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Buchvorstellung: Sterben für Jerusalem Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Dieter Breuers
Sterben für Jerusalem

Der Erste Kreuzzug

Vor 900 Jahren ging der Erste Kreuzzug zu Ende - ein historisches Ereignis, das bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat und das immer wieder Gegenstand historischer Abhandlungen und romantischer Verklärung wurde.
Doch was mit frommen Absichten, hehren Zielen und mit dem Ruf "Gott will es!" auf den Lippen begann, verkam recht bald zu einem elenden Unternehmen: Brutalität, Neid, Hemmungslosigkeit, Habsucht, Hunger und Streit waren an der Tagesordnung.
Anhand der spannenden Lebensgeschichten verschiedener fiktiver Personen lässt Dieter Breuers eine Welt erstehen, die uns auch heute noch Schauer über den Rücken jagt.

Insgesamt finde ich dieses Buch sehr gut gelungen, weil es die historischen Fakten liefert, ohne zu sehr ins Detail abzuschweifen. Wenn ich komplett über den Ersten Kreuzzug aufgeklärt werden möchte, dann lese ich schließlich ein Fachbuch. Viele Autoren von historischen Romanen neigen dazu, alles endlos aufzudröseln und letztendlich keine guten Geschichten zu erzählen, weil sie sich zu sehr an das Geschehnis halten und damit jedes Buch gleich klingt. Dann gibt es wiederum Leute, die so ausschweifen, dass von der eigentlichen Geschichte kaum mehr ein Hauch von Wahrheit bleibt und alles eher wie ein Fantasyroman anmutet. Breuers findet einen guten Mittelweg. Er beleuchtet die Fakten, ohne auszuschweifen. Er kreiert fiktive Charaktere, die er mit dem tatsächlichen Geschehnis verbindet, ohne sie zu sehr in einen gefühlsbeladenen Mittelpunkt zu stellen. Und er nutzt einen knappen, für historische Romane ungewohnten Schreibstil.
Es gibt zum Teil auch Negatives zu vermerken. Bei manchen Dingen weiß man nicht, wie sehr sich der Autor auf Quellen stützt und wie viel er sich selbst erdacht hat. Beispielsweise das Finden der Longinuslanze. Dazu gibt es im Buch auch kein Quellen- bzw. Literaturverzeichnis. Natürlich bemängle ich beides nicht, weil es sich nun einmal um einen Roman, nicht um ein Fachbuch handelt. Dennoch besitzt das Buch ein Personen- und Sachregister. Großer Pluspunkt. Damit können wenige Romane aufwarten.
Man könnte auch bemängeln, dass Breuers die Geschichte des Ersten Kreuzzuges aus einem ausschließlich negativem Blickwinkel beleuchtet. Allerdings soll es schließlich gegen alle Verklärung gehen. Das merkt man dem Schreibstil übrigens an. Hart, kühl, brutal. Dennoch wird hier von Menschen geschrieben, nicht von Bestien. Darum erkenne ich durchaus eine Nähe zur Realität. Die kurzen Sätze trafen noch dazu genau den Punkt. Dadurch wurde ich des Lesens kein einziges Mal müde.
Gut finde ich auch das prägnante Fazit, das zum Schluss gezogen wird, auch wenn es das Christentum wiederum ein wenig verteufelt. Die ganze Zeit über ist auf allen Seiten der Gedanke vorhanden, selbst den richtigen Glauben zu vertreten und gegen Ungläubige zu kämpfen. Aber letztendlich beten alle gleich und mehr oder weniger auch den gleichen Gott an. Da die Christen zu diesen brutalen Mitteln griffen und die Stätten des anderen Glaubens vernichteten, stehen sie am Ende im schlechtesten Licht da. Und ihren Sieg verdanken sie allem Anschein nach weniger einer göttlichen Fügung, als vielmehr Rücksichtslosigkeit, Glück und der Legitimation ihrer Handlung durch ein irregeführtes Dogma.
Also, alles in allem ist das Buch auf jeden Fall empfehlenswert.

