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Passierschein A 38 (Autobahn von Bochum nach Dresden) Bericht

Autor:  halfJack

"Entschuldigung, aber Sie können sich nicht exmatrikulieren, wenn Sie noch Leistungsnachweise erhalten wollen. Sie sind dann nicht mehr in unserem System erfasst."
"Aber die Dozenten haben doch noch Monate Zeit, um die Nachweise herauszugeben. Ohne Exmatrikulation kann ich mich in der neuen Uni nicht immatrikulieren."
"Da müssen Sie mal bei denen nachfragen."
Als ob ich das nicht schon mehrmals getan hätte, dachte ich genervt, wobei mir voller Unmut der nächste Tag einfiel. Dann hätte ich die Chance, persönlich zu der neuen Universität in Dresden zu gehen. Gleichzeitig läge Bochum dann allerdings längst hinter mir. Immer mehr stellte sich mir die Frage, wie das funktionieren sollte. Wie hätte ich es auch innerhalb eines knappen Monats schaffen sollen, alle meine Hausarbeiten zu schreiben, obwohl ich zu dieser Zeit Stunden brauchte, um hinter meinen Modulbescheinigungen herzurennen, obwohl einige Dozenten spurlos das Land verlassen zu haben schienen, obwohl ich mit dem bevorstehenden Umzug genug zu tun hatte, später ohne Internetzugang sein würde und ohne die Möglichkeit, Bibliotheken zu besuchen? Ein knapper Monat unter diesen Umständen. Eigentlich hätte ich drei Monate Zeit gehabt. Doch jedes vorige Wochenende war dafür draufgegangen, unzählige Bücher, DVDs und CDs einzupacken, die von unseren Verwandten die lange Strecke vom Sauerland bis nach Merseburg gebracht wurden, 350 km weit.
Meine Freundin und ich hatten mit Sicherheit nicht die Idee, das alles ohne Umzugsunternehmen zu schaffen. Aber der Vater meiner Freundin schien zuversichtlich und meinte, er hätte Beziehungen, um an einen Transporter heranzukommen, der schon reichen würde, damit wir uns nicht für zwei Tage ein teures Unternehmen leisten mussten. Damit begann die Odyssee.
Auf den ersten Blick sah es in der Wohnung so aus, als seien die meisten Dinge schon zusammengeräumt. Wir waren davon ausgegangen, dass die Bücher den größten Stress bedeuten würden, belaufend ungefähr auf 3000 Stück. Es war Donnerstagmorgen. Meine Freundin musste noch zur Arbeit und ich bemühte mich, Kiste um Kiste mit unseren Habseligkeiten zu füllen. In weiser Voraussicht, die sich später als nutzlos herausstellen sollte, hatte ich bereits eine Tasche mit allen wichtigen Dingen gepackt, die ich in den kommenden Tagen der Heimatlosigkeit benötigen würde. Aus diesem Grund hatten wir eine ganze Ladung Wäsche gewaschen, die dummerweise noch immer nicht trocken war. Beim Einräumen war viel Müll angefallen, da wir in den letzten Wochen Zeitungen und Tüten gesammelt hatten, um die Bücher und den ganzen Rest sicher zu verstauen. Noch dazu war ich überrascht, wie viele Glasflaschen sich plötzlich angesammelt hatten. Leere Alkoholflaschen von den letzten Gelagen. Aber irritierenderweise auch ein kompletter Bierkasten (natürlich leer), den der Freund meiner Mutter, Wolfgang, im Keller "vergessen" hatte. Direkt neben einer Werkzeugtasche von ihm, die er jedes Mal aus Faulheit hatte stehen lassen, wenn er nach einem Besuch wieder abfuhr, bei der er uns jedoch stets vorhielt, dass sie sich noch immer in unserem Besitz befinden würde. Da meine Freundin jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fuhr, musste ich das alles zu Fuß erledigen. Dazu muss gesagt werden, dass unser Haus auf einem Berg lag. Im Sauerland gibt es bekanntermaßen viele Berge. Dagegen war unsere Erhebung sicher nur ein Hügel. Ein solcher Hügel kann sich allerdings erstaunlich schnell in den Kilimandscharo verwandeln, wenn man ihn ein paar Mal runter und wieder hoch gelaufen ist, während man mit mehreren Glasflaschen, wahlweise einem Bierkasten beladen ist, um zum Glascontainer und zur Leergutannahme des Einkaufszentrums zu gelangen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich diesen Weg gehen musste, bis alles weggeschafft war. Zur weiteren Information, wir wohnten im dritten Stock, selbstverständlich ohne Aufzug.
