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Wenn ein Mensch lebt Philosophie

Autor:  halfJack

Warum soll man keinen Menschen töten?
Weil immer jemand deswegen weint.

Ich erinnerte mich daran, als meine Schwester und ich auf irgendeiner Beerdigung waren, von der ich jetzt nicht mehr weiß, wer eigentlich gestorben war, weil solche Veranstaltungen immer gleich ablaufen. Jedenfalls mussten meine Schwester und ich wegen irgendeiner Sache lachen, sodass wir es kaum zu unterdrücken vermochten, während wir von einigen Seiten böse Blicke ernteten. So ist es also, wenn man auf einer Beerdigung lacht, dachte ich damals.
Ich erinnere mich daran, dass bei irgendeiner Beerdigung, vielleicht war es dieselbe, sich ein paar Leute darüber aufregten, dass ein Bekannter von mir in Jeanshosen aufgetaucht war.
Und ich erinnere mich an das abgestumpfte Lächeln, als meine Mutter irgendwann sagte: "Das passiert halt."
Viel früher dachte ich noch nicht, dass so etwas "halt passiert". Aber da nahm ich auch noch an, man müsste auf Beerdigungen weinen und still sein. Jetzt weiß ich, dass man es auf unterschiedliche Weise hinter sich bringen kann, auch durch Lachen und Langeweile. Das passiert halt. Man gewöhnt sich an alles.
Mit der Zeit habe ich mich nur gewundert, was bei solchen Ereignissen alles erzählt wird. Von wem spricht der Typ da vorn? Das habe ich mich ständig gefragt. Eigentlich sollte man sich jedes Mal einen anderen aussuchen, der die Rede hält, sonst hört man stets dasselbe Zeug. Niemand sagt so etwas wie: "Wurde auch Zeit" oder "Na endlich".

Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt
Sagt die Welt, dass er zu früh geht
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt
Sagt die Welt, es ist Zeit...
...dass er geht

(Puhdys)

Der Tod macht jeden Menschen zum Engel, zum fehlerlosen Nichts.
Jedes Mal mache ich mir einen Spaß daraus, mich von meinem eigenen Verhalten überraschen zu lassen, ob meine Hand ein wenig Erde ins Grab wirft oder ein paar Blumenblätter oder beides, was meist vorkommt, oder einfach gar nichts, man stelle sich das mal vor...

Oh Captain, mein Captain! Lyrik, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Oh Captain, mein Captain
Die schwere Fahrt ist aus
Das Schiff hat jedem Sturm getrotzt
Nun kehren wir stolz nach Haus
Der Hafen grüßt mit Glockenschall
Und tausend Freudenschreien
Vor aller Augen rauschen wir auf sichrem Kiel herein

Aber Herz, ach Herz, ach Tropfen blutig rot
Wo auf dem Deck mein Captain liegt
Gefallen, kalt und tot

Oh Captain, mein Captain
Steh auf und hör den Schall
Steh auf, dir gilt der Flaggengruß
Dir gilt das Jauchzen all
Die Sträuße dir, die Kränze dir
Und weit entlang am Strand
Das Menschenmeer, Gesichtermeer
Dir freudig zugewandt

Hier Captain, liebster Vater
Hier ist mein Arm als Halt
Es ist nur Traum, dass du hier liegst
Gefallen, tot und kalt

Mein Captain gibt nicht Antwort
Seine Lippen sind bleich und still
Mein Vater fühlt nicht meinen Arm
Hat nicht mehr Kraft noch Will
Das Schiff liegt heil vor Anker nun
Die Reise ist nun aus
Von schwerer Fahrt, das Siegerschiff
Kam vom Triumph nach Haus

Jauchzt, ihr Gestade, Glocken dröhnt
Ich aber knie in Not
Wo auf dem Deck mein Captain liegt
Gefallen, kalt und tot
 

Andere Übersetzung:

O Käpt’n, mein Käpt’n, zu End’ ist unsre Reis’
wir haben jedes Riff umschifft, der Sieg war unser Preis.
Am Kai entlang der Glockenklang, der Menge Lustgespinster;
das Auge folgt dem festen Kiel, der Barke, wild und finster.

O Herz, o mein Herze!
O Tropfen feucht und rot,
wo auf dem Deck mein Käpt’n liegt,
gefallen, kalt und tot.

Erhebe dich, mein Käpt’n und hör den Glockenton!
Steh auf - dir ist die Flagg’ gehißt, dich grüßt das Jagdhorn schon.
Mit Bändern, Blumen tausendfach der Hafen ist geschmückt
für dich allein. Es ruft nach dir die Menge hoch beglückt.

O Käpt’n, mein Vater!
Mein Arm, dem Haupt zum Halt.
Im Traum nur liegst du auf dem Deck,
gefallen, tot und kalt.

Mein Vater gibt nicht Antwort, sein Mund ist bleich und still.
Mein Vater spürt nicht meinen Arm, hat weder Puls noch Will.
Das Schiff, es geht vor Anker. Zu End’ ist seine Reis’,
zurück gekehrt nach wilder Fahrt - der Sieg, das war der Preis.

