fing Tali an und blieb stehen, damit er zu ihr und Malia aufschließen konnte. »Er hat eine militärische Grundausbildung, er hat gelernt, wie man Menschen etwas beibringt - so als Lehrer. Und er ist entschlossen, hat einen Plan, er sorgt gut für uns. Letztlich war es eine demokratische Wahl, die es festgemacht hat, aber der Anführer war er schon immer. Er hat alles aufgebaut. Er hält es am Laufen.«

Neal war beeindruckt von der Ansprache und der Art und Weise, wie sie über Talis Lippen gekommen war. Da schwang Bewunderung mit und vielleicht mehr. »Dabei ist er kaum älter als ich.«

»Das macht keinen Unterschied. Es sind die Taten, die für ihn sprechen. Ohne ihn ...«

»Tali ...«

Das kurze Schweigen offenbarte Hintergründe, die unausgesprochen blieben, aber definitiv vorhanden waren. Etwas in Neal wollte nachhaken, mehr erfahren und die Neugier befriedigen. Aber der rationale Teil in ihm behielt die Kontrolle und hinderte ihn daran. 

»Ihr müsst auch sehr viel durchgemacht haben«, murmelte er leise und sah sich um. Hier gab es nichts mehr. Der Zaun reichte noch weiter und einige Meter vor ihnen tat sich eine einsame Hütte auf. Sie sah nicht aus wie eine von denen, die er zuvor gesehen hatte. Sie war von Hand aufgebaut worden, nachdem alles zum Erliegen gekommen war, und hatte wohl schon immer dem Zweck gedient, Kranke vom Rest abzuschirmen. Ein sehr einsamer Ort. Neal war nicht wohl dabei, dass Adam und Douglas hierbleiben sollten, aber es war ja auch nur für einen Tag. Das würden die beiden verkraften.

 

»Douglas!«

 

Es dauerte, bis sich die Tür zur Hütte nach Talis Ruf öffnete. Das leicht gerötete Gesicht des Doktors tauchte im Spalt auf. Die braunen, lockigen Haare hingen ihm in die Stirn.

»Nicht so laut. Der Kleine ist endlich eingeschlafen.«

»Entschuldige.« Tali lächelte leicht und reichte Douglas die Schüsseln. »Als Verpflegung. Auch für den Kleinen. Willst du wirklich die ganze Zeit hier bei ihm bleiben?«

Douglas nahm die Brüheschalen entgegen und Malia legte in jede zwei Brotscheiben. »Ja. Es ist sicherer, wenn ich mich nach dem Kontakt mit ihm von euch fernhalte. Ihr wisst, wie aggressiv die Infektion ist.«

Die beiden Frauen nickten langsam. Ihr Zögern war fast spürbar. Dr. Cameron zu verlieren, hätte schlimme Folgen für die ganze Gruppe, aber das war nicht der einzige Grund. Sie hatten einander liebgewonnen. Neal seufzte leise. Das kannte er alles nicht. Und wieder zeigte sich, dass die Gefahr an jedem noch so schönen Ort weiterhin präsent war. Vieles konnte hübsch aussehen und doch übel enden. Er wünschte es dem Doktor nicht. Und dem Kleinen auch nicht, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Aber konnte man das, was ihnen in Zukunft bevorstand, noch als Solches bezeichnen? 

 

Wer wusste das schon?

 

»Und? Was hältst du von diesem Ort?«

Neal begegnete Talis aufmerksamen Blick, als sie sich auf den Rückweg machten. Ehrliche Neugier sah er in ihren dunklen Augen und auch Malia sah an ihr vorbei und beobachtete ihn. Was wollten die beiden hören? Nun ... er würde ganz ehrlich sein. 

»Ich frage mich noch, wo der Haken ist, um es freundlich zu formulieren.«

»Muss man denn in allem etwas Schlechtes sehen?«, murmelte Malia, ehe sie anfing, leise zu pfeifen. »Wollen wir nicht lieber über die Gitarre in deinem Koffer reden?«

»Malia ... du bist furchtbar.« Tali stieß die kleinere Frau von sich und grinste dabei schief. Die Rothaarige torkelte davon und schmunzelte. Die schwarzen Locken wackelten noch, als Tali Neal wieder ansah und die Schultern hob. »Kein Haken. Ich kann mir zumindest keinen vorstellen. Aber ich denke, Joel wird sicher noch irgendwann mit dir reden wollen. Wie es für dich weitergehen soll. Ob du bei uns bleibst. Solche Sachen. Da mussten wir alle durch.«

»Ihr geht wirklich davon aus, dass ich bleibe, oder?«

»Nun ... du wärst irre, wenn nicht. Wer bleibt denn freiwillig allein da draußen?« Malia machte keinen Hehl daraus, was sie von Neals Einstellung hielt. Und frech wie sie war, streckte sie ihm die Zunge raus und huschte dann davon. 

»Oh, du Miststück! Nun, sieh dich ruhig weiter um und überlege es dir. Wir könnten dich hier wirklich gut brauchen.« Tali lief ein Stück rückwärts und winkte ihm dann zu, ehe sie der Rothaarigen nachsetzte.

 

Ein schönes Bild, das musste Neal zugeben. Aber nun, da er zurückgelassen worden war, kreisten seine Gedanken wieder und sortierten sich neu. War es tatsächlich sinnvoll, wenn er hierblieb? Nach allem, was er über jene erfahren hatte, die seine Familie auf dem Gewissen hatten, wäre es Irrsinn, das allein durchziehen. Dafür aber andere in Gefahr zu bringen, passte ihm genauso wenig. 

»Ach, verflucht ...«

Er musste wohl tatsächlich mit Joel reden. Neal hatte das Gefühl, dass es da noch so einiges gab, dass der Blonde ihm nicht gesagt hatte.

Joel | Sometimes the truth is hard to accept

Es gab nicht viele Dinge, vor denen sich Joel Malone fürchtete, doch in dem Moment, als Sofia und ihr Mann Charles an ihn herantraten - mit viel zu ernsten Gesichtern, um gute Nachrichten zu verheißen - und ihn wissen ließen, dass sie mit ihm sprechen mussten, da kroch dem jungen Mann die Angst von den Schuhsohlen in den Brustkorb hinauf und ließ ihn sich enger zusammenziehen. Sie legten ihm die Wurzel allen Übels und vor allem seiner Alpträume sanft vor die Füße, als sie ihn mit dem Umstand konfrontierten, dass sie kaum noch genug Vorräte hatten, um anständig kochen zu können. Und mit zwei neuen Mitgliedern wird es auch nicht einfacher, hallten Sofias Worte in seinen Ohren wieder. Joel mochte die resolute, alte Dame, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, wenn es ernst wurde, doch mit Kritik konnte er nur schwer umgehen und sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihre Worte als solche verstanden werden konnten ... und sollten. Selbst der kleine Adam, der einem Wunder gleich von der Krankheit verschont worden war, konnte die Damen ihres Lagers nicht mehr länger von der Wahrheit ablenken. Wenn er nicht endlich handelte, dann würden sie hier verhungern und verdursten. 
 

Neal, der noch immer unter ihnen weilte und mehr als ein stiller Beobachter agierte, während er Brook, Adam, Malia und Dave immer mal wieder etwas auf der Gitarre vorspielte, war letztendlich derjenige, der das tat, was sich neben dem älteren Ehepaar sonst keiner traute. Direkt nach dem sehr spärlich ausgefallenen Mittagessen drei Tage nach Neals und Adams Ankunft, fing der Musiker den ehemaligen Highschoollehrer vor seiner Hütte ab, in die sich Joel - wie alle anderen auch - während der heißesten Stunden des Tages, zurückziehen wollte. 

»Ich denke, wir müssen uns unterhalten«, erklärte Neal recht neutral und ohne Lächeln auf den Lippen. Joel wusste, dass keine Ausrede der Welt den Langhaarigen davon abbringen konnte, jetzt mit ihm zu reden, wo er doch endlich dazu kam, das Gespräch mit ihm zu suchen. Der 33-Jährige hatte sich mit den anderen Mitgliedern hier und da über den Fremden unterhalten. Keiner von ihnen hatte sich ihm gegenüber negativ zu Neal geäußert. Malia schwärmte für den Nordstaatler und auch Tali sah er recht oft an dessen Seite, weil er ganz närrisch auf die Geschichte ihres ehemaligen Indianerstammes war und sie ihm gern davon erzählte. Selbst seine Eltern, die so einen furchtbaren ersten Eindruck hinterlassen hatten, kamen mittlerweile gut mit dem jungen Mann zurecht, der vielleicht für manche Dinge und Zusammenhänge ein zu gutes Auge hatte, wie Joel schnell feststellte, als er Neal in seine Hütte einlud. Auch hier drinnen herrschte eine mörderische Hitze, aber sie waren geschützt vor der Sonne und man schwitzte nur, anstatt sich zu fühlen, als würde man bei lebendigem Leibe verbrennen. 
 

»Über was willst du reden? Die Anderen und ich haben dich bereits wissen lassen, dass du solange bleiben kannst, wie du willst. Du passt wirklich gut zu uns.«
 

Neal schenkte ihm ein Lächeln und streifte sich währenddessen den Ledermantel und das Halstuch vom Körper. Hier drinnen war so viel Schutz vor Sonne und Sand unnötig und es glich Selbstmord, wenn man sich nicht von ihm befreite. Joel handhabte das nicht anders. Dennoch hatte die Art und Weise wie Neal es tat etwas Hypnotisches an sich. Es kam Joel zugute, dass er sich selbst dabei ertappte, ehe Neal seinen etwas festgefahrenen Blick bemerken konnte und kurz - nur kurz - zweifelte er daran, ob es wirklich solch eine kluge Idee war, seinem Gegenüber einen Platz auf Lebenszeit innerhalb ihrer Reihen anzubieten. 

Doch dieser Moment zog vorbei und als sich Neal mit verschränkten Armen an den provisorischen Schreibtisch lehnte, auf dem sich zahlreiche Karten, ältere Dokumente und Inventarlisten stapelten, nahm Joel Haltung an, auch wenn er sich dafür auf sein Feldbett sinken ließ und die Hände vor seinen Knien faltete. So signalisierte er seinem Gegenüber, dass er bereit war zuzuhören.

»Das Angebot weiß ich sehr zu schätzen und vermutlich wäre ich wirklich wahnsinnig, würde ich es nicht annehmen, aber - nein. Das ist nicht der Grund, warum ich mit dir reden will.«

Joel wusste bereits, worauf das hier hinauslaufen konnte und in seinem Magen bildete sich ein Knoten. »Worüber dann?«

»Warum zögerst du mit der Beschaffung neuer Vorräte? Die Anderen sind nicht dumm, weißt du? Sie sehen, dass du aussiehst, als würdest du nachts nicht mehr schlafen und natürlich merken sie auch, dass ihre Teller nicht mehr so voll sind wie vorher. Douglas sprach davon, dass ihm die Antibiotika, mit denen er Adam und sich vorsorglich noch versorgt, zur Neige gehen. Ich will dir nicht zu nahe treten, denn ich bin der Neue hier und beobachte nur, aber ... ich frage mich auch, warum ... nun ja ...«
 

Der Knoten in Joels Magen wurde zu einem Geschwür, das wütend pochte. Es war besser für den Anderen, dass er den Satz nicht beendete. Der Blonde schnaubte leise und erhob sich mit Schwung von dem Feldbett, um dann unruhig in der Hütte auf und ab zu gehen. Neal wich instinktiv etwas zurück und ließ den ruhelosen Geist nicht aus den Augen, denn ja - Joel sah aus wie ein lebendiges Gespenst. Er war blass und hatte tiefe Ringe unter seinen geröteten Augen. Das Entsetzen, das den Anführer des Camps erfasst hatte, nachdem er am Morgen seit längerem mal wieder in einen Spiegel geblickt hatte, saß ihm noch immer im Nacken. Diese ganze Angelegenheit machte ihm seit Tagen schwer zu schaffen, denn die Lösung war bei weitem nicht so einfach, wie sie es sich alle vorstellten und gerade Tali, Dave und Malia sollten es besser wissen. Joel schloss kurz die Augen und ermahnte sich selbst, weil er ihnen gerade - wenn auch nur in Gedanken - sehr unrecht getan hatte. Sie wussten es besser, was vermutlich der Grund dafür war, dass von den Dreien noch keiner an ihn herangetreten war, obwohl sie sich nahestanden. 
 

Joel blieb stehen und fuhr sich mit beiden Händen über das leicht eingefallene Gesicht, ehe er sich zu Neal umdrehte und die Lippen aufeinanderpresste. Dem neuen Mitglied war anzusehen, dass er gespannt auf die Antwort war. Joel ... rang nur noch nach den richtigen Worten. Er wollte Neal keinesfalls verschrecken. 

»Wo soll ich anfangen?«, fragte er schließlich etwas hilflos und deutete in Richtung des Schreibtisches. »Es ist wahr. Wir haben alle Vorräte aus den umliegenden, größeren Ortschaften geholt. Wir sind jetzt vierzehn Leute. So viel wir auch beschaffen können - es reicht immer nur für wenige Wochen und so vergrößern wir unseren Radius immer weiter. Aber ... es gibt nichts mehr. Wir sind bei weitem nicht die Einzigen, die nach Lebensmitteln und Medizin suchen. Wanderer, die nirgendwo lange bleiben, grasen schließlich auch alles ab.«

»Es ist mir klar. Ich habe monatelang selbst so gelebt. Man ist da draußen nie allein.«

»Austin.«

Joel sagte nur dieses eine Wort und er erkannte, dass Neal verstand, was er damit sagen wollte, denn die fein geschwungenen Augenbrauen hoben sich kurz überrascht, dann aber entspannte sich der Kerl wieder, als wäre er zufrieden damit, dass Joel von selbst auf den Gedanken gekommen war, eine Großstadt aufzusuchen. Die Hauptstadt von Texas wohl bemerkt. 

Das Geschwür breitete sich aus ...

»Das wäre mein Vorschlag gewesen.« Die recht schmalen Schultern hoben sich und Neal lächelte zuversichtlich. »Also ... warum zögerst du?«

»Bist du seit Ausbruch der Seuche schon einmal in einer Großstadt gewesen? So in den letzten ein, zwei Monaten?«

Das Lächeln auf dem gebräunten Gesicht flaute ab. »Nein.«

Natürlich nicht. Joel schluckte seine Wut hinunter. Allein begab man sich vermutlich noch sehr viel seltener in eine solche, viel zu offensichtliche Gefahr. Woher also sollte Neal es wissen? Joel seufzte verhalten und trat an den Schreibtisch heran, wühlte ein bisschen auf ihm herum, ehe er die Karte von Texas komplett freigelegt hatte und ein wenig zur Seite trat, damit Neal sie gut im Blick hatte. Sie war voll mit Kreuzen, Notizen, eingekreisten Arealen und dergleichen. Auf den ersten Blick konnte man als Außenstehender kaum etwas auf ihr erkennen, deswegen folgten die passenden Erklärungen prompt. Joel wanderte mit dem Zeigefinger über die vielen Kreuze. Sie alle befanden sich in einem Umkreis von fünfzig bis sechzig Meilen um ihren derzeitigen Standort herum. 

»Jedes Kreuz steht für eine Stadt, in der wir die letzten Vorräte gefunden haben. Wir haben sie mehrere Male abgesucht, aber erfolglos. Selbst in Privatwohnungen und Büros haben wir nichts mehr entdeckt.«

Neal nickte verstehend und tippte dann auf die beiden Punkte, die rot eingekreist waren. »New Braunfels und Victoria ... dort habt ihr die Außenposten der Richter entdeckt, nicht wahr?«

Austin war die nächste Großstadt, die in einem grünen Kreis ruhte, ebenso wie die weiter nördlich gelegenen Metropolen Fort Worth, Arlington, Irving und Dallas. 

»Die, die wir entdeckt haben, ja«, stimmte Joel zu, ehe er auf Austin tippte. »Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie auch dort einen Außenposten errichtet haben. Austin ist die viertgrößte Stadt Texas‘. Die Hauptstadt. Vielleicht eine weitere ihrer Festungen. Aber das ist nicht einmal die größte Gefahr. Es sind die Horden.«

Wieder presste der Anführer des Enchanted Rock Areals die Lippen aufeinander. Es fiel ihm viel zu schwer, über ihre Verluste zu sprechen, aber sie waren eng mit der Aussicht auf einen Großstadtbesuch verwoben. »Wir sind in San Antonio gewesen. Das ist etwa drei Monate her. Dort haben wir die letzten Vorräte gefunden, von denen wir jetzt noch leben. Aber ... der Preis für sie war hoch. Wir ... wir sind überrascht worden.«

»Von einer Horde?« 

»Kannst du dir das so schwer vorstellen?« Joel beobachtete Neal ganz genau. Hinter der hohen Stirn arbeitete es ganz offensichtlich, aber eine Antwort ließ auf sich warten. Vermutlich sagte das schon sehr viel darüber aus, welche Welt Neal auf seiner Reise kennengelernt hatte und wie sehr sie sich von jener unterschied, die er und die Anderen hier kannten. Vermutlich spielte das keine allzu große Rolle. »Du hast dich im Schatten bewegt, hast dich von großen Städten ferngehalten. Für einen allein ... und noch ein, zwei weitere ist das kein Problem. Für mehr Menschen reicht es nicht aus, so zu leben. Wir haben fünf Leute in San Antonio verloren. Diese Kranken sind nicht dumm, weißt du? Sie haben nichts mit den Zombies gemeinsam, die man aus alten Filmen oder Büchern kennt. Sie sind völlig unberechenbar.«

Neal sah ertappt drein, strich sich fahrig über die Oberarme, als verursache ihm die Vorstellung eine Gänsehaut. Joel hätte dafür gern ein Lachen übrig, aber er konnte sich beim besten Willen keins abringen. 

»Wir haben eine richtige Goldgrube entdeckt. Die Lagerhalle eines Einkaufszentrums, randvoll mit Konserven, Säcken mit Getreide, Hirse und getrockneten Bohnen. Kästen voller Wasser. Viele praktische Dinge wie Seile, Messer ...«

»Was ... ist passiert?«

»Infizierte haben uns in der Halle eingesperrt und sind über das Dach reingekommen. Sie empfanden uns als Bedrohung. Ich habe solche Aggressivität noch nie erlebt. Sie hatten Messer, Beile und Baseballschläger. Manche von ihnen waren schon in einem so fortgeschrittenen Stadium, dass sie nur noch um sich gekratzt und gebissen haben. Drei unserer Leute sind dort erschlagen worden. Die anderen beiden wurden gebissen. Wir haben sie hierher gebracht, in Quarantäne gesteckt und ... gewartet. Ich ... ich musste sie ...«

Joels Stimme brach ab. Er begann zu zittern und rang um Selbstbeherrschung, aber es war lange her, dass er darüber gesprochen hatte und sein Körper war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen. Dieses Mal war es Neal, der ihn berührte. Sanft strichen die feingliedrigen Finger, die so wunderbar mit den empfindlichen Saiten einer Gitarre umgehen konnte, über seine Schulter und seinen Arm. 