Buchvorstellung: Homo Faber Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Max Frisch
Homo Faber
Ein Bericht

Homo Faber wird der Schweizer Ingenieur Walter Faber beziehungsreich genannt, dem dieser erzählte Bericht in den Mund gelegt ist. Faber ist die vollkommene Verkörperung der technischen Existenz, die sich vor dem Zufall und dem Schicksal sicher glaubt. Diesen Faber, der das fünfzigste Lebensjahr schon überschritten hat, lässt Frisch systematisch mit der außertechnischen Welt, dem Irrationalen, zusammenstoßen. Faber bleibt davon zunächst unerschüttert: die Notlandung seines Flugzeugs in der Wüste, der Selbstmord seines ehemaligen Freundes im Dschungel von Mexiko - das bringt sein rational zementiertes Weltbild nicht ins Wanken. Ernsthaft wird es erst bedroht, als Faber durch die Ereignisse zu einem Rechenschaftsbericht über seine eigene Vergangenheit gezwungen wird. Ein junges Mädchen verliebt sich in ihn. Es stellt sich heraus, dass es seine eigene Tochter ist, von deren Existenz er nichts gewusst hat. Hineingezogen in das Stärkste, was das menschliche Leben an irrationalen Einbrüchen zu bieten hat, bricht sein frohgemuter Rationalismus zusammen. Faber sieht sein verfehltes Leben und nimmt den Tod in seine Welt auf.
Darmstädter Echo

Nichts ist zufällig an diesem Bericht. Er ist das Ergebnis einer souveränen dichterischen Konzeption, die bei äußerster sachlicher Strenge mit den Mitteln einer schlichten, präzisen, pathoslosen, fast kargen Prosa in die Tiefen der menschlichen Existenz hinablotet. Alles ist Klarheit, alles Substanz.
Düsseldorfer Nachrichten

Max Frischs Homo Faber ist eines der wichtigsten und meistgelesenen Bücher des 20. Jahrhunderts. Kein anderer zeitgenössischer Roman stellt derart ehrlich wie hintergründig die Frage nach der Identität des modernen Menschen.

Buchvorstellung: Spiegelscherben Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Künstler wird man aus Verzweiflung.
Ernst-Ludwig Kirchner

Alfred Pompe
Spiegelscherben

Töte einen und du bist ein Mörder.
Töte Tausende und du bist ein Herrscher.

Jeder Blick in den Spiegel wird zum Widerschein unseres Selbst. Mit dem Ausatmen des Unsichtbaren gegen das kühle Abbild wird schemenhaft sichtbar, was wir tief im Inneren zu verbergen suchen. Auf gläserner Fläche wird ertastbar, in welchem Zwiespalt der Geist sich oft bewegt.
Im vorliegenden Buch lässt Alfred Pompe die Welt erstehen, die wir hinter der spiegelnden Fläche vermuten. Als kraftvolle Gestalten treten uns unsere Gefühle gegenüber, wenn wir ihnen im Dunkel unserer Pupillen gewahr werden. Die Reise, auf die uns der Autor mitnimmt, hat für uns schon längst begonnen, als ein Regentropfen die Ruhe in einer Pfütze durchbrach, in der wir unser Spiegelbild betrachteten. Eine tiefsinnige Entdeckungsreise zu unseren Gefühlen und Eindrücken, hin zu Erinnerungen lichter, sowie dunkler Gestalten.
So ist "Spiegelscherben" eine Reflektion unseres Selbst und der Welt, in der wir leben. Bildgewaltig und zugleich gefühlvoll regen die Zeilen zum Nachdenken, Erinnern und Mitfühlen an. Und laden zu einer poetischen Reise in die Welt der Schwarzromantik ein. Um sich darin selbst zu entdecken.

Buchvorstellung: Das Bildnis des Mr. W. H. Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Aus welchem Stoff, woraus schuf dich Natur,
Dass tausend fremde Schatten sich dir weihen?
Hat jeder hier doch einen einzgen nur,
Und du kannst alle, alle Schatten leihen.
William Shakespeare

Die Schminke braucht sich nicht zu verbergen,
Sie muss nicht vermeiden, dass man sie erahnt;
Sie mag sich im Gegenteil zur Schau stellen
- wenn schon nicht geziert, so doch ganz offen.
Charles Baudelaire

Ein Zugeständnis an jeden Schatten, jeden Schauspieler, der die Wahrheit so perfekt zu verschleiern vermag.

Oscar Wilde
Das Bildnis des Mr. W. H.

Wer war Mr. W. H., dem Shakespeare seine berühmten Sonette widmete? Wer der hübsche junge Mann, der in den meisten der Gedichte angesprochen wird? Cyril Graham, der Held in Oscar Wildes Geschichte, meint das Rätsel gelöst zu haben. Allein ein handfester Beweis fehlt ihm noch.
Wildes virtuose Geschichte einer Obsession ist zugleich ein amüsantes Verwirrspiel über Kunst und Leben.

"Alle bezaubernden Leute sind verdorben. Es ist das Geheimnis ihres Reizes."

"Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach."

"Es ist stets töricht, Ratschläge zu geben, aber gute Ratschläge zu geben ist absolut verhängnisvoll."