Danach machte ich mich so schnell wie möglich daran, die Bettkästen unserer Polsterliegen auszuräumen. Gegen Mittag sollte der Vater meiner Freundin mit dem Transporter kommen. Da wir sowieso neue Liegen kaufen wollten, mussten die alten erst einmal weggebracht werden. Ich hatte in den Tagen zuvor mit der Caritas telefoniert. Die wollten unsere Betten allerdings nicht haben, wie erwartet. Sie hätten angeblich keine Lagerkapazitäten für solcherlei Möbelstücke. Ich erinnerte mich daran, dass wir einem solchen Umstand zwei Jahre zuvor unsere Küche verdankten. Eine komplette Einbauküche von verstorbenen Verwandten meinerseits, die von der Caritas nicht angenommen wurde, da sie deren Zustand nicht den hilfsbedürftigen Armen zumuten könnten. Für meine Freundin und mich war sie komischerweise noch gut genug, obwohl wir uns nicht als "hilfsbedürftig" bezeichnen würden. Wenn man sein Geld vom Staat bekommt, hat man womöglich andere, das heißt höhere Ansprüche. Glücklicherweise hatte ich kurz vor dem Umzug von der Neuen Arbeit in Arnsberg gehört. Die hatten zwar keine Zeit, um die Liegen abzuholen, versicherten uns allerdings, dass sie diese auf jeden Fall annehmen würden. Ich bangte noch immer, während ich in aller Eile die Wäsche abnahm, gerade rechtzeitig, als der Vater meiner Freundin bereits klingelte. Mit der Küche war ich noch immer nicht fertig, was leider nicht meinen Erwartungen entsprochen hatte. Dagegen hatte ich allerdings erwartet, mehr Schwierigkeiten mit dem Heruntertragen der Betten zu haben. Desweiteren stellte sich meine Angst als unbegründet heraus, dass die Neue Arbeit die Polsterliegen vielleicht doch nicht haben wollen würde. Im Gegensatz zur Caritas waren die jedoch hellauf begeistert und nahmen unsere Betten mit Kusshand. Wir hätten keinerlei Zeit mehr gehabt, um für etwaige Entsorgungen einen Termin zu vereinbaren, auch die natürlich nur gegen ein entsprechendes Entgelt.
Gen Nachmittag waren schließlich auch meine Mutter und deren Freund anwesend, meine Freundin, sowie eine ihrer Arbeitskolleginnen und deren Freund. Ich hatte die Küche aufgegeben und räumte den Rest aus dem Arbeitszimmer zusammen, unsere gesamten Unterlagen. Im Treppenhaus hatte sich eine Kette gebildet. Selbst unser Nachbar half uns beim Tragen, wobei uns beispiels- und üblicherweise die Waschmaschine die größten Schwierigkeiten bereitete. Dabei fiel mir erst einmal auf, wie viel Elektronik wir besaßen: zwei Fernseher, zwei DVD-Player, sogar noch einen Videorekorder, zwei Musikanlagen - am meisten hatte ich mir um meinen Schallplattenspieler und um die Playstation 2 Sorgen gemacht. Eine Playstation 1 besaßen wir auch noch, die zweite Playstation 2 hatte ich schon zuvor einer Freundin auf "unbestimmte Zeit ausgeliehen".
Mir war bereits vorher aufgefallen, wie klein der Transporter ausfiel, in welchem der Vater meiner Freundin vorgefahren war. Doch noch hegte ich Hoffnung... bis die letzte Kleinigkeit im Wagen verstaut war und wir feststellen mussten, dass in der Wohnung dem Augenschein nach noch alles stand. Das bedeutete, dass der Transporter vorerst die 350 km nach Merseburg gefahren und entladen werden musste, um dann wieder 350 km zurück ins Sauerland für die nächste Beladung zu fahren. Der Vater meiner Freundin setzte sich mit einem Lächeln und ohne ein Wort in den Transporter und sollte erst am nächsten Tag wieder auftauchen.
Er hatte für die Nacht zwei Zimmer in einem Etaphotel gebucht. Bis 22 Uhr musste man eingecheckt haben, sonst bekam man keinen Code für die Türen und die Buchung verfiel trotz Bezahlung. Zwar war zu diesem Zeitpunkt noch genügend Spielraum zum Einchecken, doch meine Mutter hielt meine Freundin und mich dazu an, erst einmal das zu erledigen und dann zum weiteren Einräumen zurückzukommen. Eine bescheuerte und sprittverschwendende Idee, dachte ich anfangs. Bis sich herausstellte, dass das angeblich gebuchte Etaphotel im Osten von Dortmund gar nicht unseren Namen vermerkt hatte. Der Vater meiner Freundin hatte versehentlich einen Fehler gemacht und ein Hotel im Westen von Dortmund, kurz vor Bochum gebucht. Wir standen an der Rezeption, ich schaute verstört auf die Uhr. Und sagte kein Wort, während ich mich wieder ins Auto setzte und losfuhr. Das würden wir schon schaffen, es wäre nicht weit, versicherte ich meiner Freundin. Dabei wusste ich ganz genau, wo das Etaphotel liegen musste und dass die Strecke alles andere als zügig erreichbar sein würde. Zum Glück gehörte es noch nie zu meinen Stärken, mich an Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten.
Fünf Minuten vor 22 Uhr kamen wir an. Und fuhren vom Zentrum des Ruhrgebiets sofort wieder zurück ins hochsauerländische Zentrum, wo wir meine aufgelöste Mutter antrafen. Sie hatte voller Grauen bemerkt, dass in der Küche noch fast alle Schränke voll waren, und sich so schnell wie möglich ans Ausräumen gemacht. Die gesamte Zeit, die wir für das Zurücklegen unseres Weges benötigt hatten, hatte sie mit dem Anhäufen von weiteren Kisten verbracht. In der Küche stand nur noch das Lebensnotwendigste: die Kaffeemaschine.
Komischerweise fanden wir an diesem Abend vor Erschöpfung jede Kleinigkeit sehr lustig. Weit nach Mitternacht kamen wir erst im Etaphotel an und wussten, dass wir am Morgen sehr früh aufstehen mussten. Die Wohnung hatten wir im Chaos hinterlassen. Am Nachmittag des nächsten Tages sollte die Wohnungsübergabe sein...

