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Der Name der Rose Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Meine Erinnerungen sind stellenweise 451 °F heiß. Wenn ich ein Buch zur Hand nehme, weiß ich nicht, wie viel mir davon am Ende bleibt. Manchmal ist es nicht mehr als das Gefühl, es sei gut oder schlecht gewesen. Bücher geraten in Vergessenheit. Sie gehen oft verloren wie in einer brennenden Bibliothek. Nicht selten erinnere ich mich Jahre oder Monate oder gar Wochen später überhaupt nicht mehr daran. Ich bezeichne das als mein "Fremder-Syndrom", weil mir das bei "Der Fremde" von Albert Camus besonders extrem passierte; nach dem ersten Lesen blieb mir nur ein positiver Eindruck, doch bald vergaß ich nicht nur den Inhalt, sondern überhaupt die Tatsache, dass ich es schon gelesen hatte; darum las ich es ein zweites Mal während einer Fahrt auf dem Nil, bevor ich daheim anhand meiner Notizen feststellte, dass ich es bereits hätte kennen müssen. Doch das zweite Mal hat nichts gebracht, "Der Fremde" ist mir heute genauso fremd, als hätte ich das Buch nie zur Hand genommen.

Um das zu verhindern, möchte ich in Zukunft häufiger die rußigen, halb verbrannten Seiten aufsammeln, die ich in der Asche finden kann. Das Ganze läuft weiterhin unter der Bezeichnung "Buchvorstellung", da ich dafür kein geordnetes Vorgehen habe, sondern Gedanken, Inhalte und Assoziationen spontan festhalte, mal mehr Review, mal eher Zitatsammlung oder bloß Klappentext. Damit mir die Bücher nach der Begegnung nicht mehr fremd sind.

Mit dieser Idee, und meines Erachtens recht passend, da es im folgenden Werk unter anderem um Bücher geht, blicke ich zurück auf:

Umberto Eco
Der Name der Rose

Es brauchte nur eine erste Deduktion und das erste Gespräch zwischen zwei Gelehrten und sofort war mir William sympathisch. William, ein Franziskaner und die eigentliche Hauptfigur, die aus der Ich-Erzählerperspektive seines unscheinbaren Begleiters Adson beschrieben wird. Nicht die einzige Ähnlichkeit zu Sherlock Holmes. In der Tat kamen mir die beiden Hauptfiguren vor wie Sherlock und Watson. In seinem Denken, Vorgehen und Charakter ist William dem großen Detektiv nicht unähnlich. Oftmals sagt er vergleichbare Dinge, als würde Eco absichtlich auf ein paar Zitate anspielen, allerdings mit mehr unterschwelliger Kritik und irgendwie weniger zynisch, weniger herablassend. Williams Kritik ist stets fundiert erklärt und er macht sich nicht wie Sherlock einen Spaß daraus, all seine Erkenntnisse für sich zu behalten, um sie am Ende großspurig in Szene zu setzen. Ecos Figur scheint reflektierter, selbstkritischer. Außerdem ist William ganz offensichtlich philosophisch gebildet. Dagegen interessierte sich Sherlock nie für Philosophie oder irgendwelche transzendenten Themen; ihm wäre es sogar egal gewesen, wenn die Erde um den Mond kreiste.

Faszinierend waren für mich solch ellenlange Beschreibung wie etwa jene des Portals zu Beginn, mit Sätzen, die fast über eine Seite gingen; sehr biblisch, an religiösen Text und Stil angelehnt. Es passte zum Inhalt und der gesamten Szenerie. Manche Leser könnte das langweilen. Bei einer Reader's-Digest-Ausgabe wären solche Szenen wahrscheinlich die ersten, die einer Kürzung zum Opfer fielen.
Ausschweifend ist Eco auch in seinen Dialogen. Schön zu sehen, wenn Autoren in ihren Werken, in denen es eigentlich um etwas ganz anderes geht, plötzlich ellenlange Diskussionen einfügen, zum Beispiel über Glasbläserei. Gewisse Themen beschäftigten ihn offenbar in seinen Werken immer wieder. Nicht unbedingt die Glasbläserei. Stattdessen Gerüchte, Erzählungen, Zuschreibungen, die unter den Leuten kursieren, mal bezogen auf den Antichrist, mal auf die Juden usw. Damit einher geht auch das Kopieren von Texten. Die Arbeit eines Mönchs bestand im Mittelalter ohnehin zum großen Teil aus dem Kopieren von Werken, was zur Umgebung des Klosters und seinen Protagonisten passt. Doch nicht nur hier, in neutraler Auslegung quasi, sondern in jedem literarischen Bereich, sei es Wissenschaft oder Belletristik, haben Autoren oft voneinander abgeschrieben. Eco tut es meines Erachtens selbst, aber er macht es offensichtlich, zum Beispiel mit seinem Rückgriff auf Sherlock Holmes. Er verteilt damit subtil und amüsant Seitenhiebe. Bei Der Friedhof in Prag ist das sogar sein Hauptthema: Verschwörungstheorien, gepaart mit der Entstehung der Protokolle der Weisen von Zion, eine Schrift, die eine angebliche jüdische Weltverschwörung belegen soll, tatsächlich jedoch nur die lange Wandlung eines immer wieder abgeschriebenen fingierten Textes dokumentiert. Im positiven Sinne beinhaltet jenes Thema des Kopierens auch die Theorie der Intertextualität, wonach jedes Werk Intertext sei, entstanden aus den konsumierten und transformierten Werken der Vorgänger. An einer Stelle werden sogar die Merseburger Zaubersprüche zitiert. Es wirkt erst mal wie wirre, inhaltlose Laute, aber da ich aus Merseburg komme und mir die Formulierungen seit Kindesbeinen an vertraut sind, habe ich es sofort erkannt.
Mir gefiel zudem das viele Latein, obwohl ich feststellen musste, dass meines ziemlich eingerostet ist. An manchen Stellen diffundiert es regelrecht in die normalen Beschreibungen und Aussagen, das hat einen interessanten Effekt.
Ebenfalls auffällig sind die vielen Bibelformulierungen, die ganz normal in Adsons Denken und Beschreiben einfließen.
Genauso musste ich bei einigen Debatten und historischen Begebenheiten schmunzeln oder innerlich beipflichten. Eco sagt oft mehr, als es den Anschein hat, und greift dabei auf das Wissen des Lesers zurück. So etwas gefällt mir einerseits sehr gut, weil man ständig Verbindungen ziehen kann, andererseits frage ich mich, ob für Leser, die sich damit nie beschäftigt haben, nicht viel verloren gehen müsste, sodass manche Ironie gar nicht zu Bewusstsein kommt, einiges langweilt oder man an manchen Stellen sogar nicht unterscheiden kann, ob die Information jetzt stimmt oder ob es sich nur um einen Scherz handelt. Auch für mich selbst hege ich diese Zweifel trotz Vorkenntnisse.