"Eine Sache muss nicht unbedingt wahr sein, nur weil ein Mensch für sie stirbt."

"Für seine religiöse Überzeugung zu sterben ist der schlechteste Gebrauch, den ein Mensch von seinem Leben machen kann."

"Entsprang die Tragödie nicht den Leiden des Dionysos? Wurde nicht das unbeschwerte Lachen der Komödie mit ihrer sorglosen Fröhlichkeit und ihren munteren Entgegnungen zuerst von den Lippen sizilianischer Weingärtner vernommen? Ja, gab nicht das Purpur und Rot des Weinschaums auf Gesicht und Gliedern die erste Andeutung vom Reiz und Zauber der Verkleidung - zeigte sich so nicht in den ungeschickten Anfängen der Kunst die Sehnsucht, sein Ich zu verbergen, das Gefühl für den Wert der unpersönlichen Darstellung?"

"Vielleicht hat man, wenn man den vollendeten Ausdruck für eine Leidenschaft findet, die Leidenschaft selbst erschöpft. Gefühlskräfte haben wie die physischen Kräfte ihre vorgeschriebenen Grenzen. Vielleicht geht Hand in Hand mit dem bloßen Versuch, jemanden zu einer Theorie zu bekehren, eine Art Verzicht auf die Glaubensfähigkeit. Vielleicht ist man der ganzen Sache dann einfach müde, und da die Begeisterung ausgebrannt ist, bleibt die Vernunft ihrem eigenen leidenschaftslosen Urteil überlassen."

Buchvorstellung: Atmen Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Stefan Kalbers

Atmen
Jemand muss atmen

"Und ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Jeden Tag mache ich weiter und beginne wieder von vorn. Aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz.
Ich weiß nicht, wovon andere Menschen träumen. Doch in meinen Träumen bewege ich mich stets durch ein dunkles, kaltes All. Geräuschlos, unfähig, auch nur einen Laut von mir zu geben, gleiche ich einem leeren Gefäß, ohne Emotion, ohne einen klaren Gedanken in mir zu tragen.
Es gibt nur das Bewusstsein dafür, anwesend zu sein, und meine Augen, an denen alles, was geblieben ist, vorüberzieht. Namenlose Planeten verglühen, schicken ihr Licht wie eine Botschaft durch den Raum. Empfänger unbekannt. Diesen Träumen liegt eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Ruhe zugrunde. Schicht um Schicht gilt es, meine Einsamkeit aufzugraben, bis die Schaufel am Grund der Wahrheit zerbricht."

Stefan Kalbers schickt seinen Protagonisten scheinbar ziellos durch die kalte, herzlose Welt, die um ihn herum in sich zusammenfällt. Er rutscht ab, gerät auf die schiefe Bahn und scheint unrettbar verloren, ist immer im falschen Moment am falschen Ort, an sich ein netter Kerl, aber ein Verlierer - und am Ende steht lediglich die Erkenntnis: Jemand muss atmen.

"Der wahre Horrortrip war immer der Alltag. Diese unabwendbare Abfolge nicht enden wollender Banalitäten. Horror war, sich in einen festen Tagesablauf pressen lassen zu müssen. Horror, das war der Druck, sich durch irgendeine aufgezwängte Tätigkeit den Lebensunterhalt verdienen zu müssen, niemals genügend Schlaf zu bekommen und sich jeden Tag, immer aufs Neue, gehetzt und getrieben zu fühlen. Horror, das waren die Nachbarn, die einen grüßten, der Geruch von Putzmittel im Treppenhaus und ein Blick in das Gesicht des Vermieters, der drängende Fragen stellte. Horror, das war das Vergehen der Zeit, die Wiederkehr eines Geburtstages, ein weiteres Weihnachten, Silvester, Ostern. Horror, das war der Lärm der Straße, die Masse an glücklosen, dumpfen Menschen um mich herum. Menschen - sie waren überall.
Man konnte ihnen nicht entkommen. In der Wohnung über mir, neben mir, unter mir. Ihre Stimmen waren da, ihre Sprache, das Dröhnen des Fernsehers, das Klingeln des Telefons, die Türen, die ständig auf- und zugingen. Horror, das war die Erkenntnis, dass selbst enge Freunde die eigenen Gedankengänge nicht mehr nachvollziehen konnten. Mein ganzes Leben lang hatte ich mir gewünscht, unsichtbar zu sein und möglichst früh zu sterben.
Ich war noch immer hier.
Horror, das war ein nüchterner Kopf ohne die Möglichkeit, sich zu berauschen. Ich wollte aufhören zu denken, aufhören zu fühlen. Ich wollte aufhören."

