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Gespräch zwischen Bestatter und Hinterbliebenem Humor

Autor:  halfJack

„Gibt es diese Särge auch in anderen Formaten?“

„Also, eigentlich sind Särge immer so rechteckig.“

„Das ist ja mal voll langweilig.“

„Natürlich gibt es auch Designerstücke, zum Beispiel in Wellenform oder sogar ähnlich einem ägyptischen Sarkophag.“

„Nein, ich meine jetzt mehr so rund.“

„Rund?“

„Ja, so ohne Ecken.“

„Rund also.“

„Ja genau, mehr so wie ein... hm...“

„Wie ein Fass?“

„Ja, genau! So meine ich das, so wie ein Fass!“

„Es hat ja seinen Grund, dass die Särge diese Form haben.“

„Ach was?“

„Doch, da soll ja schließlich ein Mensch reinpassen. Liegend.“

„In den Sarg?“

„Ja, sicher, wo denn sonst?“

„Aber mein Mann wird doch verbrannt, da ist es doch egal, wie der Sarg aussieht, die Asche passt dann doch wohl in jeden Sarg.“

„Die Asche wird doch nicht in einem Sarg beigesetzt.“
„Das haben Sie doch aber eben selbst gesagt.“

„Nein, bestimmt nicht.“

„Dohoch! Siiiie haben gesagt, man braucht auch einen Saaaarg!“

„Ja, vorher. Also der Mensch kommt in den Sarg, dann wird der Sarg mit dem Menschen eingeäschert, und die Asche kommt in so eine Urne hier; schauen Sie mal!“

„In so eine Urne? Das ist eine Urne? Mein Gott, die sieht ja potthässlich aus, wie eine Büchse.“

„Im Prinzip ist das ja auch so etwas wie eine Büchse. Vielleicht habe ich Ihnen nicht die schönste Urne gezeigt, wie wäre es denn mit dieser hier?“

„Sieht auch kacke aus, äh, ’tschuldigung, gefällt mir auch nicht.“

„Und die hier?“

„Auch nicht, meine Güte, was sind die Dinger hässlich. Haben Sie keine länglichen, rechteckigen?“

„So in Sargform?“

„Ja, genau! So wie ein Sarg, nur eben kleiner.“

„Als sie noch dachten, wir bräuchten einen Sarg für die Asche, da konnte es Ihnen nicht rund genug sein, und jetzt, da ich Ihnen nur runde Sachen zeige, da wollen Sie was länglich Eckiges?“

„Stimmt, ich bin aber auch ein Dummerchen. Aber ich will für meinen Erwin nur das Beste. Sie verstehen?“

„Sicher, sie sollen ja auch das bekommen, was Ihnen gefällt. Ist denn bei den Urnen hier im Regal gar nichts dabei, was Ihnen gefallen könnte?“

„Da im Regal?“

„Ja, hier im Regal.“

„Die Weiße da ganz rechts an der Wand!“

„Das ist der Luftbefeuchter.“

„Ach, der ist aber hübsch.“

„Die Urnen stehen da mehr so im Regal und hängen nicht an der Wand.“

„Sehen aus wie Blumenvasen mit Deckel.“

„Sie kommen ja in die Erde.“

„Die Urnen?“

„Ja.“

„Ach, ich dachte, ich hätte Sie jetzt so verstanden, dass die mitverbrannt werden.“

„Nein.“

„Nicht?“

„Nein.“

„Aha.“

„Und? Wie sieht’s aus? Was dabei, was Ihnen gefällt?“

„Hm, wenn die nicht verbrannt wird, könnte man ja auch die da vorne nehmen, die ist eigentlich ganz hübsch.“

„Kupfer, gehämmert.“

„Die ist ganz schön. Und die bleibt im Feuer ganz?“

„Ja.“

„Dann nehm ich die.“

„Gut so.“

„Sagen Sie mal, ich muss Ihnen eins sagen, Sie sind ein sehr netter Mann. Sie gehen gut auf Ihre Kunden ein.“

„Danke, Sie sind aber auch sehr nett, nicht jede Kundin macht es einem so leicht.“

„Tja, ich hab mich halt vorher im Interweb informiert. Das heißt, mein Schwager war das, der kennt sich da aus. Warten Sie mal eben, ich ruf den mal: Hugo, komm doch mal rein, wir haben jetzt schon eine Urne zum Verbrennen, jetzt brauchen wir nur noch einen Sarg für die Asche!“

Bestatterweblog

"Darf ich meine Oma selbst verbrennen" von Peter Wilhelm

 

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Autor:  halfJack

Fragen an einen Bestatter

 

Frage

Geht eine Seebestattung auch, wenn man Nichtschwimmer ist?

Antwort

Grundsätzlich nein! Entweder man lässt sich mit einem Schwimmer zusammen einäschern oder man bucht schon zu Lebzeiten einen Schwimmkurs. Die Bestatterverbände bieten seit geraumer Zeit gemeinsam mit den Seniorenverbänden und der DLRG in den Altersheimen Seniorenschwimmkurse an. Statt eines Seepferdchens darf man sich dann einen grauen Panther oder eine graue Piratenflagge an den Schwimmanzug nähen. Ohne entsprechende Bescheinigung gibt es für Nichtschwimmer keine Seebestattung.

 

Frage

Was ich immer schon mal wissen wollte: Wie verhindert man, dass bei einer Seebestattung der Sarg auf der Wasseroberfläche schwimmt?

Antwort

Seebestattungen werden nur mit der Totenasche in einer auflösbaren Urne durchgeführt, nicht mit Särgen. Im Gegensatz zum Seemannsbegräbnis auf hoher See, bei dem man einen ganzen Leichnam der See übergibt, wird also nur die Asche beigesetzt. Würde man, was nicht üblich ist, Särge verwenden, könnte ich mir vorstellen, dass man einem Aufschwimmen des Sarges durch die Anbringung geeigneter Bohrlöcher im Sarg entgegenwirken könnte.

 

Frage

Mein Mann schnarcht, und deshalb haben wir seit Jahren ein getrenntes Schlafzimmer. Wie mache ich es, dass ich im Grab nicht neben meinem Mann liegen muss?

Antwort

Lassen Sie sich in weit voneinander entfernten Gräbern beerdigen.

 

Frage

Es wird Zeit, mich mal zu erkundigen. Was muss ich alles machen, wenn ich mal tot bin? Da gibt es bestimmt viel zu bedenken und zu erledigen, bei Behörden und so.

Antwort

Ich würde sagen, dass Sie sich darum keine Gedanken machen müssen, Sie sind ja dann tot.

 

Frage

Sehr geehrter Herr Bestatter,
eine Frage interessiert uns brennend, weil wir ganz im Osten der Republik wohnen und sehr viel Berührung mit unseren polnischen Nachbarn haben. Mein Mann spricht sogar etwas Polnisch.

Bitte sagen Sie uns doch die Antwort auf folgende Frage: Wie lange dauert es in Polen vom Tod bis zum Sterben?

Antwort

Ja.

 

Frage

Mal eine besondere Frage, die mich und meinen Freund sehr beschäftigt. Hast du schon mal einen Sarg mit einem Vampir beerdigt? Bitte antworten, ist kein Spaß!!!!

Antwort

Vampire bekommen immer ein Urnenbegräbnis, weil durch das Kellerfenster Sonnenlicht in unseren Behandlungsraum fällt und die Vampire dabei stets zu Staub und Asche zerfallen. Ist wirklich so, ist kein Spaß!!!

 

Frage

Werden auch Menschen auf christlichen Friedhöfen (also jetzt mal evangelisch oder katholisch) bestattet, die besondere sexuelle Praktiken verübt haben?

Antwort

Das kommt im Wesentlichen darauf an, ob diese Praktiken katholisch oder evangelisch waren.

 

Frage

Ich beziehe eine Witwenrente, weil mein Mann schon tot ist. Außerdem bekomme ich eine kleine eigene Rente. Nun liege ich seit Monaten nachts wach und mache kein einziges meiner beiden Augen zu, weil ich mich mit einer Frage quäle: Wenn ich denn dann mal tot, also gestorben bin. Wo muss ich dann überall hin? Auf das Bürgermeisteramt oder wo?

Antwort

Bitte gehen Sie drei Tage nach Eintritt des Todes mit Ihren Rentenunterlagen auf das Bürgermeisteramt. Dort hält man ein buntes Überraschungspaket für solche Fälle bereit und freut sich stets über Abwechslung.

 

Frage

Jetzt mal ehrlich: Gibt es Ihrer Meinung nach eine Möglichkeit, in Deutschland legal ein Grab zu finden, in dem es einen Internetanschluss gibt und in das ich später mal mein Handy mitnehmen kann?

Antwort

Jetzt mal ehrlich: Was wollen Sie dann damit? (Den eigenen Verwesungsprozess twittern?)

 

Frage

Es kann doch sein, dass mir wegen einer Krankheit oder eines Unfalls ein Bein oder Arm abgetrennt wurde oder amputiert werden muss. Kann ich für diesen Arm oder dieses Bein einen Bestatter beauftragen, der dieses Körperteil dann ordnungsgemäß bestattet? So könnte ich doch wenigstens bei einem Stück von mir bei der eigenen Beerdigung dabei sein.

Antwort

Ich kann Sie beruhigen: Sie werden auf jeden Fall, so oder so, bei Ihrer eigenen Beerdigung dabei sein.

Körperteile, die im Krankenhaus entfernt werden müssen, werden von den Kliniken über Spezialentsorger entsorgt. Mir ist noch kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Bestatter das abgetrennte Körperteil einer lebenden Person bestatten sollte. Und ehrlich gesagt, ich wüsste auch nicht, wofür das gut sein sollte. Was, wenn Sie im Laufe Ihres Lebens mehrfach umziehen? Wollen Sie dann Ihren Fuß in Magdeburg und eine Hand in Stuttgart auf dem Friedhof besuchen gehen? Ich finde, man sollte die Kirche lieber im Dorf lassen.