"Nie merkte ich bei meinem Meister, wann er scherzte. Wenn man in meiner Heimat einen Scherz machen will, dann sagt man etwas und bricht in geräuschvolles Lachen aus, damit alle Anwesenden auch richtig mitlachen können. William dagegen lachte nur, wenn er ernste Dinge sagte, und blieb vollkommen ernst, wenn er vermutlich scherzte."

Eines meiner liebsten Zitate des Buches zur Beschreibung von William und gleichzeitig ein Hinweis auf das interessante Mordmotiv des Täters. Ich mochte diese Eigenschaft an William, weil ich ein solches Verhalten erstens gut nachvollziehen kann und zweitens auch am passendsten finde. Es ist manchmal wie die Prise Zucker, die man in ein herzhaftes Gericht streut, oder wie das Salz in einer Süßspeise; die Diskrepanz verstärkt den eigentlich tragenden Geschmack bzw. Gedanken.
Eine zweite Charakterisierung Williams gefiel mir, als er von seinen Schlussfolgerungen erzählte. Sherlock Holmes meint immer, er würde deduzieren. Aber tatsächlich überlegt er sich nur Hypothesen, von denen eine zufällig stimmt. William gibt zu, dass er im Grunde nur Theorien aufstellt und einzugrenzen versucht. Für Holmes sind seine Wahrheiten unumgänglich, obwohl es andere Lösungen und Möglichkeiten gäbe; so zumindest nahm ich seine Aussagen meist wahr. William meint hingegen, er wisse bis zum Punkt der völligen Offenlegung nicht, ob seine Hypothesen zutreffen.
Das hat mich an eine Episode von Detektiv Conan erinnert. Es gibt da einen Fall, den Ran löst, aber sie ist unsicher und telefoniert vorher mit Shinichi, dem sie ihre Theorie unterbreitet. Danach fragt sie ihn, ob es denn stimmt, was sie sich überlegt hat. Shinichi meint, es sei ihr Fall und sie müsste einen Weg finden, um die Theorie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Ob es stimmt, könne er selbst nicht sagen, als Detektiv sei man schließlich auch nur ein Mensch und nicht allwissend. Er wäre daher bei jeder Fallösung innerlich unsicher und aufgeregt. Das allerdings sei der Grund, warum man als Detektiv ziemlich stolz wäre, wenn man mit seiner Theorie richtig lag. Ich fand das sehr sympathisch, sowohl bei Conan als auch bei der Formulierung von William.

Zum Schluss ein fulminantes Finale; Adsons Vision, die Auflösung, der erwartete Brand, das Inferno. Mir blutete das Herz beim Gedanken an die verlorenen Schätze in diesem Labyrinth.
Aus der Asche ziehe ich die letzten Zitate:

"Träume sind Schriften, und viele Schriften sind nichts als Träume."

"Ein leichtes Schaudern erfasste mich, mir wurde auf einmal klar, dass diese beiden zu einem tödlichen Zweikampf angetretenen Männer einander gerade wechselseitig bewunderten, als hätte jeder die ganze Zeit nur gehandelt, um sich den Beifall des anderen zu sichern. Wahrlich, schoss es mir durch den Kopf, die Verführungskünste, die Berengar aufgeboten hatte, um den begehrten Adelmus zu umgarnen, und die schlichten, natürlichen Gesten, mit denen das Mädchen meine Leidenschaft und mein Verlangen geweckt, waren nichts, was Schläue und fintenreichen Eroberungswillen betraf, im Vergleich zu dieser wechselweisen Verführung, die sich da vor meinen Augen abspielte und die sich erstreckt hatte über die letzten sechs Tage, in denen jeder der beiden Gegner dem anderen gleichsam heimliche Fingerzeige gegeben hatte, jeder insgeheim buhlend um die Anerkennung des anderen, den er hasste und fürchtete."

"Scheusale existieren, weil sie Teil des göttlichen Plans sind, und selbst in den schrecklichsten Fratzen offenbart sich die Größe des Schöpfers."