Kommerzialisierung - Neustart Bericht, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Ungefähr seit dem Jahr 2000 wird mit Emo auch ein jugendkulturelles Modephänomen bezeichnet, das mit dem gleichnamigen Musikstil nur mittelbar in Verbindung steht. Dieses bezieht sich auf bestimmte Haarschnitte und Kleidungsstücke, die ursprünglich von bestimmten, dem Genre assoziierten Bands getragen wurden. Mit diesem Stil werden heute allerdings zumeist Bands in Verbindung gebracht, die zumindest im engeren Sinne nicht dem gleichnamigen Musikgenre angehören.

"Nirvana bemerken einen Stillstand in der Undergroundszene und Ausverkaufstendenzen an die großen schweinischen Kapitalisten-Major Labels. Aber fühlen wir deshalb eine moralische Pflicht, dieses Krebsgeschwür zu bekämpfen? ÜBERHAUPT NICHT! Wir wollen genauso wie die Bonzen abkassieren."

Linkin Park vollzogen, beginnend mit der Veröffentlichung ihres Albums Hybrid Theory, einen steilen Aufstieg, der von Fans und Kritikern oft kritisch begleitet wurde. Galt das Debütalbum noch als „gelungener Drahtseilakt zwischen Kunst und Kommerz“, der die Band auch für den Mainstream interessant machte, so ließen wegen des „offensichtlichen Pop-Appeals und der damit einhergehenden Hysterie pubertierender weiblicher Fans“ bei umjubelten Auftritten bei Top of the Pops und ähnlichen Formaten Vorwürfe, die Band sei nur ein weiteres kommerzielles Produkt für den Massenmarkt, nicht lange auf sich warten. Eine starke Präsenz in Jugendmagazinen wie der Bravo führte dazu, dass der Musikgruppe schnell ein „Stigma der Boygroup des NuMetal“ anhaftete. Mit Meteora brachten Linkin Park ein Album auf den Markt, das sich musikalisch kaum vom Vorgänger abhob und als „Nummer-sicher-Kopie ... wie ein berechnetes Produkt“ anmutete und damit erneut „kommerziell wie nichts Gutes“ als auch „zu keiner Sekunde ... künstlerisch wertvoll“ war. laut.de kategorisierte das Album als „Fastfood-NuMetal“, das Kritikern, die der Band Ausverkauf vorwarfen, in die Hände spielen würde. Mit Minutes to Midnight soll die „Anbiederung an den Pop-Mainstream dramatisch“ ausgefallen sein. Die Songs seien „schön radio- und kinderzimmertauglich“ und die „bis ins kleinste Detail glattgebürsteten Tracks“ als reiner „Wegwerfartikel“ zu verstehen. Spiegel Online greift den vielfach zu vernehmenden Vorwurf „Dreck, weil zu kommerziell“ bezüglich des 2007er Albums Minutes to Midnight jedoch derart auf, als dass sie diesen Angriff auch schon für die beiden vorhergehenden Veröffentlichungen für begründet halten. Neider werden „ihr Feindbild in Linkin Park wieder bestätigt sehen, weil Massenkompatibilität und Authentizität für viele einen Gegensatz darstellen".

Namenlos

Konzert 2006 - Oomph! Bericht

Autor:  halfJack
Ein Pamphlet über zunehmende Kommerzialisierung?

Als Einstieg:

Beschissen, dass heutzutage nicht mehr das Können zählt, sondern nur noch der Kommerz, sodass Bands wie Thora nicht einmal ein Label finden, um ihre dritte Platte zu produzieren. Trotzdem stellt diese Band "Baby No. 666" online, damit ihre Fans sie kostenlos herunterladen können. Hier ist es legal. Wer die Musik wirklich mag, dem sollte sie auch so wichtig sein, sich das Album zu kaufen. Aber was die Plattenindustrie macht, ist den meisten Konsumenten des Mindcandy aus der Flimmerkiste sowieso egal; die neuesten Singles kann man bequem "downloaden". Sogenannte Künstler unserer dekadenten Musikbranche können kein einziges Instrument spielen, nicht texten, nicht einmal singen und halten nur ihr genormtes Gesicht in die Kamera. Musik aus der Dose, für die Massenseele.
Dabei ist "Baby No. 666" meines Erachtens eines der besten neuen Alben, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden. Auch Scream Silence können sich mit "Aphelia" hier einordnen und ASP, der das letzte und wahrscheinlich beste Kapitel des Schwarzen Schmetterlings ans Licht gebracht hat. Aber wer hört das schon? Steht ja nicht in den Charts und Individualität sollte eh verboten werden.

Als ich mich mit meiner Freundin zum WGT 2007 mit Sven Friedrich (Zeraphine, Dreadful Shadows, Solar Fake) unterhielt, bestätigte er viele dieser Gedanken, die mir kurz zuvor durch den Kopf gegangen waren. Große wie kleine Label bekommen die Möglichkeiten des World Wide Web am eigenen Leib zu spüren, da das Herunterladen von Musik einfacher, schneller und vor allen Dingen preiswerter ist, als sich die CDs im Laden zu kaufen oder auf anderen Wegen an die Lieder heranzukommen, zum Beispiel gegen Bezahlung die MP3-Dateien herunterzuladen auf den dementsprechenden (seriösen!) Seiten. Doch letztendlich sind es die Bands, die darunter leiden, vor allen Dingen die unbekannten.

Auf der anderen Seite ist es mittlerweile in vielen Clubs verboten, gebrannte CDs zu spielen. Die meisten CDs besitzen so oder so bereits einen Brennschutz, wobei man sich fragt, weshalb? Wenn jemand für ein Album kein Geld ausgeben möchte, dann wird er auch auf anderem Wege herankommen. Aber für den privaten Gebrauch sollte es auf jeden Fall gestattet sein, die eigenen CDs zu brennen. Wer bringt schon mit gutem Gewissen seine Originale in Clubs mit, um sie dort abzuspielen? Wer schleppt schon gern die Originale von daheim mit ins Auto oder zur Arbeit, um sie dort zu hören, und später wieder zurück? Die kleinen Silberlinge halten schließlich nicht ewig.
ASP unterstützt deshalb seine - ich will es mal so nennen - Kampagne: "Ich will brennen".
Aber zurück zum eigentlichen Thema und den negativen Seiten des Brennens.

Womit kann man die Fans noch locken, wie kann man sie dazu bringen, sich das Album zu kaufen? In erster Linie denkt man hier an die Aufmachung, das Booklet, welches man zu einer gebrannten CD nicht bekommt. Aber Sven meinte selbst, ein Booklet sei teuer. Sicher, in der Schwarzen Szene ist es einfacher, die Fans zum Kauf zu bewegen, weil hier die Mentalitäten (noch) anders geprägt sind. Aber dazu muss man kleine Bands überhaupt erst einmal kennen. Und die zunehmende Kommerzialisierung macht es eher den Aufnäher- und T-Shirt-Bands leichter, deren Logos einem überall entgegenblitzen: KoRn, Marilyn Manson, SlipKnot... da muss sich selbst unsere skandinavische Front fast geschlagen geben vor einer solchen Flut berechnetem Merchandising.

Und dann fiel mir eine deutsche Band ein, die auch ihren Durchbruch geschafft hatte, wie kaum eine andere Untergrundband aus den deutschen Reihen: Oomph!

Lange Rede, kurzer Sinn.
Ich wollte endlich den Weblogeintrag über das Konzert von Oomph! 2006 verfassen, den ich nun Ewigkeiten vor mir herschob. Dieses Konzert hat mir einiges bewusst gemacht und anderes wiederum anders gezeigt, als ich es bis dato erwartet hatte.


