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Lyricon - Mantus Liedtexte, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Eiswasser

Meine warmen Gedanken wie Eiswasser zerschmelzen
Das Sonnenlicht verliert ihre mütterliche Stärke
Und ich bleibe zurück und nehme alles hin
Ein kurzes unbewusstes Zucken aus den Mundwinkeln
Lässt meine trockenen Lippen aufreißen
Und ich schmecke das Blut und den Geist des Lebens
Sehnsüchtig tröste ich mich in den Schlaf
Rot ist der Stern meiner Liebe
Schwarz sind die Gedanken in mir
Umrisse der Welt enttäuscht vernommen
Goldene Flügel für den Sterbenden
Treibe ich auf dem leeren Ozean
Und denke an die Vergangenheiten fleischlicher Gelüste
Ein junges Mädchen kratzt an meinem Sarg
Und wendet sich traurig ab

Erfrorenes Wasser als Fundament eines Traums
Das Bewusstsein ist das Tor zur Welt
Und ich spüre die Geburt und das Einmalige
Totenburgen
Im schwachen Licht des Mondes erscheinen
Aufflackern alter Mythen im Herzen der Nacht
Und ich schreie mit dem eisigen Wind
Und sterbe langsam – lautlos vor mich hin
Ein zerkratztes Gesicht im Spiegel
Zwei Augen unbeweglich etwas suchen
Eine salzige Träne als Zeugnis meiner Liebe
Ich entsage Gott
Und leugne seinen Nutzen als Hebamme
Gefüllte Becher zur Trauerstunde
Segne ich die Sünden meines Lebens
Und schieße mir lässig durch die Hand

Mantus

Rezitatorenwettstreit 2006 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Der Wettstreit im Jahre 2006 fand zum ersten Mal nicht in unserer Schulaula statt, sondern im Goethetheater in Bad Lauchstädt. Das Thema lautete "Glotzt nicht so romantisch!" und basierte auf einer Aussage von Brecht. Dazu habe ich mir das Gedicht von einem deutschen Autoren herausgesucht, der heftige und sarkastische Texte beim Ubooksverlag veröffentlicht, die sehr viel Gesellschaftskritik, aber auch auf eine skurile Art und Weise Schönheit beinhalten.

 

Flieg, Gedanke

Man fand Oleandra
Nackt auf dem Bett
Dieses Billighotels
Auf blutgetränktem Laken
Eine geleerte Flasche Whiskey
Ca. 10 Schachtel Zigaretten
Halten einzig und allein
Die Totenwachen
Und sind gleichzeitig
Zeugen eines Schrittes
Richtung Ausgang

Ihr Hirn klebt am Spiegel
Das waren ihre Gedanken
Die sie beizeiten um ein Projektil wickelte
Und außerhalb ihres schönen Kopfes verbreiten wollte

Jetzt sind ihre Gedanken
Ein undefinierbarer Haufen
Toter Zellen
Vermengt mit Blut
Für Sekunden
Zwischen ihrem Schädel
Und dem Spiegel
Durch luftleeren Raum
Freundlich tänzelnd

Universen, die außerhalb ihres Kopfes
Ihre verwundeten Runden zogen
Mit ihren Gedanken aufzuspalten

So ihr Wille
So diese Tat
Tatsächlich

Ihr Gesicht liegt neben ihrem Kopf
Und lacht über sie
Sie ist aber schon lange weg
Richtung Ausgang

Niemand konnte in ihren Kopf sehen
Jetzt schon
Aber verstehen
Kann man sie trotzdem nicht
Mehr ...