Eine Parade, die vorüberzieht Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Le soleil ni la mort ne se peuvent regarder en face.
(Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Gesicht blicken.)
François de la Rochefoucauld


Einige Monate nach dem Tod ihres Mannes Albert beschloss Alice, aus dem Haus, in dem sie vierzig Jahre lang gelebt hatte, in ein Seniorenheim umzuziehen, das die Pflege und medizinische Unterstützung bot, die ihr kritischer Bluthochdruck und ihre durch grauen Star eingeschränkte Sehkraft erforderten.
Nun war Alice mit der Auflösung ihres Besitzes beschäftigt. Sie hatte keinen anderen Gedanken mehr im Kopf. Aus einem großen Haus voller Möbel, Erinnerungsstücke und einer Sammlung antiker Musikinstrumente in ein kleines Apartment zu ziehen bedeutete natürlich, dass sie einen Großteil ihrer Habseligkeiten loswerden musste. Ihr einziges Kind, ein unsteter Sohn, der gerade in Dänemark arbeitete und in einer kleinen Wohnung lebte, hatte keinerlei Platz für Sachen von ihr. Die härteste aller schmerzlichen Entscheidungen, die sie zu treffen hatte, war, was sie mit den Musikinstrumenten machen sollte, die sie und Albert im Laufe ihres gemeinsamen Lebens gesammelt hatten. Häufig konnte sie in der Einsamkeit ihres schwindenden Lebens die geisterhaften Akkorde ihres Großvaters hören, wie er das Paolo-Testore-Cello von 1751 spielte, oder ihren Mann auf dem britischen Cembalo von 1775, das er geliebt hatte. Und dann gab es noch die Konzertina und die Flöte, die ihre Eltern ihnen als Hochzeitsgeschenk gegeben hatten.
Jeder Gegenstand in ihrem Haus barg Erinnerungen, deren alleinige Besitzerin sie nun war. Alle Stücke, so erklärte sie mir, würden nun an Fremde gehen, die niemals etwas von ihrer Geschichte wissen oder sie so hegen würden, wie sie es getan hatte. Und am Schluss würde ihr eigener Tod all die wunderbaren Erinnerungen endgültig ausradieren, die im Cembalo und im Cello, in den Querflöten und Blockflöten und so vielem anderen verankert waren. Ihre Vergangenheit würde mit ihr untergehen.
Der Tag von Alices Umzug zeichnete sich bedrohlich ab. Stück für Stück verschwanden die Möbel und Gegenstände, die sie nicht behalten konnte - verkauft, an Freunde und Fremde verschenkt. Während sich das Haus leerte, wuchs ihr Gefühl panischer Desorientiertheit.
Einen besonderen Schlag versetzte ihr der letzte Tag in ihrem Zuhause. Da die neuen Besitzer eine ausgedehnte Umgestaltung planten, bestanden sie darauf, das Haus komplett leer zu übernehmen. Sogar die Bücherregale mussten entfernt werden. Während Alice zusah, wie sie von der Wand gerissen wurden, entdeckte sie verblüfft die darunter liegenden Streifen von Robin's-Egg-Blau an der Wand.
Meiseneierblau! Alice erinnerte sich an diese Farbe! Als sie vor vierzig Jahren in dieses Haus eingezogen war, hatten die Wände diese Farbe gehabt. Und zum ersten Mal in all den Jahren erinnerte sie sich an den Gesichtsausdruck der Frau, die ihnen das Haus verkauft hatte, das verhärmte Gesicht einer gequälten, bitteren Witwe, die es, genau wie sie, hasste, ihr Zuhause verlassen zu müssen. Nun war auch Alice eine Witwe, die es, ebenso bitter, hasste, ihr Haus aufzugeben.
Das Leben ist eine Parade, die vorüberzieht, sagte sie sich.