 

Frage

Man hört doch so viel darüber, wie wichtig Organspenden sind. Andererseits lassen sich doch so viele Menschen verbrennen. Wie bekommt man denn bei den vielen Eingeäscherten die Organe wieder aus der Asche? Sind die dann noch verwendbar?

Antwort

Erst sterben, dann Organentnahme, dann einäschern. Einfach die Reihenfolge beachten und vor allem sicherstellen, dass zuerst gestorben wird.

 

Frage

Ich habe einen Organspendeausweis. Nun nagt in mir die Befürchtung, jemand könnte mir Organe auch schon dann entnehmen, wenn ich noch gar nicht tot bin. Was kann ich machen, damit das nicht passiert?

Antwort

Gut aufpassen!

 

Anfrage von einer Zeitung

Gibt es Ihrer Meinung nach Tendenzen, dass der Friedhofszwang für Urnen und Särge in absehbarer Zeit aufgehoben wird und somit die Möglichkeit besteht, den Verstorbenen zum Beispiel auch zu Hause auf den Kaminsims zu stellen?

Antwort

Es ist ein allgemeiner Trend zur Lockerung der Bestimmungen zu erkennen, und was noch vor wenigen Jahren undenkbar war, wird mittlerweile von immer mehr Friedhofsverwaltungen als Alternative angeboten. Es ist durchaus denkbar, dass in einigen Jahren auf der Friedhofszwang für Urnen entfallen könnte. Jedoch halte ich es persönlich für wenig sinnvoll, auch Särge oder die Verstorbenen selbst auf den Kaminsims zu stellen.

 

Frage

Ich bin Vegetarier. Wie stelle ich sicher, dass die Kränze später mal auf meiner Beerdigung meinen Ansprüchen an ein vegetarisches Leben entsprechen? Wir Vegetarier haben es ja oft schon im Leben nicht leicht, so will ich wenigstens bei meiner Beerdigung alles einwandfrei haben.

Antwort

Aus was, wenn nicht aus Pflanzen, werden denn in Ihrer Gegend für gewöhnlich Kränze zur Beerdigung gemacht? Aus Weißwürsten?

 

Frage

Wenn ihr einen Sarg zum Friedhof bringt und habt unterwegs einen platten Reifen, was macht ihr dann? Anderen Bestatter rufen? Sarg zu Fuß den Rest tragen? Beerdigung verschieben? Feuerwehr anrufen? Mit dem Abschleppwagen zum Friedhof fahren?

Antwort

Reifen wechseln.

 

Frage

Auf Friedhöfen gibt es so viel Vandalismus, und gestohlen wird ja auch. Ich möchte gerne, wenn ich mal tot bin, meinen Grabstein besonders tief in die Erde setzen lassen, also mehr als 1,80 m tief. Meinen Sie, das geht? Dann kann ihn keiner klauen. Ist das eine gute Idee?

Antwort

Die Idee ist sogar sehr gut. Bei einer Tiefe von 1,80 Metern könnten Sie den Stein auch von unten festhalten. Aber wirklich notwendig wird das nicht sein, es wird oben nichts mehr von dem Stein aus der Erde ragen.

 

Bestatterweblog

"Darf ich meine Oma selbst verbrennen" von Peter Wilhelm

Hiroshima-Gedenktag in Dresden Barfuß durch Hiroshima, Japan

Autor:  halfJack

70 Jahre sind seit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima vergangen. Zu diesem Anlass haben sich die Dresdner Sinfoniker eine Veranstaltung der besonderen Art einfallen lassen: ein Freiluftkonzert, untermalt mit Großprojektionen aus dem Manga Barfuß durch Hiroshima.

Donnerstag, 6. August 2015 / 21 Uhr
im Rahmen des Palais Sommers Dresden
Park des Japanischen Palais - Eintritt frei

Als einer der wenigen Überlebenden von Hiroshima zeichnete Keiji Nakazawa zahlreiche Geschichten, die seine Erfahrungen in Bildern vermittelten. Barfuß durch Hiroshima wurde trotz kritischer Reaktionen sogar im Shonen Jump veröffentlicht und machte ihn in ganz Japan bekannt. Anlässlich des 60. Jahrestages wurde der Manga 2004/2005 auch in Deutschland veröffentlicht. Es verwundert nicht, dass man sich in Dresden aufgrund ähnlicher Kriegserfahrungen dieser Thematik verbunden fühlt. Die teils verstörenden Bilder des Manga werden nun in der abendlichen Dunkelheit auf das Japanische Palais geworfen und von den Sinfonikern musikalisch in Szene gesetzt. Verstörend muss nicht immer lehrreich sein, das ist durchaus klar. Nicht jeden wird eine solche Inszenierung ansprechen. Wer schon einmal im heutigen Hiroshima war, wird mit vielen Möglichkeiten des Gedenkens und Erlebens konfrontiert. Auch das Museum im Stadtzentrum ist zweigeteilt und überlässt dem Besucher die Wahl, inwieweit er sich auf diese Bilder einlassen möchte. Man kann nach dem ersten Teil auch hinausgehen und lieber einen gefalteten Kranich bei der Gedenkstätte von Sadako hinterlassen.

Dennoch möchte ich allen, die in der Nähe wohnen, (und natürlich auch allen anderen, die Zeit finden) diese Veranstaltung ans Herz legen. Wie bereits erwähnt, ist der Eintritt frei. Ich selbst kann es mir leider nicht anschauen, da ich zu dieser Zeit ironischerweise gerade in Japan bin. Ich würde mich freuen, wenn mir jemand später seine Eindrücke mitteilt.

Quelle:
Artikel im Nachrichtenportal Oiger

LBM 2015: Interview mit Takeshi Obata Leipziger Buchmesse 2015, Death Note, Takeshi Obata, Bakuman, All you need is kill, Bericht, Death Note

Autor:  halfJack

Letzten Samstag, am 14. 03. 2015, kam Takeshi Obata, der Zeichner von Death Note, Hikaru no Go, Blue Dragon RalΩGrad, Bakuman und der Mangaadaption zu All you need is kill auf Einladung nach Deutschland, um auf der Leipziger Buchmesse ein Interview zu geben, live zu zeichnen und zu signieren.
Bislang konnte ich im Internet nicht mal eine Zusammenfassung dieses Interviews finden, wäre also sehr dankbar für Links oder Ergänzungen, weil ich selbst nicht alles gehört und natürlich einiges vergessen habe. Unterdessen werde ich versuchen, so viel wie möglich von dem Interview wiederzugeben. In Klammern schreibe ich meine eigenen Ergänzungen. Die Reihenfolge ist an ein paar Stellen vermutlich anders gewesen.

Während der Unterhaltung zeichnete Obata-sensei, wie sollte es auch anders sein, einen L für seine Fans, der überraschenderweise sogar eine Haribo-Tüte in der Hand hielt und sich gerade etwas davon in den Mund steckte. Für L habe sich Obata-sensei entschieden, weil das von all seinen Figuren sein persönlicher Favorit wäre. Es sei sicherlich nicht undenkbar, meinte er, nachdem gerade der Schriftzug auf der Verpackung erkennbar wurde, dass L auch Süßigkeiten von Haribo essen würde. (Die Marke gibt es in Japan durchaus, allerdings nicht in allen, sondern mitunter nur in speziellen Geschäften; allerdings sind die Tüten dort im Vergleich zu unseren oft nur halb so groß und doppelt so teuer.)

Es war das erste Mal, dass Obata-sensei überhaupt nach Deutschland reiste. Sein erster Eindruck, als er aus dem Flieger stieg, war "kalt". (Das Klima in Japan, zumindest auf der Hauptinsel Honshu, unterscheidet sich zwar nicht stark von unserem, doch besonders jetzt zur Kirschblütenschau ist es im Raum Tokyo/Yokohama oder Kyoto längst nicht mehr so kalt.) Die Interviewerin schlug ihm vor, er könne ja später mal im Sommer nach Deutschland kommen, und er antwortete, das würde er gern tun. Hoffen wir, dass es keine Höflichkeitsfloskel bleibt.
Vorher hatte Obata-sensei keine Vorstellung davon, wie gut seine Serien in Deutschland ankommen. (Das kann man wohl besonders auf Death Note beziehen angesichts der vielen Auflagen, unterschiedlichen Aufmachungen und Übersetzungen des Manga, der Ende des letzten Jahres erschienenen zwei Boxen des Anime und dem erstmals in Deutschland übersetzten und veröffentlichten Artbook Blanc et Noir. Aber auch der Go-Bereich, der ursprünglich durch Hikaru no Go ins Leben gerufen wurde, ist nach wie vor fester Bestandteil der LBM.)
Auf die Frage, ob Obata-sensei ein deutsches Lieblingsgericht habe oder ob es generell etwas gäbe, das er hier gern essen würde, antwortete er mit "Brot und Käse". (Wer Yakitate!! Japan kennt, weiß, dass Deutschland das Brotland Nummer 1 ist. Nirgendwo sonst gibt es so viele verschiedene Brotsorten.) Obata-sensei erklärte, er äße daheim gern Körnerbrot und ähnliches, aber das Angebot an Käse sei in Japan kaum ausgeprägt (häufig bekommt man dort in den Supermärkten nur Analogkäse). Daher fragte er in die Runde, ob man ihm Empfehlungen aussprechen könnte, und erhielt prompt die Zurufe "Gouda" und "Emmentaler". Er bedankte sich, diese Sorten würde er sich merken.