Ihr Ufer, jauchzt! Ihr Glocken, klingt!
Ich aber geh in Not
dahin, wo nun mein Käpt’n liegt,
gefallen, kalt und tot.
 

Original:

O Captain my Captain! our fearful trip is done;
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won;
The port is near, the bells I hear, the people all exulting,
While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring:

But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up - for you the flag is flung - for you the bugle trills;
For you bouquets and ribbon’d wreaths - for you the shores a-crowding;
For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head;
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.

My Captain does not answer, his lips are pale and still;
My father does not feel my arm, he has no pulse nor will;
The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done;
From fearful trip, the victor ship, comes in with object won;
Exult, O shores, and ring, O bells!
But I, with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

Walt Whitman

Kants Kontamination von Prädikation und Synthesis Philosophie

Autor:  halfJack

Im "Spiegel der Natur" stellt sich Richard Rorty die Frage, wie es überhaupt zu einer derartigen philosophischen Richtung wie der Erkenntnistheorie kommen konnte, die nach Descartes‘ Meditationen das Mentale als inneren Raum erfunden hat. Es wurde die Meinung postuliert, allein der Mensch hätte primären Zugang zu seinen mentalen Zuständen und nur aus dem eigenen Geist heraus sei es möglich, Erkenntnis zu erlangen. Trotz dieser nicht empirisch nachweisbaren Theorie begann sich die Philosophie als Wissenschaft zu verstehen und wurde unter Immanuel Kant sogar zum Fundament und Tribunal der Wissenschaft.
Doch was Kant mit seinen Anschauungen zu erreichen versucht, geht in einer Vermengung unterschiedlicher Begrifflichkeiten und Neudefinitionen unter. Soll über ein Erkenntnisproblem tatsächlich eine Theorie möglich sein, können wir nach Rortys These bloß von einem solchen Problem sprechen, wenn wir das Erkennen als eine Ansammlung von Darstellungen betrachten. Nur das bleibt für die Philosophie übrig, nachdem sich die Einzelwissenschaften so weit ausdifferenziert haben, dass sie unlängst in der Lage sind, alle Themengebiete abzudecken.
Darum ist zu klären, wie jene Kontamination aussieht, die Kant in seiner eigenen Rechtfertigungstheorie von John Locke aufnahm und fortführte. Das beinhaltet die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Gebieten der Epistemologie, nämlich der Erkenntnis und der Erfahrung. Wie geht die moderne Philosophie sprachanalytisch mit diesen Themen um und welche Rolle spielt das für die Gesamtkritik Rortys?

Erkenntnisgewinn
Richard Rorty meint, die Wahrheit eines Satzes bestünde bei der Kantischen Philosophie darin, die beiden voneinander verschiedenen Vorstellungen von Anschauungen und Begriffen aufeinander zu beziehen.  In der "Kritik der reinen Vernunft" führt Kant diesen Gedanken so aus, dass unser Denken einen unmittelbaren Zugriff auf Anschauungen hat, um Erkenntnis zu erlangen. Durch die Sinnlichkeit, also die Fähigkeit zur Aufnahme äußerer Eindrücke durch die Sinne, erhalten wir Vorstellungen von diesen Anschauungen. Nach der Verarbeitung der Eindrücke entspringen unserem Verstand Begriffe. Alles Denken muss sich also auf Sinnlichkeit und Anschauungen beziehen, weil uns anders kein Gegenstand gegeben sein kann. Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit ist die Empfindung. Anschauungen, die sich auf den Gegenstand durch Empfindungen beziehen, sind empirisch und der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung.
Die vorkantische Philosophie stellte sich als Kampf zwischen Rationalisten und Empiristen dar. Erstere wollten jegliche Empfindungen auf bloße Begriffe reduzieren, während die Empiristen meinten, die Erkenntnis sei aus unserer Erfahrung gegeben und deshalb völlig begriffsfrei. Nach Rortys Meinung hätte man die Problematik anders beschreiben müssen, indem deutlich gemacht worden wäre, dass die Rationalisten nur Propositionen über sekundäre Qualitäten durch anders geartete Propositionen zu ersetzen suchten, die eine gleiche Funktion inne haben und dennoch mit Gewissheit zutreffen sollten.  Als Rückgriff auf Locke werden primäre Qualitäten dadurch charakterisiert, dass sie außerhalb des Geistes in undenkbaren Substanzen bestehen. Dagegen sind die sekundären Qualitäten sinnlich und existieren im Geist unabhängig vom Subjekt, somit jedoch abhängig von den primären Qualitäten, durch die sie veranlasst werden. Der Mensch kann nur durch seine Wahrnehmung auf die sekundären Qualitäten zugreifen, während ihm der direkte Zugang zu den primären Qualitäten verwehrt ist.  Diese Idee vergleicht Rorty mit dem Bild eines Spiegels, auf dem die äußere Natur in unserem Inneren aufgenommen und reflektiert wird. Nur so meint der Mensch über die Außenwelt Kenntnisse erlangen zu können und ist gleichzeitig davon überzeugt, aus erster Hand Zugang auf den inneren Spiegel zu haben, quasi als Schiedsrichter im Heimspiel über die eigene Erkenntnis.
Locke stellte bereits die Weichen für jenen Fehlschluss, der es scheinbar ermöglichen sollte, Fragen der Geltung mit der Genese zu beantworten. Dabei handelt es sich logisch um zwei voneinander völlig verschiedene Probleme, wenn ich mich auf der einen Seite frage, wie ich zu meiner Auffassung gekommen bin, und auf der anderen Seite wissen will, ob diese Auffassung wahr ist.
Nach der Kopernikanischen Wende Kants leiten sich Gegenstände von unserer Erkenntnis ab. Wir geben den Gegenständen unsere Begriffe, nicht andersherum. Denn sollten sich die Anschauungen nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten, dann könnte man Kant zufolge a priori nichts von ihnen wissen. Wenn sich aber das Objekt, das wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens richtet, ist diese Möglichkeit durchaus denkbar.
In diesem Zusammenhang schuf Kant in seiner Erkenntnistheorie einen umfassenden Begriffsrahmen, der die moderne Philosophie prägte. Es ging fortan um die Beziehung zwischen Universalien und dem Einzelnen, also dem Schluss vom Äußeren auf das Innere. Daraus ergibt sich ein weiterer Kritikpunkt Rortys. Es geschieht nämlich eine Vermengung von Prinzipien und Urteilen. Kant selbst spricht zwar von Begriffen, bezieht sich jedoch nicht auf Sätze oder Propositionen, sondern auf innere Vorstellungen.

