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Der Mensch ist nicht frei Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Hirnforschung und Willensfreiheit
Zur Deutung der neuesten Experimente

Mir scheint der Satz "Nicht das Ich, sondern das Gehirn hat entschieden!" korrekt zu sein, denn "eine Entscheidung treffen" ist ein Vorgang, dessen Auftreten objektiv überprüfbar ist. Auf den linken oder rechten Knopf zu drücken ist eine Entscheidung, und man kann mit entsprechendem Aufwand experimentell untersuchen, was im Gehirn passiert, bevor und wenn diese Entscheidung getroffen wird. Falls es nun stimmt, dass es nicht das wollende und bewusst erlebende Ich ist, welches die Entscheidung über eine Handlung trifft, wer entscheidet dann tatsächlich?
Gerhard Roth

Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.

Die Formulierung bezieht sich auf die Experimente des Neurophysiologen Benjamin Libet von 1979, die dem Alltagsverständnis unseres Handelns widersprechen. Wir glauben, dass wir, wenn wir handeln, uns erst entscheiden und dann tätig werden. Ich als mentaler Akteur kommandiere meinen physischen Körper: Ich tue, was ich will.
Die Wissenschaft erklärt unser Handeln aber anders. Der Interpretation des Libet-Versuchs zufolge findet eine Entscheidung früher im Gehirn als im Bewusstsein einer Person statt. Das kann nur bedeuten, dass unser bewusster Willensimpuls so etwas wie ein Ratifizieren der Entscheidung ist, die das Gehirn schon getroffen hat: Ich will, was ich tue. Allerdings muss man beachten, dass die Libet-Situation einen sehr engen Zeitrahmen hat. Und wie weit man von dieser Situation auf andere Situationen schließen kann, ist noch eine offene Frage.

Sind die Libet-Experimente ein Hinweis darauf, dass wir durch unsere Gehirne determiniert sind?

Ja. Aber um festzustellen, dass wir determiniert sind, bräuchten wir die Libet-Experimente nicht. Die Idee eines freien menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Wissenschaft geht davon aus, dass alles, was geschieht, seine Ursachen hat und dass man diese Ursachen finden kann. Für mich ist unverständlich, dass jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nichtdeterminiertes Handeln denkbar ist.

Die meisten Menschen sind doch aber davon überzeugt, dass sie freie, autonome Akteure sind.

Das sind unsere alltagspsychologischen Intuitionen. Die Alltagspsychologie ist dualistisch: sie unterscheidet zwischen mentalen und physischen Sachverhalten, und sie glaubt, dass der Geist den Körper regiert. Wenn wir wissenschaftlich denken, ist diese dualistische Position unhaltbar. Die Wissenschaft liebt Monismus und Determinismus.
Wolfgang Prinz

Der freie Wille ist eine Illusion. Eltern haften trotzdem für ihre Kinder.
Christian Geyer

Es ist schwierig, das geistige Leben mit der matschigen Gehirnsubstanz gleichzusetzen. Wir sollten niemals die Tatsache aus den Augen verlieren, dass das Gehirn ein Klumpen Matsch ist.
Paul Broks

Der Widerstreit zwischen Freiheit und Glück Literatur, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es gibt für den Menschen, wenn er frei bleibt, keine hartnäckigere und qualvollere Sorge als die, möglichst schnell jemanden zu finden, den er anbeten kann. Doch der Mensch strebt danach, etwas anzubeten, das über allen Zweifel erhaben ist, so hoch erhaben, dass alle Menschen zugleich bereit sind, es gemeinsam anzubeten. Denn die Sorge dieser jämmerlichen Geschöpfe besteht nicht nur darin, etwas zu finden, das ich oder ein anderer anbeten könnte, sondern etwas zu finden, woran alle glauben und was alle, unbedingt alle zusammen anbeten könnten. Gerade dieses Bedürfnis nach einer Gemeinsamkeit in der Anbetung war die größte Qual jedes einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit seit dem Anfang der Zeiten. Um der gemeinsamen Anbetung willen rotteten sie einander mit dem Schwerte aus. Sie schufen Götter und forderten einander auf: "Verlasst eure Götter und kommt, die unsrigen anzubeten, oder ihr und eure Götter sollt des Todes sein!" Und so wird es bleiben bis zum Ende der Welt, selbst dann, wenn die Welt entgöttert sein wird: einerlei, sie werden sich vor Götzen niederwerfen.