"In die Sonne schauen" von Irvin D. Yalom

Heilige Schriften und andere Märchen Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Nach alledem ist dieser Gott ein launenhaftes Wesen, welches das von ihm geschaffene Geschöpf dem Verderben weiht. Wie fürchterlich, welch ein Ungeheuer ist ein solcher Gott! Gegen ihn müssten wir uns empören. Nicht zufrieden mit einer so großen Aufgabe, ertränkt er den Menschen, um ihn zu bekehren, er verbrennt, er verflucht ihn, er ändert nichts daran, dieser hohe Gott, ja er duldet ein noch viel mächtigeres Wesen neben sich, indem er das Reich Satans aufrecht erhält, welcher seinem Erschaffer zu trotzen vermag, der imstande ist, die Geschöpfe, die sich Gott auserkoren, zu verderben und zu verführen. Denn nichts vermag die Energie Satans über uns zu besiegen. So hat ihn die Religion geschaffen, samt seinem einzigen Sohne, den er vom Himmel herabgeschickt und in einen sterblichen Leib bannt. Man wäre geneigt zu glauben, dieser Sohn Gottes müsste die Erde inmitten eines Engelchores, beleuchtet von glänzenden Strahlen betreten. Aber nein, er wird von einer sündhaften Jüdin in einem Stalle geboren. Wird uns seine ehrenvolle Sendung vor dem ewigen Tod retten? Folgen wir ihm, sehen wir, was er tut, hören wir, was er spricht! Welche erhabene Mission vollführt er? Welches Geheimnis offenbart er uns? Welche Lehre predigt er uns? Durch welche Tat lässt er uns seine Größe erkennen? Wir sehen vor allem eine unbekannte Kindheit, einige Dienste, die er den jüdischen Priestern des Tempels von Jerusalem leistet, dann ein 15jähriges Verschwinden, während welcher Zeit er sich vom alten ägyptischen Kultus vergiften lässt, den er nach Judäa bringt. Er geht so weit, sich für einen Sohn Gottes zu erklären, der dem Vater an Macht gleich ist; er verbindet mit diesem Bündnis die Erschaffung eines dritten Wesens, des Heiligen Geistes, indem er uns glauben machen will, diese drei Personen seien nur eine. Er sagt, er habe eine menschliche Form angenommen, um uns zu retten. Der sublime Geist musste also Materie, Fleisch werden und setzt die einfältige Welt durch seine Wunder in Erstaunen.
Während eines Abendmahles betrunkener Männer verwandelt er Wasser in Wein. Er speist in einer Wüste einige Faseler mit den von ihm verborgen gehaltenen Lebensmitteln. Einer von seinen Genossen spielt den Toten, um sich von ihm erwecken zu lassen. Er besteigt in Gegenwart zweier oder dreier seiner Freunde einen Berg und führt hier ungeschickte Taschenspielerkunststücke aus, deren sich jetzt ein Tausendkünstler schämen müsste. Dabei aber verflucht er alle, die ihm nicht glauben wollen, er verspricht den Gläubigen das Himmelreich. Er hinterlässt nichts Geschriebenes, spricht sehr wenig und tut noch weniger. Dennoch bringt er durch seine aufrührerischen Reden die Behörden auf und wird endlich gekreuzigt. In seinen letzten Augenblicken verspricht er seinen Gläubigen, zu erscheinen, so oft sie ihn anrufen, um sich von ihnen – essen zu lassen. Er lässt sich also hinrichten, ohne dass sein Herr Papa, dieser erhabene Gott, auch nur das Geringste täte, um ihn vor dem schimpflichen Tode zu retten. Seine Anhänger versammeln sich jetzt und sagen, die Menschheit sei verloren, wenn sie dieselbe durch einen auffallenden Handstreich nicht retteten. Lasst uns die Grabwächter einschläfern, stehlen wird den Leichnam, verkünden wir seine Auferstehung! Dies ist ein sicheres Mittel, um an dieses Wunder glauben zu machen; es soll uns dazu helfen, die neue Lehre zu verbreiten. Der Streich gelingt. Alle Einfältigen, die Weiber und Kinder faseln von einem geschehenen Wunder und dennoch will niemand an diesen Gott glauben. Nicht ein Mensch lässt sich bekehren. Man veröffentlicht das Leben Jesu. Dieser schale Roman findet Menschen, die ihn für Wahrheit halten. Seine Apostel legen ihrem selbsterschaffenen Erlöser Worte in den Mund, an die er niemals gedacht hat. Einige überspannte Maximen werden zur Basis ihrer Moral gemacht, und da man dies alles Bettlern verkündet, so wird die Liebe des Nächsten und Wohltätigkeit zur ersten Tugend erhoben. Verschiedene bizarre Zeremonien werden unter der Benennung „Sakramente“ eingeführt, unter welchen die unsinnigste die ist, dass ein sündenbelasteter Priester mittels einiger Worte, eines Galimathias, ein Stück Brot in den Leib Jesu verwandelt.

"Der Marquis de Sade. Eine Kultur- und Sittengeschichte" von Eugen Dühren.

Das Buch der Weisheit Bibliotheca Mystica, Manga, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es heißt, wer dieses Buch, das von einem unbekannten Autor in lateinischer Sprache verfasst wurde, in seinen Besitz bringt, erfährt damit die allumfassende Wahrheit über diese Welt und erhält die Weisheit, wie sie sonst nur ein das menschliche Dasein transzendierendes göttliches Wesen besitzen kann. Man sagt, wer von dem Buch der Weisheit auserwählt wird, erlangt entweder die Weisheit, mit der er diese Welt regieren und beherrschen kann, oder aber ihn überkommt die fatale Eingebung, diese Welt zugrunde zu richten.

"Dieses Buch bringt das wahre Potenzial, das im Gehirn eines Kindes steckt, zum Vorschein. Unter geistig Behinderten oder Autisten gibt es in seltenen Fällen Menschen, die über außergewöhnliche Rechenfähigkeiten oder übermenschliches Erinnerungsvermögen verfügen. Im Grunde schlummert im Gehirn eines jeden Menschen ein solches Potenzial.
In diesem Buch wird beschrieben, welche Umstände nötig sind, um durch neue Verknüpfungen das Gehirn so umzupolen, dass es in der Lage ist, dieses Potenzial a posteriori auszureizen. Der Verfasser dieses Buches muss also ein ganz besonderes Genie gewesen sein... Vielleicht war er aber auch der Teufel?
Erinnerungsvermögen, Rechenfähigkeiten und dergleichen gehörten zu den Dingen, mit denen Religionsführer und Staatsmänner seit jeher das unwissende Volk geführt haben. Wer im Besitz dieser Fähigkeiten ist, hat jedoch gar nicht die Absicht, die Welt zu verbessern.
In uns könnte sehr schnell der Wunsch aufkommen, anstelle der ignoranten Erwachsenen über die Menschheit zu herrschen. Wenn wir das wollten, wäre das ein Leichtes für uns. Wir müssten einfach nur bei der Wirtschaft ansetzen. Erst durch schlaue Investitionen Geldmittel anhäufen und mit Termingeschäften weiter vermehren. Damit sind selbst in kurzer Zeit große Gewinne zu machen. Mit genügend Geld ist es dann ein Leichtes, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Dann zettelt man in politisch instabilen Ländern Kriege an und macht auf diese Weise wiederum Profit. Man kann sich auch die Religion zunutze machen. Menschen in Sorgen und Not sind so leicht zu beeinflussen.
Aber wir werden das nicht tun. Denn was hätten wir denn davon, wenn wir die Menschheit beherrschten?
Wir wären damit Tag und Nacht beschäftigt. Aber wofür? Wir müssten schwer dafür arbeiten, die Herrscher der Welt zu werden, nur um dann womöglich Opfer von Attentaten durch unsere Untergebenen zu werden. Warum sollte es unsere Aufgabe sein, das ignorante Volk anzuführen? Da uns die Menschheit doch nur Steine in den Weg legt, wo sie nur kann. Wenn man sich die Wahrscheinlichkeit vor Augen hält, dass das alles gut für uns ausgeht, scheint das den ganzen Aufwand nicht wert. Und sollte es doch klappen und wir eines Tages unermessliche Reichtümer angehäuft haben, was machen wir dann? Uns auf die faule Haut legen und das Leben genießen? Das können wir auch jetzt schon. Völlig ohne die ganze Vorarbeit. Es wäre einfach nur dumm, sich solche Anstrengungen aufzubürden."