26.05.2006
Oomph! - Glaube Liebe Tod
Konzert im Haus Auensee, Leipzig

Das neue Album von Oomph!, "Glaube Liebe Tod", ging wieder in eine Schiene, die ich besser finde. Ich mochte die entstellende Aussage im Titel, die wieder deutlich auf die Blasphemie hindeutete, welche Oomph! schon immer verkörperten. Im christlichen Glauben beweihräuchert man immer die drei höchsten Güter des Menschen: Glaube, Liebe und Hoffnung. Diese Worte zu missbrauchen und die Hoffnung mit dem Tod gleichzusetzen gefiel mir erst einmal.
Mein Lieblingsalbum von Oomph! war schon immer "Ego" gewesen. Der Übergang vom Industrial zum Gothic-Rock war hier noch nicht ganz vollzogen, aber auf jeden Fall deutlich spürbar. Aber bei Oomph! ist das so eine Sache, mit dem Lieblingsalbum...
Das neue war für meine Ohren auf jeden Fall besser als "Wahrheit oder Pflicht", auch wenn letzteres sich am besten verkauft hat. Emu meinte dazu mal, "Wahrheit oder Pflicht" ginge schnell zum Ohr herein, aber auch genauso schnell wieder heraus. Obwohl die Lieder auf diesem Album nicht viel schlechter waren als sonst. "Wenn du weinst" mag ich zum Beispiel sehr. Komischerweise hört es damit schon fast auf.
Meine Ansicht damals zum neuesten Album:
Bei Oomph! gibt es auf jedem Album Lieder, die ich mag und welche die ich... scheiße finde. Und auf "Glaube Liebe Tod" sind manche Songs... echt scheiße. Ich meine, so wirklich scheiße.
"Die Schlinge"... Das ist eine Anlehnung an "Spiel mir das Lied vom Tod", mit einer Mundharmonikauntermalung, um den Wildwesterntouch rüberzubringen.
Oder "Mein Schatz"... Hiermit ist tatsächlich die Geschichte um den Ring von Herr der Ringe gemeint.
Und "Land in Sicht" ist genauso furchtbar. Darin sind die Strophen zwar nicht schlecht, aber der Refrain zerstört alles, da er wie ein Schlager klingt, sowohl instrumental als auch vom Text her. ("Du bist mein Leuchtturmlicht..." - ja, das singt er wirklich.)
Dann wiederum gibt es Lieder, die in der gesamten Laufbahn der Band kaum besser hätten sein können, "Zu viel Liebe kann dich töten" beispielsweise.

Mit all diesen Gedanken ging ich damals mit meiner Freundin zum Konzert von Oomph!, das kurz vor dem WGT 06 stattfand. Es war schließlich nicht unser erstes Konzert von ihnen gewesen, das meine Freundin und ich besuchten.
Ich stellte mir verschiedene Fragen. Würde es kommerzieller sein und nur so von Nachsteigerfans wimmeln? Das war an sich nichts Schlechtes, solange sie mehr kannten als nur die Singleauskopplungen und sich nicht benahmen wie postpupertäre Satanisten oder kreischende Groupies. Oder hatte sich die Welle trotz Popularität gelegt? Wie würden die Leute aussehen, eher bunt, eher schwarz? Ich dachte an Normalos, Möchtegerns und Mitschwimmer - hatte sich das bestätigt?
Teils, teils, aber eigentlich ging es erstaunlicherweise doch in eine ganz andere Richtung. Natürlich hat man gemerkt, dass es durchaus kommerzieller geworden ist, aber nur, was die Besucher anbelangt.
Meine Freundin und ich standen ziemlich weit vorn, zweite Reihe, manchmal sogar erste. Dero hat sich ein paar Mal über die Menge tragen lassen, ich hatte das Vergnügen, ihm versehentlich an sein Bestes zu greifen, meine Freundin hat er getreten. Wir wurden herumgeschubst, angepokt, beim Headbanging von einigen getreten und geschlagen. Insgesamt kann man sagen, dass es doch recht lustig war. Wie ein Metalkonzert eben.
Aber dennoch war es seltsam, dass Dero beispielsweise nicht weit gekommen ist, wenn er sich von der Menge tragen ließ. Ganz einfach deshalb, weil da viel mehr Mädchen waren, die ihn anfassen wollten, anstatt ihn weiterzureichen. Und das konnte ich nicht verstehen. Es war ein komischer Nachgeschmack dabei, den ich jetzt nicht mehr erklären kann.

Es war sonst alles wunderbar blasphemisch. Selbst "Gott ist ein Popstar" hatte eine viel härtere Note.
Sicher haben die Bodyguards gedacht, sie hätten eine riesige, kranke Sekte vor sich, als wir alle einstimmig das Vater unser schrien. Dann wurden Dinge wie "Gekreuzigt" gespielt, man konnte "Feiert das Kreuz" mitbrüllen, "Ich bin der neue Gott" oder solche Dinge wie "Ave Satani et Stupor et Christi" und "Gott ist tot".
Doch tatsächlich wurden die Stimmen bei diesen Liedern schwächer. Vielleicht weil sie nicht gerade vom letzten oder vorletzten Album waren?
Oomph! haben eigentlich schon immer recht kommerzielle Lieder geschrieben, was das anbelangt. Man kann nicht sagen, dass sich das geändert hat, nur weil sie bekannt geworden sind - es war schon vorher so, das Potenzial dazu bestand.
Dennoch... mir gefällt das Gefühl nicht, zu merken, dass Oomph! für manche scheinbar erst zwei Alben rausgebracht haben und dass Ego, Plastik, Unrein, Wunschkind, Sperm, Defekt und alles davor und dazwischen vergessen wird.
Am Ende der Zugabe haben meine Freundin und ich mit einigen wenigen angefangen "Wie schmeckt dir mein Herz" zu rufen. Es tat weh, dass viele "Fans" scheinbar gar nicht verstanden, was wir riefen. "Mein Herz" war das allererste Lied von Oomph!. Wir haben es bereits auf dem letzten Konzert, was nun schon lange her ist, gerufen und Dero hat es schließlich für uns ohne Begleitung der Band gesungen. Doch dieses Mal waren es nicht halb so viele, die mitriefen. Die Zugabe, die daraufhin gespielt wurde, war "Das letzte Streichholz", wenn ich mich recht erinnere. Auch dieser Zug von Dero hatte einen unangenehmen Nachgeschmack...

Dieser Punkt, den ich schon die ganze Zeit schlicht und vielleicht unberechtigterweise auf die Kommerzialisierung schiebe, ist ein Teil des Grundes, weshalb ich nicht noch einmal auf ein Konzert von Oomph! gehen möchte.
Der zweite, viel wichtigere Punkt allerdings hat im Großen und Ganzen nichts mit dem Publikum zu tun. Das letzte Konzert von Oomph! war vom Aufbau ähnlich wie dieses hier. Nach wie vor finde ich viele Lieder toll. Beispielsweise gehören "Du willst es doch auch" vom neuen Album oder "Going down" von dem davor oder auch "Niemand" auf jeden Fall zu den besten Liedern von Oomph!.
Doch diese aufputschende Wirkung, die es früher auf mich hatte, ist mittlerweile nicht mehr da. Es liegt nicht an Oomph!, dass ich das nicht mehr fühle, sondern allein an mir. Es gibt mir nicht mehr so viel, wie es das früher getan hat.
Darum kein weiteres Mal.