Erfahrung
Ein zentraler Begriff der Erkenntnistheorie ist die Erfahrung, die in der Philosophie eine Bedeutung unabhängig von ihrer alltäglichen Verwendung erhalten hat. Um die Epistemologie zu verstehen muss man mittlerweile einen ganzen Katalog an Philosophen gelesen haben. Zwar bleiben die verwendeten Begrifflichkeiten gleich, sie werden jedoch von jedem Erkenntnistheoretiker mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen. Somit besteht die Erfahrung nur noch als „philosophischer Kunstausdruck“.
Descartes definierte als erster in einer dualistischen Vorstellung die Res cogitans als das denkende Ding, das der Mensch darstellt.  Das Mentale wurde somit zur eigenen abgetrennten Dimension. Im Zuge dessen erschuf John Locke eine Theorie der Erkenntnis, die auf der Analyse der mentalen Prozesse beruhte. Er griff den cartesianischen Dualismus auf, indem er das Erfahren in ideas of reflexion (das Denken) und ideas of sensation (die Wahrnehmung) unterteilte. Für Kant hingegen dient die Erfahrung als „Gegenstand und Methode der Erkenntnis“. In diesem Sinne stellt sie den „denkgesetzlichen Zusammenhang aller Funktionen der Erkenntnis“ dar.  Kant greift jedoch die epistemologischen Punkte Lockes auf, die Rorty im Kapitel über die Kontamination von Erklärung und Rechtfertigung kritisierte. Wenn man auf diese Weise denken und erkenntnistheoretische Schlüsse ziehen will, muss man sich auf die komplexen Annahmen und Begrifflichkeiten einlassen.
Unser Denken ist nur insofern „philosophisch, wenn es, wie das Kantische, nach Ursachen von, also gerade nicht nur nach Gründen für empirische Wissensansprüche sucht“.  Da Kant demnach nicht bloß Rechtfertigungen herausstellt, die uns zum Handeln bringen, betrachtet Rorty die Theorie Kants ungewöhnlicherweise als eine kausale Theorie. Im Rationalismus wird die Ursache notwendig mit der Wirkung verknüpft, doch für Kant stellt Kausalität (ähnlich wie bei David Hume) kein logisches Prinzip dar. Kant würde seine eigene Philosophie also nicht wie bei naturwissenschaftlichen Lehren als kausale Theorie auffassen. Diese Annahme Rortys führt zu einem Widerspruch. Nähme man in der Kantischen Philosophie Kausalität an, wäre die Notwendigkeit der Vernunft und des vernünftigen Handelns nicht mehr gegeben. Es geht schließlich nicht um die Rechtfertigung der Urteile, sondern um die Bildung und die Möglichkeiten unserer Vernunft.