Der Grund, warum das Buch der Weisheit keine Gefahr darstellt, lässt sich mit einer einfachen Metapher veranschaulichen:
Mit dem Spiel Drei gewinnt.

o o x
x x o
o o x


Alle Kinder spielen dieses Spiel mit großer Begeisterung. Als Erwachsener spielt dieses Spiel jedoch so gut wie niemand mehr. Warum ist das so?
Weil man nach einer gewissen Weile erkennt, dass dieses Spiel immer in einem Unentschieden endet, wenn man weiß, was man tun muss, ganz egal, ob man das Spiel als erster Spieler beginnt, und ganz egal, ob man als Kreuz oder als Kreis spielt.
Das kann man nun leicht auf die Kinder übertragen, die durch das Buch der Weisheit mit dem Verstand eines Genies gesegnet wurden. Wer das Buch der Weisheit liest und dadurch mit einem brillanten Verstand ausgestattet ist, wird sich unweigerlich für ein Leben des Nichtstuns entscheiden, weil alles ohnehin keinen Unterschied mehr macht.
Das Leben ist wie ein Spiel, aber man hat dabei nur einen Versuch. Wer die Zukunft nicht kennt, kann sich an Neuem versuchen, weil er zumindest weiß, dass nach einem Scheitern neue Möglichkeiten warten. Menschen mit außergewöhnlichem Intellekt neigen tendenziell eher zu Angstzuständen und Depressionen. Sie verzweifeln vermehrt an der hohen Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns, bevor sie sich einer Herausforderung stellen, was sie letzten Endes handlungsunfähig macht.
Vielleicht sollte man von den Menschen, die sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte einen Namen gemacht haben, weniger als Genies denken, sondern vielmehr einfach als Menschen, die nicht recht Verzicht üben konnten und besonders ausdauernd waren.

"Bibliotheca Mystica" von Mikumo Gakuto

Das Buch der Weisheit Bibliotheca Mystica, Manga, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es heißt, wer dieses Buch, das von einem unbekannten Autor in lateinischer Sprache verfasst wurde, in seinen Besitz bringt, erfährt damit die allumfassende Wahrheit über diese Welt und erhält die Weisheit, wie sie sonst nur ein das menschliche Dasein transzendierendes göttliches Wesen besitzen kann. Man sagt, wer von dem Buch der Weisheit auserwählt wird, erlangt entweder die Weisheit, mit der er diese Welt regieren und beherrschen kann, oder aber ihn überkommt die fatale Eingebung, diese Welt zugrunde zu richten.

"Dieses Buch bringt das wahre Potenzial, das im Gehirn eines Kindes steckt, zum Vorschein. Unter geistig Behinderten oder Autisten gibt es in seltenen Fällen Menschen, die über außergewöhnliche Rechenfähigkeiten oder übermenschliches Erinnerungsvermögen verfügen. Im Grunde schlummert im Gehirn eines jeden Menschen ein solches Potenzial.
In diesem Buch wird beschrieben, welche Umstände nötig sind, um durch neue Verknüpfungen das Gehirn so umzupolen, dass es in der Lage ist, dieses Potenzial a posteriori auszureizen. Der Verfasser dieses Buches muss also ein ganz besonderes Genie gewesen sein... Vielleicht war er aber auch der Teufel?
Erinnerungsvermögen, Rechenfähigkeiten und dergleichen gehörten zu den Dingen, mit denen Religionsführer und Staatsmänner seit jeher das unwissende Volk geführt haben. Wer im Besitz dieser Fähigkeiten ist, hat jedoch gar nicht die Absicht, die Welt zu verbessern.
In uns könnte sehr schnell der Wunsch aufkommen, anstelle der ignoranten Erwachsenen über die Menschheit zu herrschen. Wenn wir das wollten, wäre das ein Leichtes für uns. Wir müssten einfach nur bei der Wirtschaft ansetzen. Erst durch schlaue Investitionen Geldmittel anhäufen und mit Termingeschäften weiter vermehren. Damit sind selbst in kurzer Zeit große Gewinne zu machen. Mit genügend Geld ist es dann ein Leichtes, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Dann zettelt man in politisch instabilen Ländern Kriege an und macht auf diese Weise wiederum Profit. Man kann sich auch die Religion zunutze machen. Menschen in Sorgen und Not sind so leicht zu beeinflussen.
Aber wir werden das nicht tun. Denn was hätten wir denn davon, wenn wir die Menschheit beherrschten?
Wir wären damit Tag und Nacht beschäftigt. Aber wofür? Wir müssten schwer dafür arbeiten, die Herrscher der Welt zu werden, nur um dann womöglich Opfer von Attentaten durch unsere Untergebenen zu werden. Warum sollte es unsere Aufgabe sein, das ignorante Volk anzuführen? Da uns die Menschheit doch nur Steine in den Weg legt, wo sie nur kann. Wenn man sich die Wahrscheinlichkeit vor Augen hält, dass das alles gut für uns ausgeht, scheint das den ganzen Aufwand nicht wert. Und sollte es doch klappen und wir eines Tages unermessliche Reichtümer angehäuft haben, was machen wir dann? Uns auf die faule Haut legen und das Leben genießen? Das können wir auch jetzt schon. Völlig ohne die ganze Vorarbeit. Es wäre einfach nur dumm, sich solche Anstrengungen aufzubürden."