Projektwoche 2006 - Labyrinth Bericht, Projekt

Autor:  halfJack
Koyaanisqatsi

Die letzte Projektwoche für unseren dreizehnten Jahrgang.
Willkommen im Labyrinth, in dem "die Welt aus den Fugen gerät". Denn genau das bedeutet Koyaanisqatsi. Nachdem die Mitglieder des Roten Fadens noch am Morgen die Lesung mit dem Thema "Zwangsjacken sollten maßgeschneidert sein" in einem dafür umfunktionierten Klassenraum abgehalten hatten, mussten wir es bis zum Mittag schaffen, in jenem Raum das Gestell für unser Labyrinth aufzubauen. Niemals hätten wir trotz Hoffnung erwartet, dass das Holzgestell dafür halten würde, aber von unserer wackeligen Gesellschaft erwartet man schließlich auch, dass sie jeden Moment zusammenbricht.
Nun, meine Damen und Herren, treten sie ein.

Wer nicht stehen bleibt, wird erschossen verachtet!
Das steht auf einem alten Schild an der Tür. Daneben, an der Wand findet sich der Hinweis:
Folge dem Roten Faden.
Du betrachtest den dicken Strickfaden, der in das Innere des Raumes führt. Vorsichtig betrittst du die Schwelle und begräbst dabei ein großes Blatt Papier unter deinen Füßen.
Zitate sind das Grab des Gedankens.
Als nächstes berühren deine Schuhe Zeitungspapier, das über den gesamten Boden ausgebreitet ist. Vor dir stehen Stühle, die mit weißen Laken bedeckt sind. Rote Pfeile zeigen nach links. Auch der Rote Faden windet sich in dieser Richtung weiter. Du gehst ihm nach und trittst ein in ein mit Laken überspanntes Gestell. Du siehst nichts mehr, nur noch die wenigen Meter um dich herum. Du befindest dich im Labyrinth von Koyaanisqatsi.
Der rote Faden endet auf den ersten Stufen einer wackeligen Leiter, die mitten im Weg steht. Daneben ein weiteres Schild:
Es liegt in der Natur des Menschen Karriere zu machen.
gez.: die Erfolgreichen

Auf dem Boden liegen abgenutzte Kuscheltiere, noch immer mit Wäscheklammern an einer Leine befestigt. In die Bäuche und Köpfe der Plüschfiguren und Puppen sind Notizzettel mit Nadeln gestochen worden. Geschändet. Kinderlachen. Blut. Erwachsen. Die Worte auf diesen Zetteln vermischen sich mit den vielen Buchstaben, welche bereits durch das Zeitungspapier auf dem Boden deine Sinne vernebeln. Zeitungen aufgeklebt auf riesigen Pappen, die sich die Wände entlangziehen. Weitere Sprüche und Zitate bedecken auf Plakaten jeden freien Platz und versperren dir auf unzähligen Schildern den Weg.
Reklame, Propaganda, der Irrsinn unserer Zeit auf wehrloses Papier gepresst.
Du gehst durch ein paar bemalte Tücher hindurch, um eine Ecke. Schließlich zweigt sich der Weg. Vor dem einen Gang hängt ein Schild herunter, auf dem steht:
Kleine Fabel.
Bitte eintreten.

Du trittst ein und bleibst vor einer Sackgasse stehen, in der sich nur ein Kinderstuhl befindet. Als du dich umwendest, um zu gehen, fällt dir die Rückseite des Schilds über dem Eingang auf.
Du musst nur die Richtung ändern.
Darunter befindet sich ein großer Katzenkopf mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen. Du kannst froh sein, dass deine eigene Endstation noch nicht an diesem Punkt ist. Aber vielleicht erinnerst du dich in genau diesem Moment daran, dass die letzte Ausfahrt auch an dir vorbeigehen wird.
Du gehst weiter und begegnest verschiedenen Gegenständen, zur grotesken Darstellung ihrer Selbst auf kleinen Podien aufgebaut. In einer weiteren Sackgasse befindet sich ein Holzkopf mit ausgebreiteten Armen, Reklame auf der Brust klebend. Eine Pistole liegt direkt daneben, aus deren Mündung sich eine Zeitung rollt. Bild dir deine Meinung - Wozu solltest du auch eigenständig denken, wenn andere das genauso gut für dich übernehmen können?
Unter deinen Füßen knirscht es, während du dich von herabhängenden Spinnweben befreist. Unzählige feste Glaskristalle sind über den Boden verteilt, als hätte jemand den Rahmen eines Bildes fallen lassen. Endlich kommst du aus der Dunkelheit in den hinteren Teil des unkenntlichen Klassenzimmers, der von einem zur Decke gerichteten Scheinwerfer erhellt wird. Wieder Schilder.
Straße des Erfolgs
Lebensweg
Vor dir wurden auf dem Boden Wackelbretter in einer Reihe aufgestellt, verstärkt durch hohe Sprungfedern. Auf dem ersten Brett direkt vor deinen Füßen steht in Leuchtbuchstaben Konjunktur, auf dem nächsten DDR. Das Holz ist schon ein wenig staubig von den Schuhen vieler Leute.
An einer Holzlatte hängt ein großes Plakat.
Erleben Sie das Gefühl sozialer Sicherheit.
Darunter ein kleinerer Hinweis, der mit einem Pfeil auf den schmalen Weg neben den Wackelbrettern zeigt.
Für die Ängstlichen:
Weg des geringsten Widerstands