Sprachspiel der modernen Philosophie
Die Kantische Philosophie besteht aus einer Vielzahl von Begriffen, die man verstehen muss. Aber gerade die Unterscheidungen und Gleichsetzungen jener Begriffe können zu der genannten Kontamination führen, sodass die Philosophie, um es mit Wittgensteins Worten zu beschreiben, ihr eigenes Sprachspiel besitzt, welches Außenstehenden unzugänglich bleibt. All jene Definitionen dienen bei Kant nur zur Begründung seiner Theorie und besitzen davon losgelöst keinen sinnvollen Inhalt. Grundsätzlich funktioniert jede erkenntnistheoretische Unterscheidung nur im Sprachspiel der Philosophie.
Philosophisches Denken setzt deshalb eine Unterscheidung von Anschauungen und Begriffen, Sinnlichkeit und Verstand bereits voraus und lässt sich auf Lockes Kontamination von Kausalität und Rechtfertigung ein.  Wenn Locke meint, dass nichts in unserem Intellekt sein kann, wenn wir es nicht vorher mit den Sinnen wahrgenommen haben, schließt sich Kant dieser Metaphorik an.
Um auf die von Rorty genannte Kontamination einzugehen, werden im Folgenden zuerst die Bezeichnungen geklärt. Die Prädikation, die ganz allgemein auch als Teil des Sprechaktes bezeichnet werden kann, stellt eine Handlung oder auch eine Aussage dar, bei der einem Gegenstand eine Eigenschaft oder Relation zugesprochen wird. Sie hat die Funktion, sprachliche Unterscheidungen einzuführen. In der Synthesis wird eine Vielzahl von Sinneseindrücken zu einer Vorstellungs- oder Begriffseinheit zusammengeschlossen. Explizit auf Kant bezogen bezeichnet das eine Verbindung der in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigkeit zu einer Einheit des Gegenstandes. In ihrer allgemeinsten Bedeutung definiert Kant Synthesis als „die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen“.  Synthetische Urteile erweitern im Gegensatz zu den analytischen Urteilen die Erkenntnis, da das Prädikat nicht im Subjekt enthalten ist. Diese Synthesis unterscheidet sich von Humes Auffassung der Ideen. Hume trennt zwischen Empfindung und Erinnern. Aller Stoff des Geistes ist aus dem inneren und äußeren Gefühl abgeleitet und die Gedanken lösen sich bei der Zergliederung in Vorstellungen auf, die den Empfindungen nachgebildet sind. Dagegen ist die Synthesis bei Kant eine Relation, die nur zwischen allgemeinen und einfachen Ideen bestehen kann. Rorty sieht diese Theorie durch die beiden Voraussetzungen gestützt, dass erstens Mannigfaltigkeit notwendig gegeben ist und dass zweitens eine Einheit daraus hergestellt wird.  Nach Kant könnten Humes Anschauungen nicht zu Bewusstsein gebracht werden, wenn sie nicht durch Begriffe synthetisiert werden würden. Wir können Bewusstsein nur von Dingen haben, die durch unser eigenes verbindendes Denken konstituiert wurden.
Rorty ist der Meinung, Kant hätte anstatt seiner irreführenden Gleichsetzung des einzelnen Urteils mit der sinnlichen Gegebenheit „Erkenntnis als eine Relation zwischen Personen und Propositionen“  beschreiben sollen. Es liegt also eine Verwechslung von Propositionen und Begriffen vor. Dahingehend folgt Rorty der Ansicht des späten Wittgensteins, dass Begriffe eben nicht alle gemeinten Inhalte ausdrücken können.
Wenn man sich keine Grundlage durch die Lektüre der wichtigsten erkenntnistheoretischen Philosophen geschaffen hat, stellen sich berechtigte Fragen ein. Woher nehmen wir dieses Mannigfaltige, das uns Kant als Voraussetzung vorstellt? Woher wissen wir, dass es mehr als eine solche Anschauung gibt? Gäbe es nur eine einzige, wäre so etwas wie Synthesis gar nicht nötig. Anschauungen und Begriffe sind in diesem Zusammenhang nur der „Kontextdefinition fähig“,  um die Theorie Kants zu stützen. Die beiden genannten Voraussetzungen sind nur dann als Rechtfertigung zulässig, wenn wir tatsächlich auf diese Weise Erkenntnis durch synthetische Urteile a priori erlangen können. Legt man die Bedingungen, die Kant postuliert, im Sinne Rortys aus, verliert unser Zugriff auf den Spiegel der Natur schlagartig an Relevanz. Das Bewusstsein als Forschungsgebiet im inneren Raum wird abgeschafft.

Fazit
In der dualistischen Vorstellung der Erkenntnistheorie stehen sich zumeist zwei nach Rorty unvereinbare Positionen gegenüber. Auf der einen Seite befindet sich die Genese als Ursprung und Ausgangspunkt, auf der anderen Seite die Geltung als Wahrheit unabhängig von der Wirklichkeit, mit Kants Worten also eine Relation zwischen Sinnlichkeit und Verstand. Der Kantische Transzendentalismus kann im Sinne einer Geltungstheorie interpretiert werden, da es ihm um die Rechtfertigung und Begründung der menschlichen Erkenntnis geht. Damit Geltungsansprüche legitimiert werden können, müssen vorher fundamentale Bedingungen erfüllt sein. Das will Kant durch seine transzendentale Deduktion erreichen, indem Begriffe a priori festgelegt werden, die somit objektive Gültigkeit besitzen und allgemeine und notwendige Erkenntnis möglich machen. Im Neukantianismus wird der Geltung dementsprechend das Sein gegenübergestellt. Doch ist es ein Fehlschluss, von der Entdeckung automatisch auf die Begründung zu schließen. Die Erklärung auf der einen Seite stellt einen Schluss vom Gegenstand auf die Person dar, wohingegen die Rechtfertigung den Schluss auf eine Person nur durch die Proposition zulässt, also jenen gedanklichen Inhalt, der durch einen Satz ausgedrückt wird. Wenn wir nach synthetischen Urteilen a priori suchen, dann besitzen wir am Ende keinen privilegierten Zugang mehr zur Erkenntnis.
Nach Rortys Hauptthese liegt der Fehler der Erkenntnistheorie in der Verknüpfung des Mentalen mit dem Fundamentalen. Im Gegensatz zu der Idee des Bewusstseins, die Descartes, Locke und Kant gemeinsam war, vertritt Rorty in vielen Belangen einen holistischen Materialismus. Dabei orientiert er sich größtenteils an Heidegger, Wittgenstein und Dewey. Die vorherigen Annahmen der Philosophie werden demnach nicht widerlegt, sondern verabschiedet.