Danach folgten die üblichen Verdächtigen unter den Interviewfragen, also Informationen, die den meisten vermutlich bekannt sind. Schon sehr früh in der Schule habe Obata-sensei Skizzen in sein Notizbuch gemalt, bis er seine Kurzgeschichte 500 Kōnen no Shinwa bei Shueisha einschickte und damit den jährlichen Tezuka-Preis gewann. Seine großen Erfolge kamen jedoch erst, als er mit diversen Gensaku-sha zusammenzuarbeiten begann, also Autoren wie Tsugumi Ohba, die das Szenario schrieben und selbst nicht zeichneten. (Es scheint, als wäre Obata-sensei tatsächlich besser zum Zeichnen als zum Konzipieren von Geschichten geeignet; in einem anderen Interview gestand er einst, dass er nicht sonderlich einfallsreich sei und keine Ideen habe.) Zudem meinte er, wenn es sich ergäbe, würde er sich über eine nochmalige Zusammenarbeit mit Tsugumi Ohba sehr freuen.
Zumindest der Anfang seiner eigenen Geschichte erinnert an Saiko bzw. Moritaka Mashiro, den Zeichner des Manga-Duos aus Bakuman, und in der Tat gab Obata-sensei zu, dass gewisse Parallelen zwischen ihm und Saiko existierten; beide hätten einen eher ruhigen, größtenteils gelassenen Charakter.
Das sind nicht die einzigen Ähnlichkeiten. Die Interviewerin erkundigte sich, wie viel von Bakuman der Wirklichkeit entspräche oder wie ernst man diese Serie in Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt nehmen könnte. Hierauf erklärte Obata-sensei, dass besonders der enorme Zeitdruck und Stress aus seiner eigenen Erfahrung stammten. So ginge es vielen Managaka und die Interviewerin fügte hinzu, dass Obata-sensei sogar jetzt bei seinem Aufenthalt in Deutschland seine Zeichenutensilien bei sich habe, um im Hotel an seiner aktuellen Serie zu arbeiten. Hierbei handelt es sich um Gakkyū Hōtei (School Investigation Court), worin es, soweit ich das mitbekommen habe, um einen Schüler geht, der quasi als Anwalt für seine Mitschüler agiert. Ähnlichkeiten zu erdachten Serien, die in Bakuman auftauchen, seien wohl rein zufällig. (Ich vermute, die Interviewerin sprach damit auf Magical Detective TRAP an.) Insgesamt sei Bakuman jedoch absolut realistisch, nicht nur in Hinsicht auf die ganzen Abläufe beim Shonen-Jump, sondern auch, was die einzelnen Redakteure anbelangt. Keiner der Namen wurde geändert. Der ebenfalls anwesende Redakteur von Obata-sensei fügte nur scherzend hinzu, dass sie alle im Manga wesentlich hübscher gezeichnet wurden, als sie tatsächlich aussehen. Ob es bei einem derartigen Eindringen in die Privatsphäre der Redaktion keine Bedenken oder Unbehagen gegeben habe, wollte die Interviewerin daraufhin wissen und erhielt die etwas zynische Antwort, die habe es schon gegeben, aber letztlich ginge es in erster Linie darum, ob sich die Serie gut verkauft.

Des Weiteren berichtete Obata-sensei von seinem Tagesablauf. Morgens würde er von seinem Stuhl aufwachen, zeichnen, frühstücken, zeichnen, den Rest des Tages zeichnen und abends irgendwann auf seinem Stuhl einschlafen. Grob war es das. Aufstehen würde er im Prinzip nur, um ins Bad zu gehen. Essen würde er bloß am Morgen, deshalb wäre er auch so dünn. Wie ernst man diese Aufzählung nehmen kann, bleibt jedem selbst überlassen, aber wir wissen immerhin alle, wie hart das Leben eines Mangaka ist, also wird es im Wesentlichen wahrscheinlich wirklich so sein. Sobald Obata-sensei quasi Urlaub oder Freizeit hat, würde er erst einmal ordentlich essen und ansonsten verschiedene Sportarten betreiben, um wieder in Bewegung zu kommen.

Die Interviewerin wollte wissen, ob es nach seinen vielen Erfolgen denn noch Ziele gab, die er anstrebte. Obata-sensei erklärte, er wolle im Zeichnen besser werden, zum Beispiel seine Fähigkeiten mit digitalen Medien steigern. Bei seiner aktuellen Serie habe er traditionell angefangen und würde derzeit digital weiterarbeiten. Außerdem zeichne er gern hübsche Menschen und bemühe sich stets, ihre Mimik ausdrucksstark darzustellen. (In einem anderen Interview hat er bereits erklärt, dass es ihm leichter fallen würde, älteren Personen mit ihren unterschiedlichen Gesichtsformen und Falten einen starken Ausdruck zu verleihen. Junge Personen hingegen haben kein so variables Gesicht, gerade Frauen würden bei ihm häufig einfach nur hübsch aussehen.) Je mehr er zeichnete, desto einheitlicher und ausdrucksloser würde die Mimik seiner Figuren werden; daran wolle er arbeiten.

In der Zwischenzeit war das Bild von L fertig – hockend, mit nackten Füßen, zerzausten Haaren, Süßigkeiten essend, eben genau, wie wir ihn kennen und lieben – und ein neues Portrait von Ryuk wurde begonnen.

Ein kurzer Abstecher zu All you need is kill erfolgte ebenfalls, dem Manga, der auf der gleichnamigen Novelle von Hiroshi Sakurazaka basiert, welche wiederum als Vorlage für den Film Edge of Tomorrow mit Tom Cruise in der Hauptrolle diente. Auf Nachfrage der Interviewerin meinte Obata-sensei, er habe sich für diese Adaption nicht mit dem Autor abgesprochen (was auch daran liegen könnte, dass Ryosuke Takeuchi für das Szenario verantwortlich war und Yoshitoshi ABe bereits die Novelle illustrierte). Eine Übertragung in ein anderes Medium, zum Beispiel vom Roman zum Manga, würde ganz neue Möglichkeiten mit sich bringen, die in der Regel nur dem Experten des jeweiligen Gebietes richtig vertraut sind. Deshalb hat man als Mangaka in solchen Fällen meistens freie Hand. Nach Bakuman, das eher einen comicartigen Stil hatte, wollte Obata-sensei jedenfalls wieder etwas Realistischeres zeichnen.

Zum Schluss fällt mir nur noch eine Sache ein, die in dem Interview angesprochen wurde. Obata-sensei konnte keinen einzelnen Zeichner benennen, der ihn in seiner Kindheit und Jugend beeinflusste oder prägte. Er las viele Manga und hat sich quasi von allem inspirieren lassen, das ihm gefiel, vor allem Sci-Fi interessierte ihn sehr. Es gab nun eine Serie, die er besonders mochte. Ich habe den Titel davon nicht mitbekommen oder wieder vergessen und wäre sehr froh, wenn sich jemand daran erinnert und es mir mitteilt. Darin soll es nämlich einen Charakter geben, der Nummer 4 (oder 5?) heißt und offenbar aus Deutschland stammt. Als sich der anwesende Redakteur plötzlich einschaltete und meinte, Obata-sensei hätte ihm gegenüber erst kürzlich zugegeben, dass L auf einer deutschen Figur basiert, da rückte dieser mit der Antwort heraus, dass es sich eben um den besagten Charakter aus seiner damaligen Lieblingsserie handelt. Der relativ emotionslose Gesichtsausdruck, die fehlenden Augenbrauen, die insgesamt stoische Art seien alles an dieser Figur orientierte Züge von L gewesen. Das habe er, so Obata-sensei, vorher noch nie erzählt (und er hätte es vermutlich auch nicht erzählt, hätte sich sein Redakteur nicht auf einmal zu Wort gemeldet).
Falls mir jemand mehr dazu sagen kann, wäre ich sehr dankbar.

Ansonsten war das soweit alles, woran ich mich erinnere. (Abgesehen von der grausigen Aussprache der Interviewerin, zum Beispiel "Obaaata" oder "Mangaaaka" – man sollte den Leuten mal erklären, dass Japaner selten wie wir die vorletzte Silbe betonen und dass es total bescheuert klingt, es doch zu tun.)
Ergänzungen und Korrekturen sind gern gesehen. Gleicher Bericht im Zirkel Perfect World.

 

Edit 1:

Bei der Serie handelt es sich vermutlich um Cyborg 009 von Shotaro Ishinomori.

Darin geht es um neun Menschen unterschiedlicher Nationalität, die von der Organisation Black Ghost entführt und bei Experimenten in Cyborgs verwandelt werden. Gemeinsam schaffen sie es, zu fliehen und fortan für ihre Freiheit zu kämpfen.

Nummer 4 (also Cyborg 004) ist der Deutsche Albert Heinrich. Sein kompletter Körper kann zu Waffen umfunktioniert werden. Von Black Ghost aufgegriffen wurde er, als er sich zur Zeit des Kalten Krieges mit seiner Freundin Hilda auf der Flucht nach Westdeutschland befand. Bei diesem Ereignis wird Hilda getötet, er selbst schwer verletzt. So jedenfalls ist es im Manga, wohingegen Hilda im Anime (Serie und Film) seine Co-Pilotin ist. In der Serie von 2001 entwickelt 004 nach seinem Erwachen starke suizidale Tendenzen, als Nebeneffekt der Modifikation, die ihn physisch und psychisch belastet. Charakterlich soll er nicht nur ähnlich stoisch wie L sein, sondern auch relativ skrupellos in der Wahl seiner Mittel. Seine äußerliche Schroffheit allerdings verbirgt tatsächlich eine eher milde und pazifistische Persönlichkeit.

 

Edit 2:

Danke an IiraEllaos für diese Informationen! Das hat mein Gedächtnis wieder aufgefrischt.

Es gibt noch weitere kleine Hinweise in Death Note, die auf Deutschland verweisen. Die Waffe, die L im Hubschrauber, kurz vor der Festsetzung von Higuchi, Light reichen möchte, ist eine Walther (wahrscheinlich P99), ein deutsches Fabrikat. (Natürlich lehnt Light ab, weil Waffen in Japan für Zivilisten normalerweise verboten sind.) Außerdem fährt Watari ein deutsches Auto, vermutlich eine Limousine alten Typs von Mercedes Benz. (Ich dachte immer, er fährt einen Rolls Royce bzw. Bentley, weil er Brite ist, wobei das Unternehmen ja ohnehin mittlerweile an die Volkswagen AG ging und seinen Namen an BMW verkauft hat, von daher wäre das auch wieder deutsch.)