Der Grund, warum das Buch der Weisheit keine Gefahr darstellt, lässt sich mit einer einfachen Metapher veranschaulichen:
Mit dem Spiel Drei gewinnt.

o o x
x x o
o o x


Alle Kinder spielen dieses Spiel mit großer Begeisterung. Als Erwachsener spielt dieses Spiel jedoch so gut wie niemand mehr. Warum ist das so?
Weil man nach einer gewissen Weile erkennt, dass dieses Spiel immer in einem Unentschieden endet, wenn man weiß, was man tun muss, ganz egal, ob man das Spiel als erster Spieler beginnt, und ganz egal, ob man als Kreuz oder als Kreis spielt.
Das kann man nun leicht auf die Kinder übertragen, die durch das Buch der Weisheit mit dem Verstand eines Genies gesegnet wurden. Wer das Buch der Weisheit liest und dadurch mit einem brillanten Verstand ausgestattet ist, wird sich unweigerlich für ein Leben des Nichtstuns entscheiden, weil alles ohnehin keinen Unterschied mehr macht.
Das Leben ist wie ein Spiel, aber man hat dabei nur einen Versuch. Wer die Zukunft nicht kennt, kann sich an Neuem versuchen, weil er zumindest weiß, dass nach einem Scheitern neue Möglichkeiten warten. Menschen mit außergewöhnlichem Intellekt neigen tendenziell eher zu Angstzuständen und Depressionen. Sie verzweifeln vermehrt an der hohen Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns, bevor sie sich einer Herausforderung stellen, was sie letzten Endes handlungsunfähig macht.
Vielleicht sollte man von den Menschen, die sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte einen Namen gemacht haben, weniger als Genies denken, sondern vielmehr einfach als Menschen, die nicht recht Verzicht üben konnten und besonders ausdauernd waren.

"Bibliotheca Mystica" von Mikumo Gakuto

Zamonische Zahlensysteme Zamonien (Bücherreihe), Humor, Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Da die meisten Zamonier an jeder Hand vier Finger haben, basiert die zamonische Urmathematik auf der Zahl Vier. Es gibt die Zahlen Eins, Zwei, Drei, Vier und Doppelvier, die eigentlich Acht bedeutet. Die dazwischenliegenden Zahlen Fünf, Sechs und Sieben werden von der zamonischen Urmathematik als "Unzahlen" verachtet, sie streitet die Existenz dieser Zahlen schlichtweg ab. Auf die Doppelvier (8) folgt die Doppeldoppelvier (16), darauf die Doppeldoppeldoppelvier (32), darauf die Doppeldoppeldoppeldoppelvier (64) und so weiter - ein System, das offensichtlich auf der Multiplikation von durch vier teilbaren Zahlen basiert.
Die zamonische Urmathematik leugnet weiterhin alle Zahlen, die zwischen Doppelvier (8) und Doppeldoppelvier (16) sowie zwischen Doppeldoppelvier (16) und Doppeldoppeldoppelvier (32) liegen, sowie die zwischen Doppeldoppeldoppelvier (32) und Doppeldoppeldoppeldoppelvier (64) - und so weiter, bis ins Unendliche. Die zamonische Urmathematik lehnt also insgesamt ziemlich viele Zahlen ab - eigentlich die meisten. Sie gilt daher als das ungenaueste aller Rechensysteme.
Die zamonischen Druiden hingegen akzeptieren nur eine einzige Zahl, die sie Olz nennen. Olz ist die Anzahl von Druidenseelen, die angeblich gleichzeitig durch ein Schlüsselloch passen, und das ist eine sehr hohe, eigentlich nur für Druiden erfassbare Summe. Weil die Zahl so hoch ist, muss der Druide im alltäglichen Bereich mit Bruchteilen von einem Olz rechnen - die druidische Mathematik basiert also auf dem Dividieren von Olzen. Die kleinste druidische Zahl (außer dem Nicht-Olz, das kein einziges Teil eines Olzes bedeutet und der arabischen Null vergleichbar ist) ist das Ukzilliarden-Olz, also der ukzilliardenste Teil eines Olzes. Eine Ukzilliarde entspricht übrigens einer Million Ukzillionen.
Ganz anders rechnen die Rikschadämonen, sie vertreten die gruseligste Mathematik Zamoniens und zählen in Schrecksekunden: Das ist die Dauer, die ein durchschnittliches Haar braucht, um sich beim Erschrecken aufzurichten (ungefähr 0,3 Sekunden). Diese Zahleneinheit nennen sie 1 Horror, zehn Horror bedeuten einen leichten Schreck, hundert Horror einen Schock und tausend Horror einen Herzinfarkt.
Die umständlichste Mathematik Zamoniens wird aber von den Fhernhachen praktiziert: Sie rechnen in Zuneigungen, und deswegen können sie nur zählen, wenn sie mindestens zu zweit sind. Eine Zuneigung wird durch das Aneinanderreiben von zwei Fhernhachen-Nasen repräsentiert, zwei Zuneigungen durch das zweimalige Reiben und so weiter. Außerdem gehören die Fhernhachen zu den wenigen Anhängern der zamonischen Urmathematik, weshalb sie immer bis Vier abzählen statt bis Drei.