Buchvorstellung: Homo Faber Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Max Frisch
Homo Faber
Ein Bericht

Homo Faber wird der Schweizer Ingenieur Walter Faber beziehungsreich genannt, dem dieser erzählte Bericht in den Mund gelegt ist. Faber ist die vollkommene Verkörperung der technischen Existenz, die sich vor dem Zufall und dem Schicksal sicher glaubt. Diesen Faber, der das fünfzigste Lebensjahr schon überschritten hat, lässt Frisch systematisch mit der außertechnischen Welt, dem Irrationalen, zusammenstoßen. Faber bleibt davon zunächst unerschüttert: die Notlandung seines Flugzeugs in der Wüste, der Selbstmord seines ehemaligen Freundes im Dschungel von Mexiko - das bringt sein rational zementiertes Weltbild nicht ins Wanken. Ernsthaft wird es erst bedroht, als Faber durch die Ereignisse zu einem Rechenschaftsbericht über seine eigene Vergangenheit gezwungen wird. Ein junges Mädchen verliebt sich in ihn. Es stellt sich heraus, dass es seine eigene Tochter ist, von deren Existenz er nichts gewusst hat. Hineingezogen in das Stärkste, was das menschliche Leben an irrationalen Einbrüchen zu bieten hat, bricht sein frohgemuter Rationalismus zusammen. Faber sieht sein verfehltes Leben und nimmt den Tod in seine Welt auf.
Darmstädter Echo

Nichts ist zufällig an diesem Bericht. Er ist das Ergebnis einer souveränen dichterischen Konzeption, die bei äußerster sachlicher Strenge mit den Mitteln einer schlichten, präzisen, pathoslosen, fast kargen Prosa in die Tiefen der menschlichen Existenz hinablotet. Alles ist Klarheit, alles Substanz.
Düsseldorfer Nachrichten

Max Frischs Homo Faber ist eines der wichtigsten und meistgelesenen Bücher des 20. Jahrhunderts. Kein anderer zeitgenössischer Roman stellt derart ehrlich wie hintergründig die Frage nach der Identität des modernen Menschen.

Lyricon - ASP ASP (Band), Liedtexte, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Ich bin ein wahrer Satan

An jedem Ort stehen Kreuze schon gekrümmt an ihren Enden
Und die immer gleichen Schatten schlagen Haken an den Wänden
Werden rostige Ideen aufpoliert zu neuem Glanz
Und von Angst genährtes Gift in eure Köpfe eingepflanzt

Und das alles tun sie offen
Während du dich nur versteigst
Während du empört betroffen
Mit dem Finger auf mich zeigst

Ich bin ein wahrer Satan
Komm und fass mich an!
Die Wahrheit ist mein Ziegenhuf, meine Hörner und mein Plan
Ja, ich bin ein echter Teufel
Hör gut zu, du wirst verstehen
Und ich bringe dir das Feuer
Um die Dunkelheit zu sehen

Und die anderen Opfer, Mammon, Nadelstreifen, hohe Priester
Ziehen Marionettenfäden von Regenten und Ministern
Euer Fleisch und eure Knochen ihren Götzen dargebracht
In den Mühlen klein gemahlen und zu kaltem Gold gemacht

Und das alles tun sie offen
Während du dich nur versteigst
Während du empört betroffen
Mit dem Finger auf mich zeigst

Ich bin ein wahrer Satan
Komm und fass mich an!
Die Wahrheit ist mein Ziegenhuf, meine Hörner und mein Plan
Ja, ich bin ein echter Teufel
Hör gut zu, du wirst verstehen
Und ich bringe dir das Feuer
Um die Dunkelheit zu sehen

Und sie predigen von Liebe
Wenn es sein muss mit Gewalt
Mit dem Schwert und Buch vertrieben
Und die Asche wird schon kalt
Und im Glauben an das Gute
Lassen sie dich losmarschieren
Hier im heißen Sand verbluten
Dort im kalten Schnee erfrieren

Weiß der Teufel, warum einer
Der die Wahrheit kennt, nur lügt
Weiß der Teufel, warum einer
Der den Schmerz kennt, ihn zufügt
Weiß der Teufel, warum keiner
Weiß, wir sind vom Tod erwacht
Wir sind längst im Paradies
Haben die Hölle daraus gemacht

Und das alles sage ich offen
Weil du stets zum Schlechten neigst
Während du empört betroffen
Mit dem Finger auf mich zeigst

Ich bin ein wahrer Satan
Komm und fass mich an!
Die Wahrheit ist mein Ziegenhuf, meine Hörner und mein Plan
Ja, ich bin ein echter Teufel
Hör gut zu, du wirst verstehen
Und ich bringe dir das Feuer
Um die Dunkelheit zu sehen

Der Schwarze Schmetterling

Buchvorstellung: Spiegelscherben Buchvorstellung

Autor:  halfJack

Künstler wird man aus Verzweiflung.
Ernst-Ludwig Kirchner

Alfred Pompe
Spiegelscherben

Töte einen und du bist ein Mörder.
Töte Tausende und du bist ein Herrscher.