Obata-sensei selbst fährt offenbar einen Volkswagen. Er hat sich schon länger gewünscht, mal nach Deutschland zu kommen (sonst hätte er sich diesen Stress neben seiner laufenden Serie vermutlich nicht angetan). Auf die Frage, was er sich hier gern mal anschauen würde, nannte er den Kölner Dom; er würde Dome und Kirchen mögen.

Zu Gakkyū Hōtei wurden einige Bilder vom Smartphone via Leinwand gezeigt. Der Redakteur meinte, dass er sich freuen würde, wenn Tokyopop die neue Serie in Deutschland herausbrächte, und die Interviewerin versicherte ihm, sie würden ihr Bestes tun. (Sollten sie Wort halten, würde ich mir das garantiert nicht entgehen lassen.)

Ach so, auf der Haribo-Tüte stand übrigens noch "XL für L". :D

 

Rodin über den Fortschritt Literatur

Autor:  halfJack


Der Chirurg Rodin, eine der finstersten Erfindungen des Marquis de Sade, steigert seine Mitleidlosigkeit zur äußersten Menschenverachtung und hält ein Plädoyer für tödliche Operationen am lebenden Menschen. Dafür zerfleischt er sogar, ohne mit der Wimper zu zucken, seine eigene Tochter.

"Ob ich dazu bereit bin? Natürlich! Solche lächerlichen Erwägungen dürfen nie und nimmer den Fortschritt der Wissenschaften hemmen. Haben sich wahrhaft große Männer etwa von so verachtenswerten Ketten fesseln lassen? Machte sich Michelangelo etwa ein Gewissen daraus, einen jungen Mann kreuzigen zu lassen und mit seinen Todesqualen abzumalen, um einen Christus am Kreuz so naturnah wie möglich zu zeichnen? Wenn es um die Fortschritte unserer Kunst geht, wie notwendig sind da dieselben Mittel! Man opfert einen, um eine Million zu retten. Kann man bei dieser Bilanz noch zögern?"

"Justine oder Die Leiden der Tugend" von Marquis de Sade

Jedem seine Chimäre Literatur

Autor:  halfJack

Unter einem weiten, grauen Himmel, in einer großen, staubigen Ebene, ohne Wege, ohne Rasen, ohne eine Distel, ohne eine Brennnessel, begegneten mir mehrere gebeugt schreitende Männer.
Jeder von ihnen trug auf seinem Rücken eine riesige Chimäre, die schwer war wie ein Mehlsack oder Kohlensack oder der Tornister eines römischen Fußsoldaten.
Aber das ungeheure Tier war keine tote Last: im Gegenteil umklammerte und presste sie den Mann mit ihren elastischen und mächtigen Muskeln; sie krallte sich mit ihren beiden breiten Pranken an die Brust ihres Reittieres an; und ihr Fabelhaupt ragte über die Stirn des Mannes wie einer jener grässlichen Helme, mit denen die alten Krieger ihren Feinden Schrecken einzujagen hofften.
Ich fragte einen der Männer aus und erkundigte mich, wohin sie so gingen. Er antwortete mir, er wisse es nicht, weder er noch die anderen; aber dass sie scheinbar irgendwohin gingen, da sie von unbezähmbarem Drang zu schreiten getrieben würden.
Und sonderbar, keiner der Wanderer schien sich gegen das wilde Tier zu empören, das um seinen Hals hing, an seinem Rücken klebte; man hätte sagen können, dass er es betrachtete, als wäre es ein Teil seiner selbst. Keins dieser müden und ernsten Gesichter verriet irgendeine Verzweiflung unter der spleenigen Himmelskuppel. Die Füße versinkend im Staub eines Bodens, der trostlos war wie dieser Himmel, schritten sie mit den resignierten Gesichtern derer, die verflucht sind, ewig zu hoffen.
Und der Zug überholte mich und tauchte im Dunst der Horizonte dort unter, wo die Kugelform des Planeten sich der Neugier des menschlichen Blickes entzieht.
Und während weniger Augenblicke war ich darauf versessen, dieses Mysterium zu begreifen; aber bald warf sich die unwiderstehliche Gleichgültigkeit auf mich, und sie lastete schwerer auf mir als auf den anderen selbst ihre erdrückende Chimäre.

"Die künstlichen Paradiese" von Charles Baudelaire

PEGIDA: Schluss mit dem Unsinn! PEGIDA

Autor:  halfJack

Vorab: Ich sehe kein Fernsehen und daher auch keine Nachrichten. Ich weiß nicht, wie sich das in der Öffentlichkeit darstellt oder wie die PEGIDA sich in den Medien präsentieren. Ich habe gehört, dass ihr Programm angeblich frei sein soll von Rassenhass, dass es nur um Kritik an der deutschen Asylpolitik gehen soll blabla, kann das aber nicht beurteilen. Das Einzige, was ich seit Wochen um Montag herum in Dresden mitbekomme, sind gesperrte Straßen, hohes Polizeiaufgebot und Menschen mit gegensätzlichen Ansichten, deren Meinungen womöglich unbewusst und unbemerkt eine Richtung einschlagen, die mir Unbehagen bereitet. Man möchte es kaum glauben, es wurden in den Bürgerämtern sogar Nottelefone eingerichtet, um sich als besorgter Bürger über die drohende Asyl- und Ausländerschwemme zu informieren.

Nun endlich scheint der ganze - tja, was ist das eigentlich? - "Haufen" dieser europäischen Patrioten gegen die okzidentale Islamisierung (oder wie auch immer) auseinanderzubrechen. Am 2. Februar fand sie nicht statt, die Demonstration. Man ist sich offenbar uneins und die Hälfte der Führungsschicht hat ihren Posten verlassen.
Ich kann es mir bildlich vorstellen, wie ein paar PEGI-Mitläufer, die sich vom Hörensagen für das alles begeistern ließen, ratlos beieinander stehen und nicht mehr wissen, was sie mit ihren Schildern, Kerzen und schwarz-rot-goldenen Kreuzen machen sollen.

PE (Patriotischer Europäer) 1: "Demo findet nicht statt. Die sagen, der Vorsitz ist, äh, vakant."
PE 2: "Heißt das, der macht Urlaub?"
PE 1: "Keine Ahnung. Einige Vorstandsmitglieder sind wohl zurückgetreten."
PE 2: "Wir haben Vorstandsmitglieder?"

Die haben sich aus dem Staub gemacht. Waren sich nicht einig, wie rechts oder nicht-rechts sie nun eigentlich sein wollen.
Die erste Kundgebung des neuen Ablegers "Direkte Demokratie für Europa" ist gestern mehr oder weniger gefloppt. Nur ca. 500 Demonstranten kamen und ein paar Hooligans, die absurderweise Stunk machten, weil sie die neue Organisation als "Verräter" empfinden, obwohl Oertel und Konsorten sich gar nicht als PEGIDA-Gegner sehen. Die Antifa war nicht vor Ort, denen war das vermutlich zu popelig. Die warten lieber auf den 13. Februar. (Gedenktag des Luftangriffes auf Dresden; wird seit den 90er Jahren von Neo-Nazis für ihre Märsche missbraucht; in den letzten Jahren bildeten die Bürger Dresdens eine Menschenkette um die Altstadt oder besetzten die Bahnhöfe, um die Nazi-Demonstration zu verhindern.)
Langsam nervt es echt. Nicht die Tatsache, dass man mit dem Auto nicht mehr problemlos in die Innenstadt kommt, das nicht. Sinnlose Demonstrationen sind in Dresden ja ohnehin beliebt. Nazi-Demonstrationen und "Wir-sind-keine-Nazis"-Nazi-Demonstrationen und Gegendemonstrationen und Demonstrationen gegen die Gegendemonstration...
Nein, was mich wirklich nervt, sind dumme Menschen, die lautstark eine Meinung vertreten und etwas durchsetzen wollen, von dem sie keine Ahnung haben. Wie auch immer das Programm der PEGIDA aussehen mag, die Anhänger - und das ist das eigentliche Problem - sind Leute, die sich allein aus dem polemischen Namen dieser "Bewegung" ihre Ansicht zusammenschustern und sich anhand solcher Massenaufläufe auch noch bestätigt und unterstützt sehen. Genau solche fühlen sich davon angesprochen, sitzen mit ihren Kumpels, jeder eine Bierflasche in der Hand, Dynamo-Schal um den Hals, in der Straßenbahn und erzählen Grütze.
"Die sollen wegbleiben, die Türken, weil die tun ja nicht mal Deutsch lernen. Dann tun wahrscheinlich auch unsere Kinder bald nicht mehr Deutsch reden, wenn wir die mit so "Tuchträgerpack" und "Türkenf***n" auf die Straße schicken tun."
...Haha. Viele Eltern bringen ihren Kindern, wie man sieht, nicht mal mehr ordentliches Deutsch bei, was sollen die da verlernen?
Es ist zum Kotzen. Dieses Vorurteil geht vor allem gegen Asylbewerber. Die würden sich nicht integrieren und kein Deutsch lernen wollen. Wenn ich mir als Asylbewerber eine Zukunft in Deutschland erhoffe, dann will ich natürlich die Sprache lernen. Wie kommt man als Außenstehender darauf, dass Asylbewerber das nicht wollen, wenn man noch nie mit einem geredet hat, sogar stets einen riesigen Bogen um Asylbewerberheime macht? Wer eine solche Meinung vertritt, vergisst offenbar, dass man zum Lernen einer Sprache Lehrer und Material benötigt, die wiederum Geld kosten. Doch solange der Antrag auf Asyl bearbeitet wird, besteht kein Anspruch auf finanzierte Deutschkurse! Letztens habe ich gelesen, dass statt der angestrebten 3 Monate die Antragsbearbeitung derzeit 15 (!) Monate dauern kann. Natürlich hat man als Asylbewerber nicht unbedingt das nötige Kleingeld, um sich einen Privatlehrer zu leisten. Da ist man auf Ehrenamtliche und Spenden angewiesen.