Fjodor Dostojewskij

Buchvorstellung: Von Müllstation zu Größenwahn Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Von Müllstation zu Größenwahn
Zerschlagung der ersten Punk-Generation

"Überall, wohin's dich führt
Wird dein Ausweis kontrolliert
Und sagst du einen falschen Ton
Was dann passiert, du weißt es schon..."
Planlos, 1981

"Andauernd wurden wir auf der Straße kontrolliert, bekamen ein Alexanderplatz-Verbot ausgesprochen oder wurden von der Transportpolizei auf einem Bahnhof so lange festgehalten, bis unser Zug zum Punkkonzert abgefahren war. Einmal wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert hatte. Mehrere Male wurde ich von Polizisten in Diskussionen über mein 'unsozialistisches Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln bestand. Wenn ich dann aus der DDR-Verfassung zitierte, dass jeder aussehen darf, wie er will, es nicht auf das Aussehen ankommt, oder darauf hinwies, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat, oder wenn ich die Genossen in sonstige Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz, den sie wohl in ihrer Ausbildung wieder und wieder geübt hatten: 'Nun werden se nich noch frech!' ...
Ansammlungen von mehr als drei Personen konnten als 'Zusammenrottung' geahndet werden. Die offizielle Form der Festnahme hieß 'Zuführung'. Man konnte ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation 'zur Feststellung eines Sachverhaltes' zugeführt sein. Meistens fuhren wir dann auf irgendein Polizeirevier und mussten uns dort ausziehen, damit unsere Sachen genau überprüft werden konnten. Alles Geschriebene wurde gründlich studiert und jede Kassette wurde abgehört, während wir mehr oder weniger nackt daneben standen."
Jakob Hein

Warten auf den Untergang

"Wir sind neugeboren in Trauer
Wir sind die Fehlgeburten der Mauer"
The Leistungsleichen

Der Pogo-Tanz der DDR-Punks auf dem heimischen Vulkan war kurz aber intensiv. Der Vulkan fauchte und zischte mitunter zwar heftig und verschlang sogar eine ganze Generation von ihnen in seinem Schlund. Doch zum endgültigen Ausbruch des Feuerbergs kam es nicht mehr. Im Herbst 1989 implodierte er still und leise. Zurück blieb ein Häufchen Asche.

Punk in der Halleschen Provinz
Bernd Lindner, Mark M. Westhusen

Eden Eden – It’s an Endless World!, Manga, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Für Individuen, die keine Nachfahren gezeugt haben und gefressen werden, ist diese Welt ungerecht, da sie von Glück, Unglück, Gewinn und Verlust geprägt ist. Deswegen haben Vorfahren der Menschen überlegt: "Um uns vor der unwirtlichen, ungerechten Welt zu schützen, bilden wir eine Gesellschaft, um uns gegenseitig zu helfen. Das war selbstverständlich. Durch die Schaffung einer Gesellschaft wurde die Arbeit geteilt und die Produktivität stieg. Mit der Stärkung der Technik kontrollierte man zunehmend die Natur. Die Menschheit wuchs und wuchs. Einige sammelten Reichtum an, um den man Krieg führte. Man lernte aufgrund der vielen Kriege dazu und entwickelte ein fortschrittliches Gesellschaftssystem. Aber die Gesellschaft ist so ein verrücktes Ding. Je weiter sich die Gesellschaft entwickelt, desto mehr Ungerechtigkeiten entstehen innerhalb der Gesellschaft. Unterschiede in Bezug auf Arm und Reich, im Stand, Fähigkeiten, Aussehen, Rasse... Die Gesellschaft, die dazu dienen sollte, aus der grausamen Welt zu entfliehen, schafft nur neue Ungerechtigkeiten. Man kann natürlich auch als Armer fröhlich und friedlich leben. Dafür braucht man aber ein System, das die Unzufriedenheit über die Ungerechtigkeit der Armen absobiert. Zum Beispiel braucht  man bei einem ungerechten Tod ein Gedankenkonstrukt, sodass man mit der Ungerechtigkeit noch zurechtkommen kann. Diese Rolle übernahm sehr lange die Religion. Man lehrte, dass man trotz Armut, Diskriminierung und Repressalien, wenn man den Glauben hatte und untadelig leben konnte, auch bei einem frühen Tod in den Himmel kommen konnte und so Gerechtigkeit erfuhr. Dass man jedoch gar keinen Glauben mehr besitzt, das gibt es häufig unter Menschen, die in Ländern leben, in denen das Sozialsystem ausgereift ist. Man muss nicht unbedingt Glauben haben, wenn die Gesellschaft stabil und wohlhabend ist. Aber dennoch kommt der Tod ungerechterweise daher. Die menschliche Gesellschaft wird auch in Zukunft einen fadenscheinigen Grund finden, Kriege zu führen. Die Starken werden die Schwachen weiter schikanieren. Der Glaube, dass in Zukunft alles besser werden wird, ist irgendwie auf einem globalen Niveau stecken geblieben. Wie soll man die Seelen derer retten, die die Grausamkeit der Welt nicht aushalten, das Glück in der Gesellschaft nicht finden oder nicht an Gott glauben können?