Nach kurzem Zögern entscheidest du dich für den schweren Weg und stellst deinen Fuß auf das erste Brett. Du versuchst mit den Armen deinen Körper auszubalancieren. Beim zweiten Schritt verlierst du fast das Gleichgewicht, allerdings fängst du dich und meisterst das Hindernis. Auf der anderen Seite erwarten dich seltsame Gerätschaften, mit Bildern beklebte Pappscheiben, an denen du drehen kannst. Das Rad eines Fahrrads wurde auf einer Stange befestigt, daneben ein weiteres Schild.
Einmal am Rad drehen - 50 Cent
Du hörst seltsame Geräusche, die wie Musik aus einem alten Radio klingen, dann wieder wie priesterlicher Gesang und schließlich wie das Klopfen in einem Bergwerk. Die Musik berieselte dich schon die ganze Zeit, während du durch das Labyrinth gingst. Nun betrachtest du die alten Schränke und herunter gelassenen Rollläden, an denen weitere Werbezeitschriften befestigt wurden. Ihre bunte Farbe wirkt in dem schummrigen Licht irgendwie verwandelt und grotesk. Du liest ein Wort.
Konsumgesellschaft
Ein rohes Stück Fleisch neben einer Einbauküche und der dazu passenden Stehlampe im Wohnzimmer. Unterwäsche mit Spitze über dem SyncMaster 171N und einem neuen Roman von Rosamunde Pilcher. Weitere Plakate schleudern dir ihre Weisheiten, Phrasen und Sprichwörter ins Gesicht, sodass du kaum mehr aufnehmen kannst, was du liest.
Die Musik hämmert in deinem Kopf und du gehst weiter.
Eine seltsame steinerne Fratze blickt dich von der Tiefe eines Stuhles aus an. Vor dir ist ein Altar aufgebaut, beleuchtet durch eine Schwarzlichtlampe. Auf dem großen Triptychon darüber ist die Gestalt eines in rote Farbe getränkten Menschen abgebildet, der wie an ein Kreuz genagelt erscheint.
Du lässt den letzten Durchgang des Labyrinths hinter dir, an dem Tücher mit den Symbolen des Kommunismus herunterhängen und mit bunten Motiven bemalte Kinderdecken.
Nun ist der Boden von weißen Laken bedeckt. Unregelmäßig ist alles, auch die Tische und Stühle mit weißen Laken bedeckt, ein Mülleimer steht einsam darin.
In der Ecke steht ein Fernseher und zeigt Bilder von unserer Gesellschaft. Menschen gehen durch die Straßen, arbeiten, stehen in Untergrundbahnen und sitzen in Autos. Die Bilder verschnellern sich, Tag wechselt zur Nacht, Nacht zum Tag. Arbeitsabläufe kehren immer und immer wieder. Menschen strömen aus ihren Häusern, weichen einander aus, stoßen zusammen. Rolltreppen funktionieren verlassen, auch ohne dass sie betreten werden, dann füllen sie sich und tragen die Last der großen Anonymität. Immer schneller zieht das Leben vorbei. Dennoch verändert sich nichts.
Du wendest den Blick vom Fernsehbildschirm ab und schaust zur Tür.
Nur einen kurzen Moment hältst du inne, dann trittst du heraus aus dem Labyrinth Koyaanisqatsi.
Und nichts hat sich geändert.