»Joel ... das wusste ich nicht. Es tut mir leid.«

Der Größere konnte nur unbeholfen nicken. Dieser Kontakt irritierte ihn, lenkte ihn aber auch von einem größeren Nervenzusammenbruch ab, was gut war, denn nach ihrer etablierten Mittagspause würde er mit dem Rest der Truppe sprechen und die Fronten klären müssen. Er wusste nur noch nicht, ob sie wirklich nach Austin fahren sollten oder nicht. Diese Entscheidung konnte ihm keiner abnehmen. Joel schluckte, schloss für ein paar Sekunden seine Augen und zählte innerlich bis zehn, ehe er sie wieder öffnete und tief ein- und ausatmete. Danach fühlte er sich wieder etwas gefasster.

»Austin ist unsere einzige Chance, um noch Vorräte zu finden, aber es sprechen so viele Dinge dagegen«, fuhr Joel fort und ließ sich wieder auf seinem Feldbett nieder. »Ich ... weiß nicht, was ich tun soll. Ich will die Anderen nicht in Gefahr bringen und ich will den Rest der Truppe, der hierbleibt, nicht so lange allein lassen. Die Richter sind auf dem Weg. Was, wenn sie uns genau dann überrennen, wenn unsere Runner in Austin sind?«
 

Die Runner - Tali, Dave und er. Vor dem Zwischenfall in San Antonio waren sie sieben gewesen - Dave ausgeschlossen. Der war er mit eingestiegen, als sich gezeigt hatte, dass zwei Läufer nicht ausreichten, um ein ganzes Lager zu versorgen. Vorher war er zusammen mit seiner jüngeren Schwester hiergeblieben und hatte die Kommunikation zwischen den einzelnen Teammitgliedern am Laufen gehalten. Mittlerweile war Malia allein für den Funkkontakt zuständig, der nur funktionierte, wenn sie sich nicht mehr als fünfzig Meilen von ihrem Lager entfernten, und Joel musste sich darauf verlassen, dass Ian, Dr. Cameron, seine Eltern und James sie im Ernstfall verteidigen konnten. Doch Austin war gut achtzig Meilen entfernt von ihrem Standort. Luftlinie. Da sie die größtenteils stark zerstörten Straßen nur bedingt benutzen konnten, verlängerte sich die Strecke auf etwa hundert Meilen. Sie würden mehr als zwei Tage unterwegs sein. Bei der Größe der abzusuchenden Fläche vermutlich sogar deutlich länger. Nein - in ihm sträubte sich alles dagegen. 
 

Neals Stimme unterbrach seine inneren Kriege. Leise, aber entschlossen. »Du darfst nicht nur die schlechten Dinge sehen, die passieren könnten. Ihr könntet Vorräte finden. Ihr könntet andere Überlebende aufspüren und sie herbringen, um eure Feuerkraft zu vergrößern. Ihr habt mich schließlich auch aufgenommen und ich helfe gern, wenn es bedeutet, dass ihr alle noch etwas länger leben könnt, weißt du?«

Joel blinzelte, dann drehte er den Kopf und beobachtete, wie Neal sich vom Schreibtisch entfernte und neben ihm auf das Bett sank. Es war nicht so, dass er an diese positiven Aspekte einer solchen Tour nicht auch selbst gedacht hatte, aber die negativen wogen einfach schwerer. 

»Ich weiß das. Das alles. Ich bin nicht dumm, Neal. Aber wie soll ich das entscheiden? Wie? Ich kann nicht für die Anderen sprechen.«

»Dann frag sie. Lass sie über eure Zukunft abstimmen. Ich nehme an, dass nicht nur Tali und Dave von den Opfern in San Antonio wissen.«

Joel schüttelte den Kopf. »Natürlich wissen alle davon. Wir haben sie begraben. Die beiden, die ich erschossen habe. Für die anderen Drei haben wir nur Kreuze aufgestellt. Wir konnten sie nicht hierher bringen.«

»Ich habe es mir fast gedacht.« Neal seufzte hörbar. Er sah wieder in die Richtung des Schreibtisches und Joel musterte stattdessen das Profil, das sich ihm zeigte. Die feine, gerade Nase, die langen Haare, die sich nun nicht mehr ganz so struppig über Neals Schultern wellten. Alte Tätowierungen waren auf beiden Unterarmen zu sehen und verloren sich an den Oberarmen unter dem dunkelgrünen Shirt, das Neal von Dave bekommen hatte, weil er keinerlei andere Sachen besaß, als die, die er bei seiner Ankunft hier getragen hatte. Der Andere ... war schön.

Welch absurder Gedanke ...

Joel schloss flüchtig die Augen, holte tief Luft und hasste sich selbst ein wenig dafür, dass er für einen Moment lang völlig darüber hinweggesehen hatte, dass Neal seine Frau und sein Kind verloren hatte. Er war ein furchtbarer Mensch und als ein solcher sollte er sich in der Tat nicht herausnehmen, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen. 

»Ich spreche dann mit ihnen. Wir sollten das gemeinsam entscheiden. Vermutlich wäre es auch sinnvoller, wenn ich nur einen mitnehme oder zwei, und der Rest hier weiter die Stellung hält. Es geht nur um Vorräte und sollten wir - wie du sagst - Überlebende antreffen, dann brauchen wir den Platz im Wagen, um sie mitzunehmen.«

»Ein guter Gedanke. Und ihr würdet auch weniger Aufsehen erregen, sollte sich Austin als eine Richterfestung entpuppen. Rein, nach Nahrungsmittel und Wasser suchen, mögliche Überlebende einsammeln, raus.« Neal schmunzelte leise und erhob sich, um dann nach seinem Halstuch und dem Mantel zu greifen. »Und jetzt schlaf ein paar Stunden. Du hast das wirklich bitter nötig.«

 

 
 

-
 

 
 

Es dämmerte schon, als Joel von diesen paar Stunden Schlaf wieder erwachte. Völlig orientierungslos blickte er sich in seiner dunklen Hütte um und wusste nicht sofort, was passiert war. Er hatte tatsächlich geschlafen? Als er sich aufsetzte und sich die verschwitzten Haare zurückstrich, erinnerte er sich vage an die Unterhaltung mit Neal. Und an das Gespräch, das ihm noch bevorstand. Die Welt drehte sich ein wenig zu schnell, als er hastig aufstand. Mit einem Leben an der Grenze zur Dehydrierung waren das keine seltenen Phänomene. Eine angefangene Wasserflasche stand neben seinem Bett. Der Inhalt war warm, aber das war unwichtig. Joel genehmigte sich einen großen Schluck und verschloss sie wieder. 
 

Draußen war niemand zu sehen. Nur der alte James saß oben im Turm und spielte mit dem Verschluss seines leeren Flachmanns, während sein Blick in der Ferne festhing. Viel sprach dieser Mann nicht, aber wenn er es tat, dann hingen nicht nur die Anderen gebannt an seinen Lippen. Auch Joel ertappte sich immer wieder dabei, wie er gebannt den alten Geschichten lauschte. Geschichten aus Zeiten, die einfacher gewesen waren als die, in denen sie jetzt lebten. Zwar hatten Kriege ihre Schatten geworfen und manche Länder hatten natürlich schlechter dagestanden als andere, aber gegenwärtig schien es überall auf der Welt nur noch um das reine Überleben zu gehen. Der Kampf gegen die Naturgewalten. Der Kampf gegen eine Seuche, für die es kein Heilmittel gab. Der Kampf gegen boshafte und egoistische Menschen, die ihr eigenes Leben über das vieler anderer stellten. 

Im Grunde hat sich nicht einmal viel geändert, stellte Joel für sich selbst fest, als er den Blick vom Turm abwandte und den leisen Klängen von Neals Gitarre folgte. Den Strom, den sie produzierten, verschwendeten sie nicht für das Anschalten eines CD-Spielers oder um einen Film auf einem der tragbaren Player zu schauen, die schnell aufgeladen waren, wenn man sie einmal ans Netz hing. Jemanden bei sich zu haben, der Musik machen konnte, war eine willkommene Abwechslung und Joel ertappte sich selbst dabei, wie er ein, zwei Minuten vor dem Hauptzelt stehenblieb, um den Klängen zu lauschen. Sein Erscheinen würde das schöne Spiel unterbrechen. Aber wenn er jetzt zögerte, dann konnte er sich vielleicht kein zweites Mal überwinden. Nicht so schnell jedenfalls. 
 

So leise wie möglich schob er die Plane beiseite und trat ein. Das Szenario, das sich vor ihm auftat, besänftigte sein aufgewühltes Gemüt. Es war schön anzusehen, wie selbst Tali und Ian im Kreis der Zuhörer saßen, während direkt neben ihnen seine Eltern, Sofia, Charles und Dr. Cameron auf einer der Bänke Platz genommen hatten. Ihre Blicke wanderten viel zu schnell zu ihm. Joel versuchte sich an einem tapferen Lächeln und mit den letzten Anschlägen der glänzenden Saiten erhob er die Stimme. 

»Es ist gut, dass alle hier sind. Moment ... fast alle.« Sein blonder Schopf streckte sich noch einmal an die noch immer viel zu heiße, trockene Luft, als er nach James rief und mit seiner Ansprache wartete, bis sich auch der alte Mann zu ihnen gesellt hatte. Es war erstaunlich, dass er in seinem Alter noch so gut die Leiter zum Turm hinauf und hinunter kam und noch immer ein gutes Auge besaß, wenn er durch sein Zielfernrohr etwas anvisierte. Die Musikliebhaber lösten sich langsam auf und suchten sich ebenfalls geeignetere Plätze. Joel wartete ab, bis Neal seine Gitarre zurück in den Koffer gesteckt hatte, ehe er sich neben Tali niederließ, die seltsam erleichtert aussah. 

Sie war es auch, die ihm als Erste zunickte und Joel so darin bestärkte, dass es richtig war, jetzt das Gespräch zu suchen, wo sie doch schon alle so zusammensaßen. Noch konnte er ihre Meinung diesbezüglich nicht teilen, doch sie blieb nicht die Einzige, von der er Zuspruch erfuhr. Sie alle sahen so erwartungsvoll aus. 

Solche Momente waren wie geeignet dafür, sich schnell noch einen Drink zu genehmigen, ehe man theatralisch seine Rede begann. Doch Joel fehlte beides. Der Schnaps und die Theatralik. 
 

Ein paar Schritte trennten ihn von dem Bereich des Zeltes, an dem sonst das Essen ausgegeben wurde. Da sie nur noch ein bisschen Brot hatten, war dieses Mal kein großer Aufwand betrieben worden, um ihn einzudecken. Sie hatten so gut wie möglich gewirtschaftet, doch irgendwann ließ sich keine Brühe der Welt mehr strecken. Schon gar nicht, wenn auch die Wasservorräte kümmerlicher wurden.

Joel lehnte sich an, verschränkte die Arme vor der Brust und holte ein letztes Mal tief Luft, dann fasste er die Fakten zusammen. Die zur Neige gegangenen Vorräte, das Andenken an ihre Gefallenen und dass Austin als nächstgelegene Großstadt die einzige Möglichkeit bot, genügend Vorräte zu finden, um wieder für eine Weile hinzukommen - ähnlich wie es in San Antonio der Fall gewesen war. All die negativen Dinge wählte er bewusst für den Anfang. Doch er hatte Neals Worte nicht vergessen und als er damit endete, dass es durchaus passieren konnte, dass die Richter so weit expandierten, dass sie ihr Lager entdeckten, während ein Teil von ihnen unterwegs war, nahm er mehr Haltung an und widmete jedem der Anwesenden für einen flüchtigen Moment seine Aufmerksamkeit, suchte in ihren Blicken nach etwas, das ihm noch verbliebene Hoffnung zeigte und genug Mut, um das Vorhaben in Angriff zu nehmen. Es waren genug, um ihn zu überzeugen. 

»Wir alle wissen, dass wir die Vorräte brauchen. Und wir wissen, dass immer die Gefahr besteht, entdeckt und überfallen zu werden. Doch wir sind nicht die Einzigen, die ums Überleben kämpfen. Es ist gut möglich, dass wir in Austin auch auf weniger feindlich gesinnte Gruppen treffen, die eine Bereicherung für uns wären und wenn es nur eine Art Handelsabkommen wird. Ich will diesen Ort hier nicht aufgeben. Er ist zu einem Zuhause geworden. Ihr alle seid meine Familie. Ich werde nicht zulassen, dass wir verhungern oder jemandem von uns irgendetwas zustößt. Aber die Reise nach Austin ist etwas, das ich unmöglich allein entscheiden kann. Jeder von euch hat einen eigenen Kopf zum Denken und eine Stimme. Deswegen frage ich euch: Wollen wir dieses Vorhaben auf uns nehmen oder weiterhin in näheren Städten nach Resten suchen? Ihr kennt die Ergebnisse der letzten Touren. Allerdings möchte ich die auch während unserer Reise nicht aufgeben. Schließlich haben wir erst vor ein paar Tagen zwei Menschen gefunden, die überlebt haben.«

Joel lächelte Neal zu und schaute dann zu dem kleinen Adam, der auf Brooks Schoß sah und mit ihrer bunten Holzkette spielte, von denen das Mädchen schon sehr viele angefertigt hatte. Tali und Malia trugen ihre mit einem gewissen Stolz und machten das junge Mädchen damit glücklich.

»Es ist eine schwierige Angelegenheit. Sie könnte Opfer fordern. Ich denke, das ist jedem bewusst. Also ... wie entscheidet ihr euch?«
 

Eine gedankenschwere Stille breitete sich in dem Zelt aus. Ein paar Minuten, in denen ein jeder in sich ging und die Vor- und Nachteile abwägte. Joel musste nichts sagen, als sich eine erste Hand in die Höhe streckte. Die seiner besten Freundin. Malia und Dave schlossen sich Tali direkt an und auch Neal meldete sich, obwohl er verunsicher wirkte. Doch Joel schob es nicht unbedingt auf das Vorhaben, sondern vielmehr darauf, dass sich der Langhaarige vielleicht noch nicht als stimmberechtigtes Mitglied sah. Letztlich enthielten sich nur seine eigenen Eltern ihrer Stimme. Joel hoffte sehr, dass sie nicht gegen die Aktion waren. Gegen die eigenen Verwandten zu agieren, war immer schwer. Hier entschied die Mehrzahl, aber überzeugt war Joel davon nicht. 

»Was ist mit euch?«, fragte er seine Mutter und seinen Vater direkt, als sich die zahlreichen Hände wieder senkten und Laureen immer noch auf ihren Schoß hinuntersah, während Alexander ihn nachdenklich musterte. Seine Mutter hob den Kopf, weil sie direkt erkannte, dass ihr Sohn sie und ihren Mann mit der Frage gemeint hatte, aber obwohl sich ihre Lippen öffneten, sah sie letztlich davon ab, dazu etwas zu sagen. 

Joels Vater war weniger scheu. »Wenn du hierbleibst, ist mir egal, wer die Tour nach Austin macht, aber ich lasse nicht zu, dass du dich wieder so in Gefahr bringst wie in San Antonio.«

Sie hatten es nicht vergessen. 

Joel dachte nur flüchtig daran zurück, wie er den Rest der Gruppe damals aus der Stadt herausbekommen hatte. Eine lange Narbe auf seinem Bauch erinnerte ihn bei jedem Blick in den Spiegel daran. Eine anschließende Infektion hatte ihn an den Rand seiner Existenz gebracht. Mittlerweile war die Wunde verheilt und er spürte sie nur noch, wenn er sich streckte. Auch dafür waren jede Menge Penizillin und Schmerzmittel drauf gegangen. Jeden Tag hatte seine Mutter bei ihm am Bett gesessen, hatte ihm vorgelesen und manchmal gesungen - ganz so wie damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. 

Diese Erinnerungen waren schmerzlich und reichten tief. Joel konnte Verständnis dafür aufbringen, aber einer Sache war er sich verdammt sicher, trotz dem kurzen, schwachen Moment, in denen sein Herz etwas stärker gewesen war als sein Verstand. 

»Ich werde nach Austin fahren. Und ich werde nur zwei Leute mitnehmen, damit genug hier sind, falls irgendetwas schief gehen sollte. Das hoffe ich nicht und wenn ich ehrlich bin, erwarte ich das auch nicht, denn wir haben es bis jetzt geschafft und wenn wir weiter zusammenhalten, dann sehe ich keinen Grund dafür, warum sich das ändern sollte.«

Er stieß sich vom Tisch ab, schenkte seinen Eltern einen letzten Blick und ließ ihn dann über die anderen Anwesenden wandern. »Wer will mich begleiten?«

Es waren die Hände von Tali und Dave, die sich sofort hoben. Und sie waren genau die, von denen Joel erwartet hatte, dass sie hier die Stellung hielten, aber im gleichen Atemzug war ihm klar, dass er sie nicht beide abweisen konnte. Auch Neal meldete sich zaghaft. Ian. Joel seufzte leise und hob die Hand, um sich den Nasenrücken zu massieren.

»Tali ... dich kann ich nicht mitnehmen.«

Er konnte beobachten, wie seiner Freundin alles aus dem Gesicht fiel, während ihre Mundwinkel zuckten und ihr die Frage nach dem Warum regelrecht ins Gesicht geschrieben stand, aber die Erklärung für Joels Entscheidung war nicht nur simpel, sondern auch nachvollziehbar.

»Du kennst die Gegend hier besser als jeder andere. Wenn hier etwas passieren sollte, bist du die Einzige, die einen Weg finden kann, alle in Sicherheit zu bringen, ohne entdeckt zu werden. Das weiß ich, weil du es schon einmal getan hast, erinnerst du dich?«
 

Die Dunkelhäutige antwortete nicht sofort. Sie griff nach einer schwarzen Haarsträhne und zupfte an ihr herum, so wie sie es immer tat, wenn sie nervös war oder sich innerlich über etwas aufregte, aber schließlich nickte sie. Wie alle anderen auch erinnerte sie sich an diesen einen Tag, als der Sandsturm nicht wie sonst direkt über sie hinweg gefegt war, sondern wie er sich zu einem Tornado entwickelt hatte, vor dem auch das Tor sie nicht hatte beschützen können. Das war ziemlich am Anfang gewesen. Tali hatte die damals noch kleinere Gruppe durch die Hügel und Felsen bis zu einer Höhle geführt, die vor dem Wind schützte und gerade groß genug war, um sie alle zu beherbergen. Joel seufzte verhalten. Es war gut, dass Tornados kein solch omnipräsentes Problem mehr waren wie in der Vergangenheit.

Er setzte seine Rede fort. »Ian - du hast deine Tochter hier. Dein Kopf wäre nicht frei. Ich danke dir für deine Meldung, aber ... nein.«

»Warum fragst du dann, wer mitkommen will, wenn du dich längst entschieden hast, wer dich begleiten soll?«

Die Frage war berechtigt und Joel musterte Dr. Cameron, in dessen Gesicht er keinerlei böse Absicht entdeckte. Der pragmatisch veranlagte Mann sprach einfach aus, was ihn störte und das war in Ordnung so. 