Und das sind nicht die einzigen Vorurteile. Angeblich würden viele Flüchtlinge gar keine Not leiden, sondern sich in Deutschland nur einen Bunten machen, sich schön durchfüttern lassen. Was für eine (sorry) menschenverachtende Scheiße. Als hätten diese Leute nicht schon genug durchgemacht, nun wird auch noch untersucht, ob das Erlittene überhaupt ausreicht oder ob es nur um finanzielle Gründe geht.
Fakt ist, dass ein Flüchtling abgeschoben wird, wenn ein Bundesbeamter solche Absichten bemerkt. Die internationale Genfer Flüchtlingskonvention schützt allein politisch Verfolgte. Armut wird dabei nicht berücksichtigt, selbst wenn man mit der Begründung ankäme, dass die Kinder im eigenen Land verhungern müssen. Das ist meines Erachtens schon hart genug.
Warum hat das Wort "Asylant" bei uns in Deutschland einen so üblen Beigeschmack, wird zuweilen sogar als Schimpfwort verwendet? Asylrecht ist Völkerrecht, das steht allen Menschen in Not weltweit zu. Dabei ist Deutschland übrigens das einzige Land, bei dem die Gewährung auf Asyl ein Grundrecht ist. Warum ist das so? Weil viele Deutsche den Zweiten Weltkrieg nur deshalb überlebten, weil ihnen von Fremden geholfen wurde, sei es auf der Flucht oder in Kriegsgefangenschaft. Wir waren im letzten Jahrhundert als Volk selbst oft genug Asylanten und Fremde in anderen Ländern und haben aufgrund dieser Erfahrung das Recht auf Asyl im Grundgesetz festgeschrieben. Darum finde ich es verachtenswert, einen Slogan wie "Wir sind das Volk!" für seine eigene versteckte Rassenhetze zu missbrauchen. Gerade dieser Spruch, der ursprünglich zu einer friedlichen Wiedervereinigung führte, wird nun zum Auseinanderreißen unserer Multikulturalität benutzt.

Das ist immer noch nicht alles, es geht weiter mit den Vorurteilen: "Asylbewerber wollen nicht arbeiten, die liegen dem Staat nur auf der Tasche!" Ach, so ein deutscher Arbeitsloser (pardon, "Arbeitssuchender") liegt dem Staat auch nur auf der Tasche. Wäre es dann nicht sinnvoll, den ebenso abzuschieben?
Asylbewerber dürfen in den ersten neun Monaten ihres Antragsverfahrens nur Hilfsarbeiten ausführen! Bei Ein-Euro-Jobs können sie sich höchstens 80 Euro im Monat hinzuverdienen. Selbst wenn dann der Antrag bewilligt wurde, wird ihnen die sogenannte Residenzpflicht vorgeschrieben, was bedeutet, dass sie sich Arbeit nur in einem sehr begrenzten Raum suchen können. Zudem darf laut deutschem Arbeitsrecht ein Flüchtling in den ersten vier Jahren nur unter Vorbehalt eingestellt werden. Das Jobcenter muss überprüfen, ob es nicht einen ähnlich qualifizierten deutschen Bewerber oder zumindest EU-Bürger für die Stelle gibt. So viel zur Übervorteilung. Selbst nach vier Jahren dürfen anerkannte Flüchtlinge keiner selbstständigen Tätigkeit nachgehen; sie sind auf Arbeitgeber angewiesen, die sie einstellen. Verständlicherweise wollen sich die Arbeitgeber aber lieber nicht mit dem aufwendigen und langwierigen Prozedere auseinandersetzen.
Asylbewerber leben bei uns außerdem nicht in Saus und Braus. Sie bekommen eine Unterkunft gestellt und für Strom, Kleidung, Essen etc. erhalten sie etwas mehr als 300 Euro monatlich. Sie haben damit weniger als Hartz-IV-Empfänger, obwohl das Arbeitslosengeld II vom Gesetzgeber als absolutes Existenzminimum angesehen wird! Die Erklärung hierfür lautet ganz einfach, dass diejenigen, die nur vorübergehend in Deutschland leben, einen geringeren Lebensstandard haben als dauerhaft Ansässige.
Besonders bescheuert finde ich nun, wenn pöbelnde junge Männer sich darüber aufregen, dass Asylanten von "unseren" Steuergeldern leben. Dann denke ich mir, die haben doch selbst vermutlich noch nie Steuern bezahlt. Von diesen Steuern werden zudem noch Unsummen an Geldern für das Polizeiaufgebot ausgegeben, das man für die Demonstrationen gegen den Islam (von vielleicht 5 % in Deutschland?) und gegen die Flüchtlinge (von vielleicht 0,3 % in Dresden?) benötigt.

Schlimm genug, dass sich solche rechtsradikalen Spinner dafür begeistern, das ist ja noch relativ normal. Bedenklich finde ich aber, dass meinetwegen der Opa, der den Krieg noch miterlebte, sich von solchen Märchen überzeugen lässt oder dass die konservative Hausmutter, die um ihre Kinder besorgt ist, die Parolen zur drohenden Islamisierung für bare Münze nimmt. Das ist wohl auch das Problem bei solchen Büchern wie "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin, das vor längerem für Diskussionen sorgte und worüber ich schon mal einen Blogeintrag schrieb. Menschen mit rassistischen Tendenzen fühlen sich bestätigt und wissen letzten Endes gar nicht, worum es geht oder was sie da unterstützen, sondern spinnen sich nur irgendeinen Müll zusammen, der in einigen Fällen sogar das Gegenteil vom eigentlichen Programm bedeutet, das sie vertreten (falls es stimmen sollte, dass PEGIDA die Asylpolitik verändern möchte, denn die ist tatsächlich stellenweise überholungsbedürftig, wie ich oben schon andeutete.) Eigentlich geht es doch um völlig unterschiedliche Themen, aber in der Meinungsbildung wirkt es, als würden Asylbewerber mit Islamisierung einhergehen.

Die Frage, die mich beschäftigt: Wo verstecken die sich denn alle, diese islamisierende Flut? Mal ehrlich, der Anteil in Dresden ist verschwindend gering. So wenige Moslems wie hier sehe ist sonst selten. In Berlin, in Dortmund, in Köln, da bin ich durch Viertel gelaufen, von denen man das vielleicht im Ansatz hätte behaupten können (wobei die Leute dort alle sehr nett und hilfsbereit waren, irgendwie gar nicht so gefährlich, wie immer alle behaupten, und Deutsch konnte die auch noch). Doch wovor hat man in Dresden bitte Angst?
Rückbesinnung auf das christliche Abendland? Daran stimmen schon mal zwei Sachen nicht: Erstens ist es allgemein bekannt, dass die neuen Bundesländer größtenteils als konfessionsloser bzw. religionsloser Osten bezeichnet werden. Gewachsen durch den historischen Hintergrund (Wittenberg, Luther, Prag, das Schisma der Kirche etc.) und später noch verstärkt durch die antireligiöse Meinungsbildung in der DDR, ist das Christentum hier nicht gerade populär; über die Hälfte der Leute sind nicht getauft oder glauben nicht dran, wenn sie es sind; viele sind Atheisten und den Rest kümmert's nicht. Inwiefern sollen gerade wir uns also auf unsere christlichen Wurzeln besinnen? Zweitens, obwohl ich da nicht so bewandert bin, meine ich mich zu erinnern, dass es bei diesen christlichen Wurzeln so eine Sache gab, die nannte sich "Nächstenliebe". Letztes Jahr wurden die tollen Montagsdemonstrationen der PEGIDA gerade kurz vor Weihnachten aus der Wiege gehoben, obwohl man allerorts durch traditionelle Lieder an diese christlichen Werte hätte erinnert werden müssen. Wahrscheinlich habe ich die anders in Erinnerung. Als Maria und Joseph durch die Kälte wanderten und niemand ihnen eine Unterkunft bot, haben sie sich offenbar geschworen, es den ganzen Gemeinlingen gleichzutun und aller Welt die Tür zu versperren. Von wegen, macht hoch das Tor, pah! Da kämen nicht einmal die heiligen drei Könige herein. Einer von denen hätte sich sowieso erst weiß anstreichen müssen.
Inwiefern vertragen sich überhaupt der Fremdenhass und die mal wieder ausgegrabenen Hitlerparolen mit der neuen Devise? Sollten wir nicht lieber zurück zu den arischen Wurzeln, den heidnischen Göttern? War das Christentum den Nazis nicht zu verweichlicht? Ach, und das Heilige Römische Reich gab es ja auch noch, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, wenn man bedenkt, dass im Rom der Antike Christen so gern den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden.

Es gibt noch weit mehr Dinge, die man dazu anmerken kann, die ich allerdings teils schon in anderen Weblogs zum Thema gelesen und daher nicht nochmal aufgewärmt habe. Ich weiß, so ein Eintrag ist nur ein Kampf gegen Windmühlen (oder nicht einmal das) und bloß meiner Frustration zu verschulden, dass ich nicht den Mut aufbringe, in der Bahn vor lautstarken jungen Männern aufzustehen und ihnen die Meinung zu geigen oder andere wildfremde Leute, deren Unterhaltungen ich unwillkürlich mitbekomme, von ihren falschen Annahmen abzubringen. Vielleicht würde es ja etwas bewirken. Oder man kriegt nur eine in die Fresse.

Rabbids no Basuke Kuroko no Basuke, Rayman, Videospiele

Autor:  halfJack

The Basketball which Rabbids play!