Jeder Blick in den Spiegel wird zum Widerschein unseres Selbst. Mit dem Ausatmen des Unsichtbaren gegen das kühle Abbild wird schemenhaft sichtbar, was wir tief im Inneren zu verbergen suchen. Auf gläserner Fläche wird ertastbar, in welchem Zwiespalt der Geist sich oft bewegt.
Im vorliegenden Buch lässt Alfred Pompe die Welt erstehen, die wir hinter der spiegelnden Fläche vermuten. Als kraftvolle Gestalten treten uns unsere Gefühle gegenüber, wenn wir ihnen im Dunkel unserer Pupillen gewahr werden. Die Reise, auf die uns der Autor mitnimmt, hat für uns schon längst begonnen, als ein Regentropfen die Ruhe in einer Pfütze durchbrach, in der wir unser Spiegelbild betrachteten. Eine tiefsinnige Entdeckungsreise zu unseren Gefühlen und Eindrücken, hin zu Erinnerungen lichter, sowie dunkler Gestalten.
So ist "Spiegelscherben" eine Reflektion unseres Selbst und der Welt, in der wir leben. Bildgewaltig und zugleich gefühlvoll regen die Zeilen zum Nachdenken, Erinnern und Mitfühlen an. Und laden zu einer poetischen Reise in die Welt der Schwarzromantik ein. Um sich darin selbst zu entdecken.

Selbstmörder Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es ist falsch, wenn man nur jene Menschen Selbstmörder nennt, welche sich wirklich umbringen. Unter diesen sind sogar viele, die nur gewissermaßen aus Zufall zum Selbstmörder werden, zu deren Wesen das Selbstmördertum nicht notwendig gehört. Unter den Menschen ohne Persönlichkeit, ohne starke Prägung, ohne starkes Schicksal, unter den Dutzend- und Herdenmenschen sind manche, die durch Selbstmord umkommen, ohne darum in ihrer ganzen Signatur und Prägung dem Typus der Selbstmörder anzugehören, während wiederum von jenen, welche dem Wesen nach zu den Selbstmördern zählen, sehr viele, vielleicht die meisten, niemals tatsächlich Hand an sich legen. Der "Selbstmörder" braucht nicht notwendig in einem besonders starken Verhältnis zum Tode zu leben - dies kann man tun, auch ohne Selbstmörder zu sein. Aber dem Selbstmörder ist es eigentümlich, dass er sein Ich, einerlei, ob mit Recht oder Unrecht, als einen besonders gefährlichen, zweifelhaften und gefährdeten Keim der Natur empfindet, dass er sich stets außerordentlich exponiert und gefährdet vorkommt, so, als stünde er auf allerschmalster Felsenspitze, wo ein kleiner Stoß von außen oder eine winzige Schwäche von innen genügt, um ihn ins Leere fallen zu lassen. Diese Art von Menschen ist in ihrer Schicksalslinie dadurch gekennzeichnet, dass der Selbstmord für sie die wahrscheinlichste Todesart ist, wenigstens in ihrer eigenen Vorstellung. Voraussetzung dieser Stimmung, welche fast immer schon in früher Jugend sichtbar wird und diese Menschen ihr Leben lang begleitet, ist nicht etwa eine besonders schwache Lebenskraft, man findet im Gegenteil unter den "Selbstmördern" außerordentlich zähe, begehrliche und auch kühne Naturen. Aber so wie es Naturen gibt, die bei der kleinsten Erkrankung zu Fieber neigen, so neigen diese Naturen, die wir "Selbstmörder" heißen und die stets sehr empfindlich und sensibel sind, bei der kleinsten Erschütterung dazu, sich intensiv der Vorstellung des Selbstmordes hinzugeben.
Wie jede Kraft auch zu einer Schwäche werden kann (ja unter Umständen werden muss), so kann umgekehrt der typische Selbstmörder aus seiner anscheinenden Schwäche oft eine Kraft und eine Stütze machen, ja er tut dies außerordentlich häufig. Er macht aus der Vorstellung, dass ihm zu jeder Stunde der Weg in den Tod offenstehe, nicht bloß ein jugendlich-melancholisches Phantasiespiel, sondern baut sich aus ebendiesem Gedanken einen Trost und eine Stütze. Zwar ruft in ihm jede Erschütterung, jeder Schmerz, jede üble Lebenslage sofort den Wunsch wach, sich durch den Tod zu entziehen, allmählich aber schuf er sich aus dieser Neigung gerade eine dem Leben dienliche Philosophie. Die Vertrautheit mit dem Gedanken, dass jener Notausgang beständig offenstehe, gibt ihm Kraft, macht ihn neugierig auf das Auskosten dieser Schmerzen und üblen Zuständen, und wenn es ihm recht elend geht, kann er zuweilen mit grimmiger Freude, einer Art Schadenfreude, empfinden:
"Ich bin doch neugierig zu sehen, wie viel eigentlich ein Mensch auszuhalten vermag. Ist die Grenze des noch Erträglichen erreicht, dann brauche ich ja bloß die Tür zu öffnen und bin entronnen."
Es gibt sehr viele Selbstmörder, denen aus diesem Gedanken ungewöhnliche Kräfte kommen.