Buchvorstellung: Der Spiegel der Natur Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Richard Rorty

Der Spiegel der Natur
Eine Kritik der Philosophie

Nicht Sätze, sondern Bilder, nicht Aussagen, sondern Metaphern dominieren den größten Teil unserer philosophischen Überzeugungen. Das Bild, das die traditionelle Philosophie gefangenhält, ist das Bild vom Bewusstsein als einem großen Spiegel, der verschiedene Darstellungen enthält - einige davon akkurat, andere nicht - und mittels reiner, nicht empirischer Methoden erforscht werden kann.

War Aristoteles mit seiner Einteilung der Bewegung in eine natürliche und eine gewaltsame im Irrtum? Oder sprach er über etwas anderes als wir, wenn wir über die Bewegung sprechen? Gab Newton richtige Antworten auf Fragen, die Aristoteles falsch beantwortet hatte? Oder stellten beide verschiedene Fragen? Eine Rätselfrage wie diese hat einige der besten Arbeiten inspiriert, die auf den Gebieten der Wissenschaft und der Sprachphilosophie in den letzten Jahren geschrieben wurden. Wie bei den meisten philosophischen Rätseln sind jedoch hier die Motive und Voraussetzungen interessanter als die verschiedenen Lösungen. Warum sollen wir eigentlich auf diese Fragen eine interessantere Antwort erwarten als auf die Frage, ob das Schiff des Theseus die Erneuerung jeder seiner Planken überdauert hat?
Warum sollen wir annehmen, dass die Frage "Was haben sie gemeint?" oder "Worauf haben sie sich bezogen?" eine feststehende Antwort hat?
Warum kann ihre Beantwortung nicht einfach davon abhänig sein, welche heuristischen Annahmen einem bestimmten historiographischen Zweck dienlich sind?

Mit diesem Buch bietet Richard Rorty so etwas wie ein Prolegomenon zu einer Geschichte der erkenntnistheoretisch orientierten Philosophie als einer Epoche der europäischen Kulturgeschichte an.

Buchvorstellung: Von Müllstation zu Größenwahn Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Von Müllstation zu Größenwahn
Zerschlagung der ersten Punk-Generation

"Überall, wohin's dich führt
Wird dein Ausweis kontrolliert
Und sagst du einen falschen Ton
Was dann passiert, du weißt es schon..."
Planlos, 1981

"Andauernd wurden wir auf der Straße kontrolliert, bekamen ein Alexanderplatz-Verbot ausgesprochen oder wurden von der Transportpolizei auf einem Bahnhof so lange festgehalten, bis unser Zug zum Punkkonzert abgefahren war. Einmal wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert hatte. Mehrere Male wurde ich von Polizisten in Diskussionen über mein 'unsozialistisches Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln bestand. Wenn ich dann aus der DDR-Verfassung zitierte, dass jeder aussehen darf, wie er will, es nicht auf das Aussehen ankommt, oder darauf hinwies, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat, oder wenn ich die Genossen in sonstige Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz, den sie wohl in ihrer Ausbildung wieder und wieder geübt hatten: 'Nun werden se nich noch frech!' ...
Ansammlungen von mehr als drei Personen konnten als 'Zusammenrottung' geahndet werden. Die offizielle Form der Festnahme hieß 'Zuführung'. Man konnte ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation 'zur Feststellung eines Sachverhaltes' zugeführt sein. Meistens fuhren wir dann auf irgendein Polizeirevier und mussten uns dort ausziehen, damit unsere Sachen genau überprüft werden konnten. Alles Geschriebene wurde gründlich studiert und jede Kassette wurde abgehört, während wir mehr oder weniger nackt daneben standen."
Jakob Hein

Warten auf den Untergang

"Wir sind neugeboren in Trauer
Wir sind die Fehlgeburten der Mauer"
The Leistungsleichen

Der Pogo-Tanz der DDR-Punks auf dem heimischen Vulkan war kurz aber intensiv. Der Vulkan fauchte und zischte mitunter zwar heftig und verschlang sogar eine ganze Generation von ihnen in seinem Schlund. Doch zum endgültigen Ausbruch des Feuerbergs kam es nicht mehr. Im Herbst 1989 implodierte er still und leise. Zurück blieb ein Häufchen Asche.

Punk in der Halleschen Provinz
Bernd Lindner, Mark M. Westhusen

Buchvorstellung: Ich hab die Unschuld kotzen sehen Buchvorstellung

Autor:  halfJack
Dirk Bernemann

Ich hab die Unschuld kotzen sehen

"Guten Tag, die Welt liegt in Trümmern. Ich sammle sie auf. Errichte daraus neue Gebäude. Konstruiere neue Städte. Kann man wohnen drin. Oder weiträumig umfahren."