Aomine, Kise und Akashi als Rabbids. Zum ersten Mal habe ich mit einer Fernbedienung gemalt (von der Wii) im Gestaltungsprogramm von Rabbids Go Home. Anfangs steckte ich zwar Akashi in die Fernbedienung, aber ich hatte Sorge, dass er mir eine Schere ins Auge rammt, darum saß er später im Einkaufswagen und wurde von Kise geschoben. Aomine ist leider sehr dunkel, darum musste ich seine Körperteile einzeln fotografieren, sonst hätte man nichts erkannt.

25 Jahre Mauerfall: Von Treuhand zu Langfinger DDR

Autor:  halfJack

Warum der Osten nach dem Mauerfall keinen wirtschaftlichen Überschuss, sondern milliardenschwere Zuschüsse erforderte.

Hier geht es zu den zwei vorigen Beiträgen:
Teil 1: Vorurteile, Solidaritätszuschlag, Renten, Reparationsleistungen
Teil 2: Humankapital, Verschuldung pro Kopf

Teil 3: Eine Kriminalgeschichte der Treuhandanstalt

Nun kommt der dritte und letzte Beitrag zum Thema Mauerfall (zumindest werden maximal noch zwei Berichte zu passenden Sehenswürdigkeiten in Berlin folgen). Ich habe bereits von Vorurteilen zwischen "Wessis" und "Ossis" erzählt, vom Soli und den Renten, von der Wanderung des Humankapitals und davon, dass der Osten trotz niedrigeren Lebensstandards tatsächlich weniger verschuldet war als der Westen. Warum also sprechen einige noch immer von einer "Ost-Pleite" und warum hat der wirtschaftliche Aufbau Ost so viele Gelder verschlungen? Diesmal werde ich anhand einiger Beispiele zeigen, dass enorme Summen, die irgendwo im Osten versickert sein sollen, in Wirklichkeit häufig einen Weg in die Taschen der westlichen Verwalter fanden, der sogenannten Treuhand.

 

5.      Privatisierung: Ausnutzung statt Unterstützung

Der letzte Punkt ist ein Prozess der erst nach dem Mauerfall einsetzte und teils Erschrecken hervorruft. Nachdem die DDR als altersschwaches, krankes Tier interpretiert und in ein neues Gehege geschickt wurde, sollte die Treuhandanstalt dafür Sorge tragen, dass die schlechten und schwachen Betriebe des Ostens monetäre Unterstützung erhielten und privatisiert in die Hände westdeutscher Unternehmen gegeben wurden. Der Wille war da, aber die Theorie blieb derart unzureichend und ausnutzbar, dass in der Praxis die Fördergelder des Staates oftmals in die Taschen von Privatpersonen flossen. Dies berücksichtigend muss man das bereits erwähnte Verlustgeschäft der wirtschaftlichen Eingliederung der DDR nochmals in einem ganz anderen Licht betrachten. Die Liste der Beispiele ist lang; tatsächlich füllt Siegfried Wenzel in seiner Abhandlung über die Rolle der Treuhand mehrere dutzend Seiten mit Beispielen und erfasst damit nur die Spitze des Eisbergs.

Mein erstes Beispiel ist mir persönlich aus meiner Kindheit präsent. Im Jahre 1994 erhielten der ehemalige Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und sein Bruder die Rackwitzer Aluminium GmbH und das Folienwerk Merseburg. Dafür wurde eine "Anlaufhilfe" von weit über 150 Mio. DM für die Errichtung eines Alufolienwerkes gewährt. Zu jener Zeit arbeitete meine Mutter im Folienwerk Merseburg. Entgegen einiger Meinungen, dass die Produktionen im Osten aufgrund eines geringeren technischen Niveaus schlechter gewesen seien als im Westen, stellte dieses Werk Folien her, die sich durch eine sehr gute Qualität auszeichneten und deshalb weltweit exportiert wurden. Natürlich besaß man in ähnlichen Werken im Westen die Möglichkeit, billiger und schneller zu produzieren, um sich auf dem Markt im Schnitt besser zu behaupten, solange es nur um einfache Frischhaltefolien ging, die es im Supermarkt zu kaufen gab. Dazu sollte man wissen, dass Alufolien mikroskopische Risse und Löcher aufweisen je nach Reinheit des verwendeten Materials. Die Werke im Osten konnten vielleicht nicht so effektiv Massenware herstellen, machten ihr Defizit allerdings durch den höheren Reinheitsgehalt wett, sodass diese Folien zwar teurer, aber in Bereichen anspruchsvoller Industrieproduktion durchaus gefragt waren. Nach der Übernahme wurde diese Zielsetzung hinfällig. Ende 1996 musste Gottschol für die Stammgesellschaft in Ennepetal/Westfalen und Rackwitz Konkurs beantragen. Rackwitz ging Ende 1997 – verbunden mit einer wesentlichen Reduzierung der Beschäftigungszahl (von noch 390 auf 130; zu DDR-Zeiten waren es 2100) – an den norwegischen Konzern Norsk Hydro.

"Privatisierungshilfen" in jeweils dreistelliger Millionenhöhe wurden auch für die Übernahme der Heckert Werkzeugmaschinenbau GmbH Chemnitz durch die Schwäbische Traub AG sowie der Niles Werkzeugmaschinen GmbH Berlin-Weißensee durch die Rothenberg AG-Tochter Fritz Werner Werkzeugmaschinen AG in Berlin-Marienfelde gewährt. In beiden Fällen sind die westdeutschen "Mütter" inzwischen in Konkurs gegangen. Die ostdeutschen Unternehmen gingen nach erneut drastischer Reduzierung der Arbeitsplätze an die Startag AG aus Rohrschaden/Schweiz bzw. an die Coburger Kapp GmbH.

Ein Paradebeispiel machte über Jahre Furore und deckte immer neue, in einem zivilisierten Land nicht für möglich gehaltene Seiten krimineller Energie und beamtenmäßiger Vertuschung auf: 1992 bzw. 1993 übernahm die Bremer Vulkan Verbund AG die MTW Meerestechnik Schiffswerft Wismar, die Volkswerft Stralsund, die Neptun Industrie Technik Rostock und das Dieselmotorenwerk Rostock. Dafür flossen Zahlungen der Treuhandanstalt in Höhe von insgesamt 3 472,8 Mio. DM an den Verbund. Inzwischen ist der Verbund in Konkurs gegangen. Im Rahmen des sogenannten "zentralen Cash-Managements" waren 854 Mio. DM aus den für die ostdeutschen Werften bestimmten Beihilfen in den westdeutschen Teil der Vulkan geflossen. Dieses Geld ist mangels Konkursmasse unwiderruflich verloren. Seit wann wussten THA/BvS von dem Beihilfemissbrauch und warum reagierten sie nicht rechtzeitig? Die Europäische Kommission hat die Bundesregierung beschuldigt, zumindest fahrlässig Subventionsmissbrauch zugelassen zu haben. Inzwischen sind die Werften in Stralsund und Wismar sowie die Neptun Industrie Rostock – verbunden mit erneuten Arbeitsplatzverlusten – wieder an ausländische bzw. westdeutsche Investoren privatisiert. BvS und das Land Mecklenburg-Vorpommern mussten noch einmal knapp 1,2 Mrd. DM "nachschießen".

Das Dieselmotorenwerk Rostock wurde von der Ostseebeteiligungsgesellschaft (51% BvS, 49% Land) übernommen; eine erneute Privatisierung ist bisher nicht gelungen. Die Rückforderung von 118,35 Mio. DM unzulässiger ("wettbewerbsverzerrender") Beihilfen durch die EU-Kommission im April 1999 bedroht die Existenz des DMR mit seinen mehr als 300 Beschäftigten in Rostock und Bremen. Für September 1999 war ein Prozess vor dem Bremer Landgericht gegen den ehemaligen Vulkan-Vorstandsvorsitzenden Hennemann und drei ehemalige Vorstandsmitglieder angekündigt. Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem Zusammenhang auch gegen leitende Mitarbeiter der Treuhandanstalt und deren Nachfolgerin BvS, schrieb die Berliner Zeitung vom 15. 6. 1999.

Im Jahre 1993 übernahm die BASF-Tochter Kali & Salz AG die Mehrheitsbeteiligung (51%) und die Geschäftsführung der Mitteldeutschen Kali AG (MDK); die BvS behielt 49% der Anteile. Verbunden war dies mit der Stilllegung ostdeutscher Produktionsstätten, darunter Bischofferode in Thüringen. Die THA leistete eine Bareinlage von 1044 Mio. DM für Investitionen, Reparaturen und Planverluste der Jahre 1993 – 1997. Weitere 270 Mio. DM wurden für die "Bereinigung der Bilanz der MDK" gezahlt ("Altlasten"-Entschuldung). Die EU hatte 1993 insgesamt Beihilfen der THA in Höhe von 1,5 Mrd. DM genehmigt. 1996 wurden Verhandlungen über den Verkauf des BASF-Anteils an die Kanadische Potash Corporation (PCS) bekannt, die wegen Wettbewerbsbeschränkung 1997 vom Bundeskartellamt und später auch vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Rexrodt untersagt wurden. (Der Vertrag in Höhe von 250 Mio. DM war bereits unterschrieben!) Danach verkaufte BASF 25% seiner Anteile an K+S an "eine Reihe von Finanzinvestoren", sodass der BASF-Anteil an der börsennotierten Holding Kali- und Salz-Beteiligungs-AG Kassel auf knapp unter 50% sank, der durch weitere Verkäufe noch gesenkt werden soll. Die K+S erwarb im Juli 1998 den 49%-Anteil der BvS rückwirkend zum 1. 1. 1998 für 250 Mio. DM. Bereits 1997 war die Gewinnschwelle erreicht. Erstmals seit 1984 zahlte die K+S ihren Aktionären wieder eine Dividende – die Ergebnissteigerung sei maßgeblich auf den Wegfall der Gewinnanteile der BvS als bisherige Mitgesellschafterin zurückzuführen, schreibt die FAZ vom 12. 3. 1999. Schon früher war bekannt geworden, dass die K+S einen erheblichen Teil der Bareinlagen der BvS nicht für Investitionen in ostdeutschen Betriebsstätten, sondern für zinsgünstige Geldgeschäfte am Kapitalmarkt nutzt. Allein für 1995 wurden Zinseinnahmen von knapp 20 Mio. DM genannt. Von den 15.000 ostdeutschen Beschäftigten vor der Fusion sind noch 3.000 übriggeblieben. Anfang 1999 hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen die BvS eröffnet, ob der o.g. Verkaufspreis von 250 Mio. DM dem Marktwert entspricht, da das Finanzhaus Goldman Sachs einen Preis von 400 Mio. DM ermittelt habe.