»Weil ich niemanden dazu zwingen will. Nach dem, was mit Jeremy, Tom, Dean, Jessica und Matthew passiert ist, kann ich verstehen, wenn keiner das Risiko eingehen will.«

»Und was hättest du getan, hätte sich keiner gemeldet?«

»Dann wäre ich allein gefahren.«

Joel hörte das empörte Räuspern seiner Eltern und sah darüber hinweg, während Dr. Cameron langsam nickte und keine weiteren Fragen stellte. Da auch sonst kein weiterer Einwand mehr kam, nickte der Blonde zufrieden. 

»Also Dave und Neal. Wir haben noch zwei Stunden, bis wir die Straßen nutzen können. Macht euch langsam bereit.«

Tali | Left behind

»Ich kann nicht fassen, dass er das einfach so entschieden hat! Warum macht er so etwas? Was habe ich ihm getan?!«

»Baby ... bleib cool. Es mag egoistisch klingen, aber ich finde es gar nicht so schlimm, dass du hierbleiben sollst.«

»Ich will aber nicht ... verdammt! Wer soll denn auf ihn aufpassen, wenn nicht ich?«

 

Sie war aufgebracht. Das war in letzter Zeit eher selten der Fall gewesen, aber wenn Tali erst einmal ihre Beherrschung verlor, dann richtig. Da konnten sie auch die sanften Worte ihrer Freundin nicht so schnell beruhigen. Sie fühlte sich übergangen und ausgeschlossen. Und Joel war schuld daran. Dabei war er äußerst selten der Auslöser für derlei Wutausbrüche ihrerseits. Bei diesem hier schon. Mit zusammengepressten Lippen drehte sich Tali zu dem Bett um, auf dem sich Malia ausgestreckt hatte. Die junge Frau hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine locker übereinandergeschlagen, und beobachtete sie genau. Sie sah sehr viel verletzlicher aus, als sie geklungen hatte. Weitere Worte blieben Tali im Hals stecken und alles, was sie noch tun konnte, war hilflos ihre Schultern zu heben, ehe sie sich auf die Kante des Feldbettes sinken ließ und sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Malia schaffte es immer, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn sie solch einen Hundeblick aufsetzte und es gab rein gar nichts, was Tali dagegen tun konnte. Sie waren nur in ihrer gemeinsamen Hütte, weil sie sich abreagieren musste und mittlerweile bereute sie das schon wieder.

»Tut mir leid. So ... war das nicht gemeint«, gab sie leise zu, richtete sich etwas auf und streckte die Hand aus, um der jungen Frau neben sich mit den Fingern kleine Kreise auf den Bauch zu malen. Malia folgte der Berührung, legte ihre eigene, kleine Hand auf Talis und lächelte tapfer.

»Schon gut. Du bist eine Amazon. Du gehörst nach draußen, musst dich bewegen und dich beweisen, um dich gut zu fühlen. Es war nicht richtig von mir, mich darüber zu freuen, dass du bleiben sollst, auch ...« Malia hielt kurz inne, streichelte über den dunklen Handrücken, der einen starken Kontrast zu ihrer blassen, mit Sommersprossen überhäuften Haut bildete, und presste die Lippen aufeinander, ehe sie weitersprach. »... auch wenn es eine schreckliche Vorstellung ist, dich so weit weg zu wissen und jeden Tag zu hoffen, dass du auch wieder zurückkommst. Solange ihr in der Nähe unterwegs gewesen seid, war das alles nicht so schlimm. Aber wir werden keinen Funkkontakt halten können. Das ... das gibt der alte Kasten einfach nicht mehr her.«

»Mali ...« Ein sanfter Kosename, den Tali immer nur benutzte, wenn sie allein waren und sich nahekamen - so wie jetzt. »Es ist okay. Ich hätte mir nur gewünscht, dass Joel es mir vorher schon gesagt hätte und nicht erst bei der Versammlung. Das wäre doch das Mindeste gewesen ...«

 

Und bekanntlich suchte der Teufel einen schneller heim, wenn man über ihn sprach. So auch in diesem Moment, als es zaghaft an der Tür klopfte. Tali seufzte, stand auf und ging, um dem Besucher zu öffnen. Sie sah in ein Paar blauer Augen und verzog leicht das Gesicht. »Joel ... was für eine Überraschung. Wir haben eben über dich geredet.«

Sie sah das kurze Zucken in seinem Mundwinkel und den Schalk in seinem Blick. Sie hasste und liebte diesen Mann gleichzeitig. Es tat manchmal einfach nur weh.

»Wenn du damit fertig bist, mich anzuzicken, könnten wir uns dann kurz mal unterhalten? Wir fahren gleich los.«

Tali senkte den Blick und nickte träge, ehe sie zu Malia sah, die sich aber längst erhoben hatte.

»Ich geh mich eben von Dave verabschieden. Passt auf euch auf, Joel.«

Malia gab Tali einen Kuss auf die Wange, umarmte den wesentlich größeren Mann fest und verschwand dann nach draußen, um nach ihrem Bruder zu sehen, während Tali und Joel zurückblieben. Letzterer schloss die Tür hinter ihnen. Die Hütte wurde vom Schein zweier Kerzen erhellt. Ein regelrecht romantisches Setting, bis Joel es unterbrochen hatte. Tali entfernte sich einige Schritte von ihm, ehe sie die Arme vor ihrer Brust verschränkte und seufzte.

»Du bist nicht sonderlich zufrieden mit mir, nicht wahr?«, hörte sie die sanfte, tiefe Stimme in ihrem Rücken und sie schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, um sich zu fangen, ehe sie sich mit Schwung zu ihm umdrehte.

»Bin ich nicht, da hast du recht! Warum hast du mir nicht eher gesagt, dass du gedenkst, mich hierzulassen?! Und überhaupt diese ganze Angelegenheit! Wir alle haben gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir wieder in eine Metropole müssen. Du hast das alles mit dir selbst ausgemacht und das war einfach nicht richtig! Wir sind eine große Familie, Joel. Und dazu gehört auch, dass man miteinander redet und sich nicht nur gegenseitig vor vollendete Tatsachen stellt!«

 

Ihr schlug das Herz bis zur Brust und die letzten Worte waren einem Brüllen schon gar nicht mehr so unähnlich gewesen, doch Joel stand da vor ihr - wie ein Fels in der Brandung - und fing das alles ab, ohne es zu ihr zurück zu schleudern und wie bei jedem Mal, nahm er ihr damit jeden Wind aus den Segeln.

 

»Joel ... was ... was machen wir denn, wenn du nicht zurückkommst?«

 

Etwas, das sie vor Malia nicht geäußert hatte. Die Sorge um den Blonden, für den sie noch immer viel zu viel empfand, obwohl es unmöglich war, dass sie einander nahekamen, machte Malia immer wütend. Und Tali sollte an derlei Dinge auch nicht mehr denken, wo doch ihr kleiner Rotschopf alles versuchte, um ihr zu geben, was sie als leidenschaftliche, temperamentvolle Frau brauchte. Doch schon, dass ihre Gedanken in einem Augenblick wie diesem abermals in diese Richtung abdrifteten, machten sie zu einem schrecklichen Menschen. Tali biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Ich meine ...«

»Ist mir schon klar, was du meinst.« Seine Stimme war viel zu nahe. Nur eine Sekunde später schoben sich raue Hände an ihren Oberarmen hinauf, legten sich um ihre Schultern und zogen sie näher. Er roch nach Leder, Öl und ... viel zu sehr nach sich selbst. Tali schloss ihre Augen, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, legte die Arme fest um seine Taille und rang um ihre Selbstbeherrschung. Joel hielt sie solange, wie es dauerte, diesen Zustand wieder zu erreichen. Er kannte sie zu gut. So heftig ein emotionaler Ausbruch ihrerseits auch war - er dauerte nicht lange an. Und sie war nicht sonderlich nachtragend.

 

Als sie sich voneinander lösten, strichen Joels Hände noch höher, umfassten ihr bebendes Gesicht und seine Lippen berührten sachte ihre Stirn. Tali erschauderte kurz, zog sich dann aber zurück - ihres eigenen Seelenheils zuliebe, ehe sie auf dumme Gedanken kam. Ihr reichte es, dieses eine Mal so vor den Kopf gestoßen worden zu sein, als er sie abgewiesen hatte, weil er schlichtweg nicht auf Frauen stand – rein sexuell gesehen. In solchen Momenten dachte sie immer daran zurück und auch, wenn sie darüber gesprochen und alles geklärt hatte, fühlte sie sich immer noch mies deswegen. Das musste endlich aufhören und vielleicht war es doch nicht so verkehrt, wenn er mal ein paar Tage nicht in ihrer Nähe war.

»Es tut mir leid, dass ich nicht eher mit dir gesprochen habe«, murmelte Joel zerknirscht und lächelte etwas hilflos. »Ich wusste nicht, wie ich nach der Sache in San Antonio darüber reden sollte. Und ich habe es zu lange hinaus gezögert. Ihr alle habt euch Sorgen um mich gemacht und ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Das war sehr egoistisch von mir. Ich ... ich habe mich heute Mittag mit Neal unterhalten und er hat mich darin bestärkt, dass uns keine andere Wahl bleibt, in eine große Stadt zu fahren und nun ja ... danach hat er mich dazu verdonnert, dass ich mich ausruhe und aus diesem Ausruhen wurden ein paar Stunden Schlaf. Es ... tut mir leid.«

Tali murrte etwas in der Sprache ihres Stammes, ehe sie die Augen verdrehte und die Unterlippe etwas vor schob. »Schön! Wenn ich dir sage, dass du verdammt noch einmal schlafen sollst, machst du genau das Gegenteil.«

»Das ... hat sich so etabliert, befürchte ich«, gab er grinsend zu und richtete das Gewehr auf seinem Rücken. »Wann habe ich schon mal getan, was du mir gesagt hast?«

»Oft genug, damit ich die Hoffnung nicht verliere, dass du doch noch irgendwann auf mich hören wirst.« Jetzt wirkte auch ihr eigenes Grinsen nicht mehr so erzwungen. Tali richtete den Kragen seiner Jacke und nickte dabei leicht vor sich hin. »Passt einfach auf euch auf, ja? Wenn ihr nach vier Tagen noch nicht wieder hier seid, folgen wir euch. Nur damit das klar ist.«

»Tali ...«

Sie schüttelte den Kopf und sah ihm entschlossen in die Augen. »Ich meine das ernst, Joel. Ein Tag hin, zwei Tage suchen und finden, ein Tag zurück. Mehr Zeit gebe ich euch nicht.«

Er rang mit sich selbst, das konnte sie sehen. Aber er widersprach ihr nicht.

 

Alle hatten sich um den alten Chevrolet Pick-up versammelt, als Tali mit Joel an ihrer Seite die Hütte verließ. Sie konnte sehen, dass Dave ihre letzten Benzinreserven in den großen Tank schüttete und noch zwei weitere Kanister auf die Ladefläche stellte. Malia wich nicht von seiner Seite und sie konnte die Sorge auf dem Gesicht ihrer Freundin nur zu gut nachvollziehen. Es war das erste Mal, dass Dave so viel weiter weg sein würde, als auf ihren täglichen Touren. Tali selbst sah sicher nicht anders aus.

Neal stand etwas abseits, als Joel von allen Seiten verabschiedet wurde, ebenso wie Malias Bruder. Tali fasste sich ein Herz und trat an den jungen Mann heran. Er trug seinen Gitarrenkoffer nicht mehr bei sich. Nur die Machete und die Schrotflinte ruhten an den für sie vorgesehenen Plätzen, ebenso wie die Tasche an seiner Hüfte, dessen Gurt er gerade richtete. Auf den ersten Blick wirkte er bereit und optimistisch, doch als sie ihn am Arm berührte und er ihr sein Gesicht zuwandte, sah sie auch in seinen Augen einen Anflug von Sorge.

»Alles okay?«, fragte Tali und behielt ihre Hand an seinem Oberarm.

Er schüttelte die Berührung nicht ab. »Klar. Ich ... beobachte nur. Ich hätte nie gedacht, dass es tatsächlich noch solche Gemeinden gibt, die sich lieben und umeinander kümmern. Wenn man solange allein unterwegs ist, verliert man die Hoffnung in so etwas.«

»Bist du deswegen hiergeblieben?«

Neal sah flüchtig ertappt aus, fing sich aber schnell wieder. Sein Gesicht wandte sich wieder der Gruppe zu. »Vielleicht. Oder aus Trägheit. Es hat gut getan, sich hier auszuruhen.«

 

Plötzlich änderte sich etwas in seinem Blick und Tali sah in die gleiche Richtung wie er. Joel stand bei seinen Eltern und während seine Mutter ihn mit Tränen in den Augen umarmte, drehte sich Alexander auf dem Fuße um und ging, ohne auch nur ein Wort mit seinem Sohn zu wechseln oder ihm viel Glück für die Reise zu wünschen. Tali konnte sehen, wie Joels Hand in die Richtung seines Vaters zuckte, sich dann aber wieder senkte und ihre Brust fühlte sich im nächsten Moment an, als hätte sie Sodbrennen. Alexanders Verhalten war respektlos und alles andere als förderlich für Joels Entschlossenheit! Laureen blickte ihrem Mann nach, nickte ihrem Sohn entschuldigend zu und folgte ihm. Joel blieb wie im Regen zurückgelassen stehen und Tali wollte zu ihm eilen, aber Neal hielt sie zurück.

»Tu das nicht. Er hat seine Entscheidung getroffen. Wenn er jetzt noch mehr Input bekommt, wird er nicht fahren und ihr verhungert.«

»Wie pragmatisch«, brummte sie und machte sich von ihm los. »Wehe du passt nicht gut auf ihn auf! Und vor allem auf Dave! Malia würde es nicht überleben, wenn ihm etwas passiert. Er ist alles, was sie noch hat.«

»Ich versuche mein Bestes.« Neals Gesicht wirkte im Fackelschein älter als zuvor, aber die Sorge in seinem Blick war gewichen. Er nickte ihr noch einmal zu, ehe er sich dem Wagen näherte, als Joel gerade einstieg und Dave auf die Ladefläche sprang, um dort Position zu beziehen, damit er die Umgebung besser im Auge behalten konnte. Tali folgte Neal ein Stück, fing Malia dann ein, die unruhig neben dem Chevrolet auf und ab lief und legte den Arm fest um die schmalen Schultern, die so sehr zitterten, dass es ihr einen Stich ins Herz versetzte. Auch in Brooks Augen, die den kleinen Adam auf dem Arm hielt, sah man etwas Glitzern und Tali wischte sich fahrig über die schweren Lider, als es unter ihnen zu brennen begann.

 

Verdammt ...

Es waren doch nur ein paar Tage! Warum fühlte es sich an, wie ein Abschied für immer?

 

Neal stieg neben Joel auf den Beifahrersitz und der Motor sprang an. Flutlicht aus den Scheinwerfern richtete sich auf das Tor und Ian machte sich festen Schrittes auf den Weg, um es zu öffnen. Gähnende Dunkelheit erwartete sie dahinter. Aber vom Boden stieg kein Dampf mehr auf. Es war sogar kalt genug, um Tali frösteln zu lassen, so dass sie ganz froh war, dass Malia etwas ihrer Wärme auf sie selbst übertrug. Ein Beben ging durch den schlanken Körper, als der Wagen anfuhr und vor ihren Augen in der Nacht verschwand. Und mit Malias Schluchzen zog sich auch in Talis Innerem alles zusammen und sie schluckte hilflos.

 

Alles würde gut werden.

Alles musste gut werden.

Neal | On a road to nowhere

Sie wählten eine andere Route, als Neal sie genommen hätte, wäre er am Enchanted Rock vorbei gezogen. Die Straße, die sie befuhren, war in einem katastrophalen Zustand. Die Hitze tagsüber weichte den Asphalt auf, während die Nacht ihn so schnell herunter kühlte, dass er aufplatzte. Sie kamen kaum voran, aber Neal musste zugeben, dass Joel ein guter Fahrer war. Geschickt versuchte er, den meisten Löchern und gefährlichen Auskerbungen auszuweichen, auch wenn es nicht immer gelang. Abgesehen davon war die Fahrt an sich fast ein wenig idyllisch. Das Schweinwerferlicht durchbrach die Finsternis mit seinem blassen Schein und ließ das Gestrüpp hier und da gespenstig anmuten. Keine anderen Lichter, keine Bewegungen - ganz so als wären sie die letzten Menschen auf der Erde. Genau genommen war das gar keine so unrealistische Erkenntnis. Auf solchen Reisen merkte man, wie wenig von ihnen noch übrig waren. Als er noch allein umher gezogen war, war ihm das noch bewusster gewesen. Wie schnell man sich an die Anwesenheit anderer Menschen gewöhnen konnte ...

Neal fürchtete sich davor, zu enge Kontakte zu ihnen zu knüpfen, aber vielleicht war es schon zu spät, um das noch zu verhindern.

 

Diese Fahrt bot ihm eine gute Möglichkeit, um endlich seine Gedanken zu Papier zu bringen. Sein Kopf wurde langsam zu voll. Er hatte seit seiner Ankunft im Enchanted Rock Areal nichts mehr aufgeschrieben, dabei war so viel passiert. Das Licht der Scheinwerfer vor ihnen war ausreichend genug, um die dunkle Schrift auf dem hellbeigen Papier zu erkennen, deswegen griff Neal zu seiner Tasche hinunter, die er im Fußraum abgelegt hatte, und zog aus ihr sein Notizbuch hervor.

Dass er dabei beobachtet wurde, bemerkte er erst, als Joel ihn ansprach. »Was ist das?«

Neal drehte den Kopf und musterte das Profil des Anderen, bis sich ihm das markante Gesicht wieder zuwandte. Er schloss die Tasche, zog einen Stift aus der Seitenlasche auf dem Buchrücken und blätterte bis zu den nächsten leeren Seiten. »Mein Tagebuch.«

Joel gab einen überraschten Laut von sich. »Sowas schreibst du? Wie lange schon?«

»Schon immer. Aber seit Ausbruch der Seuche bin ich nicht mehr jeden Tag dazu gekommen.«

»Jeden Tag?« Joel schien ehrlich überrascht davon. »Dann musst du in den letzten Monaten so einige Bücher gefüllt haben, auch wenn du nicht jeden Tag in sie hineingeschrieben hast.«

»Ein paar.«

»Und die sind alle in der Tasche?«

»Wird das ein Kreuzverhör?«

Neal lauschte Joels Lachen und wollte ihn eigentlich eher danach fragen, wie er sich nun fühlte, da er sich der Unterstützung seiner Eltern nicht wirklich sicher war, aber natürlich wäre es töricht, diese Frage auszusprechen. Dem Blonden stand ein Lachen besser zu Gesicht als eine betrübte Miene. Joel schüttelte den Kopf und fragte nicht weiter nach. Neal schrieb das Datum oben rechts auf die leere Seite und tippte dann mit dem Stift auf das Papier.