Dirk Bernemann

Lyricon - Einstürzende Neubauten Liedtexte, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Haus der Lüge

Erstes Geschoss:
Hier leben die Blinden
die glauben was sie sehen
und die Tauben
die glauben was sie hören
festgebunden auf einem Küchenhocker
sitzt ein Irrer der glaubt
alles was er anfassen kann
(seine Hände liegen im Schoss)

Zweites Geschoss:
Rolle für Rolle
Rauhfaser tapeziert
in den Gängen stehen Mieter herum
Betrachten die Wände aufmerksam
suchen darauf Bahn um Bahn
nach Druck- und Rechtschreibfehlern
können nicht mal ihren Namen entziffern

Auf ins nächste Geschoss:
Welches, oh Wunder! nie fertiggestellt
nur über die Treppe erreicht werden kann
hier lagern Irrtümer die gehören der Firma
damit kacheln sie die Böden
an die darf keiner ran

Viertes Geschoss:
Hier wohnt der Architekt
er geht auf in seinem Plan
dieses Gebäude steckt voller Ideen
es reicht von Funda- bis Firmament
und vom Fundament bis zur Firma

Im Erdgeschoss:
Befinden sich vier Türen
die führen direkt ins Freie
oder besser gesagt in den Grundstein
da kann warten wer will
um zwölf kommt Beton
Grundsteinlegung! Grundsteinlegung!
Lüge! Lüge! Lüge!
Gedankengänge sind gestrichen
in Kopfhöhe braun
infam oder katholisch violett
zur besseren Orientierung

Dachgeschoss:
Es hat einen Schaden
im Dachstuhl sitzt ein alter Mann
auf dem Boden tote Engel verstreut
(deren Gesichter sehen ihm ähnlich) zwischen den Knien hält er ein Gewehr
er zielt auf seinen Mund
und in den Schädel
durch den Schädel
und aus dem Schädel heraus
in den Dachfirst
dringt das Geschoss

Gott hat sich erschossen
ein Dachgeschoss wird ausgebaut

Einstürzende Neubauten

Lyricon - Goethes Erben Liedtexte, Zitatsammlung

Autor:  halfJack
Zimmer 34

Ein graues Zimmer ohne Frühstück

Grau in Grau. Die Warteschleife im Hotel und das Hotel.
Grau in Grau.
In der Halle warten Menschen. Brauchen keine Münder, keine Augen. Uninteressierte glasige Blicke. Vergeistigt - farbenblind.
Betretenes Schweigen.
Kein Blick verfolgt mich. Keiner grüßt und kein Gast fragt.

An der Rezeption gebe ich über eine Tastatur meinen Wunsch ein:
Ein graues Zimmer ohne Frühstück.
Ich zahle mit Plastik.
Meine Hand entnimmt einem sich öffnenden Schubfach einen Schlüssel.
Zimmer 34.
Dritter Stock.
Die zweite Tür links,
oder war es rechts?
Was stand eigentlich sonst noch auf dem Display, als meine Buchung bestätigt wurde?
Sicher nichts Wichtiges. Der Drucker hätte es sicherlich ausgespuckt. Gleichzeitig mit dem Schlüssel.
Meinem Schlüssel.
Die Aluminiumtür des Aufzugs öffnet sich.

Ich betrete den Fahrstuhl allein.
Als einziger Gast.
Die Unentschlossenen bleiben zurück.
Sie sehen nicht.
Sie sprechen nicht.
Sie denken nicht.
Machen keine Fehler.
Zumindest glauben sie das.

Der Fahrstuhl bewegt sich. Einen halben Gedanken später öffnet sich das Aluminium.
Ein leerer Gang.
Ich zähle die Schritte:
Eins,
Zwei,
Drei,
Vier,
Fünf...
Leider in die falsche Richtung.
Es hieß doch links.
Fünf Schritte.
Denk Weg zurück.
Mit zehn weiteren erreiche ich mein Zimmer.
Nr. 34.
Vor der Tür.
Der Schlüssel...

Hinter der Tür.
Kein Teppich. Nur hellgraue Kacheln. An Boden und Wänden.
Leicht zu reinigen.
Der Raum ist viel zu grell. Unangenehm hell.
Aber leicht zu reinigen.
Neonlicht macht hässlich. Obwohl mich keiner sieht. Es macht unvorteilhaft.
Es ist zu ehrlich.
Das Neonlicht.
Aber praktisch.
Für das Reinigungspersonal.

Kein Fenster.
Kein Tageslicht.
Kein Lebendlicht.
Im Bad geht gar kein Licht.
Im Spiegel sehe ich besser aus als befürchtet.
Das Licht bleibt vor der Tür des Badezimmers.
Die Wahrheit wartet ab.
Verliert ihren Schrecken.
Ich ziehe mich aus.
Nehme ein Bad.
Bis auf das warme Wasser fühle ich nichts.
Wie angenehm.