Zum Teil wurden für die Sanierung ostdeutscher Unternehmen vorgesehene Beihilfen und Fördermittel von den neuen Eigentümern in die westdeutschen Mütterhäuser umgeleitet bzw. in den Sand gesetzt. In solchen Fällen besteht der begründete Verdacht, dass der Erwerb der ostdeutschen Unternehmen nur mit dem Ziel erfolgte, Fördermittel zu erhalten und zugleich unliebsame Konkurrenz auszuschalten bzw. verlängerte Werkbankkapazitäten zu besitzen, mit denen man – je nach Konjunktur – "arbeiten" kann; bis zur Schließung im Osten, aber bei Erhalt der Produktionsstätten in den alten Bundesländern.

Ein weiterer Fall – der "Spiegel" spricht von einem "offenbar generalstabsmäßig geplanten Wirtschaftskrimi" – ist die Werkstoff-Union GmbH Lippendorf bei Leipzig. Das Unternehmen wurde 1991 auf dem Gelände des abgewickelten Treuhandbetriebes Ferrolegierungswerk Lippendorf von dem Schweizer Kaufmann Gerhard Fischer und seiner Firma Intercept mit dem Ziel gegründet, Europas modernstes Metallverarbeitungswerk zu errichten. Im März 1996 wurde Antrag auf Gesamtvollstreckung gestellt. Inzwischen waren 225 Mio. DM staatliche Beihilfen in Form von Fördermitteln und Bürgschaften geflossen. Der "Spiegel" spricht von 336 Mio. DM, die die Staatsanwaltschaft Leipzig sucht, wobei sie davon ausgeht, dass der Investor niemals vorgehabt habe, die Werkstoff-Union überhaupt in Betrieb zu nehmen.

Auch im Handel war die Privatisierung in einem offenbar breiten Umfang mit persönlicher Bereicherung verbunden. Im Mai 1995 berichteten die Medien über einen "Millionen-Betrug" bei der HO-Abwicklung. Insgesamt 6 Führungskräfte der Treuhandanstalt standen im Verdacht, 2,4 Mio. DM veruntreut zu haben. Verhaftet seien Wolf-Rüdiger Fink – im September 1991 zum Geschäftsführer der Exho-Immobilien-Verwaltungsgesellschaft mbH berufen, die mit der Vermarktung von rd. 4.300 HO-Immobilien beauftragt war, und bis zu seiner fristlosen Entlassung Mitte März 1995 Leiter der Rechtsabteilung der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) – sowie Werner Simianer – ehemaliger  Ministerialdirigent im Bonner Ministerium für Familie und Senioren, dann ab September 1991 Geschäftsführer der FREHO-Immobilien-Verwaltungsgesellschaft mbH, die rd. 1.400 nicht betriebsnotwendige HO-Grundstücke zu verkaufen hatte, und schließlich Controler in der Privatisierungsbehörde. Im Januar berichteten die Medien erneut – diesmal ohne die Nennung von Namen: Die Berliner Staatsanwaltschaft habe gegen beide Anklage wegen Millionen-Untreue zum Nachteil der Treuhandanstalt erhoben. Bei einem Monatsgehalt von 17.000 DM habe der frühere Ministerialdirigent (also Simianer) veranlasst, dass ihm 790.000 Mark an überhöhten Geldern gezahlt wurden. "Bei Fink geht es um 771.000 Mark. Den 'Rest' teilten sich vier weitere Mitglieder der Unternehmensleitung." Im Juni 1998 fand vor dem Berliner Landgericht der Prozess statt. Die Staatsanwaltschaft forderte Haftstrafen von jeweils 4 Jahren wegen Untreue in Millionenhöhe. Das Gericht sprach jedoch beide vom Vorwurf der Untreue frei. Nach Überzeugung der Richter hatten beide Anspruch auf ihre selbstgenehmigten Honorare.

Nebenbei bemerkt: Es ist wohl ein einmaliger Vorgang, dass ein Liquidator eines solchen "Unternehmens" wie der Wirtschaft der DDR – vor allem, wenn er sich Treuhänder nennt – ständig die Waren, die er zu akzeptablen Konditionen verkaufen soll, lautstark mit Begriffen wie "marode", "veraltet", "am Markt nicht gefragt", "unkalkulierbare Altlasten" herunter redet.

Die von ihren bisherigen Leitern – man könnte nach westdeutschem Sprachgebrauch auch sagen: der Elite, die man verteufelte, verdächtigte, auswechselte – entblößten Wirtschaftsunternehmen wurden den mächtigen, erfahrenen und nur den Gesetzen des Profits folgenden Konkurrenten praktisch zum Fraß vorgeworfen. Hier galten weder das Brüder- und Schwestern-Gerede noch irgendwelche "patriotischen Erwägungen". Die Motorradsparte von BMW fusionierte mit Motorradproduzenten in Österreich und Italien, während die MZ-Werke in Sachsen versuchten, Käufer in Südostasien zu finden und heute praktisch nicht mehr existieren. Der potente Kühlschrankproduzent in Scharfenstein (Sachsen), der nach der Wende den ersten FCKW-freien Kühlschrank entwickelte und vor der Wende bedeutende Lieferungen an Quelle durchgeführt hatte, wurde durch raffinierte Kniffe ins Abseits manövriert und als Konkurrent ausgeschaltet. Frau Breuel fuhr zu Werbeveranstaltungen nach New York, eröffnete in Tokyo ein Büro und unternahm weltweite Reisen, um Betriebe der ehemaligen DDR irgendwie an den Mann zu bringen.

Aber hier in diesem nun angeschlossenen Land das Wüten der blinden Gesetze des Marktes wenn schon nicht auszuschalten, so doch zu kanalisieren und damit die aufgrund der Blindheit der Marktgesetze unvermeidbaren Fehlentwicklungen zu verhindern, dazu wurde wenig oder fast nichts getan. Dazu hätte es einer durchdachten, längerfristig angelegten Strategie bedurft. Das ist die eigentliche Ursache des "Schuldenberges" der Treuhandanstalt. Das sprunghafte Ansteigen der Verschuldung des Staates kam nicht in erster Linie dem notwendigen Aufbau Ost, sondern den westdeutschen Vermögenden und der westdeutschen Wirtschaft zugute. Der damalige Wirtschaftsminister und spätere Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Harald Ringstorff, hatte bereits Anfang April 1996 festgestellt, dass die Förderung der ostdeutschen Wirtschaft zu 80 % an Unternehmen und Unternehmer im Westen zurückfließt. Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Henning Voscherau sagte es am Jahresende 1996 so: "In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutsche, das es je gegeben hat."

25 Jahre Mauerfall: Humankapital und Schuldenlast DDR

Autor:  halfJack

Widerspruch zwischen Arbeitsplatzkonkurrenz und Haushaltslast sowie die Frage nach der Verschuldung von Ost und West.

Hier geht es zum ersten Beitrag:
Teil 1: Vorurteile, Solidaritätszuschlag, Renten, Reparationsleistungen

Teil 2: Humankapital, Verschuldung pro Kopf

Im zweiten Beitrag zum Thema des Mauerfall-Jubiläums geht es zuerst um die bereits in einem Kommentar zum ersten Teil angesprochene Wanderung des Humankapitals, die einen wesentlichen Teil der unterproportionalen kommunalen Finanzkraft der neuen Bundesländer ausmacht. Desweiteren komme ich darauf zu sprechen, inwiefern die DDR tatsächlich verschuldet war.

 

3.      Verlagerung des Humankapitals: Arbeitskraft vor und nach der Wende

Zum Osten gehörten nicht allein löchrige Straßen, Trabanten und Kühlschränke, auf die man zehn Jahre warten musste: auch die Bevölkerung des Ostens ist ein entscheidender Faktor, um die Finanzstärke eines (Bundes-)Landes zu errechnen. Es geht diesmal um das Vorurteil, die "Ossis" wären nach der Wende in Strömen in die BRD gekommen und nähmen dort die Arbeitsplätze weg, und um die zweite, dazu im Widerspruch stehende Meinung, die Arbeitslosen aus dem Osten belasteten den Staat.

Wenn man sich im Westen darüber beschwert, wie hoch die Arbeitslosigkeit in manchen neuen Bundesländern (z. B. Sachsen-Anhalt) ist und dass die Ostdeutschen mit ihrer Arbeit demnach nicht so viel für den Staat beitragen, wird außer Acht gelassen, dass bereits vor dem Mauerfall zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten in den Westen zogen, deren Beitrag sich lediglich von einem Gebiet auf das andere verlagerte. Auf dem Arbeitsmarkt gewinnt der Beste. Ist es nicht ein Armutszeugnis, beschwert man sich darüber, dass "Ossis" – Ausländer oder wer auch immer, denn die Sündenböcke variieren gern – einem den Arbeitsplatz stehlen? Noch dazu ist jeder Arbeitende ein wirtschaftlicher Antrieb. Er bezahlt Steuern und unterstützt somit durch die daraus finanzierte Sozialhilfe jenen Arbeitslosen, der sich vielleicht darüber aufregt, dass er wegen eines Platzdiebstahls durch eine Minorität keine Anstellung bekam.
Wirklich kritisieren sollte man daher nicht wahllos Gegenden und Menschen, sondern eine Regierung, vielmehr ein Regime, das für die Fluchtbewegungen und die Schwächung der jeweiligen unterdrückten Gebiete verantwortlich war. Nebenbei bemerkt ist es zudem nicht förderlich, dass in den neuen Bundesländern die Gehälter niedriger ausfallen. Das macht es für einen Arbeitssuchenden nicht attraktiv, in den Osten zu ziehen oder dort zu bleiben. Unter diesen Bedingungen vollzieht sich eine wirtschaftliche Stärkung nur schleppend und umso länger wird die Angleichung dauern.