»Ich habe die anderen in meinem Gitarrenkoffer. Unter dem Bett für die Gitarre. Man kann es herausnehmen.«

»Wow ...« Joel nickte anerkennend, ehe er schmunzelte. »Das ist wie in diesem einen Film. Verdammt ... wie hieß der gleich? Der mit Antonio Banderas.«

»Desperado?«

»Ja, genau! Der hatte Waffen unter der Gitarre versteckt.«

Neal lachte leise und fing an zu schreiben. »Der Gedanke ist mir auch gekommen, aber es würde zu lange dauern, die Waffen hervorzuholen, wenn ein Angriff kommt. So haben eben die Bücher dort Platz gefunden. Es ist auch nicht so viel, wie es im Film gezeigt wurde. So eine Gitarre nimmt schon etwas mehr Raum ein.«

»Und was schreibst du da auf? Also ... wenn es zu persönlich ist, musst du es natürlich nicht sagen.«

»Was passiert. Was ich fühle. Was ich sehe. Solche Sachen. Und immer mit Datum. Ich will nicht vergessen, in welcher Zeit wir leben. Ich glaube, wenn es soweit kommt und wir uns dahingehend nicht mehr orientieren können, dann können wir es auch gleich sein lassen.«

»Hm ... das stimmt wohl.«

 

Ein plötzliches Scheppern auf dem Dach, das sich drei Mal wiederholte, unterbrach ihre Unterhaltung. Joel bremste den Wagen sanft ab und zog die Handbremse, ehe er den Kopf aus dem Fenster streckte.

»Was ist los, Dave?«

»Kommt mal raus! Das müsst ihr euch ansehen!«

Neal runzelte die Stirn, öffnete aber sofort die Tür und sprang zu Dave auf die Ladefläche. Der sah nicht sonderlich entsetzt aus, was seine Neugier umso mehr steigerte. Der Rothaarige wartete noch auf Joel, ehe er mit seiner sommersprossigen Hand nach vorn zeigte. »Da, seht euch das an!«

Weder Neal, noch Joel erkannten sofort, was ihr Begleiter ihnen zeigen wollte, doch dann sah Neal sie. Eine Herde Pferde bahnte sich ihren Weg über die Hügel. Das fahle Mondlicht ließ Schatten auf ihren Körpern tanzen. Während seiner ganzen Reise war Neal nur wenigen Tieren begegnet und ihn erschreckte es sehr, dass seine erste Assoziation in diesem Moment war, einen dieser Mustangs zu schießen und zu essen. Doch das war nur ein kurzer Anflug. Die Herde hatte auch Fohlen bei sich und das ließ Neal nun doch zufrieden lächeln. Familien. Selbst in der Wildnis existierten sie noch. Manche Wesen ließen sich ähnlich wie sie nicht von der Hitze und den unwirtlichen Umständen kleinkriegen. Das war auf seltsame Art und Weise beruhigend.

»Der Wahnsinn«, stieß auch Joel hervor. »Die genießen die frische Luft!«

»Sieht ganz danach aus«, stimmte Dave zu, der sichtlich stolz auf seine Entdeckung war. »Malia wäre aus dem Häuschen gewesen. Brook und Tali sicher auch.«

»Das ist sehr wahrscheinlich. Nun ... fahren wir weiter. Wir haben noch ein ganzes Stück Weg vor uns. Sollen wir tauschen? Willst du mal fahren?«

Neal sah zu Dave, der Joel mit großen Augen ansah und den Kopf schüttelte. »Ich fahr dir jedes Motorrad, aber einen Wagen? Lieber nicht. Da bin ich nicht so gut, das weißt du und wir wollen ja vorwärtskommen - nicht den Pick-up schrotten.«

»Ich kann fahren«, erklärte Neal und die beiden Männer sahen zu ihm. Joel nickte und Dave rieb sich den durchgeschüttelten Hintern, ehe er von der Ladefläche sprang und sich der Beifahrertür näherte.

»Immer weiter Richtung Osten«, wandte sich Joel an Neal. »Wenn mich nicht alles irrt, müssten wir gleich Johnson City erreichen. Dort müssen wir die Straße wechseln.«

»Keine Sorge. Ich habe deine Karte noch im Kopf.« Es war zu offensichtlich, wie ungern Joel die Kontrolle aus der Hand gab. »Wenn du willst, kannst du auch weiterfahren und ich bleibe hier oben.«

Joel winkte ab und machte es sich bequem. »Ich kann nicht so lange sitzen.«

»Wir sind noch nicht einmal zwei Stunden unterwegs.« Neal hob eine Augenbraue und zuckte schließlich mit den Schultern. Er würde dem Anderen keine Entscheidungen aufzwingen. Dennoch fragte er sich, was es mit diesem Sitzen auf sich hatte. Joel war nicht einmal annäherend so alt, um dahingehend schon irgendwelche Schwierigkeiten haben zu können, aber es gab auch andere Ursachen für solche Dinge und von dem, was Neal so gehört hatte, seit er im Camp angekommen war, konnte es so einige Auslöser für chronische Schmerzen geben. Vielleicht gehörte die Sache in San Antonio dazu.

»Habt ihr Johnson City eigentlich schon abgegrast? Vielleicht müssen wir ja gar nicht bis Austin.«

»Da gibt es nichts mehr zu holen. Du wirst sehen, warum, wenn wir dort sind.«

Eine sporadische Antwort, aber Neal nahm sie hin und sprang von der Ladefläche, um sich anschließend hinter das Lenkrad zu setzen. Er musste den Sitz verstellen. Was hatte Joel bitte für lange Beine? Er startete den Motor und sah zu Dave. Der grinste und griff nach dem Handschuhfach, um es zu öffnen. »Musik gefällig?«

»Musik?«

Da waren tatsächlich Kassetten in dem Fach. Neal konnte sich nicht daran erinnern, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte. Im Zeitalter von CDs und USB Sticks hatten diese veralteten Musikträger schon längst an Bedeutung verloren. Mittlerweile waren sie wohl die Einzigen, die der ständigen Hitze noch standhalten konnten, wenn man sie ab und an mal richtig vor- und zurückspulte.

»Ich glaub es ja nicht.«

Dave zog triumphierend eine Kassette hervor und schob sie in das Deck. Der Chevrolet war schon so alt, dass man gar keine CD abspielen konnte. Da gab es nur das Kassettendeck. Als die vertrauten Klänge von Kirk Hammetts Gitarre erklangen, wenn auch etwas schief und brummig, grinste Neal so breit, wie schon lange nicht mehr. Metallica. Wann hatte er die das letzte Mal gehört? Er drehte die Musik lauter, öffnete das Fenster, damit auch Joel etwas davon hatte und fuhr los. Das Klopfen auf dem Dach sah er einfach als zufriedene Zustimmung an.

Musik hatte die Welt schon immer etwas besser gemacht.

 

 

 
 

-
 

 

 

Neal erkannte sofort, was Joel mit seiner kryptischen Aussage bezüglich des Zustandes von Johnson City gemeint hatte. Die komplette Stadt war eine einzige Ruine. Irgendwann musste ein riesiges Feuer hier gewütet haben und aufgrund des Mangels an Löschmöglichkeiten, war dieser gesamte Ort bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Außer den standhaften Stahlträgern höherer Gebäude, durch deren glaslose Fenster das Mondlicht schien, war alles dem Erdboden gleich gemacht. Zu dem Zeitpunkt hatten vielleicht nicht einmal mehr genug klardenkende Menschen existiert, um überhaupt den Versuch zu unternehmen, das Feuer im Zaum zu halten. Der Anblick versetzte Neal in einen Zustand unschöner Erinnerungen zurück. Er sah seine damalige Hütte vor sich, von der auch nur ein Haufen Asche übrig geblieben war. Und in diesem Haufen Asche ... die Überreste seiner Frau und seiner Tochter.

 

»Als wir das erste Mal hier waren, sah die Stadt schon so aus«, erklärte Dave ihm und machte dafür das Radio aus. »Die Straße ist das Einzige, was noch intakt ist. Jedes Gebäude ist einsturzgefährdet, so dass wir gar nicht erst versucht haben, hier noch irgendetwas zu finden. Das wäre Selbstmord. Nur die Tankstelle etwas außerhalb haben wir geplündert.«

Neal nickte nur, während sein Blick zwischen Front- und Seitenscheiben hin und her wechselte, damit ihm nichts entging. Die Straße war weitestgehend frei. Allerdings kamen sie bei der Kreuzung, die sie in südliche Richtung nehmen mussten, in eine Sackgasse. Ausgebrannte Wagen standen kreuz und quer auf ihr und ließen weder links noch rechts Platz, um sich an ihnen vorbei zu schieben. Neal stoppte den Chevrolet und stieg aus.

»Ich schätze, den Weg müssen wir frei räumen.«

»Im Ernst? Arbeiten?« Neal beobachtete, wie Dave theatralisch die Arme hob, ehe er von Joel einen kumpelhaften Schubs bekam.

»Jammere hier nicht auf hohem Niveau herum! Beweg dich lieber, du Jungspund! Du darfst gar nicht meckern. Komm erst mal in unser Alter, dann reden wir noch mal!«

Dave lachte und sie näherten sich den wirr stehenden Fahrzeugen. Viel Spielraum hatten sie nicht. Drei Wagen mussten sie selbst aus dem Weg schieben. Zwei ineinander verkeilte Schrotthaufen würden sie wohl nur mit Hilfe des Pick-ups bewegen können, auch wenn sich Neal noch nicht vorstellen konnte, dass das funktionierte. Der erste Wagen ließ sich gut bewegen. Während Dave und er von der Motorhaube aus schoben, lenkte Joel ihn in die richtige Position. Für den zweiten hatten sie noch weniger Platz. Mehrere Anläufe waren nötig, um ihn beiseite zu räumen.

 

Das war der Moment, in welchem Neal aus dem Augenwinkel heraus ein Schatten auffiel - ganz in der Nähe ihres stehengelassenen Chevrolets. Er blinzelte ein, zwei Mal, ehe er erkannte, dass es sich nicht nur um einen Schemen handelte - die Dunkelheit tilgte nur sehr viel von den Konturen.

»Da ist jemand an unserem Wagen!«, fluchte er und ließ von dem Fahrzeug ab, welches sie gerade bewegt hatten, um der diffusen Gestalt nachzusetzen, die bei seinem Ausruf sofort flinke Beine bekommen hatte.

»Fuck! Mein Gewehr!«, hörte Neal hinter sich und als er beim Laufen flüchtig auf die Ladefläche des Pick-ups sah, war die Waffe verschwunden. Joel musste sie für den Moment des Aufräumens liegengelassen haben.

Der Blonde zog ohne Mühe an ihm vorbei. Neal folgte ihm so schnell er konnte, drehte sich dann aber doch noch einmal zu Dave um, der noch gar nicht so schnell geschalten hatte wie sie. »Bleib beim Wagen! Wir wissen nicht, wie viele sich hier rumtreiben. Steig ein und verschließ die Türen!«

Dave nickte nur und Neal war nicht wohl bei dem Gedanken, den jungen Mann allein zurückzulassen, aber Joel Hals über Kopf in eine genauso unberechenbare Situation rennen zu lassen, lag ihm auch mehr als fern, hörte er doch noch deutlich Talis Worte in seinem Kopf. Wehe du passt nicht gut auf ihn auf!

Frauen konnten manchmal sehr furchteinflößend sein. Das kannte er von Lana noch viel zu gut.

 

Ihre raschen Schritte waren die einzigen Geräusche in dieser Geisterstadt. Kein Echo. Durch die Ruinen verlor sich jeder Laut im Nichts. Doch das waren nur Randwahrnehmungen. Wen auch immer sie da verfolgten - er war schnell. Viel schneller als sie. Aber das Glück war ihnen hold. Sie lenkten den, den sie verfolgten, in eine Sackgasse. Nur fanden sie ihn zwischen den beiden Gebäuden letztlich nicht mehr, als sie das Ende der Gasse atemlos erreichten, den Blick misstrauisch auf den beiden Häusern links und rechts von ihnen ruhend.

»Wo ist der Typ hin?«, hechelte Joel und stützte sich frustriert auf seinen Oberschenkeln ab. Da waren keine Türen zu sehen, die in die Gebäude führten und auch die Mauer am Ende war zu hoch, um sie einfach überwinden zu können. Blieb nur ...

»Ich schätze, er ist in der Kanalisation verschwunden«, brummte Neal. Der Kanaldeckel war zwar geschlossen, aber der Verfolgte hatte genug Abstand zu ihnen gehabt. Da war sicher noch genug Zeit geblieben, um die freigelegte Öffnung hinter sich wieder zu verschließen. Es war fast eine Schande, dass sie beide so langsam gewesen waren. So konnten sie sich nicht zu hundert Prozent sicher sein, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lagen.

»Verdammt!«, fluchte Joel und begann in seinen Hosentaschen zu suchen, bis er die kleine Taschenlampe fand, die ursprünglich dafür gedacht war, an seinem Gewehr befestigt zu werden. Doch das war ja nun weg.

»Joel ... wir sollten nicht einfach da runter. Wir wissen doch nicht, was uns da erwartet, man ...«

»Vergiss es! Ich gehe nicht ohne meine Betty.«

Betty? Der Kerl wollte ihm nicht erzählen, dass er seinem Gewehr tatsächlich einen Namen gegeben hatte, oder? Neal fand das für eine Sekunde lang so witzig, dass es ihm schwerfiel, ein Lachen zu unterdrücken. Doch die Ernsthaftigkeit der Situation rang diese Belustigung schnell nieder. Das war irre! Aber er war wohl der letzte Mensch auf Erden, der sich deswegen echauffieren durfte. Was er die ganzen Monate so ganz allein hier draußen getrieben hatte, hatten einige im Camp ja auch als den reinen Wahnsinn bezeichnet.

»Joel ...«

»Ich diskutiere nicht mit dir! Bleib halt hier oben, wenn du nicht dort runter willst.«

»Darum geht es nicht!«, verteidigte sich Neal, doch Joel schob schon den Deckel zum Schacht auf und schwang sich auf die schmale Leiter. Was für ein Sturkopf! Neal zögerte, doch welche Wahl hatte er? Er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, den Anderen allein zu lassen, also fluchte er verhalten und folgte ihm in die tiefschwarze Finsternis.

 

Durch das fehlende Wasser war der Geruch der Kanalisation sogar halbwegs erträglich. Dennoch schob sich Neal sein Halstuch über die Nase und folgte Joels Schatten. Der schmale Lichtkegel der Taschenlampe erhellte den Weg nur notdürftig. Es war von Vorteil, dass sich hinter ihrem Rücken eine Wand mit Gitter befand. Es gab also nur eine Richtung, in die der Fremde verschwunden sein konnte. Als Joel das Tempo anzog, fluchte der Langhaarige abermals.

»Könntest du eventuell mal bedenken, dass hier unten alles Mögliche herumkriechen kann, anstatt nur an deine Betty zu denken?«

Joel blieb unmittelbar vor ihm stehen. In der Finsternis wirkte der große Körper bedrohlich und Neal verfluchte den Umstand, dass er wesentlich kleiner geraten war. So konnte er nur ein trotziges Gesicht aufsetzen, um vielleicht mehr Eindruck zu schinden. Nur zeigte sich der Ex-Soldat nicht sonderlich beeindruckt davon.

»Stell dir einfach vor, als wäre deine Gitarre!«, wurde ihm entgegen gezischt und Neals Augenlid zuckte nervös.

»Dann würde ich auch nicht wie ein ...!«

 

Es war ein Schuss, der ihren kleinen Disput jäh unterbrach. Joel zuckte so sehr zusammen, dass er Neal entgegen stolperte. Der brachte den anderen mit einer fahrigen Geste auf Distanz und starrte in den Tunnel.

»Was tut der Kerl da?«

Der Lichtkegel wanderte wieder in den Tunnel zurück und so auch ihre hastigen Schritte. Jetzt spielte es keine Rolle mehr, was sie hier unten erwarten konnte. Dass da etwas war, war nun Gewissheit und vermutlich dachten sie gerade beide dasselbe. Der Kerl mochte Joels Gewehr gestohlen haben, aber nun schien er in Schwierigkeiten zu stecken und weder der Blonde noch Neal selbst waren Unmenschen. Noch während sie rannten, erklang ein weiterer Schuss ganz in der Nähe. Erst eine Gabelung ließ sie innehalten.

»Welche Richtung?«, fluchte Joel, der wie ein Tiger zwischen beiden Möglichkeiten hin und her hetzte.

»Trennen wir uns!«, schlug Neal vor und bog in die linke Abzweigung ein, während Joel wetternd die andere nahm. Mit feucht gewordenen Fingern tastete der Langhaarige seine Hosentaschen ab. Irgendwo war da noch ein Feuerzeug, das er benutzen konnte, um wenigstens ein bisschen was zu sehen. Er musste kurz anhalten, um auch die unteren Taschen seiner Hose abzusuchen, wo er das Sturmfeuerzeug letztendlich fand. Er brauchte drei Anläufe, um es anzubekommen, doch der rötliche Schein danach entschädigte ihn für die Versuche. Das Licht war beruhigend. Nun wieder langsamer laufend tastete er sich an der Kanalwand entlang, während er gleichzeitig lauschte. Er nahm an, dass Joel rufen würde, wenn er etwas entdeckt hatte. Die Schüsse wiederholten sich nicht noch einmal. Er wusste nicht, was der Geflohene hier unten gefunden hatte, aber es schien vorbei zu sein. Für den Jungen oder für das, was er getötet hatte. Die Aussicht auf Letzteres gefiel Neal um einiges besser, aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit dafür?

Minuten vergingen, ohne dass er etwas Auffälliges entdeckte. Joel rief nicht und so langsam keimte in Neal der Gedanke, dem Sturkopf könnte etwas passiert sein. Ein dumpfes Gefühl braute sich in seiner Magengegend zusammen. Joel sollte die Handfeuerwaffe noch bei sich tragen, die Neal an ihm gesehen hatte, als er Tali und ihn am Drive In eingesammelt hatte, aber sicher sein konnte er sich nicht.

Sollte er umdrehen?

 

Als ihm die Frage in den Sinn kam, meinte er vor sich eine Bewegung wahrzunehmen und sein Körper erstarrte. Nur sein Arm samt dem Feuerzeug streckte sich weiter nach vorn. Erst dann hörte er auch leise Schritte. Nicht schnell, sondern beherrscht. Hastig wechselte das Feuerzeug die Hand und er zog die Schrotflinte aus der Halterung, die er hörbar entsicherte.