 

"Eden - It's an endless world" von Hiroki Endo

Eden Eden – It’s an Endless World!, Manga, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Für Individuen, die keine Nachfahren gezeugt haben und gefressen werden, ist diese Welt ungerecht, da sie von Glück, Unglück, Gewinn und Verlust geprägt ist. Deswegen haben Vorfahren der Menschen überlegt: "Um uns vor der unwirtlichen, ungerechten Welt zu schützen, bilden wir eine Gesellschaft, um uns gegenseitig zu helfen. Das war selbstverständlich. Durch die Schaffung einer Gesellschaft wurde die Arbeit geteilt und die Produktivität stieg. Mit der Stärkung der Technik kontrollierte man zunehmend die Natur. Die Menschheit wuchs und wuchs. Einige sammelten Reichtum an, um den man Krieg führte. Man lernte aufgrund der vielen Kriege dazu und entwickelte ein fortschrittliches Gesellschaftssystem. Aber die Gesellschaft ist so ein verrücktes Ding. Je weiter sich die Gesellschaft entwickelt, desto mehr Ungerechtigkeiten entstehen innerhalb der Gesellschaft. Unterschiede in Bezug auf Arm und Reich, im Stand, Fähigkeiten, Aussehen, Rasse... Die Gesellschaft, die dazu dienen sollte, aus der grausamen Welt zu entfliehen, schafft nur neue Ungerechtigkeiten. Man kann natürlich auch als Armer fröhlich und friedlich leben. Dafür braucht man aber ein System, das die Unzufriedenheit über die Ungerechtigkeit der Armen absobiert. Zum Beispiel braucht  man bei einem ungerechten Tod ein Gedankenkonstrukt, sodass man mit der Ungerechtigkeit noch zurechtkommen kann. Diese Rolle übernahm sehr lange die Religion. Man lehrte, dass man trotz Armut, Diskriminierung und Repressalien, wenn man den Glauben hatte und untadelig leben konnte, auch bei einem frühen Tod in den Himmel kommen konnte und so Gerechtigkeit erfuhr. Dass man jedoch gar keinen Glauben mehr besitzt, das gibt es häufig unter Menschen, die in Ländern leben, in denen das Sozialsystem ausgereift ist. Man muss nicht unbedingt Glauben haben, wenn die Gesellschaft stabil und wohlhabend ist. Aber dennoch kommt der Tod ungerechterweise daher. Die menschliche Gesellschaft wird auch in Zukunft einen fadenscheinigen Grund finden, Kriege zu führen. Die Starken werden die Schwachen weiter schikanieren. Der Glaube, dass in Zukunft alles besser werden wird, ist irgendwie auf einem globalen Niveau stecken geblieben. Wie soll man die Seelen derer retten, die die Grausamkeit der Welt nicht aushalten, das Glück in der Gesellschaft nicht finden oder nicht an Gott glauben können?

 

"Eden - It's an endless world" von Hiroki Endo

Psychiatrie: die Tyrannei der Mehrheit Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Geisteskrankheit - ein moderner Mythos?