Wieder im Zimmer.
Die Wahrheit wartet. Lässt sich nicht verscheuchen.
Ein Stuhl aus Plastik. Kein Tisch.
Ein Bett mit Plastiklaken. Keine Decke. Aber ein abwaschbares Kissen. Für Menschen, die es bequem haben wollen.
Typisch eingerichtet.
Eben ein graues Zimmer ohne Frühstück.

Ein dunkelgraues Telefon. Am Boden neben dem Bett. Für die Unentschlossenen. Von Außen nicht erreichbar.
Daneben eine graue Schachtel.
Es ist zu hell.
Ich stelle mich auf den Plastikstuhl. Drehe zwei der drei Neonröhren aus der Halterung.
Angenehmer.
Aber bei weitem nicht gemütlich.
Effektiv.
Leicht zu reinigen.

Ich setze mich auf den Stuhl.
Schaue zum Telefon.
Fixiere die Schachtel.
Atme bewusst ein und aus.

Blicke zurück auf einen Abschnitt Leben.
Noch einmal bewusst erleben.
Vielleicht auch genießen.
Die Schachtel.

Ich stehe auf.
Öffne die Schachtel.
Setze mich auf den Stuhl.
Schlucke einen bunten Cocktail.
Tabletten und Kapseln.
Geschmacklos.
Sie waren das einzig Bunte in diesem Raum. In diesem Hotel.
Die Wirkung färbt den Verstand.
Sind Farben schön?
Machen sie Spaß?

Ich warte
während ich denke.
Ich höre auf zu denken.
Warte weiter.
Der Raum wird größer.
Grau schimmert grün.
Ich werde unruhig.
Meinen Herzschlag kann ich spüren.
Die Unordnung in meinem Körper.
Die Decke schimmert bläulich.
Irgendwie angenehm.
So blau.

Der Raum verliert jede Form.
Jede Wand, die Decke. Alles scheint zu leben.
Meine Augen verirren sich.
Ich schließe sie.
Habe Probleme zu sitzen. Spüre keinen Stuhl.
Keinen Boden.
Keine Füße.
Ich merke
wie ich falle.
Mein Kopf schlägt auf.
Schmerzfrei.
Der Boden ist noch anwesend.
Aber nicht spürbar. Nur für meinen Kopf.
Mein Blut ist leuchtend rot. Irgendwie künstlich.
Leuchtend Rot.
Leicht zu reinigen...

Geändert hat sich nichts.

Goethes Erben

Rezitatorenwettstreit 2007 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack
Dies ist das Gedicht, das ich auf meinem letzten Rezitatorenwettstreit zum Thema "Leonardo DaVinci" vorgetragen habe. Es stammt aus den "Blumen des Bösen" von Charles Baudelaire.



Die Leuchttürme


Rubens, du Strom Vergessens, Garten lässiger Lüste
Und Pfühl von Fleisch, drauf Liebe nicht gedeiht; doch her
Das Leben strömt und ewig wogt; so bebt die Wüste,
So schwingt die Luft im Blau und schwillt im Meer das Meer.

Lenardo Vinci, unvermessner dunkler Spiegel,
Drin Engel ohne Harm mit süßem Lächelmund,
Den noch verschlossen hält geheimen Wissens Siegel,
In Gletscherschatten ruhn und in Zypressengrund.

Rembrandt, Siechenhaus, wo trübes Raunen lauert
Und dessen Dunkel nur ein Crucifixus schmückt,
Wo weinendes Gebet aus Unrathaufen schauert,
Die winterlich Geleucht in jähem Strahl durchzückt.

O Michelangelo, du Land, wo Urweltrecken
Den Heilanden gesellt sind und im Dämmerlicht
Gespenster schwer von Kraft sich hoch wie Säulen strecken
Und starrer Finger Krampf der Laken Fessel bricht.

So schamlos wie der Faun, verbissen wie die Ringer,
Du, der des Packes Schönheit auf vom Boden las,
Puget, du Herz voll Stolz, du Fahler und Geringer,
Ein Rudersklavenfürst, der nie vom Schmerz genas.