Rezitatorenwettstreit 2005 Bericht, Rezitation

Autor:  halfJack

Frühling, Sommer, Herz und Kinder

Ihr sitzt auf einem der vielen Stühle im Saal der Aula. Aus den unteren Klassen haben die ersten Rezitatoren des Wettstreites an dieser Schule schon vorgetragen. Die Theatergruppe und der Chor sind ebenfalls mit ihren Auftritten fertig. Nun ist die Pause vorbei und Ruhe kehrt langsam in den Saal ein.
Auf der Erhebung vor den im Saal Sitzenden steht ein Stuhl. Auf ihm sitzt eine Schülerin, klein, kurzen Haars. Sie trägt einen bordeauxfarbenen Rock, ansonsten schwarz. Ihr Gesicht ist betreten gesenkt. Sie ist die Mutter.
Neben ihr liegt eine weitere Schülerin, groß, gekleidet in ein schwarzes Kleid, barfüßig. Ihre Augen sind verschlossen.
„Ich weiß nicht, was passiert ist“, sagt die Mutter und wendet sich damit ernst an die Zuschauer, an euch, „Was soll denn auch passiert sein?“ Ihre Stimme wird fast trotzig. Sie beschimpft euch.
„Sollten Sie mir das nicht sagen?“
Was meint ihr? Seid ihr dafür verantwortlich, der Mutter zu sagen, was passiert ist? Sollte sie das nicht selbst wissen?
„Ich weiß es nicht.“ Das ist ihre Antwort. Sie glaubt, sie weiß es nicht.
„Sie war doch meine Tochter“, ruft sie euch verzweifelt zu, „Wie konnte das geschehen?“ Die Frage verhallt leise im Saal. Verstört nimmt die Mutter die Hände vor das Gesicht. Sie sieht nicht, dass das Kind, welches neben ihr liegt, die Augen öffnet und sich langsam erhebt.
Sitzend schaut es zur Mutter und fragt leise, naiv:
„Mama?“
Die Mutter schreckt hoch, steht vom Stuhl auf. Der Schreck weicht jedoch schnell. Sie schaut ihr Kind überfreundlich an, geht ein paar Schritte auf es zu und spricht:
„Na, was ist mit dir?“
„Mama?“, lächelt das Kind eindringlich zurück.
„Ich weiß“, sagt die Mutter liebevoll und wendet sich halb von ihrem Kind ab, „dass dir nie…“
„Mama?“, fragt das Kind ungeduldig hinein.
„Dass dir nie etwas passiert ist, denn…“, fährt sie unbeirrt fort.
„Mama?“ Es hört der Mutter nicht zu, fällt ihr ins Wort.
„Denn ich bin…“
„Mama?“
„…ja immer bei dir.“
„Mama?“
„Sei still!“
Sie ist wütend, verständlicherweise, oder? Ihr Kind schweigt erschrocken.
Nun ist sie wieder freundlich.
„So ist es brav“ In ihrer Stimme schwingt ein herrischer Ton, der sich nun in lächerliche Hebammensprache wandelt:
„Mami will doch nicht, dass dir etwas zustößt.“ Ihr Blick wird glasig, sie schaut über das Publikum und redet plötzlich in Gedanken versunken:
„Nein… das will sie nicht.“
Das Kind, noch immer sitzend, beobachtet die Mutter, wie sie langsam zu dem Stuhl zurückweicht, sich darauf niedersinken lässt und den Blick euch zuwendet. Sie scheint die Fassung wiederzugewinnen.
„Sie hätten ihr helfen müssen!“ Das ist allerdings eine harte Beschuldigung. Lasst euch das durch den Kopf gehen. Es lag an euch. Warum habt ihr nicht geholfen?
„Ich will wissen, wer der Schuldige ist!“ Das will man immer wissen. Bei wem liegt die Schuld? Wer ist schuldig?
„Wer hat das meiner Tochter angetan?“ Sie spricht langsam, sehr ernst und schaut nun über die Menge. Ihre Augen bleiben an manchem Gesicht hängen, auch an eurem. Die Mutter blickt euch in die Augen. Sie hat euch erkannt. Ihre Miene spiegelt Verzweiflung wider, während sie euch anschaut. Das Kind erhebt sich aus seiner sitzenden Lage und betrachtet kniend seine Mutter.
„Ich habe sie doch geliebt“, sagt sie. Hört ihr das? Es sollte euch wehtun, daran zu denken. „Ich habe meine Tochter geliebt.“
Neugierig fragt ihr Kind erneut:
„Mama?“
„Halt den Mund!“ Mit wutverzerrtem Gesicht ist sie aufgesprungen.
„Mama?“, entgegnet das Kind ängstlich.
Seine Mutter dreht sich um, legt die Hände auf die Ohren und spricht apathisch flüsternd immer wieder die Worte:
„Halt den Mund. Halt den Mund…“
„Mama?“ Das Kind fragt verstörter, flehend, „Mama?“
„Halt den Mund“, redet sie beschwörend zu sich selbst.
„Mama!“, schreit das Kind nun endlich.
Sie hält inne, wendet den Blick verwirrt zum Kind, schweigt. Dieses schaut sie beschuldigend an und ruft dann fordernd:
“Lutscher!“
Erneut kehrt die Mutter zu ihrer Hebammensprache zurück und antwortet:
„Aber nein, mein Kleines. Das ist nicht gut für dich. Das ist schlecht. Ich will doch nicht, dass dir etwas zustößt“, ihre Stimme wird leiser, „Ich muss…“
Sie weicht wieder zurück.
„… doch schließlich auf dich aufpassen.“
Scheinbar erschöpft lässt sie sich auf den Stuhl fallen und wendet sich wieder dem Publikum zu. Das Kind kniet weiterhin, während es seine Mutter fragend betrachtet. Diese ruft nun aufgebracht in die Menge:
„Sie wollen mir die Schuld in die Schuhe schieben? Ich will wissen, wer meine Tochter umgebracht hat und sie beschuldigen mich!? Ich liebe meine Tochter...“
Von ihr unbemerkt erhebt sich das Kind langsam und steht bald darauf aufrecht. Seine Mutter fährt fort:
„Ich würde ihr das niemals antun. Halten sie den Mund!“ Den letzten Satz schreit sie fast.
„Mutter?“, fragt das Kind erwachsen und ernst.
Erschrocken dreht sie sich zu ihm um, bleibt jedoch sitzen und spricht verwirrt und ängstlich, als sei ihr Kind das Unheil selbst:
„Was willst du hier?“
Freundlich lächelt das Kind und geht auf seine Mutter zu. Noch immer bleibt sie sitzen, als ihre Tochter sie zu umkreisen beginnt und fröhlich singt:
„Sie geht um den Kreis, sodass niemand es weiß. Wer sich umdreht oder lacht…“
Das Kind bleibt stehen und lacht. Die Mutter wendet den Blick ab und schaut vor sich auf den Boden. Gedankenversunken redet sie vor sich hin, man kann nicht sagen, mit wem sie spricht:
„Ich wollte nicht, dass das geschieht. Ich habe doch immer auf sie Acht gegeben. Es war nicht meine Schuld. Ich würde so etwas niemals tun. Ich liebe meine Tochter.“
Für den Zuschauer avanciert das Gerede fast du einem Brabbeln. Das Kind steht neben dem Stuhl und betrachtet seine Mutter, bevor es sich dem Publikum zuwendet und in überzeugtem Ton sagt:
„Meine Mutter liebt mich.“
Apathisch beginnt diese den Satz:
„Ich liebe sie wirklich…“
„…Wirklich“, beginnt das Kind zur selben Zeit, „Sie liebt mich.“
„Ich wollte nicht, dass das geschieht“, sagt euch die auf dem Stuhl Sitzende verzweifelt.
„Sie wollte nie, dass das geschieht“, pflichtet ihr das Kind bei, doch unterdrückte Verachtung mischt sich in seine Stimme, „Sie hat immer auf mich Acht gegeben. Es war nicht ihre Schuld.“
„Es war nicht meine Schuld“, sagt die Mutter leise.
„Sie würde so etwas niemals tun“, erklärt euch ihre Tochter weiter, „Sie würde mich niemals schlagen, weder mit dem Kochlöffel noch mit dem Kleiderbügel.“
„Das würde ich niemals tun“, beschwört die Mutter lauter.
„Sie würde mich nicht auf dem Balkon schlafen lassen, damit ich sie nicht mehr störte.“
„Das würde ich niemals tun.“
„Sie würde nicht meine Hände auf die Herdplatte drücken, wenn sie wütend ist.“
„Das würde ich niemals tun.“
„Sie würde mir nicht die Hände um den Hals legen und zudrücken, damit sie endlich ihre Ruhe vor mir hätte.“
„Das würde ich niemals tun.“
„Sie…“, das Kind zögert und fährt nur sehr langsam fort, „…hätte mich niemals umgebracht.“
Die Mutter öffnet den Mund, als wolle sie etwas sagen, schaut über das Publikum und schweigt. Betreten schaut sie zu Boden und senkt immer weiter den Blick.
Das Kind läuft hinter dem Stuhl der Mutter entlang auf die andere Seite, scheinbar tief in Gedanken versunken. Schließlich bleibt es stehen, schenkt den Zuschauern ein Lächeln und sagt:
„Das hätte sie niemals getan.“