»Bleib stehen!«, forderte er, als er die Mündung in die Dunkelheit richtete. Zwei Atemzüge später tauchte ein Schemen im flackernden Schein des Feuerzeugs auf und stoppte seine Schritte ab. Dreckige Chucks, eine dunkle Jeans und ein relativ helles, sehr fleckiges Oberteil. Parallel zu den Beinen ein Baseballschläger aus Aluminium ... und auf der anderen Seite Joels Gewehr. Neal schluckte und trat noch einen Schritt näher, um auch das Gesicht seines Gegenübers sehen zu können. Es schien sich tatsächlich um einen jungen Mann zu handeln, dessen untere Gesichtshälfte unter dunklem Stoff verborgen war. Ehe Neal irgendetwas sagen konnte, hob der Junge die Hand mit Joels Gewehr und hielt es ihm entgegen. Neal blinzelte misstrauisch, drehte dann leicht den Kopf und brüllte Joels Namen in der Hoffnung, dass der Andere sich noch nicht zu weit entfernt hatte.

»Du gibst mir die Waffe zurück?«, fragte er die Gestalt vor sich, als das erledigt war und wagte nicht einmal zu blinzeln, um den Fokus nicht zu verlieren.

Das verborgene Gesicht bewegte sich auf und ab, ohne dass ein Ton über die Lippen des Fremden kam. Neal war nicht überzeugt und da er das Licht des Feuers nicht aufgeben wollte, senkte er die Schrotflinte und schob sie langsam in die Halterung zurück, ehe er sich der Gestalt achtsam näherte. Er konnte sonst nichts in dem Gang erkennen, aber das bedeutete nicht, dass da nichts war. Seine Hand verharrte nahe am Griff seiner Waffe, bis er dem Jungen so nahe war, dass er das Gewehr erreichen konnte. Rasch nahm er es an sich und trat wieder ein paar Schritte zurück. Da hörte er auch schon Geräusche aus dem Gang hinter sich. Joels Stiefel, dazu der Schein der kleinen Taschenlampe. Der Aufgebrachte zögerte auch nicht lange, sondern riss Neal das Gewehr aus der Hand, ersetzte es mit seiner Taschenlampe und richtete es auf den Fremden, kaum dass er sie beide erreicht hatte.

»Was sollte der Mist?«, fragte er laut genug, dass der Schall die Worte noch einige Gänge weiter trug. Neal richtete den Strahl der Lampe auf den Jungen, der träge die Hände hob. Er zog sich das Tuch vom Gesicht und wirkte deutlich jünger als gedacht. Der Baseballschläger begann zwischen Daumen und kleinem Finger der anderen Hand zu baumeln. Blinzelnd bemerkte Neal nun auch die Armbrust, die über dem Rücken der schlanken Gestalt hing. Die war vorher noch nicht da gewesen, da war er sich sicher. Oder er hatte sie in dem rötlichen Schein des Feuerzeugs nicht wahrgenommen.

»Jetzt antworte schon!«, fuhr Joel fort und der Finger zuckte so nervös am Abzug, dass Neal befürchtete, dass die Geduldspanne seines Begleiters für keine weitere Sekunde reichen würde.

»Jetzt beruhige dich mal! Er hat mir die Waffe bereitwillig wieder ausgehändigt. Er denke, er hatte keine krummen Pläne mit ihr.«

»Ist mir vollkommen egal. Rede endlich!«

Der Junge setzte ein schmerzliches Gesicht auf, ohne die Lippen zu öffnen. Dann ließ er die freie Hand sinken und hob den Zeigefinger. Ein Zeichen. Wofür? Neal dämmerte langsam, was das Problem war und als ein kleiner Notizblock aus der Tasche des Hoodies gezogen wurde, wurde dieser Gedanke eine Gewissheit.

»Kannst du nicht reden?«

Ein erleichtertes Lächeln erschien auf den ausgelaugten Gesichtszügen, als der nicht sonderlich große Junge den Kopf schüttelte. Das war hart. In einer Welt zu leben, in der man kaum noch jemandem trauen konnte und dann nicht imstande zu sein, sich denen, die man auf seinem Weg traf, irgendwie mitzuteilen. Der Junge ließ auch den Baseballschläger sinken, lehnte ihn an seinen Oberschenkel und zog einen abgenutzten Bleistift aus seiner Hosentasche, um flüchtig etwas auf das Papier zu schreiben. Als er fertig war, hielt er Neal den Block entgegen und er machte die paar Schritte, um ihn an sich zu nehmen.

 

Sorry. Wollte keinen Ärger machen. Kranke hatten meine Waffen. Hab sie nur zurückgeholt. Hatte vorher keine andere Möglichkeit.

 

Laut las Neal die Worte vor und hoffte darauf, dass sie Joel etwas besänftigen würden. Falsch gedacht.

»Das entschuldigt nicht, dass du dir einfach das Gewehr genommen hast! Wir hätten dir geholfen, hättest du gefragt.«

Neal reichte dem Jungen den Block zurück und wieder kritzelte der hastig ein paar Worte.

 

Kann keinem trauen. Hab nicht überlegt. Tut mir leid. Wer seid ihr? Ich bin Jack.

 

»Ich heiße Neal und das hier ist Joel. Bist du allein hier?«

Der Junge nickte und Neal gab den Block zurück, ehe er zu Joel sah und den Lauf des Gewehres nach unten drückte. »Jetzt lass es gut sein! Wir sollten zurück. Du hast deine Betty wieder, also los!«

Jack gab ein seltsames Geräusch von sich, das wie ein Lachen klang. Joels Arme zuckten schon wieder. »Mach dich ja nicht lustig über den Namen!«

Die mit fingerlosen Handschuhen versehenen Hände hoben sich kurz. Neal winkte ab und strich sich durch die langen Haare. »Was machen wir jetzt mit ihm? Wir können ihn hier nicht allein lassen, meinst du nicht?«

»Ihn mitnehmen? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Bei so klebrigen Fingern haben wir bei der nächsten Rast vermutlich nicht mal mehr Unterhosen an. Das Arschloch nehm ich auf keinen Fall mit!«

»Ich hatte ja keine Ahnung, wie schrecklich charmant du sein kannst«, brummte Neal abfällig, doch er wandte den Blick ab, als er abermals hörte, wie der Stift über das Papier huschte. Es reichte ein Blick, um zu sehen, was Jack da geschrieben hatte. Wo sie hinfuhren, wollte er wissen.

»Austin. Vorräte beschaffen. Joel hier ist der Anführer eines Camps in der Nähe von Fredericksburg.«

Die Überraschung auf Jacks Gesicht war echt, dann schüttelte er vehement den Kopf und Neal meinte, dass seine Hand zitterte, als er abermals auf den Block schrieb. Die krakelige Schrift ließ sich kaum mehr entziffern. 

 

Dort ist es nicht sicher. Bin von dort geflohen. Zu viele Kranke. Zu viele Kämpfe.

 

Neal runzelte nach dem Vorlesen die Stirn und sah zu Joel. »Das klingt nicht gut.«

»Was meinst du damit?«, hakte Joel nach. Er wirkte nicht überzeugt von den Worten, war aber neugierig genug, um ihnen auf den Grund zu gehen. Jack gestikulierte hilflos und biss sich dabei auf die Unterlippe. Dass er so viel erklären musste, hatte der Junge wohl nicht erwartet. Wieder schrieb er.

 

Männer auf Motorrädern. Der Untergrund kämpft noch verbittert. Ist nur eine Frage der Zeit, bis sie verlieren.

 

Joel gab einen gequälten Laut von sich und Neal spürte selbst, wie eine eisige Kälte von seinem Körper Besitz ergriff. So weit waren die Richter schon vorgedrungen? Das, was sie bereits befürchtet hatten, war also eingetreten. Sie versuchten, auch Austin als Außenposten zu gewinnen und wenn ihnen das gelang, dann waren alle Vorräte und Aussichten auf die Aufrechterhaltung des Camps samt seinen Bewohnern dahin.

»Das darf doch nicht wahr sein!« Joel schnaubte entsetzt und war wohl nahe dran, seine geliebte Betty wegzuwerfen, ehe er sich eines Besseren belehrte. Eine Reaktion, die Neal nachempfinden konnte. Er presste die Lippen aufeinander und überlegte fieberhaft.

»Wie lange ist das her?«, fragte er Jack schließlich, der als Antwort drei Finger in die Luft streckte. »Drei Monate?« Der Junge schüttelte den Kopf. »Drei Wochen?« Ein Nicken.

Drei Wochen waren ein langer Zeitraum, aber immer noch besser als drei Monate. Neal schüttelte den Kopf. Sie konnten nicht umkehren und ohne Vorräte wiederkommen. Entweder sie zogen das jetzt durch oder die Anderen waren am Ende - sie eingeschlossen.

Joel schien das ähnlich zu sehen, denn mit seinen nächsten Worten sprach er Neals Gedanken aus, als hätte er sie direkt aus seinem Kopf gepickt. »Wir können nicht zurück. Wir müssen weiter. Wir können unsere Leute nicht im Stich lassen. Wenigstens wissen wir jetzt, was uns dort erwartet und springen nicht ins kalte Wasser. Wie viele Leute sind dort in diesem Untergrund?«

Jack schrieb eine Zahl auf seinen Block und hielt ihn in die Höhe. 245. Das waren eine Menge. Doch da wurde noch mehr geschrieben. Und als Jack ihnen das zeigte, hatten sich Schatten auf seinem Gesicht ausgebreitet.

 

So viele waren wir, als ich gegangen bin. Jetzt sind es bestimmt weniger.

 

»Warum bist du überhaupt gegangen? Warum sind nicht noch mehr geflohen?«

Jack schüttelte den Kopf und steckte das kleine Notizbuch ein. Das war wohl das Zeichen dafür, dass er darüber nicht reden wollte. Neal sollte es egal sein. Der Junge hatte mit Sicherheit seine Gründe dafür. Und die hatten sie auch. Sie mussten zu Dave zurück. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie den Anderen so lange dort oben allein ließen.

»Ist jetzt auch egal. Wir müssen los! Komm mit oder bleib hier! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren«, warf Joel ein und abermals empfand es Neal als eher seltsam, dass sie die gleichen Gedankengänge teilten, aber vermutlich war das in dieser Situation nichts Ungewöhnliches. Der Größere drehte sich auf dem Fuß um und lief den Gang zurück. Da Neal den Anschluss nicht verlieren wollte, warf er Jack noch einen flüchtigen Blick zu, ehe er Joel folgte.

 

 

 
 

-
 

 

 

Sie hätten sich nicht noch mehr Zeit lassen dürfen. Neal schnürte es die Kehle zu, als sie ihren Pick-up nach einer kleinen Odyssee - weil sich weder Joel noch er den Weg gemerkt hatten, den sie gekommen waren - endlich erreichten und ihn umringt von schwarzen Gestalten vorfanden. Die Ladefläche wackelte hin und her und er konnte hören, wie Joel ohne zu zögern seine Waffe entsicherte und anlegte. Zwei Schüsse konnte er abfeuern und traf zwei der verbrannten Irren in die Köpfe. Dann musste er nachladen und tat das fluchend. Neal huschte an ihm vorbei, zog die Schrotflinte und wollte eigentlich keine Munition verschwenden, aber das Geschehen vor seinen Augen ließ sich nicht anders auflösen. Als er nahe genug an der Menge war, entließ er einen ersten Schuss und brachte drei von ihnen so sehr aus dem Takt, dass er die Machete ziehen und sie tanzen lassen konnte. Zwei Schädel rollten. Den dritten Kranken rammte er und zertrümmerte dessen Schädel mit seinem Stiefel, als der Körper fiel. Man konnte nicht einmal mehr erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, so verbrannt war der Leib ... und so entstellt. Weitere Schüsse erklangen. Und in dem Moment, als Neal für einen kurzen Moment unachtsam war, surrte etwas anderes an ihm vorbei.

Ein Pfeil.

Ein Kranker neben ihm, der schon seine verbrannten Finger nach ihm ausgestreckt hatte, ging lautlos zu Boden und Neal drehte den Kopf, nur um zu erkennen, dass Jack neben Joel aufgetaucht war und ebenfalls zielte. Er hatte seine Entscheidung also getroffen. Darüber würde er sich später freuen. Die Tür zur Fahrerseite des Chevrolets war frei. Er riss sie auf.

»Alles okay?«, rief er Dave zu.

Dem stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. »Ja ... ja, ich glaube schon. Da war erst einer, der aus einem der Wagen geklettert ist, als ich den wegschieben wollte. Ich habe ihn erschossen und plötzlich ... waren da noch mehr.«

Neal schnaubte leise. Er hatte Dave doch gesagt, dass er im Inneren des Chevrolet bleiben sollte, aber im Moment machte es keinen Sinn, ihm das an den Kopf zu werfen. »Schon gut. Sehen wir zu, dass wir von hier verschwinden. Joel! Jack! Rauf auf den Wagen!«

Er selbst ließ sich hinter das Steuer sinken, startete den Motor und hörte, wie die beiden anderen Männer auf die Ladefläche sprangen und sich festhielten, während er nun das letzte Hindernis ansteuerte. Zwei der Kranken klemmte er zwischen dem Kühler des Pick-ups und den verkeilten Wagen ein. Sie kreischten und wirbelte mit ihren Armen, aber Neal ließ sich davon nicht beirren. Er trat das Gas komplett durch und die PS reichten, um die zertrümmerten Wagen aus dem Weg zu schieben. Neal setzte zurück, schlug das Lenkrad ein und fuhr durch die enge Lücke, die entstanden war.

 

»Sie ... sie waren alle verbrannt. Warum laufen sie immer noch?«

 

Neal sah zu dem Rothaarigen hinüber, der sich ganz tief in seinen Sitz hatte sinken lassen und mit riesigen Augen durch die Windschutzscheibe starrte, auf der nunmehr einige Blutspritzer zu sehen waren. Neal betätigte den Scheibenwischer und auch wenn die Flecken erst verschwammen und die Sicht noch schlechter wurde, lösten sie sich nach mehreren Durchgängen auf. Er schaltete und raste geschickt an liegengebliebenen Fahrzeugen vorbei, während er über Daves Worte nachdachte. Eine logische Erklärung schien es dafür nicht zu geben. Zumindest keine, die er glauben wollte.

»Ich habe keine Ahnung. Vermutlich ist diese Bakterie aggressiver, als wir alle dachten. Vielleicht ist es auch eher ein Parasit, der den Körper so lange wie möglich am Leben hält. Ich weiß es nicht, aber mir gefällt ganz und gar nicht, was ich gerade gesehen habe.«

Diese verbrannten Menschen hätten nicht mehr imstande sein sollen, überhaupt noch aufrecht zu stehen. Aber sie hatten es mit eigenen Augen gesehen. Neal war jedoch einfach nur froh, dass sie nicht mehr genug Kraft besessen hatten, um die Scheiben einzuschlagen und Dave ernsthaft zu schaden. So war es nur der Schreck, der Malias Bruder die ganze restliche Fahrt über nicht verließ. Vermutlich hatte der Rotschopf nicht einmal mitbekommen, dass sie nun zu viert und nicht mehr nur zu dritt waren.

Max | Beyond the eyes of god

Austin war einst als Wiege für wirtschaftlichen Aufschwung und kulturelle Vielfalt bekannt gewesen. Museen, moderne Einkaufszentren und dazwischen hier und da alte, ehemalige Stadtgebiete, die fast noch so aussahen wie vor hundert Jahren. Jetzt ... war alles anders. Gebäude zerfielen bis auf ihre Grundmauern, Kranke rasten durch die Gassen und fielen alles an, was sich bewegte. Und mitten drin – sie und ihr langjähriger Freund. Der Körper des viel größeren Mannes lastete schwer auf ihrer schmalen Schulter. Wäre da nicht die Erleichterung, dass Oliver nur einen Streifschuss am Oberschenkel abbekommen hatte, dann wäre nun ein Punkt erreicht, an dem Max sich vor lauter Verzweiflung am liebsten in irgendeiner Ecke zusammenrollen wollte, um dem Ende dieses viel zu unübersichtlichen Geschehens gleichgültig entgegenzublicken ... und ihrem eigenen.

Aber so ein Typ Mensch war sie nicht und auch noch nie gewesen. Sie war eine Soldatin. Keine Ausgebildete, keine Berufene ... einfach nur eine Kämpferin, die nach bestem Gewissen versuchte, in diesen Wastelands zu überleben. Als etwas anderes konnte man die texanische Hauptstadt nicht mehr bezeichnen. Bewaffnet war sie mit einem Repetiergewehr, das sie in seiner Präzision und Durchschlagskraft noch nie enttäuscht hatte, zumal sie es durch das angebrachte Zielfernrohr fast schon wie ein Scharfschützengewehr benutzen konnte. Doch das musste sie nur selten. Dafür hatte sie den großen, dunkelhäutigen Mann, der sich gerade verletzt auf sie stützte. Der übernahm stets die bösen Männer in den hintersten Reihen, deswegen waren sie so ein unschlagbares Team.

 

Doch im Moment spielte das alles keine Rolle mehr. Ihnen war die Munition ausgegangen und sie waren oben auf den Dächern entdeckt worden. Schüsse, Schritte in dem verlassenen Treppenhaus – sie waren nicht schnell genug gewesen, um es heil auf das nächste Gebäude zu schaffen. Die Landung war hart gewesen und das Brüllen von Oliver war ihr durch Mark und Bein gegangen.

Jetzt schrie ihr Freund nicht mehr. Er war ganz still, ächzte nicht einmal.

»Du stirbst mir hier nicht, nur damit das klar ist!«

Sie spürte, dass ihre Augen brannten. Sie würde jetzt ganz sicher nicht losheulen! Für solche Banalitäten hatten sie keine Zeit! Sie mussten zum Treffpunkt zurück …

»Wir … wir sind gleich bei der Leiter. Halte bitte durch! Oliver …«

»Hm …«

Er sprach nie sonderlich viel – dieser große, dunkle Mann. Es war dieser absolute Gegensatz zu ihr selbst, der ihn so attraktiv für sie gemacht hatte. Bis er ihr irgendwann nachgegeben hatte. Er war ihr zu wichtig geworden, um ihn nun in solch einem sinnlosen Gefecht zu verlieren. Auf diese Idee sollte dieser Mistkerl gar nicht erst kommen!

Sie mussten nur noch bis zum Ritz. Hinter dem Gebäude führte die Feuertreppe nach unten, dann durch eine Seitengasse und von dort zu dem Kanaldeckel, der in den sicheren Untergrund führte. In einen Teil davon. Nur sie selbst kannten den eigentlichen Zugang zum Basement des Texas State Capitols, das sie bewohnten. Er war so gut verborgen, dass die Richter bisher vergeblich danach gesucht hatten. Die meisten anderen Zugänge führten nur durch alte Abwasserkanäle zu weiteren Öffnungen, durch die man zurück an die Oberfläche gelangte, aber nicht nach New Austin – so hatten sie das Untergeschoss des wohl bekanntesten Wahrzeichens in Austin getauft. Es hatte Monate gedauert, diesen Ort zu einem Zuhause zu machen und ihn sowie die Kanalsysteme, die ihnen als Hauptwege dienten, wieder auf- und auszubauen. Der Rest des Capitols war vollkommen in sich zusammen gestürzt, was nicht bedeutete, dass nicht auch an der Oberfläche Schutzmaßnahmen ergriffen worden waren, um diese aggressiven Neuankömmlinge oder die sich immer wieder bildenden Horden von Kranken fernzuhalten. Nichts würde daran etwas ändern, aber dafür musste sie weiter machen, so schwer es ihr auch fiel.