Watteau, du Mummenschanz, Wo viel erlauchte Herzen
Den Schmetterlingen gleich sich wiegen im Geloh,
Gebrächlich Ziergebräu, verklärt durch Flimmerkerzen,
Aus den der Taumel in des Reigens Wirbel floh.

Goja, du Albdruck schwer von ungewussten Dingen,
Von Frühgeburten gargekocht beim Hexenfest,
Von Spiegelalten und von Mädchen zart, die Schlingen
Selbst Teufeln legen, zerrn sie nackt die Strümpfe fest.

Delacroix, du Blutsee heimgesucht von Mahren,
Verschattet von des Tanns unsäglich grünem Blick,
Wo unter bleichen Himmeln seltsame Fanfaren
Verwehn wie leise Seufzer Weberscher Musik.

O ihr Verwünschungen, ihr Flüche, Tränen, Lallen,
Verzückte Schreie, Lobgesänge laut und stumm,
Seid Echos, die aus tausend Labyrinthen hallen!
Ihr seid dem Herz, das stirbt, ein göttlich Opium!

Und das ist gut, denn sieh: wir können, Herr und Walter,
Kein besser Zeugnis geben unsrer Würdigkeit
Als dies Geschluchz von Glut, das Alter wälzt zu Alter
Und sterben geht am Grenzwall deiner Ewigkeit!


Charles Baudelaire



Es ist interessant, zu sehen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Gedicht übersetzt werden kann. Hier ist eine andere deutsche Version.



Die Leuchttürme


Rubens, der Trägheit Garten, des Vergessens Bronnen,
Ein Lager blüh'nden Fleisches, der Liebe leer,
Doch so von Leben und von Glut durchronnen
Wie von der Luft das All, das Meer vom Meer.

Leonard da Vinci, Spiegel tief und dunkel,
Wo Engel lächeln süss und rätselschwer
Aus Fichtenschatten, grünem Eisgefunkel
Von ihrer Heimat Gletschergipfeln her.

Rembrandt, das Haus der Traurigen und Kranken,
Von einem hohen Kruzifix erhellt,
Gebete, Seufzer überm Unrat schwanken,
Ein kalter Schimmer jäh ins Dunkel fällt.

Buonarroti, fern, wo Riesenschatten schweben,
Wo Herkules mit Christus sich verband,
Gespenster steil aus ihrer Gruft sich heben,
Mit starrem Finger fetzend ihr Gewand.

Der in des Pöbels Wut, des Fauns Erfrechen,
Der Schönheit fand selbst in der Schurken Reich,
Puget, du grosses Herz voll Stolz und Schwächen,
Der Sklaven König, kummervoll und bleich.

Watteau, ein Fest, wo Herzen leuchtend irren,
Den Schmetterlingen gleich, ein Faschingsball,
Lieblicher Zierat, Glanz und Lichter schwirren
Und Tollheit wirbelnd durch den Karneval.

Goya, ein Nachtmahr, ferner wirrer Schrecken,
Leichengeruch vom Hexensabbat weht,
Wo, lüsterner Dämonen Gier zu wecken,
Die nackte Kinderschar sich biegt und dreht.

Und Delacroix, Blutsee, wo Geister hausen.
Im Schatten tief, der Himmel schwer wie Blei,
Wo durch die trübe Luft Fanfaren brausen
Seltsamen Klangs, wie ein erstickter Schrei.

Dies alles, Fluch und Lästerung und Sünden,
Verzückungsschrei, Gebet und Todesschmerz
Ist Widerhall aus tausend dunklen Gründen,
Berauschend Gift für unser sterblich Herz.

Ein Schrei ist's, der da gellt in tausend Stürmen,
Die Losung, die von tausend Lippen schallt,
Leuchtfeuer, das da flammt von tausend Türmen,
Des Jägers Ruf, der durch die Wildnis hallt.

Ein Zeichen, Gott, das wir dir bringen wollen,
Vor deinen Herrlichkeiten zu bestehn,
Glühende Tränen, die durchs Weltall rollen
Und an der Ewigkeiten Rand vergehn.


Charles Baudelaire

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