1. Genau genommen können Krankheiten nur den Körper affizieren; daher kann es keine Geisteskrankheit geben.
2. "Geisteskrankheit" ist eine Metapher. Ein Geist kann nur in dem Sinne ,,krank" sein wie schwarzer Humor ,,krank" ist oder die Wirtschaft ,,krank" ist.
3. Psychiatrische Diagnosen sind stigmatisierende Etiketten; sie sollen an die medizinische Diagnosepraxis erinnern und werden Menschen angehängt, deren Verhalten andere ärgert oder verletzt.
4. Gewöhnlich werden Menschen, die unter ihrem eigenen Verhalten leiden und darüber klagen, als ,,neurotisch" und jene, unter deren Verhalten andere Leiden und über die sich andere beklagen, als ,,psychotisch" bezeichnet.
5. "Geisteskrankheit" ist nicht etwas, was eine Person hat, sondern etwas, was sie tut oder ist.
6. Wenn es keine ,,Geisteskrankheit" gibt, kann es keine ,,Hospitalisierung", ,,Behandlung" oder ,,Heilung" von ,,Geisteskrankheiten" geben. Menschen können mit oder ohne Eingreifen des Psychiaters ihr Verhalten oder ihre Persönlichkeit ändern. Solche Eingriffe nennt man heute ,,Behandlung". Die Veränderung, wenn sie in einer von der Gesellschaft gebilligten Richtung verläuft, heißt ,,Genesung" oder ,,Heilung".
7. In die Strafrechtspraxis eingedrungene psychiatrische Vorstellungen - z.B. Antrag auf Unzurechnungsfähigkeit' Gutachten über das seelisch-geistige Unvermögen des Beklagten, einen Prozeß durchzustehen, usw. - korrumpieren das Recht und machen die Bürger, derentwegen sie vorgeblich herangezogen werden, zu Opfern.
8. Persönliches Verhalten folgt stets Regeln, ist strategisch und sinnvoll. Soziale Beziehungen können als Spiele betrachtet und analysiert werden, wobei das Verhalten der Spieler von ausdrücklich formulierten oder stillschweigend wirksamen Spielregeln gelenkt wird.
9. Bei den meisten Arten von freiwilliger Psychotherapie versucht der Therapeut dem Behandelten die unausgesprochenen Spielregeln, nach denen er sich richtet, zu erläutern und ihm bei der Überprüfung der Ziele und Werte der von ihm praktizierten Lebensspiele zu helfen.
Es gibt keine medizinische, moralische oder juristische Rechtfertigung für unerbetene psychiatrische Eingriffe wie ,,Diagnose", ,,Hospitalisierung" oder ,,Behandlung".
Sie sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  
 
Thomas Szasz

Lyricon - Amber Liedtexte, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Ich vermisse dich

Algen tanzen im Licht
Der Teich ruht in der Sonne letztem Schein
Doch seine Schönheit tröstet mich nicht
Denn du bist fort und ich bin allein
Fremd und kalt war immer schon mein Sinnen
Doch Lust und Freude konnte ich stets verspüren
Wenn ich sah dein Haar im Wasser schwimmen
Und ich durfte deinen kalten Leib berühren

Um deinen weißen Leib floss feiner Schlamm
Das Wasser hielt gedunsen ihn und weich
Du schienst mich anzulächeln, dann und wann
Du warst der Herr in meinem Königreich
Habe auf tausend Arten dich liebkost
Dir gern das moosige Haar gezaust
Warst Geliebter, Gefährte, einziger Trost
Hast mit mir im tiefen Schilf gehaust

Und wollte auch dein Herzlein nicht mehr schlagen
So spielten wir doch manches wilde Spiel
In vielen Nächten und an manchen Tagen
Und niemals, niemals wurde es dir zu viel
Mein liebstes Spielzeug bist gewesen
Du schienst mich zu verstehen, warst mir so nah
Mich störte nicht dein langsames Verwesen
Denn ewig treu dir meine Liebe war

Doch eines Tages, da sind sie gekommen
Ewig werde ich sie dafür hassen
Sie haben dich mir einfach weggenommen
Und gern, so schien's mir, hast du mich verlassen
Nun sitze ich hier allein an unserem See
Ich bin so schrecklich einsam ohne dich
Mein kaltes, kaltes Herz, es tut so weh
Ich werde vermissen dich, ewiglich