So begrüßt einen dieses Stück Literatur, bevor es einen hinabreißt in die Abgründe einer Welt, die in uns etwas zum Klingen bringt, denn sie ist uns sehr vertraut. Es ist unsere Welt!
Wenn man Bernemanns Buch liest, kommt es einem vor, als hätte man uns endlich die rosa Brille abgenommen, ja vom Kopf geprügelt. In einer poetischen Klarheit zelebriert er ein Massaker des Lebens, das fasziniert, um gleichzeitig abzustoßen.

"Das Gelage dieser Tage. Wir liegen mit mehr Krebszellen als Verstand im Kopf auf diesem durchgefickten Sperrmüllsofa. Wir sind Engel, die Verführer, die Verführten des Amokzustandes, mancherortens fälschlicherweise Leben genannt. Um uns schießt Dummheit wie vergiftete Pflanzen aus krankem Boden. Sie liegt wie tot in meinem Arm. Liebe ich sie? Sie atmet einen süßlichen Duft, den Cocktail aus Fastfoodkotze, Magenschleimhautentzündung, Billigwhiskey und meinen Küssen."


Ich habe die Unschuld kotzen sehen 2 - Und wir scheitern immer schöner

"Das Leben ist Krieg. Der Krieg hat uns alle leergemenscht, kaputtgeKRIEGt. Das Leben ist kein Krieg, sondern Sehnsucht, irgendwas zwischen Verachtung und Liebe!
Das Leben ist Krebs, er zieht Metastasenstraßen durch meinen Leib. Das Leben ist Konzentrationsamok, ein Garten rot blühender Neurosen. Und ich bin der Menschenkarton mit chemischem Inhalt.
All das geschrien, während Genitalien sich duellieren..."

Dirk Bernemanns zweites Werk, die Welt so zu erklären, wie sie wirklich ist. Wieder hat er das literarische Skalpell zur Hand genommen, seine Schnitte gehen tief, treffen zielsicher unseren Verstand und unser Bauchgefühl. Wir fühlen uns ertappt, betrogen und verletzt.
Und doch, unter all dem, was wir Leben nennen, ist auch Hoffnung...
Oder ist das nur Verfall de Luxe?

"Und ohne es zu merken, wird der Boden unter uns zum Scheiterhaufen aufgetürmt.
Hat mal jemand Feuer? Klar.
Danke."

Buchvorstellung: Das sanfte Labyrinth Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Heinz Zander

Das sanfte Labyrinth

Das läuft alles ab wie im Kino: Am Tag der Einweihung einer Autostraße, die die drei wichtigsten Siedlungsgebiete einer Mittelmeerinsel miteinander verbinden soll, gerät der Bauingenieur Julian Rebstein im Sog turbulenter Ereignisse an die Seite des ebenso rücksichtslosen wie sentimentalen Reeders Eusebius, einer äußerst zwielichtigen Figur. Er erlebt, wie sein Lebenswerk zerstört wird und ihn eine lasziv zu nennende Kulissenwelt immer mehr gefangennimmt. In einem Zustand an der Grenze zwischen Traum und überwacher Klarheit registriert er, wie Unwahrscheinliches geschieht, während auf seinem Reißbrett ein alles verschlingender steinerner Irrgarten Konturen annimmt.
"Mein liebes spätes Söhnchen, baue, baue, baue...", beschwört ihn die ältliche Tante, Lenchen, und sie weist ihn hin auf das geheimnisvolle Grau der Katze des Hyacinthe Rigaud. In ihren mineralogischen Sammlungen knien die Danaiden noch jeden Tag auf ihrem Büßerstein, die Prozesse dauern an.
Rebstein wird belehrt: "Die Dinge, die wir zum Leben zwangen, schlagen zurück. Haben wir sie überreden können, Wirkung auszuüben, dann können wir sie nicht überreden, auf uns selbst keinen Einfluss zu haben." Doch er erlebt auch: Was als Erscheinung austauschbar wirkte, zeigt sich in seinem Wesen als unverwechselbar. Die Liebe weist Rebstein in letzter Minute einen Ausweg, einen Weg aus dem Labyrinth.
Heinz Zander schrieb einen Parabelroman großen Anspruchs, ein üppigphantastisches Geweb von Gegenwärtigem und Vergangenen, dem der Mythos von Ariadne und Theseus als doppelter Boden zu Grunde liegt.


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