"Der Steppenwolf" von Hermann Hesse

Halb bin ich du Literatur

Autor:  halfJack

Wenn du in den Spiegel siehst, dann erkennst du mich nicht, weil ich es nicht will. Dann verstecke ich mich im Glas hinter einer namenlosen Maske und warte. Das Leben ist ein ständiges Warten. Ein Warten auf Godot? Ein Warten darauf, dass die Tür zum Gerichtssaal geschlossen wird und man nie hindurchgegangen ist, obgleich jene Tür für einen bestimmt war? Nur ich sitze hier und schaue dir zu, solange du mich nicht beachtest. Du erkennst, wer ich bin, wenn ich es will. Dann lasse ich dich in einer ruhigen Sekunde innehalten und zwinge dich, mir in die Augen zu schauen. Was siehst du? Siehst du mich? Halb dich, halb nichts.
Während du erwachsen wurdest, bin ich das Kind einer Mutter, die lediglich eine Frau, allenfalls eine Freundin war, und das Kind vieler Männer, die nie meine Väter waren. Meine halbe Mutter nannte ich stets beim Namen, während du ihr noch einen Titel gegeben hast. Halb verschämt, halb mutig, halb lügend, Halbkind. Doch ähnlich wurdest du ihr dennoch, auch wenn du stets mehr wie dein Vater sein wolltest. Mehr wie er, dem Individuum in dir, dem Unbekannten in ihm. Ein falscher Name an dich adressiert und du wusstest, dass nicht er es war, den du sahst, sondern nur eine weitere Maske der Pest und Krankheit, dem Geschwür in seinem Kopf, das ihn im Gegensatz zu vielen anderen Menschen tatsächlich und in der Wirklichkeit zerfressen hat. Darum bin ich dein Geschwür hinter dem Spiegelglas.
Halbkind, Halbgott, um einen tanzenden Stern für die Nachwelt zu gebären. So bist du einer der letzten Menschen. Ich, zu narzisstisch im Selbsthass verloren. Du, zu gelangweilt von dir selbst, um dich mit dir zu beschäftigen, richtest du dein Augenmerk auf die Menschen um dich herum, halb Mensch, halb Wolf. Ist der Mensch dem Menschen ein Wolf? Leben Wölfe in der Steppe allein? Sind Halbkinder nur Töchter und Söhne von Sonne und Mond? Ich warte hinter dem Spiegel im Wunderland und höre das Kratzen in deinem Inneren. Etwas hat einen Kokon gesponnen und sehnt den Tag der Vereinigung herbei. Ich bin es nicht und doch sind das Es und Ich du. Wir wachsen in dir heran. Hast du uns vermisst? Du glaubst noch immer, du seist ein Geldstück, eine der Münzen auf deinen Augen. Du glaubst, du hättest zwei Seiten, doch jeder Mensch, ob Halbkind, Halbmensch, Halbgott, trägt viele Seiten in sich. Nicht nur zwei, nicht nur drei Instanzen. Sind wir Möbiusschleifen, die nach Ergänzung suchen, die wir ein Leben lang bei uns behalten, ohne dass sie ein Teil von uns sein kann? Ein Teil von dir, ein Teil von mir. Ein Teil vom Nichts der Unendlichkeit. In der Rasse geteilt, halb weiblich, halb männlich, betrachte ich die Frau in dir und möchte gern ein Mann sein. Du bist zu sehr ich, wir sind zu viel von uns, ich bin zu viel in mir selbst. So bin ich fast sie, fast er, weil ich nicht genug geben kann und doch zu viel zu geben habe. Du bist Jill und ich bin Jack und das halbe Blut von Sonne und Mond kocht in meinen Adern.
Name ist Schall und Rauch, doch manchmal heiße ich auch Frank oder Harvey. Dann habe ich lange Hasenohren und spitze Zähne, bin manchmal weiß und manchmal schwarz, trage in seltenen Fällen sogar eine Uhr bei mir. Ich bin dein imaginärer Freund, mit dem du reden kannst, wenn niemand sonst dir zuhört. Ich bin Jack im Versteck, aber auch Jekyll und Hyde, bin das tausendfach Gute und Böse in dir, der Voyeur deiner Kindertage. Du hoffst, dass du mehr wie ich sein kannst, die perfekte Maske des Ichs, das du innerlich, aber nicht nach außen bist.
Du bist nicht wie ich. Aber ich bin halb wie du. Zum Schluss steht nur ein halbes Ende.