 

Max zuckte zusammen, als sich in den Schornstein, den sie gerade passiert hatten, eine Kugel grub. Putz splitterte ab und traf sie. Oliver hustete.

»Wir … wir sind gleich da. Nur ein bisschen noch. Bitte halte durch …«

Sie bezweifelte, dass er es die Treppe hinunter schaffen würde. Das getroffene Bein blutete stark und er konnte es nicht mehr belasten. Und sie selbst … konnte ihn kaum noch tragen. Ihre Knie zitterten und ihre Lungen waren dem Bersten nahe.

 

Sie waren in den frühen Morgenstunden gekommen. Sie beide hatten gerade das Ende ihrer nächtlichen Patrouille herbeigesehnt, als Schüsse ihre Routine unterbrochen hatten. Es hatte vor etwa vier Wochen angefangen. Wie aus dem Nichts waren diese Fremden auf ihren Motorrädern aufgetaucht und waren wohl der Meinung gewesen, sie würden hier nichts als Kranke und noch nicht angerührte Vorräte vorfinden. Mit Gesellschaft hatten sie nicht gerechnet und auch wenn New Austins Anführer das Gespräch mit ihnen gesucht hatte, war alles nur noch schlimmer geworden und die Biker hatten Reyes für die Ewigkeit gezeichnet.

Kurzum … die Ereignisse überschlugen sich und auch, wenn Max nicht wusste, wie es bei den anderen Gruppen lief, so war sie sich doch im Klaren darüber, dass sie selbst längst den Überblick verloren hatte. So viele waren gestorben, so viele andere schwer verletzt worden. Und nun auch Oliver – ihr zuverlässigster Mann. Wenn sie wenigstens eine Minute ohne Sperrfeuer hätten, dann könnte sie die Wunde abbinden. Aber kaum kam ihr dieser Gedanke in den Sinn, erklangen weitere Schüsse. Max schrie auf und Oliver entglitt ihr. Ihre Finger krallten sich in ihren rechten Oberarm. Warmes Blut mischte sich mit zerfetztem Leder und sie konnte spüren, dass die Kugel noch steckte. Das war kein Streifschuss gewesen.

»Max …«

Oliver kroch in ihre Richtung, doch sie schüttelte den Kopf. »Wir … wir müssen weiter. Bitte, wir …«

Ein schweres Gewicht landete unweit von ihnen auf dem Dach. Granaten und ein Benzinkanister schlugen beim Aufprall aufeinander. Das war es, was diese Typen bei sich trugen. Flammenwerfer samt Zubehör, jede Menge Spielzeug, um ganze Barrikaden in die Luft zu jagen und irgendwelche Waffen, deren Munition sich gefühlt nie leerte. Sie wollte nicht wissen, welche Knarre der Neuankömmling bei sich hatte. Max rappelte sich auf, griff nach Olivers Arm und biss die Zähne zusammen, als scharfe Schmerzen ihren ganzen Oberkörper einnahmen. Sie konnte den Typen sehen, als sie den Größeren zur Feuerleiter zerrte. Ein blonder, blauäugiger Bastard mit einem Red Skins Basecap und einem schwarzen Halstuch über der unteren Hälfte seines Gesichts.

»Mir reicht's, du Schlampe!«, brummte er. »Jetzt wirst du gegrillt! Und dein Schokobärchen gleich mit dir.«

Max konnte hören, wie der Flammenwerfer Benzin in seine Leitung saugte. Der fette Finger schob sich über den Abzug und dann …

 

Ein Schuss.

Direkt durch die glänzende Stirn des Richters.

 

Max‘ Kopf fuhr herum. Sie konnte ihren Retter nicht sofort entdecken. Erst Momente später sah sie den vertrauten Schatten in einem der Fenster des Nachbargebäudes.

»Kato …«, hauchte sie erleichtert. Das Fenster wurde aufgerissen und der Japaner steckte seinen Kopf hindurch.

»Max! Bleibt, wo ihr seid! Ich komme sofort rüber! Was ist mit Oliver?«

»Verletzt. Und … und ich kann ihn nicht allein tragen. Beeil dich! Diese Wichser sind überall.«

»Habe ich gemerkt.«

Das Fenster schloss sich und wenig später öffnete sich weiter unten eine schäbige Tür, die man im Eifer des Gefechtes schnell übersehen konnte, weil sie auf den ersten Blick aussah wie verbarrikadiert. Doch das war nur Schein. Die Bretter waren nicht in die Wand neben der Tür geschlagen. Eines der vielen Schlupflöcher, die sie ständig benutzten, weil das hier ihre Stadt war und sie würden sie nicht aufgeben – koste es, was es wolle! Aber mit dieser Erkenntnis streifte ihr Blick abermals Oliver und innerlich schüttelte sie den Kopf.

 

Nein … sie würde nicht jeden Preis bezahlen.

 

»Das war Kato. Er kommt und hilft uns. Das ist gut, oder?« Oliver antwortete nicht. Trotz seines dunkelbraunen Teints sah sie die Blässe auf seinem Gesicht. Wie viel Blut hatte er wohl schon verloren? »Oliver?«

Seine Augenlider flimmerten. Max presste die Lippen aufeinander und obgleich die Hitze stetig anstieg, zog sie das Halstuch von ihrem Gesicht und betrachtete sich die nasse, dunkle Jeans am Oberschenkel. Sie wusste, dass sie voller Blut war. Aber die Stelle, die wirklich rot war, fand sie schnell. Ein ganzes Stück Fleisch hatte der Treffer mit sich gerissen. Da bestand keine Chance, dass der Blutfluss enden würde. Sie schlang das Tuch um Olivers Bein und verschnürte es trotz der Schmerzen in ihrem Oberarm so fest, wie es ging. Oliver zuckte zusammen, stöhnte verhalten und versuchte sich unbewusst dem Schmerz zu entziehen. Wie lange brauchte Kato denn? Max wischte sich die blutigen Finger an ihrer Jeans ab und wagte einen Blick auf ihre eigene Verletzung. Mit zitternden Fingern schob sie die Lederjacke tiefer. Im gleichen Augenblick schepperte die Feuerleiter. Sie fuhr zusammen, griff nach dem Gewehr und seufzte erleichtert, als es Katos Gesicht war, das über dem Sims auftauchte.

»Da bin ich! Nichts wie weg hier! Wir haben keine Ressourcen mehr. Das ist … als würden wir gegen eine Wand rennen. Wo kommen diese Typen immer wieder her? Warum sind es auf einmal so viele?«

Der Kerl redete schnell. Vor allem dann, wenn er gestresst oder nervös war. Aber es gab niemanden, den sie sich gerade mehr gewünscht hatte als ihn. Er konnte selbst in solchen Situationen unglaublich viel Kraft mobilisieren. Das musste an seiner Mentalität liegen. Oder daran, dass er einfach zu drahtig und trotzig war, um nachzugeben. Schnell war er bei ihnen, griff nach Oliver, der eigentlich auch für ihn viel zu groß war, und stützte ihn, als würde er nichts wiegen.

»Du bist auch verletzt«, stellte Kato fest und musterte besorgt ihren Arm. »Kannst du so die Treppe runter? Ansonsten musst du warten, bis ich ihn runtergebracht habe.«

»Es geht schon.« Das würde es nicht, aber Max war zu stur, um sich das einzugestehen. Nur die Leiter hinunter, die zehn Meter bis zum Kanaldeckel – sie musste es einfach schaffen! »Ich geh zuerst.«

Als sie sich über den Sims schwang, konnte sie sehen, wie Kato ein Seil aus seiner Tasche zog. Er hing das Scharfschützengewehr über Oliver, ehe er dessen Arme um seinen Oberkörper legte. Einen über die Schulter, den anderen unter seiner Achsel hindurch. Dann fixierte er die Hände vor der Brust mit dem Seil, damit ihm der Größere nicht von der Schulter rutschte. Das waren Dinge, die ihr nie in den Sinn gekommen wären und Max wurde klar, dass sie keine Ahnung davon gehabt hätte, wie sie ihren Freund die Leiter hätte hinunterbekommen sollen. Katos Auftauchen war Gold wert. Es wäre für sie vorbei gewesen, wäre er nicht rechtzeitig zu ihrer Rettung gekommen.

 

Als sie den Kanaldeckel über ihren Köpfen schlossen, fühlte sich Max zum ersten Mal so sicher, dass sie es wagte, sich auf den Boden sinken zu lassen und den Kopf zwischen ihren Knien zu vergraben. Die Dunkelheit unter den heißen Straßen war das einzig Sichere, das noch existierte. Bisher waren die Richter nicht bis hierher vorgedrungen. Vermutlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihnen dämmerte, dass ihre Kontrahenten irgendwo herkommen mussten. Und wenn sie ihre Truppen nicht an der Oberfläche fanden, dann würden sie anfangen, unter ihr zu suchen.

Kein schöner Gedanke.

»Hast du was von Drake und Sofie gehört? Oder vom Team Beta?«

Max hob langsam den Kopf und musterte Kato, der Oliver sanft an die Kanalwand lehnte und sich die Verletzung ansah. Seine Mimik verriet nicht, was er von ihr hielt. In diesem Moment hasste sie sein Pokerface.

»Ich habe mein Funkgerät auf der Flucht verloren. Sie haben uns flankiert. Dieses Mal sind sie mit zu vielen Leuten angerückt. Also … nein … ich weiß nicht, was mit ihnen ist.«

»Ich hoffe, es hat sie nicht erwischt. Ich kann nicht verstehen, warum uns Reyes noch einmal hinaus geschickt hat. Nach dem, was passiert ist, muss er doch wissen, dass es klüger ist, sich bedeckt zu halten.«

»Um sie gewinnen zu lassen? Niemals. Kato … wir können ihnen die Stadt nicht überlassen! Was denkst du, was sie mit uns tun, wenn sie uns finden? Du … du kennst doch die Geschichte, die uns die Addisons erzählt haben. Die Einzigen, die sie leben lassen, sind welche wie sie selbst. Diese arischen Naziarschlöcher würden uns alle töten. Bis auf die Frauen, vermutlich.«

Bei diesem Gedanken erschauderte Max tief. Die Vorstellung war furchtbar. Kato stellte sich wohl die gleichen möglichen Szenarien vor, denn er musterte sie einen Augenblick lang, ehe er den Blick abwandte und seufzte. »Du hast recht. Ich befürchte nur, dass wir bei weitem nicht so viel Feuerkraft haben, wie wir brauchen werden, um diese Typen loszuwerden.«

Max sagte dazu nichts, aber sie stimmte dem zu. Ihre Munitionslager waren erschöpft, seit die Richter aufgetaucht waren und da diese Männer hoch qualifizierte Schützen waren und außerdem diese Flammenwerfer besaßen, waren ihre Ressourcen nahezu endlos. Es gab … keine Chance auf einen Sieg – so bitter diese Erkenntnis auch schmeckte.

Trotzdem gab es Hoffnung.

»Wir kennen diese Stadt besser als sie. Sie greifen mitten am Tag nicht an. Wenn wir eine Möglichkeit finden, einige Fallen auszulegen, dann können wir sie vielleicht in die Flucht schlagen, aber … das müssen wir erst mit Reyes besprechen. Wenn es ihm wieder besser geht, versteht sich.«

Kato nickte und nachdem er sich vergewissert hatte, dass der provisorische Verband an Olivers Oberschenkel richtig saß und es nichts gab, was sie sonst tun konnten, packte er sich den schweren Körper wieder auf die Schulter und nickte in Richtung des Kanals. »Wir müssen weiter. Der Weg zum Rendezvous Punkt sollte frei sein. Wir dürfen uns nur nicht sehen lassen, wenn wir die Kirche betreten.«

 

Die St. Mary Kathedrale. Unterhalb des schweren Altars befand sich der offizielle Zugang zu New Austin. Bisher hatten sich die Männer auf den Motorrädern nicht an den hiesigen Kirchen vergriffen. Vermutlich waren diese Menschen nicht nur narzisstisch angehaucht, sondern besaßen auch noch eine gewisse Ehrfurcht vor dem Herren, was ihr ganzes Handeln unter den Scheffel einer sehr verzweifelt lachenden Ironie stellte. Wenn man sich diesen einst heiligen Ort jedoch betrachtete, konnte man kaum mehr an seinem Glauben festhalten. Die Witterung hatte auch hier nicht halt gemacht. Stürme hatten das kleine, viereckige Türmchen einstürzen lassen und die Brocken hatten das Kreuz und das große, mandalaähnliche Fenster mit sich genommen. Sie hatten den Eingang zur Kathedrale nicht frei geräumt, um keinen Verdacht zu erregen. Das Kanalsystem führte einen bis zu einer Öffnung direkt vor dem Eingang. Dann waren es nur wenige Schritte die Treppe hinauf, ein Klettern über die Brocken und dann durch die Tür ins Innere.

 

Max war vom Blutverlust so schwindelig, dass ihr Körper dem Gestank unterhalb der zerfallenen Stadt nicht so lange standhalten konnte wie sonst. Als sie aus dem Kanal kletterten, hatte die frische, wenn auch sehr heiße Luft keine befreiende Wirkung, sondern verursachte eine solche Übelkeit, dass sie nicht an sich halten konnte. Sie übergab sich direkt hinter einem stehengebliebenen Wagen und entließ so noch mehr Energie aus ihrem angeschlagenen Körper. Nur ein paar Meter noch …

»Max, komm schon! Kotzen kannst du später!«

»Reizend«, kommentierte sie Katos Forderung und kam wieder auf die Beine. Ihre Knie bebten so stark, dass sie sich wie betrunken fühlte, als sie die ersten Schritte machte, doch je schneller sie ins Capitol zurückkamen, desto besser würde sie sich fühlen. Sie folgte dem ehemaligen Austauschstudenten jedoch nicht, ohne sich dabei nicht immer wieder aufmerksam umzusehen. Sie konnte keinen der Richter erblicken, aber das hieß nichts. Irgendeiner ihrer Scharfschützen konnte sie längst ins Visier genommen haben und sie würden es nicht einmal bemerken. Hinter der Kirche gab es genügend hohe Gebäude, auch wenn jeder Fremde sie aufgrund der Einsturzgefahr mied. Aber diesen Mistkerlen traute sie alles zu. Max schüttelte den Kopf. Wann hatte sie ihren verdammten Optimismus verloren? Solange konnte das noch nicht her sein. Ab und zu blinzelte er noch aus den Untiefen ihres Daseins hervor. Aber gegenwärtig hatte er sich wie ein geprügelter Hund davon geschlichen. Sie hatte keine Kraft mehr. Sie brauchte Wasser, was zu essen und dann Schlaf.

Ganz viel davon.

 

Der einzige Zugang zum Untergeschoss des Texas State Capitols wurde von Patrouillen bewacht. So machte die Meldung über ihre Rückkehr schnell die Runde und die verbliebenen Krankenschwestern nahmen sich Oliver an. Max wies sie ab, als sie ihr nahelegten, ebenfalls mitzukommen. Sie musste erst Bericht erstatten. Reyes, der seit der lebensgefährlichen Attacke nicht mehr an der Oberfläche gewesen war, musste erfahren, was dort vor sich ging. Als Olivia und Theresa sie nicht gehen lassen wollten, schüttelte sie die beiden älteren Frauen vehementer ab und beschleunigte ihre Schritte.

Ihr ging es gut!

Ihr musste es gut gehen …

Es waren viel zu wenig von ihnen übrig. Aus den Augenwinkeln heraus entdeckte sie nur ein paar der anderen Trupps. Einige fand sie selbst beim genaueren Hinsehen nicht wieder. Verluste. Max wollte die genauen Zahlen nicht erfahren. Alles in ihr sträubte sich dagegen.

Aber es war nichts, wovor sie sich verschließen konnte.

 

Als sie Reyes‘ Quartier betrat, regte sich der Ältere sofort bei ihrem Anblick.

»Max … Gott sei Dank! Du bist zurück.«

»Reyes …«

Ein frischer Verband verdeckte seine linke Gesichtshälfte. Die braunen, schulterlangen Haare hatte er sich über ihn gelegt, um so das Schlimmste zu verbergen, aber es gelang nicht wirklich. Die schnell durchnässten Mullbinden konnten nicht alles abdecken. Man sah, dass er verbrannt worden war und wie viele Schmerzen ihm die Wunden verursachten. Jedes Wechseln der Verbände musste Höllenqualen auslösen, aber sie hatte ihn noch kein einziges Mal schreien gehört. Vor dem Angriff auf ihn war er für seine bald vierzig Jahre ein sehr attraktiver Mann gewesen, doch jetzt … sah er gebrochen aus. Krank. Nicht mehr so entschlossen und stattlich. Wie sehr sie hoffte, dass es nur Äußerlichkeiten waren. Alle machten sich Sorgen um Reyes, aber keiner wollte von einem Rückzug seinerseits sprechen. Ohne ihn war dieser Ort verloren. Nur seine engsten Vertrauten wussten, dass er seit der Bekanntschaft mit dem Flammenwerfer nicht mehr derselbe war. Im Moment wirkte er erleichtert, aber sie konnte die Leere in seinem verbliebenen, braunen Auge sehen. Der Mut schien ihn verlassen zu haben und Max wusste – ohne, dass er es aussprach – um die schweren Verluste, die sie seit dem Morgengrauen erfahren hatten. Ihr wurde noch schlechter davon.

Kraftlos ließ sie sich auf die Bettkante fallen und machte Anstalten, nach seiner Hand zu greifen, doch auch sie war bandagiert und zuckte hin und wieder, wenn sie eine Welle aus Schmerz durch seinen Arm schickte. »Es sind so viele, Reyes … so viele …«

»Ich weiß, Kleines … ich weiß.« Er schob sich auf seinem Bett etwas höher, zupfte an der Wolldecke herum und schüttelte den Kopf. »Ich hätte euch nicht losschicken sollen. Ich … ich hätte …«

»Sie sind wild entschlossen. Vor ein paar Wochen waren es nur vereinzelte Späher, aber es werden immer mehr. Heute sind Oliver und ich allein schon gut fünfzehn von denen begegnet. Und ihre Feuerkraft übersteigt unsere bei weitem. Wenn wir sie zentral irgendwo erwischen könnten …«

»Aber sie kommen aus allen Richtungen«, beendete ihr Anführer den Satz für sie. »Sofie hat mir bereits davon berichtet.«

»Sofie ist hier? Was ist mit Drake?«

Er zögerte mit der Antwort, dann schüttelte er langsam den Kopf und Max … sank noch mehr in sich zusammen. »Nein ...«

»Ein Kopfschuss. Er hat nicht lange gelitten. Aber Sofie …«

»Ich … werde dann nach ihr sehen. Reyes … was machen wir denn jetzt?«

Seine verbundenen Hände gruben sich in die Decke, als würde sie die Schuld an ihrer Misere tragen. Darauf wusste er keine Antwort und wenn Max ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch keine erwartet. Sie nahm wieder etwas mehr Haltung an, strich sich fahrig die Haare zurück und bewegte ihre Schulter leicht. Sie musste sich um diese verdammte Kugel kümmern!