"Ensel und Krete" von Walter Moers

Zamonische Zahlensysteme Zamonien (Bücherreihe), Humor, Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Da die meisten Zamonier an jeder Hand vier Finger haben, basiert die zamonische Urmathematik auf der Zahl Vier. Es gibt die Zahlen Eins, Zwei, Drei, Vier und Doppelvier, die eigentlich Acht bedeutet. Die dazwischenliegenden Zahlen Fünf, Sechs und Sieben werden von der zamonischen Urmathematik als "Unzahlen" verachtet, sie streitet die Existenz dieser Zahlen schlichtweg ab. Auf die Doppelvier (8) folgt die Doppeldoppelvier (16), darauf die Doppeldoppeldoppelvier (32), darauf die Doppeldoppeldoppeldoppelvier (64) und so weiter - ein System, das offensichtlich auf der Multiplikation von durch vier teilbaren Zahlen basiert.
Die zamonische Urmathematik leugnet weiterhin alle Zahlen, die zwischen Doppelvier (8) und Doppeldoppelvier (16) sowie zwischen Doppeldoppelvier (16) und Doppeldoppeldoppelvier (32) liegen, sowie die zwischen Doppeldoppeldoppelvier (32) und Doppeldoppeldoppeldoppelvier (64) - und so weiter, bis ins Unendliche. Die zamonische Urmathematik lehnt also insgesamt ziemlich viele Zahlen ab - eigentlich die meisten. Sie gilt daher als das ungenaueste aller Rechensysteme.
Die zamonischen Druiden hingegen akzeptieren nur eine einzige Zahl, die sie Olz nennen. Olz ist die Anzahl von Druidenseelen, die angeblich gleichzeitig durch ein Schlüsselloch passen, und das ist eine sehr hohe, eigentlich nur für Druiden erfassbare Summe. Weil die Zahl so hoch ist, muss der Druide im alltäglichen Bereich mit Bruchteilen von einem Olz rechnen - die druidische Mathematik basiert also auf dem Dividieren von Olzen. Die kleinste druidische Zahl (außer dem Nicht-Olz, das kein einziges Teil eines Olzes bedeutet und der arabischen Null vergleichbar ist) ist das Ukzilliarden-Olz, also der ukzilliardenste Teil eines Olzes. Eine Ukzilliarde entspricht übrigens einer Million Ukzillionen.
Ganz anders rechnen die Rikschadämonen, sie vertreten die gruseligste Mathematik Zamoniens und zählen in Schrecksekunden: Das ist die Dauer, die ein durchschnittliches Haar braucht, um sich beim Erschrecken aufzurichten (ungefähr 0,3 Sekunden). Diese Zahleneinheit nennen sie 1 Horror, zehn Horror bedeuten einen leichten Schreck, hundert Horror einen Schock und tausend Horror einen Herzinfarkt.
Die umständlichste Mathematik Zamoniens wird aber von den Fhernhachen praktiziert: Sie rechnen in Zuneigungen, und deswegen können sie nur zählen, wenn sie mindestens zu zweit sind. Eine Zuneigung wird durch das Aneinanderreiben von zwei Fhernhachen-Nasen repräsentiert, zwei Zuneigungen durch das zweimalige Reiben und so weiter. Außerdem gehören die Fhernhachen zu den wenigen Anhängern der zamonischen Urmathematik, weshalb sie immer bis Vier abzählen statt bis Drei.

"Ensel und Krete" von Walter Moers

Die sieben Grundtugenden des Dichters Zamonien (Bücherreihe), Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

1. Furcht
Die Furcht ist außer der Schwerkraft die mächtigste Kraft im Universum. Die Schwerkraft setzt den toten Gegenstand in Bewegung, die Furcht das lebende Wesen. Nur der Furchtsame ist zu Großem befähigt, der Furchtlose kennt keinen Antrieb und verliert sich im Müßiggang.

2. Mut
Das scheint der ersten Grundtugend zu widersprechen, aber man braucht Mut, um die Furcht zu überwinden. Man braucht Mut, um den Fährnissen der literarischen Unternehmung standzuhalten, als da sind: Schreibhemmung, unsensible Lektoren, zahlungsunwillige Verleger, gehässige Kritiker, niedrige Verkaufszahlen, ausbleibende Preise usw.

3. Vorstellungskraft
Es gibt genügend zamonische Schriftsteller, die sehr gut ohne diese Tugend durchkommen, man erkennt sie daran, dass ihre Werke vorwiegend um sie selbst kreisen oder von aktuellen Ereignissen handeln. Diese Schriftsteller schreiben nicht, sie schreiben nur auf, langweilige Stereotypisten ihrer selbst und der Alltäglichkeit.

4. Orm
Genau genommen keine echte Tugend, eher eine geheimnisvolle Macht, die jeden guten Schriftsteller umgibt wie eine Aura. Niemand kann sie sehen, aber der Dichter kann sie spüren. Orm, das ist die Kraft, die einen die ganze Nacht wie im Fieber schreiben, einen tagelang an einem einzigen Satz feilen, einen das Lektorat eines dreitausendseitigen Romans lebend überstehen lässt. Orm, das sind die unsichtbaren Dämonen, die um den Dichtenden tanzen und ihn auf seine Arbeit bannen. Orm, das ist der Rausch und das Brennen. (Ormlose Dichter siehe unter 3.)

5. Verzweiflung
Der Humus, der Torf, der Kompost der Literatur, das ist die Verzweiflung. Zweifel an der Arbeit, an den Kollegen, am eigenen Verstand, an der Welt, am Literaturbetrieb, an allem. Ich habe es mir zur Regel gemacht, mindestens einmal pro Tag für mindestens fünf Minuten an irgendetwas zu verzweifeln, und sei es nur an den Kochkünsten meiner Haushälterin. Das damit einhergehende Lamentieren, Händegegenhimmelwerfen und Blutwallen sorgt übrigens für die notwendige körperliche Betätigung, die ja ansonsten im schriftstellerischen Leben chronisch zu kurz kommt.