Halbundhalbmensch Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es gibt ziemlich viele Menschen, die alle zwei Seelen haben, zwei Wesen in sich, in ihnen ist Göttliches und Teuflisches, ist mütterliches und väterliches Blut, ist Glücksfähigkeit und Leidensfähigkeit ebenso feindlich und verworren neben- und ineinander vorhanden, wie Wolf und Mensch. Und diese Menschen, deren Leben ein sehr unruhiges ist, erleben zuweilen in ihren seltenen Glücksaugenblicken so Starkes und unnennbar Schönes, der Schaum des Augenblicksglückes spritzt zuweilen so hoch und blendend über das Meer des Leides hinaus, dass dies kurze aufleuchtende Glück ausstrahlend auch andere berührt und bezaubert. So entstehen, als kostbarer flüchtiger Glücksschaum über dem Meer des Leides, alle jene Kunstwerke, in welchen ein einzelner leidender Mensch sich für eine Stunde so hoch über sein eigenes Schicksal erhob, dass sein Glück wie ein Stern strahlt und allen denen, die es sehen, wie etwas Ewiges und wie ihr eigener Glückstraum erscheint. Alle diese Menschen, mögen ihre Taten und Werke heißen wie sie wollen, haben eigentlich überhaupt kein Leben, das heißt, ihr Leben ist kein Sein, hat keine Gestalt, sie sind nicht Helden oder Künstler oder Denker in der Art, wie andere Richter, Ärzte, Schuhmacher oder Lehrer sind, sondern ihr Leben ist eine ewige, leidvolle Bewegung und Brandung, ist unglücklich und schmerzvoll zerrissen und ist schauerlich und sinnlos, sobald man den Sinn nicht in ebenjenen seltenen Erlebnissen, Taten, Gedanken und Werken zu sehen bereit ist, die über dem Chaos eines solchen Lebens aufstrahlen. Unter den Menschen dieser Art ist der gefährliche und schreckliche Gedanke entstanden, dass vielleicht das ganze Menschenleben nur ein arger Irrtum, eine heftige und missglückte Fehlgeburt der Urmutter, ein wilder und grausig fehlgeschlagener Versuch der Natur sei. Unter ihnen ist aber auch der andere Gedanke entstanden, dass der Mensch vielleicht nicht bloß ein halbwegs vernünftiges Tier, sondern ein Götterkind und zur Unsterblichkeit bestimmt sei.

"Der Steppenwolf" von Hermann Hesse

Buchvorstellung: Das Bildnis des Mr. W. H. Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Aus welchem Stoff, woraus schuf dich Natur,
Dass tausend fremde Schatten sich dir weihen?
Hat jeder hier doch einen einzgen nur,
Und du kannst alle, alle Schatten leihen.
William Shakespeare

Die Schminke braucht sich nicht zu verbergen,
Sie muss nicht vermeiden, dass man sie erahnt;
Sie mag sich im Gegenteil zur Schau stellen
- wenn schon nicht geziert, so doch ganz offen.
Charles Baudelaire

Ein Zugeständnis an jeden Schatten, jeden Schauspieler, der die Wahrheit so perfekt zu verschleiern vermag.

Oscar Wilde
Das Bildnis des Mr. W. H.

Wer war Mr. W. H., dem Shakespeare seine berühmten Sonette widmete? Wer der hübsche junge Mann, der in den meisten der Gedichte angesprochen wird? Cyril Graham, der Held in Oscar Wildes Geschichte, meint das Rätsel gelöst zu haben. Allein ein handfester Beweis fehlt ihm noch.
Wildes virtuose Geschichte einer Obsession ist zugleich ein amüsantes Verwirrspiel über Kunst und Leben.

"Alle bezaubernden Leute sind verdorben. Es ist das Geheimnis ihres Reizes."

"Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach."

"Es ist stets töricht, Ratschläge zu geben, aber gute Ratschläge zu geben ist absolut verhängnisvoll."

"Eine Sache muss nicht unbedingt wahr sein, nur weil ein Mensch für sie stirbt."

"Für seine religiöse Überzeugung zu sterben ist der schlechteste Gebrauch, den ein Mensch von seinem Leben machen kann."

"Entsprang die Tragödie nicht den Leiden des Dionysos? Wurde nicht das unbeschwerte Lachen der Komödie mit ihrer sorglosen Fröhlichkeit und ihren munteren Entgegnungen zuerst von den Lippen sizilianischer Weingärtner vernommen? Ja, gab nicht das Purpur und Rot des Weinschaums auf Gesicht und Gliedern die erste Andeutung vom Reiz und Zauber der Verkleidung - zeigte sich so nicht in den ungeschickten Anfängen der Kunst die Sehnsucht, sein Ich zu verbergen, das Gefühl für den Wert der unpersönlichen Darstellung?"

"Vielleicht hat man, wenn man den vollendeten Ausdruck für eine Leidenschaft findet, die Leidenschaft selbst erschöpft. Gefühlskräfte haben wie die physischen Kräfte ihre vorgeschriebenen Grenzen. Vielleicht geht Hand in Hand mit dem bloßen Versuch, jemanden zu einer Theorie zu bekehren, eine Art Verzicht auf die Glaubensfähigkeit. Vielleicht ist man der ganzen Sache dann einfach müde, und da die Begeisterung ausgebrannt ist, bleibt die Vernunft ihrem eigenen leidenschaftslosen Urteil überlassen."