»Ich … muss nach Oliver sehen. Er hat einen Streifschuss abbekommen und viel Blut verloren. Mich haben sie auch erwischt. Sie … haben uns in eine Sackgasse getrieben. Vermutlich durchschauen sie unser Patrouillensystem langsam. Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch hier unten verkriechen können. Ich … weiß nicht, wie lange unsere Vorräte noch reichen werden. Ich … ich weiß gerade gar nichts mehr …«

»Es liegt nicht in deiner Verantwortung, Kleines«, murmelte Reyes leise. »Geh und ruh dich etwas aus. Warten wir die Rückkehr der Anderen ab. Ich brauche auch ihre Berichte. Ich muss darüber nachdenken. Es tut mir leid. Ich … ich wünschte, die Dinge wären anders gelaufen und wir hätten … eine andere Lösung gefunden.«

»Nein. Dir muss nichts leidtun. Ich habe es auch Kato gesagt. Wir dürfen die Stadt nicht verlieren. Aber mit der Brechstange erreichen wir nichts. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«

Zu einem anderen Zeitpunkt.

 

Mit dem Aufstehen kehrte die Dunkelheit vor ihren Augen für ein, zwei Atemzüge zurück, bis sich ihr Kreislauf wieder gefangen hatte. Sie verließ den Raum und tapste in die Richtung, in die Oliver gebracht worden war. Man konnte es nicht einmal als richtigen Krankenflügel bezeichnen. Es war ein etwas größeres Zimmer mit Bahren, die sie aus dem nahen Krankenhaus hatten mitgehen lassen. Sie durch die engen Kanäle zu bekommen, war ein interessantes Unterfangen gewesen, aber es war gelungen, auch wenn sich kaum mehr jemand daran erinnerte, wie sie das geschafft hatten. Auf einer lag Oliver, auf der anderen Jelena. Team Alpha. Sie waren jeden Tag aufs Neue immer die Ersten dort draußen. Sie brachen auf, sobald die Nachtschicht zurückkehrte. Heute waren sie nicht lange in der Stadt gewesen. Wo war der Rest des Trupps? Da die junge Frau gerade schlief, sparte sich Max die Frage für später auf. Oliver sah noch immer blass aus, als sie an die Bahre herantrat. Der Verband war erneuert worden und wirkte sehr viel fachmännischer als der von Kato. Auch die nackte Brust hob und senkte sich nicht mehr so hastig wie zuvor. Oliver schien das Bewusstsein verloren zu haben.

Gerade, als sie sich zu ihm hinunterbeugen und einen Kuss auf seine Stirn setzen wollte, wurde sie unterbrochen. »Max ... dein Arm.«

Sie drehte den Kopf in die Richtung der Stimme, wischte sich fahrig eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und bekam die Augen schon nicht mehr richtig auf. »Olivia … es … es geht schon.«

»Kind! Du bist kreidebleich. Hier … setz dich hin! Zieh die Jacke aus! Lass mich das ansehen!«

Einen Arzt hatten sie nicht. Seit ein paar Wochen schon nicht mehr. Als sich ihre medizinischen Vorräte dem Ende geneigt hatten, war Dr. Johannson mit einer Gruppe in die Stadt gegangen, um die entfernteren Krankenhäuser und Apotheken abzuchecken. Sie waren einer Horde Kranker zum Opfer gefallen. Nur zwei waren zurückgekommen und einer von ihnen hatte sich angesteckt und nur wenige Tage später völlig den Verstand verloren. Sie hatten ihn erschossen – zum Wohl aller. Es waren Dinge, die Reyes entschieden hatte, so wie er über alles die Kontrolle behielt. Er war gut in dem, was er tat. Aber das, was da draußen vor sich ging, überstieg diese Fähigkeiten und Max wusste nicht, was sie mehr beunruhigte. Ihn so hilflos zu sehen oder nicht zu wissen, was geschehen würde, wenn sie hier unten gefunden wurden.

»Die Kugel steckt noch«, unterbrach Olivias raue Stimme mit diesem reizenden, mexikanischen Akzent ihre Gedanken. »Ich muss sie rausholen.«

Max schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich einen der Jackenärmel zwischen die Zähne zu schieben. Olivia nutzte eine Pinzette, um in der Wunde nach der Kugel zu tasten. Die Beleuchtung hier unten war nur mäßig gut. Es dauerte so lange, dass Max kurz vor der Ohnmacht stand. Von ihr eingeholt wurde sie in dem Augenblick, als Olivia triumphierend die blutige Kugel in die Höhe hielt.

  

 
 

-
 

 

 

Es war lauter Tumult, der sie aus dem dunklen Reich der süßen Bewusstlosigkeit holte. Max dröhnte der Kopf, als sie sich langsam aufsetzte und sich erst einmal orientieren musste. Sie lag auf der Matratze in ihrem und Olivers Zimmer, das eher die Größe einer Abstellkammer hatte, aber für ihre Bedürfnisse ausreichend war. Wie sie hergekommen war, wusste sie nicht, aber das spielte im Moment keine vorrangige Rolle. Menschen strömten draußen an der offenen Tür vorbei in Richtung Abwasserzugang. Was war da los? Waren die Anderen zurück?

Sie schwankte etwas, als sie ihr Lager verließ und dem Strom folgte. In der Ferne konnte sie Leute mit Waffen erkennen und als sie die Gesichter sah, erkannte sie den Beta Trupp unter Josés Leitung. Der in die Jahre gekommene Mexikaner sah sich hektisch um, während Olivia und die anderen Schwestern die Verletzten entgegennahmen. Max kämpfte sich durch die Menge und die kantigen Gesichtszüge des Latinos entspannten sich, als er sie erblickte.

»Max! Max! Wir … wir haben einen fremden Wagen gesehen! Vier Männer. Und ich glaube, einer von ihnen ist Jack. Durch das Zielfernrohr habe ich gesehen, wie einer immer wieder was auf einen Block geschrieben hat.«

»Was?«

Jack war vor ein paar Wochen gegangen. Aus Gründen, die vermutlich nur er selbst kannte. Sie selbst hatte so ihre Theorien, aber sie waren alle nebensächlich. Warum war der Kerl nun doch zurückgekommen? Und wen hatte er da bei sich?

»Wo habt ihr ihn gesehen?«

»Sie haben vor etwa einer Stunde die westliche Stadtgrenze von der 290 aus überquert. Die Richter sind gerade im Osten zugange. Vielleicht schaffen sie es unentdeckt hierher. Oder spätestens heute Nacht. Ich glaube, sie haben sich in ein Parkhaus zurückgezogen, aber wir mussten aufbrechen. Wir … wir hatten keine Zeit mehr.«

Max runzelte die Stirn. Sie verstand es nicht, aber das waren doch eher … gute Nachrichten, nicht wahr? Waren sie es? Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen. Mit tränenden Augen überblickte sie den Trupp und seufzte. »Das sind nicht alle.«

»Zwei … mussten wir zurücklassen. Wir sind von einer Horde überrascht worden. Das Gute daran ist, dass wir nicht die Einzigen waren, die sie entdeckt haben. Wir haben uns im Kreuzfeuer befunden, als sie aus einer Seitengasse strömten. Ich nehme an, die Schüsse haben sie angelockt. Wir haben sofort die Chance ergriffen und die Beine in die Hand genommen, während sich die Biker mit dem Angriff auseinandersetzen mussten. Sie waren näher dran. Hoffentlich schleppen sie den Virus in ihre eigenen Reihen! Dann sind wir sie los.«

»Das wäre schön.«

 

Max wünschte niemandem diese schreckliche Krankheit, doch diese Richter hatten es verdient. Wer solch einen darwinistischen Mist abzog, gehörte bestraft. Sie lebten nicht mehr im 19. Jahrhundert. »Zu schön, um wahr zu sein. Idioten haben leider immer einen Schutzengel. Genau wie Betrunkene.«

»Si ... vermutlich hast du recht. Wo ist Reyes?«

»In seinem Quartier.«

Max deutete in die Richtung und nickte, als sich José von ihr verabschiedete. Dann setzte sie sich auf eine Lagerkiste und wartete. Eigentlich hatte sie nach Sofie sehen wollen, doch die Aussicht darauf, einen ihrer besten Freunde wiederzusehen, drängte dieses Vorhaben in den Hintergrund.

Früher oder später würde Jack hier auftauchen.

Bis dahin konnte sie sich überlegen, was sie zu ihm sagen würde, wenn es so weit war.

Joel | The memory remains

Es gab Momente im Leben, an die man nicht gern zurückdachte, weil man aus den Fehlern, die man zu diesem Zeitpunkt gemacht hatte, gelernt und mit einer Lektion und dem gehobenen Finger davongekommen war. Als sie die Stadtgrenze von Austin überquerten, fühlte sich Joel schlagartig zurückversetzt. San Antonio. Die brüllenden Sprinter, die sich mit enormer Geschwindigkeit bewegten und noch genug Verstand besaßen, um weniger komplexe Handlungen durchführen zu können. Das splitternde Dach über ihren Köpfen, die Schreie seiner Kameraden. Joel war froh, dass Neal am Steuer saß und den Pick-up in ein Parkhaus lenkte, das keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck machte, aber für die viel zu heißen Stunden des Tages vor neugierigen Blicken schützen würde. Der Flashback zehrte von seiner Energie und nur dank Jack, der ihm ein paar Augenblicke später den Block nach vorn reichte, konnte er diesen Erinnerungsmoment überwinden. Joel schielte kurz über seine Schulter. Er traute dem jungen Mann noch immer nicht, doch anscheinend war er da der Einzige. Dave hatte sich, nachdem er sich etwas von den Vorkommnissen in Johnson City erholt hatte, sofort mit Fragen auf den Jungen gestürzt und dabei schnell begriffen, dass er nicht allzu viele von ihnen stellen sollte, einfach weil der junge Kerl mit Schreiben gar nicht mehr hinterherkam. Den Blick von den beiden Jüngsten nehmend, überflog er die Zeilen, die Jack geschrieben hatte. 

 

Unser Aufenthaltsort ist das Kellergeschoss des Texas State Capitols. Direkt im Zentrum der Stadt. Es gibt nur einen Zugang – an der St. Mary Kathedrale. Wenn wir uns bis dorthin durchschlagen können, dann sind wir in Sicherheit. Ich weiß den Weg durch die Kanalsysteme. Ich kann euch führen.

 

Er war schon in Austin gewesen. Zum ersten Mal während einem Ausflug seiner Schulklasse. Da hatten sie sich die Sehenswürdigkeiten angesehen, unter anderem auch das eindrucksvolle Capitol, das vor Geschichte nur so strotzte. Mittlerweile war davon vermutlich nicht mehr allzu viel zu sehen und diese Erkenntnis versetzte seinem Herz jetzt schon einen Stich. So viel Kulturgut war durch den dramatischen Wandel des Klimas zerstört worden. Mit Stolz und Herzblut aufgebaute Städte, die mit den letzten Jahrhunderten erblüht waren – alles dem Erdboden gleich gemacht. Dann vor wenigen Jahren … der Ausbruch der Seuche. Jetzt konnten nur noch die alten Menschen von den schillernden Zeiten berichten, in denen es zwar schon wärmer gewesen war, aber die Ressourcen noch ausgereicht hatten, um die Zivilisation aufrecht zu erhalten. Männer wie James. Vielleicht sogar noch Alteingesessene wie Sophie und Charles. Doch die Namen wurden weniger und die Geschichten leiser.

»Was schreibt er?«

Joel blinzelte und sah dann zum Fahrer des Wagens. Neal wirkte sehr viel weniger abwesend als er selbst und die gehobene Augenbraue bewies, dass der Einzelgänger durchaus erkannte, dass mit ihm etwas nicht stimmte, trotz der langen Abstinenz zu jedweder zwischenmenschlichen Interaktion.

»Dass wir uns zum Texas State Capitol durchschlagen müssen. Eines der Wahrzeichen im Zentrum der Stadt. Ich würde gern noch ein Stück weiterfahren, aber der Asphalt heizt sich bereits schon wieder auf und ich will den Pick-up nicht aufs Spiel setzen. Von hier aus dürften es so einige Kilometer sein und die Mittagshitze ist nicht mehr weit.«

Eine schlanke Hand griff an ihm vorbei nach dem Block und für einen flüchtigen Moment lang empfand sie Joel als viel zu … feminin. Doch der Gedanke verschwand schnell wieder, als sowohl er als auch Neal beobachteten, wie Jack hastig eine grobe Karte zeichnete. In diesem Moment war es Gold wert, jemanden bei sich zu haben, der Austin in- und auswendig kannte. Vermutlich wären sie ohne Jacks Hilfe sehr viel ärmer dran. Das ließ das Vertrauen jedoch keinesfalls wachsen. Joels Kopf spielte da ganz andere Szenarien durch. Wer sich in einer Stadt gut auskannte, konnte auch eine Leiche problemlos verschwinden lassen …

  

Es gibt auch an der Kreuzung vom Oak Hill und dem Sunset Valley Parkhäuser. Wenn wir bis dorthin fahren, können wir unterhalb der Route 1 die Kanäle benutzen. Nur über den Fluss kommen wir nicht so einfach.

 

Der Ex-Soldat betrachtete die grobe Zeichnung über der Notiz. Ihr derzeitiger Standpunkt war eingezeichnet, ebenso wie das Texas State Capitol und der Weg dorthin. Er wurde vom Colorado River unterbrochen, aber wenn sie den erst einmal überquert hatten, war es nur noch ein Katzensprung bis zum besagten Unterschlupf.

»Was meint ihr?«, wandte sich Joel an seine anderen beiden Begleiter, die ebenfalls auf die Skizze blickten.

»Wir wissen nicht, wo die Patrouillen der Richter gerade unterwegs sind. Es ist hell. Wir werden mit dem fahrenden Wagen auffallen wie ein bunter Hund, andererseits wäre die Zeitersparnis enorm.« Dave kratzte sich das Kinn und sah zu dem Jungen, der neben ihm saß. »Du bist ganz sicher, dass du den Weg kennst?«

Jack nickte eifrig und sein Blick wanderte zu Neal, der mit seiner Antwort noch immer zögerte. Allerdings war da etwas in den grünen Augen, das nicht zu dem Zögern zu passen schien. Eine Art … wilde Entschlossenheit. Auch Joel bemerkte das.

»Neal?«

Der Angesprochene blinzelte kurz verwirrt, ehe er sich räusperte und schließlich nickte. »Sorry, war gerade in Gedanken. Ich finde, dass wir besser kommen, wenn wir das Stück noch fahren, auch auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden. Das Risiko müssen wir wohl eingehen. Hoffentlich können wir den Wagen gut genug verstecken. Es wäre unschön, wenn wir hier feststecken würden, nur weil sie uns den Pick-up geklaut haben.«

»Was waren das für Gedanken?«, hakte Joel nach, doch Neal startete bereits wieder den Motor und fuhr vom Parkhaus aus zurück auf die Straße, ohne ihm eine Antwort zu geben. 

 

 
 

-

 
 

 

Das Parkhaus, das sie sich ausgesucht hatten, war so vorgestellt mit Fahrzeugen, dass es ihnen nicht schwerfiel, den Pick-up zu verstecken. Mit vereinten Kräften keilten sie ihn zwischen weniger verrosteten Wagen ein und nahmen alles mit, was nicht festgenagelt war. Bisher hatten sie weder Motorräder, noch Kranke gesehen, aber Joel wusste aus eigener, sehr schmerzlicher Erfahrung, wie schnell sich das ändern konnte. Man war nirgendwo sicher. Man musste nur ein paar Geräusche zu viel machen und schon schreckte man ein paar Verrückte auf, die durch ihr Geschrei noch mehr anlockten und er wurde das Gefühl nicht los, dass hier so einiges schief gehen konnte, wenn sie nicht aufpassten.

 

Sie gelangten direkt durch einen Gullydeckel vor dem Parkhaus in die Abwasserkanäle der Stadt. Der Geruch war schlimmer als in Johnson City, doch Jack lief so eifrig los, dass sie sich nicht lange damit befassen konnten. Da sie ihr Fahrzeug nahezu leer geräumt hatten, waren sie mit Taschenlampen bestens versorgt. Joel fragte sich, wie viel Zeit Jack wohl im Untergrund verbracht hatte, so sicher wie er sich in den verschachtelten Gängen bewegte, bis er bemerkte, dass der junge Mann ab und zu an Kreuzungen stehen blieb und die Wände beleuchtete. Als er es ihm gleich tat, sah er befremdliche Symbole, die in das Mauerwerk eingeritzt waren.

»Sind das Wegmarkierungen oder so?«, fragte er direkt nach und leuchtete zu Jack, der im Licht blinzelte, dann aber nickte. Er formte Worte mit seinen Händen, aber da keiner von ihnen der Gebärdensprache mächtig war, brachte das nicht viel und Jack gab frustriert auf. Joel hob jedoch die Hand, als der Jüngere abermals den Block hervorholen wollte. »Schon gut. Wir verstehen. Sie sind eure Orientierung hier unten, hm? Benutzt ihr nur die Kanäle, um euch fortzubewegen?«

Wieder ein Nicken. Damit gab sich Joel zufrieden. Das war gut durchdacht. Hier unten war man vor der Hitze und vermutlich auch vor den Kranken gut geschützt. Vor allem aber kam man ungesehen von A nach B, aber das ging auch nur, wenn man wusste, wohin man laufen musste. Damals in San Antonio hätte ihnen das nicht viel gebracht. Sie hätten sich rettungslos verlaufen und wären ein noch besseres Ziel gewesen. Joel wollte sich selbst dafür schlagen, dass er sich nur schwer auf das Hier und Jetzt konzentrieren konnte. Die Vergangenheit hatte lange nicht mehr so vehement an seinem Verstand genagt. Solch eine Schwäche konnte er sich hier nicht leisten und doch war es schwer, seine ständig wandernden Gedanken zu fokussieren. Er war teilweise so vertieft, dass er gar nicht bemerkte, dass vor allem Dave ihn sehr genau im Auge behielt. Der Rotschopf wusste, wie es um den Zustand des Größeren stand. Und Neal spürte es. Vielleicht hatte sich der Blonde tatsächlich zu viel zugemutet. Aussprechen tat es keiner von ihnen.