Performance - Literaturcafé Bericht, Projekt

Autor:  halfJack
Zu der schulischen Projektwoche, die gänzlich von den Schülern geleitet wurde, war ich 2003 in einer Gruppe von vier Personen. Eigentlich eindeutig zu wenig Leute, aber in unserem selbsternannten Literaturcafé war diese Anzahl perfekt, wobei der ‚krönende Abschluss’ aus einer inszenierten Performance bestand.
Stellt euch also vor, ihr betretet das Klassenzimmer zu einer von zwei Vorstellungen, da ihr durch das Schild an der Tür neugierig geworden seid: Eintritt erst ab 16. Nur ein Tisch steht in dem Raum, die Mitte ist mit Decken ausgelegt und ihr werdet gebeten eure Schuhe auszuziehen, bevor ihr euch auf den Decken niederlasst.
Noch herrscht reges Geschwätz unter den Anwesenden. Manche schauen sich zögernd um und betrachten die vielen weißen Laken, die über Tisch und Stühle gelegt sind. Ein Fernseher steht in der einen Ecke, ein Projektor in der anderen, auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei riesige weiße Plakate an Kartenständern aufgehängt, die die dahinter stehenden Schränke vollständig verdecken. Wo es nicht weiß ist, hängen unfertige Bilder, manche gezeichnet, einige primitiv gemalt, skizzenhaft, wie von Kinderhand.
Die Tür wird geschlossen. Ihr seht zu der Schülerin, welche ihr bis jetzt als einzige erkennen konntet, die etwas mit diesem Projekt zu tun hat. Sie ist völlig weiß geschminkt, geht an euch vorbei und stellt sich hinter den Fernseher auf einen Stuhl. Ihr seht sie an, doch sie beachtet euch nicht, sondern starrt nur weiter geradeaus.
Dann löscht sich das Licht. Einige neben euch erschrecken, ihr könnt sie nicht sehen und nehmt sie nur mit euren verschwommenen, sich langsam schärfenden Sinnen wahr. Man hört Kichern, leises Flüstern, das immer weiter verstummt, erstickt. Nach einer Minute herrscht Stille. Nichts passiert.
In der linken oberen Ecke erscheint plötzlich Licht. Eine Taschenlampe. Ein weißes Gesicht erscheint losgelöst über einem der Plakate in der linken, oberen Ecke, sieht auf euch hinab und sagt:
„Katzensex.“
Aus der rechten oberen Ecke miaut es, krächzend, verzerrt, kurz darauf faucht es hinter dem Fernseher, dann kreischt eine Katze in eurer Mitte. Die Laute klingen aus, das Gesicht in der linken Ecke redet weiter, erzählt euch, wie eine Katze vergewaltigt wird, wie deren Schreie durch den Nachmittag hallen, wie die Krallen des Katers sich in ihre Hüfte bohren, wie er tiefer in sie eindringt, je lauter sie schreit und wie er sie letztendlich liegen lässt. Das Licht der Taschenlampe erlischt.
Sogleich entzündet es sich hinter dem Fernseher. Ein Mädchen erzählt euch, wie sie unbeholfen mit ihrem Freund schlief, in einem heruntergefallenen Haus. Er grabschte hilflos an ihren Brüsten herum, verteilte seinen Speichel auf ihrem Hals und in ihrer Ohrmuschel, rieb sich an ihrem Körper, fummelte, sodass es ihr wehtat, schob seine Zunge in ihre Mundhöhle, saugte unbeholfen an ihren Lippen. Sie dachte daran, dass er stank und widerlich war. Er dachte vermutlich, dass er nicht wusste, was zu tun sei. Es war peinlich und sie hörten auf. Das Licht erlischt.
Das Klacken von Schuhen ist zu hören, als jemand, um die im Kreis sitzenden Leute geht, im Kreis, immer und immer wieder. Eine Taschenlampe geht an, man sieht die Person weiterlaufen. Sie redet mit fast besessener Stimme, belehrend, wie eine Mutter zu ihrem Kind, Geschichten von kullernden Augen, kullernd und kullernd. Von einer Massenseele in uns allen. Ihr schaut euch nicht um, als die Stimme direkt hinter euch ist, noch einmal, eindringlich, aufdringlich. Das Licht erlischt.
Ein Flüstern setzt ein.
„Das Monster“
Es flüstert von allen Seiten. Eine Stimme redet laut aus der rechten oberen Ecke, von dem Monster, in und um uns. Das Flüstern schwillt jedes Mal an, wenn die Stimme vor Angst von dem Monster schreit.
„Das Monster. Das Monster.“
Alles verstummt.
„Sich selbst.“
Der Projektor wird eingeschaltet und wirft sein Licht an die weiße Leinwand, verschwommen erscheint ein Bild, unscharf, ihr könnt es nicht erkennen.
„Bild eins.“
Eine präzise Erklärung folgt, man behandelt euch wie einen Studenten in einer Vorlesung. Nichts von dem Gesagten könnt ihr auf dem Bild sehen. Ihr könnt es euch nicht einmal bildlich vorstellen, was gesagt wird.
„Bild zwei.“
Die Prozedur wird fortgesetzt. Ein paar Farben, zusammengeklatscht, ohne etwas ausmachen zu können, vermischt auf einer weißen Leinwand.
„Bild drei.“
Die übergenaue Aussprache beginnt euch zu nerven, ein Sinn scheint nicht zu existieren.
„Bild vier.“
Ein neues Dia, vielleicht ein Mensch, vielleicht ein Berg, ein bisschen Sisyphos, ein wenig Meer. Doch endlich beendet der Lehrer den Unterricht. Projektor aus.
Der Fernseher wird eingeschaltet. Nur Schnee ist zu sehen. Eine beschuldigend lang gezogene Stimme mahnt euch. Auf einmal seid ihr ein kleines Mädchen, dass seine Puppe aus dem offenen Fenster eines Wagens geworfen hat, sodass sie nun auf dem weißen Mittelstreifen der Fahrbahn liegt, ihren nackten Hintern unter dem dreckigen Kleid in die Höhe gestreckt, hilflos, bald im Graben, bald vergessen. Von euch losgelassen, aus dem fahrenden Auto, ob beabsichtigt oder nicht.
„Wieso? Wieso hast du sie fallen lassen?“
Das Spiel geht weiter. Licht an, Licht aus. Kälte, Hass, Verzweiflung, Angst, Resignation. Alles in Form von sprachlichen Mitteln.
Die Deckenbeleuchtung geht an. Ihr reibt eure Augen. Um euch stehen die Leute auf, die mit euch dabei waren und dennoch alles ganz anders wahrnahmen als ihr selbst. Sehen diese Personen jetzt anders aus? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht...
Vielleicht wärt ihr gern dabei gewesen. Möglicherweise als Zuschauer oder als Schauspieler, als Opfer oder als Täter, auf den Decken, hinter dem Fernseher, auf dem Schrank, mitten unter uns allen.
Das seid ihr. Tagtäglich.

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