Amber

Die holde Naturwissenschaft Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Der Konstrukteur Trurl erbaute einmal eine Maschine, die alles herstellen konnte, was mit dem Buchstaben n begann... Da lud er den Kostrukteur Klapauzius zu sich ein, stellte ihm die Maschine vor und lobte überschwenglich ihre außerordentlichen Fähigkeiten - bis dieser schließlich wütend wurde und darum bat, ihr selber etwas aufzutragen.
"Bitte sehr", sagte Trurl, "aber es muss auf n sein."
"Auf n?", fragte Klapauzius, "Schön, dann soll sie Naturwissenschaften klopfen."
Die Maschine erzitterte, grunzte und alsbald füllte sich der Platz vor Trurls Domizil mit einer n-Zahl von Naturwissenschaftlern. Sie rauften sich die Haare, schrieben in dicke Bücher, einige griffen nach ihnen und rissen sie in Fetzen; in der Ferne loderten Scheiterhaufen, auf denen die naturwissenschaftlichen Märtyrer schmorten, hie und da explodierte etwas, entwickelten sich seltsame Dämpfe in Gestalt von Pilzen; alle redeten durcheinander, sodass niemand ein Wort verstand, manche verfassten hastig Denkschriften, Petitionen und Resolutionen; ein wenig abseits wiederum, vor den Füßen der Gestikulierer, hockten ein paar Greise und schrieben etwas mit winzigen Buchstaben auf Papierfetzen.
"Nicht schlecht, was?", rief Trurl entzückt aus, "Die holde Naturwissenschaft, wie sie leibt und lebt!"

Stanislaw Lems

Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack


Da die Philosophie nichts anderes ist als das Streben nach Weisheit und Wahrheit, so sollte man vernunftgemäß erwarten dürfen, dass die, welche am meisten Zeit und Mühe auf sie verwendet haben, sich einer größeren Ruhe und Heiterkeit des Gemütes, einer größeren Klarheit und Sicherheit der Erkenntnis erfreuen und weniger durch Zweifel und Bedenken beunruhigt werden als andere Menschen. Wir sehen dagegen,  dass vielmehr die ungelehrte Menge der Menschen, die auf der Landstraße des schlichten Menschenverstandes wandelt und durch die Gebote der Natur geleitet wird, größtenteils zufrieden und ruhig lebt.
Ihnen scheint nichts, was gewöhnlich ist, unerklärlich oder schwer zu begreifen. Sie klagen nicht über irgendwelche Unzuverlässigkeit ihrer Sinne und sind ganz frei von der Gefahr, Skeptiker zu werden. Sobald wir uns aber der Leitung der Sinne und der natürlichen Triebe entziehen, um dem Lichte eines höheren Prinzips zu folgen, um über die Natur der Dinge mittels unserer Vernunft Schlüsse zu ziehen, über sie nachzudenken und zu reflektieren, erheben sich sofort tausend Zweifel in unserem Geist in Betreff eben der Dinge, welche wir vorher völlig zu begreifen schienen. Vorurteile und Irrtümer der Sinne enthüllen sich von allen Seiten her unserem Blick, und indem wir diese durch Nachdenken zu berichtigen streben, werden wir unvermerkt in seltsame, von der gewöhnlichen Meinung abweichende Behauptungen, Schwierigkeiten und Widersprüche verstrickt, die sich in dem Maße, als wir in der Betrachtung weiter gehen, vermehren und steigern, bis wir uns zuletzt, nachdem wir manche verschlungene Irrgänge durchwandert haben, gerade an dem Punkte wiederfinden, von welchem wir ausgegangen waren, oder, was schlimmer ist, die Forschung aufgeben und, in Zweifelsucht verloren, die Hände in den Schoß legen.

George Berkeley

Rezitatorenwettstreit 2003 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Das Thema lautete "Alter-nativ".



Die Spitze

I
 
Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze,
noch unbestätigter Bestand von Glück:
ist das unmenschlich, daß zu dieser Spitze,
zu diesem kleinen dichten Spitzenstück
zwei Augen wurden? - Willst du sie zurück?
 
Du Langvergangene und schließlich Blinde,
ist deine Seligkeit in diesem Ding,
zu welcher hin, wie zwischen Stamm und Rinde,
dein großes Fühlen, kleinverwandelt, ging?
 
Durch einen Riß im Schicksal, eine Lücke
entzogst du deine Seele deiner Zeit;
und sie ist so in diesem lichten Stücke,
daß es mich lächeln macht vor Nützlichkeit.
 
 
II
 
Und wenn uns eines Tages dieses Tun
und was an uns geschieht gering erschiene
und uns so fremd, als ob es nicht verdiene,
daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn
um seinetwillen wachsen -: Ob die Bahn
vergilbter Spitze, diese dichtgefügte
blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte,
uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan.
 
Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß?
Ein Glück war da und wurde hingegeben,
und endlich wurde doch, um jeden Preis,
dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben
und doch vollendet und so schön als sei's
nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben. 

Rainer Maria Rilke


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