Aber zurück zur Wanderung des Humankapitals. Der Osteuropaforscher der Freien Universität Berlin, Leptin, schrieb 1980, dass in der Zeit von 1950 bis 1961 jährlich zwischen 144.000 (1959) und 330.000 (1953) Personen aus der DDR in die BRD übersiedelten. Und er fährt fort: "Unter den Flüchtigen war der Anteil der Jugendlichen bis 25 Jahre sehr hoch, meistens um 50 Prozent. Das hatte zur Folge, dass unter den Zurückbleibenden der Anteil der älteren Jahrgänge rasch anstieg. Im Jahre 1970 waren in der Bundesrepublik 61,2 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, in der DDR 58 Prozent." Und weiter: "Wenn man berücksichtigt, dass jeder arbeitsfähige Flüchtling beim innerdeutschen Wirtschaftsvergleich einen Arbeitskräfteunterschied von 2 Personen ausmacht (im Osten -1, im Westen +1), dann wird die wachstumspolitische Bedeutung der Fluchtbewegung besonders deutlich."[1]

Der Umfang dieses Ost-West-Transfers von "Humankapital", lange bevor es einen DM-Transfer West-Ost gibt, bedarf der gesonderten Bewertung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verlassen der DDR oftmals durch die Unzufriedenheit mit den ökonomischen und politischen Verhältnissen, mangelnde Demokratie und politische Indoktrinierung hervorgerufen wurde. Bekanntlich hat der Wirtschaftswissenschaftler F. Baade vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut bereits Ende der 50er Jahre die Verluste der DDR aus Reparationen und der Abwanderung ausgebildeter, leistungsfähiger Arbeitskräfte zum damaligen Zeitpunkt mit 100 Mrd. DM berechnet, was zum heutigen Kaufkraftniveau sowie unter der Berücksichtigung der möglichen Verzinsung das Fünf- bis Sechsfache ausmachen dürfte.

Für die BRD ist dieser Zufluss des "Humankapitals" in Größenordnungen von über 2 Mio. Personen ein einmaliger Aktivposten, der überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man muss berücksichtigen, dass es sich bei den Übersiedlern aus der DDR in die BRD zu einem großen Teil um gut ausgebildete Facharbeiter sowie um akademisch Ausgebildete wie Ingenieure, Ärzte, Rechtsanwälte gehandelt hat, deren Ausbildung oftmals vom anderen Staat, d.h. der gesamten Gesellschaft in der DDR, finanziert worden war. Es gibt viele, die ihre Einstellungsverträge von westlichen Firmen bereits während des Studiums erhielten, als sie noch Wohnung, Stipendium und zum Teil die soziale Sicherung in der DDR in Anspruch nahmen. Das trifft vor allem auf die Zeit vor 1961 zu.

Die Wirkung der Eingliederung dieses personellen Zuwachses für die Wirtschaftskraft der BRD war natürlich eine ganz andere, als die bis dahin relativ kleine Zahl von etwa 0,5 Mio. ausländischen Gastarbeitern, die bis 1961 aus Spanien, Portugal, der Türkei und Italien in die BRD gekommen waren. Die Übersiedler aus der DDR sprachen die gleiche Sprache, waren oft in einem mehr oder weniger adäquaten Bildungssystem zu hochqualifizierten Fachkräften ausgebildet und entstammten dem gleichen Kulturkreis. Trotz zeitweiliger Arbeitslosigkeit in der BRD ist die grundlegend verschiedene, ja diametral entgegengesetzte Lage hinsichtlich der Verfügbarkeit über zusätzliche Arbeitskräfte, deren Ausbildung ein anderer Staat bezahlt hatte, und später von ausländischen Arbeitskräften in volkswirtschaftlichen Dimensionen, neben dem Marshall-Plan offensichtlich einer der Hauptfaktoren für die Produktivitäts- und Effektivitätsunterschiede zwischen BRD und DDR.

 

4.      Schuldenlast: Ein Päckchen, das der Osten vom Westen übernehmen musste

Der Osten sei hochverschuldet vom Westen angenommen worden und müsse nun ausgehalten werden: noch ein oft gehörtes Vorurteil. Für Industrienationen ist eine Verschuldung pro Kopf nichts Ungewöhnliches. Das kennen wir heute und vor dreißig Jahren war es nicht anders. Die Stärke eines Staates errechnet sich nicht daraus, wie viel Geld die Regierung selbst in der Hand hat, sondern wie finanzstark der Bürger im Durchschnitt ist, denn daraus ergibt sich die Wirtschaftskraft seines Landes. Schaut man sich die Verschuldung des Staates gerechnet auf den einzelnen Bürger an, stellt sich die Meinung über eine totale Verschuldung der DDR als hinterfragbar heraus. Dass das Lebensniveau nicht dem Niveau Westdeutschlands entsprach, wird nicht bezweifelt, aber vom Standpunkt der eigenen Tragbarkeit aus gesehen war die DDR dennoch in der Lage, die eigenen Bürger zu ernähren, sich wirtschaftlich auf Kurs zu halten und sogar zu entwickeln. Gemessen am Standard Osteuropas befand sich die DDR sogar auf einem hohen Niveau. Wie stand es nun um die oftmals angeprangerte Schuldenlast?

Selbst wenn man die in der Verlautbarung der Bundesregierung zur Währungsunion aufgeführten Positionen "28. Mrd. DM Restausgleichsposten aus der Währungsumstellung", deren Inhalt jedoch nicht öffentlich dokumentiert wurde, noch hinzuzieht, ergibt sich eine Schuldensumme in Höhe von 112,7 Mrd. DM.
Das sind pro Kopf der Bevölkerung 7.050 DM.
Damit betrugen die Schulden pro Kopf, die die DDR-Bürger in die Vereinigung eingebracht haben, nicht einmal 50% derjenigen, die auf jedem Bürger der alten Bundesländer lasten. Juristisch stehen aber die DDR-Bürger für das Abtragen dieser Schuldenlast der "Westbürger" mit in der Pflicht.

Es sollte natürlich vermerkt werden, dass solche pauschalen Vergleiche problematisch sind. Aber zunächst ergeben sie sich aus der Gegenüberstellung der Angaben, die die Treuhand hinterlassen hat. Der ehemalige Bundesfinanzminister T. Waigel stellte am 22. 5. 1990 in einer Sitzung des Bundesrates fest: "Die entstehenden Finanzdefizite sollen zu rund einem Drittel von der DDR selbst finanziert werden. Diese Selbstbeteiligung ist zumutbar, weil die DDR mit 40 Mrd. DM – rund 13% des Bruttosozialproduktes – eine vergleichsweise geringe Ausgangsverschuldung aufweist."[2]
Das waren die richtigen Fakten und eine richtige Bewertung dazu. Gleichzeitig wird damit in einer anderen, viel diskutierten Frage offiziell Position bezogen: nämlich zur Höhe des Bruttosozialproduktes der DDR in D-Mark zum Zeitpunkt der Wende. Die Angaben des Bundesfinanzministers führen zu einem Bruttosozialprodukt der DDR im Jahre 1989 in Höhe von 313 Mrd. DM. Das ist etwa die Größe, von der auch das Wirtschaftskomitee der Regierung Modrow in Abstimmung mit Experten des ökonomischen Forschungsinstituts nach der Wende unter Berücksichtigung bestimmter Korrekturen ausging.
Es ist in diesem Zusammenhang sicher von beträchtlichem Gewicht, wenn der Chefredakteur des führenden Wirtschaftsmagazins der Bundesrepublik, "Wirtschaftswoche", Engels, immerhin fast fünf Jahre nach der Währungsunion und Vereinigung – also nach genügend langer Zeit der Prüfung und Analyse – feststellt: "Die alte DDR war zumindest in einer Beziehung ein grundsolider Staat: das Staatsvermögen machte ein Mehrfaches der Staatsverschuldung aus." Und er fährt dann fort, und man spürt seine in Ironie gekleidete Ungläubigkeit: "Dieses ganze Vermögen hat die Bundesrepublik mit dem Beitritt geerbt – fast die ganze Industrie, beträchtliche Teile des Wohnungsvermögens, der land- und forstwirtschaftlichen Flächen. Die Verwertung dieses Vermögens hat allerdings keinen Überschuss gebracht, sondern weit über eine viertel Billion Zuschuss erfordert. Das sei eben alles Schrott gewesen, wird heute behauptet."[3]

Warum das so war, kommt fast einer Kriminalgeschichte gleich, die einen dunklen Schatten darauf wirft, wie mit diesem "Vermögen" nach der Wende umgegangen wurde, alles unter dem Deckmantel der sogenannten Eingliederung und Unterstützung. Darüber berichte ich in meinem nächsten und letzten Beitrag über die Privatisierungsversuche der Treuhandanstalt und ihr klägliches Scheitern.

Hier geht es zum nächsten Beitrag:
Teil 3: Eine Kriminalgeschichte der Treuhandanstalt

 

[1] Leptin: Deutsche Wirtschaft nach 1945, Opladen 1980, S. 58.

[2] Waigel, T. / Schell, M.: Tage, die Deutschland und die Welt veränderten, 1994, S. 184.

[3] Engels, W. in "Wirtschaftswoche" Nr. 9 vom 23. 2. 1995, S. 174.