6. Verlogenheit
Ja, sehen wir der Sache ruhig ins Gesicht: Alle gute Literatur lügt. Beziehungsweise: Gute Literatur lügt gut, schlechte Literatur lügt schlecht - aber die Unwahrheit sagen beide. Schon der bloße Vorsatz, die Wahrheit in Worte fassen zu wollen, ist eine Lüge.

7. Gesetzlosigkeit
Jawohl, der Dichter gehorcht keinen Gesetzen, nicht einmal denen der Natur. Frei von allen Fesseln muss sein Schreiben sein, damit seine Dichtung fliegen kann. Gesellschaftliche Gesetze sind ebenfalls verpönt, besonders die von Anstand und Sitte. Und auch moralischen Gesetzen darf sich der Dichter nicht unterwerfen, damit er gewissenlos das Werk seiner Vorgänger plündern kann - Leichenfledderer sind wir alle.

"Ensel und Krete" von Walter Moers

Die sieben Grundtugenden des Dichters Zamonien (Bücherreihe), Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

1. Furcht
Die Furcht ist außer der Schwerkraft die mächtigste Kraft im Universum. Die Schwerkraft setzt den toten Gegenstand in Bewegung, die Furcht das lebende Wesen. Nur der Furchtsame ist zu Großem befähigt, der Furchtlose kennt keinen Antrieb und verliert sich im Müßiggang.

2. Mut
Das scheint der ersten Grundtugend zu widersprechen, aber man braucht Mut, um die Furcht zu überwinden. Man braucht Mut, um den Fährnissen der literarischen Unternehmung standzuhalten, als da sind: Schreibhemmung, unsensible Lektoren, zahlungsunwillige Verleger, gehässige Kritiker, niedrige Verkaufszahlen, ausbleibende Preise usw.

3. Vorstellungskraft
Es gibt genügend zamonische Schriftsteller, die sehr gut ohne diese Tugend durchkommen, man erkennt sie daran, dass ihre Werke vorwiegend um sie selbst kreisen oder von aktuellen Ereignissen handeln. Diese Schriftsteller schreiben nicht, sie schreiben nur auf, langweilige Stereotypisten ihrer selbst und der Alltäglichkeit.

4. Orm
Genau genommen keine echte Tugend, eher eine geheimnisvolle Macht, die jeden guten Schriftsteller umgibt wie eine Aura. Niemand kann sie sehen, aber der Dichter kann sie spüren. Orm, das ist die Kraft, die einen die ganze Nacht wie im Fieber schreiben, einen tagelang an einem einzigen Satz feilen, einen das Lektorat eines dreitausendseitigen Romans lebend überstehen lässt. Orm, das sind die unsichtbaren Dämonen, die um den Dichtenden tanzen und ihn auf seine Arbeit bannen. Orm, das ist der Rausch und das Brennen. (Ormlose Dichter siehe unter 3.)

5. Verzweiflung
Der Humus, der Torf, der Kompost der Literatur, das ist die Verzweiflung. Zweifel an der Arbeit, an den Kollegen, am eigenen Verstand, an der Welt, am Literaturbetrieb, an allem. Ich habe es mir zur Regel gemacht, mindestens einmal pro Tag für mindestens fünf Minuten an irgendetwas zu verzweifeln, und sei es nur an den Kochkünsten meiner Haushälterin. Das damit einhergehende Lamentieren, Händegegenhimmelwerfen und Blutwallen sorgt übrigens für die notwendige körperliche Betätigung, die ja ansonsten im schriftstellerischen Leben chronisch zu kurz kommt.

6. Verlogenheit
Ja, sehen wir der Sache ruhig ins Gesicht: Alle gute Literatur lügt. Beziehungsweise: Gute Literatur lügt gut, schlechte Literatur lügt schlecht - aber die Unwahrheit sagen beide. Schon der bloße Vorsatz, die Wahrheit in Worte fassen zu wollen, ist eine Lüge.

7. Gesetzlosigkeit
Jawohl, der Dichter gehorcht keinen Gesetzen, nicht einmal denen der Natur. Frei von allen Fesseln muss sein Schreiben sein, damit seine Dichtung fliegen kann. Gesellschaftliche Gesetze sind ebenfalls verpönt, besonders die von Anstand und Sitte. Und auch moralischen Gesetzen darf sich der Dichter nicht unterwerfen, damit er gewissenlos das Werk seiner Vorgänger plündern kann - Leichenfledderer sind wir alle.

"Ensel und Krete" von Walter Moers

Wissen aus Gewohnheit Literatur, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Die Dinge haben ihren eigenen Charakter. Immer ist uns die Hälfte verborgen. Die Flasche Sprudel, der Bleistift, die Lampe, alles sehen wir nur halb, nur von vorn, von schräg vorn, von oben, aber nie komplett, nie ganz. Die wahren, die vollkommenen Dinge liegen immer im Dunkeln. Wir sind begrenzte Wesen. Wenn ich die Flasche greife, um aus ihr zu trinken, woher weiß ich, dass sie eine Rückseite hat? Ich stelle mir die Rückseite nur vor. Ich bilde sie mir ein. Ich gehe einfach davon aus, dass es sie gibt. Ich tue so, als ob ich es sicher wüsste. Nicht mehr und nicht weniger.

"Das Zimmermädchen" von Markus Orths


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