 

Sie waren nicht mehr sonderlich weit vom angepeilten Ausgang entfernt, als sie es hörten. Erst war es nur ein fernes Wimmern, das man auch leicht mit dem Pfeifen irgendeiner geplatzten Leitung verwechseln konnte. Doch je lauter es wurde, desto mehr schien es aus allen Richtungen zu kommen. Jack war stehengeblieben und Joel bemerkte sofort, dass diese Geräusche auch für den Jungen neu waren. Er mochte seit ein paar Wochen nicht mehr hier gewesen sein, aber manche Dinge blieben vertraut und wenn sich zu diesen Gegebenheiten neue gesellten, war das selten ein gutes Zeichen. Die Schritte, die sich nur kurze Zeit später zu dem Wimmern gesellten, waren dumpf, aber hatten keine Eile. Joel löschte das Licht seiner Taschenlampe und die Anderen taten es ihm gleich.

»An die Wand!«, zischte er leise und hörte, wie Jack die Armbrust von seinem Rücken zog, ehe er sich direkt neben ihm an die Kanalwand drückte und sich flacher atmend die Waffe an die Brust presste. Joel konnte nichts mehr sehen, aber er nahm wahr, dass auch Dave und Neal leiser atmeten. Immer näher kamen die Schritte und nichts zu sehen, war weitaus schlimmer, als Joel sich das gedacht hatte. Seine Finger umfassten Griff und Abzug seines Gewehres fester, genau wie die Taschenlampe, die er wohl eher verwenden würde, sollte es zu einer Konfrontation kommen. Das Gehäuse war aus hartem Kunststoff. Schlug man hart genug zu, würde es reichen, um durch den Schädel eines Kranken zu kommen, aber Gott … er hoffte, dass das nicht nötig sein würde. Jeder Kontakt mit dem kontaminierten Blut erhöhte das Risiko, sich zu infizieren. Über den Virus war kaum etwas bekannt, denn die Berichterstattungen hatten schon kurz nach Ausbruch gestoppt, weil sich der Erreger zu schnell und zu heftig ausgebreitet hatte. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass es schon genügte, die gleiche Luft zu atmen wie diese Wesen, was keinesfalls beruhigend war, denn zu den Schritten gesellte sich gebrochenes, röchelndes Atmen und es war viel zu nahe.

 

Es kam nicht nur aus einer Richtung …

 

Nicht abschätzen zu können, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun hatten, brachte Joel mental an seine Grenzen. Er hatte die Verantwortung für drei weitere Menschen und sich selbst, ohne zu wissen, was er riskieren konnte und was nicht. Draußen in der Wüste rund um den Enchanted Rock war das alles einfacher, da sie größtenteils auch tagsüber unterwegs waren. In der Helligkeit konnte man sich besser orientieren, konnte besser planen. Die absolute Finsternis hier unten und das Stillstehen – nein … für ihn war das nichts und doch zog er es durch, auch wenn ihn nach weiteren Sekunden, in denen er die Luft angehalten hatte, der süßlich verfaulte Mundgeruch des Kranken streifte. Der Arm der Kreatur berührte seine Brust und das Röcheln hielt kurz inne.

Shit, shit!, raste es ihm durch den Kopf und er schloss die Augen, presste die Lippen zusammen, um vor lauter Anspannung ja keinen Laut von sich zu geben, auch wenn der Sauerstoff, den er in seinen Lungen hielt, langsam knapp wurde. Der Kranke vor ihm schien zu lauschen. Er befand sich längst nicht mehr im Anfangsstadium. Frisch Infizierte, die sie als Sprinter bezeichneten, hätten nun angefangen zu tasten oder wären direkt zu Schlägen und Tritten übergegangen. Der vor ihm schien darüber hinaus zu sein, bewegte sich bereits langsamer und war von Kleinigkeiten zwar irritiert, aber konnte sich dabei nicht mehr viel denken. Vielleicht rettete ihn das, denn der stinkende Atem verschwand von seinem Gesicht und der nächste Schritt führte die Gestalt von ihm fort. Ein fernes Brüllen jedoch ließ sie wieder stehenbleiben. Ein gequälter Laut war zu hören, gefolgt von einem Stöhnen und schließlich dem Wimmern, das sie schon zuvor gehört hatten. Schnelle Schritte näherten sich und das … war der Ernstfall.

 

Joel entließ zischend die angehaltene Luft, als die Infizierten sie erreichten. Es waren auf jeden Fall mehr als zwei und sie rissen den Kranken direkt von den Beinen. Zumindest hörte es sich so an. Diese Kranken jagten sich gegenseitig? Der Gedanke tauchte nur kurz am Rand von Joels Bewusstsein auf. Da die Angreifer abgelenkt schienen, stieß er den Jungen an seiner Seite an.

»Anderer Weg!«, zischte er laut genug, damit Dave und Neal, die sich an die gegenüberliegende Wand pressten, es auch hören konnten. »Jetzt

Jack knipste seine Lampe an und sprintete in die Richtung los, aus der sie gekommen waren, während sie ihm sofort folgten. Hinter ihnen brüllten die Kranken – aufgeschreckt durch das Licht und die fremden Schritte. Aber da sie nur eine Lampe angemacht hatten, war der Schein schon längst nicht mehr zu sehen, als sie um die erste Ecke gebogen waren. Das verschaffte ihnen den Vorteil eines kleinen Vorsprungs. Doch Sprinter waren schnell. Letztlich würden es wohl nur ein paar entscheidende Sekunden werden.

Joel gefiel es nicht, dass er sich gerade blind auf Jack verlassen musste. Seine ganze Truppe war abhängig von dem Fremden, der ihm sein Gewehr gestohlen hatte. Sie hatten einen Sündenbock, wenn etwas schief gehen sollte, aber Joel kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er sich die Schuld daran geben würde, wenn den Anderen etwas passierte. Oder ihm selbst. Aber das war nicht einmal das Wichtigste. Er musste Dave sicher zu Malia zurückbringen und Neal … mochte er, selbst wenn er ihn noch nicht allzu gut kannte. Er sehnte sich schon jetzt nach den Klängen, die der Langhaarige seiner Gitarre entlockte und nach der angenehmen Stimme, die dazu sang.

 

Verdammter Mist, Malone – bleib der der Sache!

 

Sie rannten immer noch und die letzte Mahlzeit, die sie zu sich genommen hatten, schien eine Ewigkeit her zu sein. Anscheinend sorgte nur noch das pure Adrenalin dafür, dass er sich bewegen konnte. Der Schein der Taschenlampe vor ihnen änderte ein weiteres Mal die Richtung, verharrte dann und bewegte sich nach oben. Eine Leiter. Dann Tageslicht, als Jack den Gullydeckel aufstieß. Das Brüllen in ihrem Rücken war lauter als vorher. Ihre Reihe stockte, als sich erst Dave und dann Neal auf die Leiter schwangen und sie hastig erklommen. Zwei Meter, drei Meter. Joel drehte sich nicht um, bevor er nach oben sprang und sich an der Sprosse hochzog.

 

Er hätte es tun sollen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von:  Votani
2018-05-29T22:17:12+00:00 30.05.2018 00:17
So... ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll? Ich werde super ehrlich sein. Das hier ist bei weitem das allerbeste Kapitel, das ich von dir schreibtechnisch je gelesen habe! Deinen Schreibstil mag ich immer, aber hier stimmte einfach alles. Gleich vom ersten Absatz ist Spannung drin und das zieht sich durch das gesamte Kapitel. Trotzdem nimmst du dir die Zeit, um Umgebungsbeschreibungen einzufuegen und allgemein die Situation zu erklaeren. Als Leser ist man einfach richtig drin in den Geschehnissen, was unheimlich toll ist.
Das amerikanische Setting kriegst du ebenfalls gut hin. Du hast diversity in den Charakteren drin, aber auch die Beschreibungen von Austin sind gut gemacht. Gefaellt mir, dass du so mit dem Setting spielst und dir da so viele Gedanken drueber machst. Das macht die ganze Story gleich viel lebendiger.
Auch Max' Sicht kriegst du sehr gut hin. Als ich den Namen im Kapiteltitel gelesen habe, hab ich automatisch an einen Mann gedacht, war aber umso erfreuter, dass es eine Frau ist. Es ist immer toll, wenn man weiblichen Charas Namen gibt, die auf beide Geschlechter hindeuten kann. :D Max find ich interessant, aber auch Kato. Ich bin auf seinen Hintergrund gespannt, weil er ja scheinbar ein Austauschstudent gewesen ist. Der Arme kann einem leid tun. *lach* Einen Oliver hast du auch drin. Man kann nie genug Olivers haben. :')
Ich muss sagen, dass mir die Gruppe gleich noch sympathischer als Joels Gruppe ist. *hust* Aber vielleicht bin ich auch einfach so davon ueberwaeltigt, wie gut mir das Kapitel gefallen hat.
Kleine stilistische Verbesserungsvorschlaege, die mir beim Lesen eingefallen sind: Du hast sehr viele "..." im Dialog, was sinnvoll ist, aber eben etwas an Bedeutung verliert, wenn man es zu oft benutzt. Gerade bei der Unterhaltung zwischen Max + Reyes ist es mir aufgefallen.
Beim José im letzten Absatz hast du das Apostroph ueber dem "i" vergessen. Mein Spanischlehrer hat mich so sehr damit gefoltert, dass mich das stoert und ich hasse ihn dafuer. XD
Keine Ahnung, ob ich dir das jemals gesagt habe oder nicht, aber was mir beim Lesen ebenfalls aufgefallen ist (also nicht bei diesem Kapitel, weil das toll war!), manchmal klingen ein paar deiner Charas in Unterhaltungen etwas aehnlich. Gerade bei den maennlichen Charas ist das der Fall, wie z.B. Joel und Neal gelegentlich. Ist nichts Schlimmes, weil man das ja manchmal hat, aber ich wollte es einfach mal anmerken. Ich glaube, das passiert bei Charaktertypen, die du haeufiger schreibst. Andere Charaktere haben ihre vollkommen eigene Stimme, darunter fallen z.B. Max, Kato, Dave, Tali und selbst Oliver, der ja kaum was sagt.
Aber all das aendert absolut nichts daran, dass das mein Lieblingskapitel ist. Ich bin sehr zufrieden damit und hatte super viel Spass beim Lesen. *-* Mehr von Max + ihrer Gruppe, bitte. :3

Von:  Votani
2018-05-28T17:54:28+00:00 28.05.2018 19:54
Kam endlich zum Lesen bzw. ich hatte das Kapitel schon vor ein paar Tagen angefangen, aber dann kam mir Fallout3 dazwischen. Passt vom Genre aber total gut zusammen. :'D
Jetzt brechen sie also auf und natuerlich wird es nicht langweilig. War ja klar. Ich bin gespannt, was alles in Austin passieren wird, jetzt da sie wissen, dass die Richter dort schon vorgedrungen sind. Mutig, aber sie haben ja wirklich keine Wahl, weil Leute sich auf sie verlassen und die Vorraete brauchen.
Ich find Jack sehr interessant und bin gespannt, mehr ueber seinen Charakter zu erfahren. :D So ich es verstanden habe, ist er in die Kanalisation reingeklettert, weil die Leute, die seine Waffen hatten, da unten waren und die hat er sich zurueckgeholt, richtig? Es haette geholfen, wenn Neal eine Leiche oder so gesehen hat, weil so wirkt es, als fehle da etwas? Vielleicht kommt mir es aber auch nur so vor. Ich will eben immer alles wissen. XD
Jedenfalls find ich Dave echt niedlich. Ich mag Charas wie ihn, die meist gute Laune haben etc. Gut, dass er ueberlebt hat + die Kranken ihm nichts angetan haben. Ich hoffe, du bringst ihn nicht um. u_u Obwohl er sich dafuer irgendwie total anbietet von allen in der Gruppe und in dem Setting steht ja fest, dass Menschen sterben.
Auf jeden Fall hab ich jetzt richtig Bock ebenfalls etwas in (m)einem postapokalyptischen Setting zu schreiben. *-* Aber erst einmal Oliver/Aubrey. :D Ich werde auch auf jeden Fall sehr, sehr bald weiterlesen, weil das naechste Kapitel ja scheinbar aus der Sicht eines neuen Charakteres geschrieben ist und ich bin gespannt, wer das sein wird. :)
Von:  SamAzo
2018-05-13T22:06:26+00:00 14.05.2018 00:06
Die Frage ist ja 'Muss man in dieser Stadt noch großartig eine Leiche verschwinden lassen?' Da liegen bestimmt ne Menge rum und die Sonne macht ihr übriges. Nach ein paar Sandstürmen sieht man dann nix mehr von.

Wären es nicht wunderbare letzte Vorstellungen - so Gitarrenklänge und eine angenehme Stimme?
(Fänd ja Klavier auch toll, aber das kann man nur so schwerlich mitnehmen.)
Von:  SamAzo
2018-05-13T21:42:19+00:00 13.05.2018 23:42
Ich frag mich ja schon, warum die da so viele rausgeschickt haben, statt lieber mal nen anständigen Plan zu machen, wie sie die Typen loswerden, während sie nur wenige zum spähen rausschicken, um auf dem laufenden zu bleiben.
Spätestens nach der Sache mit Reyes...
Von:  SamAzo
2018-05-13T18:27:21+00:00 13.05.2018 20:27
Finde ja fantastisch, das Neal noch weiß was für ein Datum ist. Ich hab das ja meistens jetzt schon nicht im Blick. ^^"

Und da ist er endlich. Der kleine Jack. <3
(Wen ihm was passiert bin ich dir auch böse! Nur das du das schon weißt. xD - ne moment: ò_Ó)
Von:  SamAzo
2018-05-13T17:22:32+00:00 13.05.2018 19:22
Tali ist toll.
(Und du glaubst gar nicht, wie oft ich mich jetzt verschrieben habe, weil ich dauernd ein k statt einem l nutze)
Nach allem, was man bis jetzt erfahren hat, ist klar, das sie an Joels Seite bleiben will, aber seine Begründung ist einfach zu gut. Wem vertraut man ansonsten den Schutz all jener an, die man sicher bleiben sollen?

Wenn die aus der Stadt zurück kommen und ihre Bleibe in Schutt und Asche liegt, weil in der Zwischenzeit irgendwelche Arschlöcher da waren, dann bin ich dir böse!

Von:  SamAzo
2018-05-13T16:23:28+00:00 13.05.2018 18:23
In Joels Haut will auch keiner stecken. Zum einen alle in Sicherheit wissen wollen, aber genauso gut die Tatsache vor Augen haben, das sie da raus müssen, um überhaupt weiter überleben zu können.
Sie sollten wirklich eine Möglichkeit finden, etwas anzubauen.
Vielleicht diese essbaren Kakteen...
Von:  SamAzo
2018-05-13T15:12:03+00:00 13.05.2018 17:12
Die schräge Normalität...
Da einen Haken zu sehen, ist vollkommen normal, vor allem wenn man nur noch einsame Wüste kennt.

Ich mag wie Malia und Tali miteinander umgehen. <3
Von:  Votani
2018-03-20T22:11:42+00:00 20.03.2018 23:11
Wenigstens hast du hier endlich das Raetsel geloest, obwohl ich mir sowas in der Art schon gedacht hatte. Joel steht nicht auf Frauen, aber Tali hat Gefuehle fuer ihn. Was mich ueberrascht hat war, dass sie eine Beziehung mit Malia hat. Das hab ich nicht kommen gesehen, aber es ist definitiv interessant, da Tali ja immer noch mit ihren Gefuehlen fuer Joel kaempft. Sollte sich dann etwas zwischen Neal und Joel entwickeln, wird das sicher schwer fuer sie sein. Sie tut mir jetzt schon leid. Ihren Charakter mag ich von allem am meisten. Sie waechst mir mehr und mehr ans Herz. Ich will mehr Backstory fuer sie. :’)
Jetzt wird es definitv spannend, da sie aufbrechen bzw. eine Gruppe zurueckbleibt. Alles kann passieren. :D’ Joel tut mir ein wenig leid. Natuerlich ist das toll, dass seine Eltern noch am Leben sind, aber es macht seine Entscheidungen nicht einfacher, wenn sie andere Meinungen haben und Joels Entscheidungen nicht gutheissen. Aber so viele Leute, die schiessen und allgemein im relativ passendem Alter sind, haben sie ja nun auch nicht, dass sie wirklich viele andere Leute losschicken koennten – und als Anfuehrer einer Gruppe kann er sich auch nicht verstecken und andere die Drecksarbeit machen lassen. Jedenfalls wuerden sie ihn dann als Anfuehrer nicht so sehr respektieren.
Von:  Votani
2018-03-20T22:11:13+00:00 20.03.2018 23:11
Hey du, bin endlich beim naechsten Kapitel angekommen! :D Der ploetzliche Zeitsprung hat mich kurz ein bisschen aus der Bahn geworfen, da ich ihn nicht erwartet hatte und alle Kapitel bisher zusammenhaengend waren. Aber ich verstehe, dass du die Story ein bisschen vorantreiben willst.
Aha, also findet Joel Neal doch ganz anziehend. Ich hab’s ja gewusst. :’D Mal sehen, jedenfalls bin ich gespannt, wie es zwischen den beiden und generell allen weitergeht.
Ich hab die ganze Zeit ueberlegt, woher mir das Konzept der Runner bekannt vorkam, aber jetzt erinnere ich mich, dass es die ja auch in Maze Runner gab. Aber hier haben sie natuerlich eine ganz andere Bedeutung, die sehr passend ist. :)
Ich bin schon sehr auf generell mehr von Neals Gedankenwelt gespannt, weil… er ueberrascht mich total. Im ersten Kapitel ging es ihm nur um Rache, aber (obwohl er noch nicht festgelegt hat, ob er bei der Gruppe bleiben will) interessiert er sich im Moment nur darum, dass die anderen Vorraete brauchen und dass Joel doch nicht alles so negativ sehen soll. Das haette ich eher von Neal erwartet, der alles negativ sieht. Andererseits hat das Treffen mit Menschen vielleicht doch ungeahnte Folgen fuer Neal, die er selbst nicht erwartet haette. Bin jedenfalls gespannt, wie Neal das sieht. Eine Erklaerung aus seiner Sicht ist auf jeden Fall noetig, finde ich.
Keine Ahnung, wieso ich ausgerechnet jetzt an OP denke, aber ich musste grad daran denken, wie sehr sich Luffy ueber Neal als Musiker gefreut haette. So kam mir Joel vor, als er den Klaengen der Gitarre folgt und es als angenehm empfindet, einen Musiker in der Gruppe zu haben. Wuerde mir auch gefallen. <3
Die sollten sich irgendwie was einfallen lassen, wie sie nicht mehr so abhaengig von Vorraeten sind. Ich meine, Texas ist kein guter Ort, um etwas anzupflanzen, ganz besonders, wenn das Wetter auch verrueckt spielt, aber vielleicht koennen sie irgendwelche Tiere halten? Oder irgendwas irgendwie anpflanzen? Immerhin haben sie schon bewiesen, dass sie kreativ sind, als sie sich Solarenergie beschafft haben.
Ich verstehe warum, aber ich kann nicht glauben, dass Joel Tali nicht mitnimmt. ;o; Ich wette jetzt einfach, dass Dave draufgeht + Tali da bleibt, damit sie ueberleben kann. *hust*


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